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Große Nordwände der Alpen

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Die "großen Nordwände der Alpen" sind eine unterschiedlich definierte Gruppe von Nordwänden alpiner Gipfel, die sich durch ihre besondere Größe, Schwierigkeit oder Gefährlichkeit auszeichnen.

Die Eiger-Nordwand, die berühmteste der großen Nordwände der Alpen

Eingrenzung

Nicht die absolute Wandhöhe entscheidet darüber, ob eine Nordwand zu den großen Nordwänden der Alpen zu zählen ist, sondern in erster Linie schwierigkeitstechnische und historische Faktoren. So ist beispielsweise die Nordwand des Triglav in den Julischen Alpen mit 1500 m Wandhöhe eine der höchsten Alpenwände überhaupt, sie wird jedoch aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Schwierigkeit nicht zum Kanon der großen Nordwände gerechnet. Dass immer von großen Nord-Wänden, nicht jedoch von Ost-, Süd- oder Westwänden die Rede ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Nordwände hoher Berge durch ihre schattseitige Lage automatisch eine höhere Vereisung, einen allgemein ernsteren Charakter und damit größere Schwierigkeiten als viele andere Wände aufweisen. Manche dieser großen Wände, wie z. B. die des Eiger oder des Piz Badile, sind strenggenommen keine Nordwände, sondern eigentlich Nordwest- bzw. Nordostwände. Aus Gründen der Sprachökonomie und der Kanonbildung werden aber auch diese Wände als Nordwände bezeichnet.

Drei bzw. sechs große Nordwände

Meist ist von drei oder sechs großen Nordwänden der Alpen die Rede:

Manchmal begegnen auch Ausdrücke wie "die vier großen Alpenwände" - in diesem Fall sind die "Großen Drei" plus eine vierte, meist die Petit Dru-Nordwand, gemeint.

Historischer Überlick

Vor den Erstdurchsteigungen

Nachdem alle Gipfel der Alpen bestiegen und in den 20er-Jahren im Fels-, z.T. auch im Eisklettern bereits beachtliche Schwierigkeitsgrade erreicht waren, wandte sich die Aufmerksamkeit der Szene zunehmend den Wänden der Alpen zu, denen noch keine Durchsteigung abgerungen worden war. Die Zahl dieser Wände reduzierte sich rapide, bis schließlich nur eine Handvoll dieser undurchstiegenen Wandfluchten übrig blieb, an denen die Schwierigkeiten größer zu sein schienen als anderswo. Durch den Nimbus von Gefahr und Todesmut, der sich vor allem in den 30er-Jahren durch erfolglose Versuche um die Erstdurchsteigung der großen Wände entwickelte, wurden die großen Nordwände der Alpen zu einzigartigen Prestigeobjekten, die einem im Erfolgsfall zum internationalen Durchbruch verhelfen konnten. Allein die Besteigung einer dieser großen Wände, vor allem die Erstdurchsteigung, war ein v.a. in den 30er-Jahren fieberhaft verfolgtes Ziel, dem zahlreiche Bergsteiger aufgrund vielfältiger Ursachen wie mangelhafter Ausrüstung oder Wetterstürzen zum Opfer fielen. Vor dem Hintergrund des damals dominierenden Nationalismus in Europa wurden die Besteigungsversuche der oft politisch völlig unmotivierten Bergsteiger zunehmend zu Schicksalsunternehmungen nationaler Tragweite hochstilisiert, die schließlich in der erfolgreichen deutsch-österreichischen Durchsteigung der Eiger-Nordwand 1938 gipfelten.

Nach den Erstdurchsteigungen

Gerade im zeitlichen Rahmen zwischen den 30er-Jahren und den 50er-Jahren ist die Ersteigungsgeschichte der großen Nordwände ein Spiegelbild der Geschichte des Alpinismus selbst: Auf dem Normalweg waren alle Gipfel bereits bestiegen, das Klettern war jedoch noch nicht so weit entwickelt, dass allein Wände und Schwierigkeitsgrade gesucht worden wären. Der Gipfel in Kombination mit einer großen, furchterregenden Wand war das bergsteigerische Ideal jener Zeit, und dementsprechend lesen sich die Begehungslisten der großen Nordwände bis in die 60er-Jahre wie ein Who's who des damaligen Spitzenbergsteigens. Nachdem mit der Eiger-Nordwand 1938 alle großen Nordwände durchstiegen waren, galt es, die ersten Winterdurchsteigungen durchzuführen. Als Anfang der 60er-Jahre auch diese Herausforderungen bewältigt waren, das Niveau des Spitzenbergsteigens immer weiter stieg und bessere Ausrüstung sowie fortschrittlichere Trainingsmethoden die Erfolgschancen drastisch erhöhten, wurden nun immer schwierigere, oft möglichst direkte Linien ("Direttissime") durch die großen Wände gelegt. Auch diese waren bald im Winter und teilweise sogar solo geklettert, und zuletzt waren es in den 70er und 80er-Jahren Solobegehungen auf Zeit, die - vor allem in der Eiger-Nordwand - Spitzenbergsteiger wie Reinhold Messner anlockten. Danach sank allmählich das Interesse an Einzeldurchsteigungen der großen Nordwände; stattdessen wurde die Aneinanderreihung (enchainment) von Nordwand-Durchsteigungen zum erklärten Ziel einzelner herausragender Alpinisten. Ging es nun zunächst darum, alle (meist die drei) großen Nordwände der Alpen innerhalb der ganzen persönlichen Laufbahn zu durchsteigen, war bald die Durchsteigung innerhalb einer Saison oder sogar innerhalb von nur 24 Stunden das Traumziel extremer Bergsteiger. Den nicht mehr zu überbietenden Schlusspunkt dieser Entwicklung markiert wohl die schottische Bergsteigerin Alison Hargreaves, der alle sechs großen Nordwände der Alpen innerhalb einer Saison, solo und zusammengerechnet in weniger als 24 Stunden gelangen. Heute schmückt sich kein Spitzenbergsteiger mehr mit einer einfachen Besteigung der großen Nordwände, selbst die Eiger-Nordwand hat ihren Nimbus von einst mittlerweile verloren. Wenn überhaupt, sind die großen Nordwände für Ausnahme-Alpinisten in erster Linie als Vorbereitungstouren für schwierigere Unternehmungen, etwa im Himalaya, oder zur Erstbegehung neuer, noch extremerer Sportkletter-Routen interessant

Die großen Nordwände im Detail

Die "großen Drei"

Nordwand Wandhöhe Gipfelhöhe Erstersteigung Erstersteiger 1. Winterbegehung 1. Solobegehung 1. Winter-Solo
Eiger 1650 m 3970 m 1938 Harrer, Heckmair, Kasparek, Vörg 1961 Hiebeler, Kinshofer, Almberger, Mannhard 1963 Darbellay ?
Grandes Jorasses 1200 m 4208 m 1935 Meier, Peters 1963 Bonatti ? ?
Matterhorn 1200 m 4478 m 1931 F. Schmid, T. Schmid 1962 v. Almen, Etter 1959 Marchart 1965 Bonatti

Erweiterte Gruppe

Nordwand Wandhöhe Gipfelhöhe Erstersteigung Erstersteiger 1. Winterbegehung 1. Solobegehung 1. Winter-Solo
Petit Dru 700 m 3733 m 1935 Allain, Leininger ? ? 1955 Bonatti
Piz Badile 800 m 3308 m 1937 Cassin, Ratti, Esposito, M. Molteni, G. Valsecchi ? 1952 Buhl ?
Große Zinne 800 m 2999 m 1933 Comici, A. Dimai, G. Dimai 1937 Comici 1938 Kasparek, Brunnhuber ?

Besondere alpinistische Leistungen

Abgesehen von den Erstbegehungen, die aus obigen Tabellen abzulesen sind, erregten vor allem in den 80er- und 90er-Jahren einige extreme Unternehmungen an den großen Nordwänden Aufsehen:

Einzeldurchsteigungen auf Zeit

Aneinanderreihungen

  • 1985 durchstieg Christophe Profit die "großen drei Nordwände" in nur 22,5 Stunden.
  • 1987 durchstieg Christophe Profit die "großen drei Nordwände" im Winter innerhalb von 42 Stunden.
  • 1991 durchstieg Robert Jasper "die großen drei Nordwände" solo innerhalb eines Jahres.
  • 1992 und 1993 stieg Catherine Destivelle als erste Frau solo und im Winter durch die "großen drei Nordwände".
  • 1993 durchstieg Alison Hargreaves als erste Frau alle sechs großen Nordwände solo innerhalb eines Jahres und zusammengerechnet in weniger als 24 Stunden (!).
  • 1995 durchstieg Jean-Christophe Lafaille innerhalb von 16 Tagen zehn alpine Nordwände solo, darunter die des Eiger und des Matterhorns.

Andere große Nordwände der Alpen

Abgesehen von den sechs oben genannten Nordwänden gibt es noch eine Reihe weiterer Alpen-Nordwände, die auch von hohem Schwierigkeits- und Bekanntheitsgrad sind, jedoch normalerweise nicht im Kreis der "großen Nordwände" genannt werden. Dazu zählen vor allem:

Kombinierte Wände bzw. Eiswände

Reine Felswände

Galerie

Literatur