EU-Erweiterung 2004
Die EU-Erweiterung 2004 war die letzte und größe Erweiterung der Europäischen Union.
Am 1. Mai 2004 wurden Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern in die Europäischen Union aufgenommen. Die EU besteht nun aus 25 Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission hatte am 9. Oktober 2002 empfohlen, diese zehn Staaten aufzunehmen. Die Entscheidung zur Aufnahme fiel am 13. Dezember 2002 in Kopenhagen; das Europäische Parlament stimmte am 9. April 2003 zu. Die Unterzeichnung des Beitrittsvertrages fand am 16. April 2003 in Athen statt. Für Zypern ist nach dem Scheitern des Referendums vom 24. April 2004 faktisch nur der südliche, griechische Teil beigetreten, auch wenn formal ganz Zypern beigetreten ist. Die Abstimmung ergab, dass sich 65 Prozent der türkischen Zyprioten für eine Wiedervereinigung, 75,8 Prozent der griechischen Zyprioten jedoch gegen ein unter dem von ihnen als unzureichend empfundenen Annan-Plan wiedervereintes Zypern stimmten. Für einen Beitritt der ganzen Insel hätten beide Volksgruppen mehrheitlich für die Wiedervereinigung stimmen müssen.
Ratifikation der Verträge
Der letzte verbleibende Schritt war die Ratifikation des Vertrages durch die bisherigen Mitglieder und durch jeden einzelnen der Beitrittsstaaten. Die bisherigen Mitgliedsstaaten führten keine Referenden durch, sondern überließen diese Entscheidung den Parlamenten, wohingegen in den meisten Beitrittsstaaten Volksabstimmungen stattfanden. Die Ergebnisse der Abstimmungen im Jahr 2003 waren wie folgt:
- Malta: 54 Prozent 'Ja' (8. März)
- Slowenien: 90 Prozent 'Ja' (23. März)
- Ungarn: 83 Prozent 'Ja' (12. April)
- Litauen: 91 Prozent 'Ja' (10. und 11. Mai)
- Slowakei: 92 Prozent 'Ja' (16. und 17. Mai)
- Polen: 77 Prozent 'Ja' (7. und 8. Juni)
- Tschechien: 77 Prozent 'Ja' (13. und 14. Juni)
- Estland: 67 Prozent 'Ja' (14. September)
- Lettland: 67 Prozent 'Ja' (20. September)
Feste und Veranstaltungen zur EU-Osterweiterung 2004
Am 30. April 2004, 23.00 Uhr MESZ, wurden auf Grund der Zeitverschiebung die ersten vier Staaten, Estland, Lettland, Litauen und Zypern, in die Europäische Union aufgenommen, eine Stunde später, am 1. Mai 2004, um 0.00 Uhr, folgten die übrig gebliebenen sechs Staaten Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Europaweit fanden am Vorabend der Erweiterung Festakte, Fernsehgalas, Partys, vor allem in den Hauptstädten der Beitrittsländer und an wichtigen Grenzübergängen statt. In Valletta, der Hauptstadt Maltas, wurde mit dem Eintreffen des 1. Mai ein viertelstündiges Lichtspektakel und eine Feuerwerksshow begonnen.
Der deutsche Bundespräsident Johannes Rau hielt eine Rede vor den beiden Häusern des polnischen Parlaments, dem Sejm und dem Senat. Diese Ehre, als ausländischer Gast vor dem Parlament eine Rede abzuhalten, erhielten bislang nur der frühere US-Präsident Bill Clinton, die britische Königin Elisabeth II. und Papst Johannes Paul II. Zu Beginn der Rede kam es zu einem Eklat: Die nationalistische "Liga Polnischer Familien" (LPR) boykottierte den Auftritt von Rau. Bei der Begrüßung verließen deren Abgeordnete demonstrativ den Saal. Die LPR gehört zu den schärfsten Gegnern des polnischen EU-Beitritts. Sie begründete ihren Boykott Raus mit ihrem Protest gegen den EU-Beitritt Polens. "Was wir feiern sollen, ist ein Grund zur Trauer, nicht zur Freude, denn die Bedingungen wurden uns diktiert, vor allem von Deutschland", sagte der Partei- und stellvertretende Fraktionschef Roman Giertych im Anschluss. Aleksander Kwasniewski, der Staatspräsident Polens, lobte Rau. Rau sei ein "hervorragender Deutscher und ein wunderbarer Europäer" und habe eine "sehr gute, sehr wichtige, sehr kluge" Rede gehalten. Mit Blick auf die wenig optimistische Stimmung in beiden Ländern sagte Rau: "Wirtschaftliche Sorgen bedrängen die Bürger. Alte und neue Ängste steigen auf." Man müsse dies ernst nehmen. Aber dahinter dürfe "die epochale Bedeutung des Beitritts nicht verschwinden".
An der deutsch-polnischen Grenze Frankfurt an der Oder/Słubice öffneten Außenminister Fischer und sein polnischer Amtskollege Wlodzimierz Cimoszewicz symbolisch die Grenze an der Oder-Brücke, die die beiden Städte verbindet. Der am meisten genutzte Übergang zwischen den Ländern war für die Abendstunden vorerst gesperrt. Ein Feuerwerk entlang der Brücke tauchte die Neiße in ein Lichtermeer.
In Zittau, am deutsch-tschechisch-polnischen Dreiländereck, fand am Abend des 30. April 2004 ein Festakt der Sächsischen Staatsregierung statt, wo Alt-Bundeskanzler Kohl eine Rede hielt. Im Laufe des 1. Mai wurde die Festveranstaltung fortgeführt. Am Vormittag war der deutsch-polnisch-tschechischen Delegation das Projekt der Verlängerung der B 167 über die Neiße nach Polen und nach Tschechien vorgestellt worden. Diese tat auch den Spatenstich. Nach den Einträgen der Delegierten in die Goldenen Bücher der Grenzgemeinden Zittau, Bogatynia und Hradek nad Nisou begann der eigentliche Festakt. Dabei zogen die drei Regierungschefs der drei Länder Deutschland, Polen und Tschechien "an einem Strang" die gemeinsame EU-Flagge hoch. Bei der Veranstaltung sprachen sich die Vertreter ihrer Länder, Gerhard Schröder, Leszek Miller und Vladimír Špidla nach der Begrüßung durch den sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt in allen drei Sprachen für das vereinigte Europa aus. Die Schlussworte waren dem EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen überlassen. Die Gäste aus den Regierungen der drei Länder musste schon gegen 14 Uhr abreisen, da sie auch bei dem offiziellen Empfang der neuen Mitgliedsländer in Dublin eingeladen waren. Irland hatte zwischen dem 1. Januar und 30. Juni 2004 die Ratspräsidentschaft inne.
In der seit dem 3. September 1947 geteilten Stadt Görz an der italienisch-slowenischen Grenze, welche auf italienischer Seite Gorizia und auf slowenischer Seite Nova Gorica genannt wird, werden die Grenzzäune am 1. Mai durch Rosenbüsche ersetzt. Bei der Feier zur EU-Erweiterung zählten EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der slowenische Regierungschef Anton Rop den Countdown. Die 15.000 Menschen aus dem slowenischen Nova Gorica und ihre 37.000 Nachbarn aus Gorizia sind damit wieder unter dem Dach der EU vereint.
Am Nachmittag des 1. Mai fand in der Residenz der irischen Präsidentin Mary McAleese vor den Toren Dublins die offizielle Erweiterungszeremonie statt. "An diesem geschichtsträchtigen Tag für die Völker Europas entbieten wir den zehn Mitgliedstaaten, die dem Familienkreis der Europäischen Union beitreten, ein warmes Willkommen", begrüsste die Gastgeberin. Danach wurden unter den Klängen der EU-Hymne "Ode an die Freude" feierlich die Fahnen aller nun 25 EU-Staaten gehisst. Der Philharmonische Chor des irischen Rundfunks RTE intonierte die Hymne auf Deutsch. Der Regierungschef Irlands, Bertie Ahern, unterstrich die historische Bedeutung der Erweiterung. "Unsere Europäische Union ist wahrhaft einzigartig", und begründete: "Die heutige Erweiterung ist das beste Zeugnis für den Erfolg der Europäischen Union. Die irische Ratspräsidentschaft tat ihr Bestes, um die tiefe Bedeutung des Tages zu untermalen. Der Fall des Eisernen Vorhangs war nun endgültig vollzogen und die Teilung des Kontinents überwunden. Erneuerung und Zukunft waren die Hauptbegriffe, die während der Feierlichkeiten dominierten. Als Symbol für die Zukunft überreichten 25 Kinder aus den EU-Staaten den Staats- und Regierungschefs ihre Flaggen. Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde die deutsche Fahne von dem zwölfjährigen Laszlo Sztana überreicht, dessen Vater Ungar und dessen Mutter Deutsche ist. Laszlo ist ein Beispiel für die grenzüberschreitende Biografien auf dem alten Kontinent. Er lebte zuvor in Deutschland und Belgien und nun in Irland, wo er ein französisches Lyzeum besucht. Er spricht Deutsch, Ungarisch, Englisch und Französisch. Unter ähnlich multikulturellen Bedingungen waren fast alle Kinder aufgewachsen, die die Flaggen überreichten.
Die Erweiterung wurde von Fernsehsendern in 34 Staaten im Rahmen einer Eurovisionssendung begleitet, in Deutschland übertrug das ZDF. Im Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt waren Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur dazu eingeladen. Es wurden die 10 neuen EU-Staaten durch prominente Gäste und kleine Einspielfilme vorgestellt und Live-Schaltungen nach Warschau, der Hauptstadt Polens gemacht, in der hauptsächlich die musikalischen Beiträge stattfanden.
Das Europäische Parlament feierte am 3. Mai 2004 in Straßburg gemeinsam mit den 162 neuen Abgeordneten aus den 10 neuen Staaten die EU-Osterweiterung. Vor der Eröffnung der ersten Sitzung mit den Abgeordneten aus den alten und neuen EU-Ländern wurden in einer offiziellen Feierstunde allen Parlaments-präsidenten der zehn neuen Mitgliedstaaten die Flagge ihres Landes durch Kinder überreicht. Diese Flaggen wurden dann dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Pat Cox, übergeben. Später wurden die 10 neuen Flaggen vor dem Parlament gehisst. Nach einer kurzen Ansprache erteilte der Parlamentspräsident Cox dem Ehrengast Lech Walesa das Wort. Die neuen Abgeordneten hatten rund ein Jahr Vorbereitungszeit im Parlament, denn sie waren nach Unterzeichnung des Beitrittsvertrags am 16. April 2003 in Athen auf Einladung von Cox als Beobachter bereits voll in den Parlamentsalltag und die parlamentarische Beratungsarbeit eingebunden. Die Zahl der von den einzelnen Parlamenten zu ernennenden Abgeordneten entspricht der Zahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments, auf die das betreffende Land nach dem Beitrittsvertrag Anspruch hat, wobei die Ernennung der Abgeordneten unter angemessener Berücksichtigung der politischen Zusammensetzung des jeweiligen Parlaments zu erfolgen hatte. Bereits die Beobachter durften an den Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments teilnehmen, dennoch durften sie dort nicht das Wort ergreifen, mit abstimmen oder für Ämter kandidieren. In den Ausschüssen und Delegationen konnte den Beobachtern vom Vorsitzenden das Wort erteilt werden, doch durften sie auch hier weder mit abstimmen noch für Ämter kandidieren. Das Mandat aller Abgeordneten endete mit Ablauf der Wahlperiode im Juni 2004. Das Europäische Parlament wuchs damit zunächst nur für eine Sitzungswoche auf 788 Abgeordnete. Das neue Europäische Parlament, das am 13. Juni 2004 in allen 25 Mitgliedstaaten gewählt wurde, hat nur noch insgesamt 732 Abgeordnete, denn die 15 alten EU-Staaten haben ihre Mandatszahl reduziert.
Übergangsregelungen zum EU-Beitritt
Die Staatsangehörigen der Beitrittsstaaten sind Unionsbürger im Sinne des Art. 18 EGV. Einige die Freizügigkeit betreffende Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts sind für die Staatsangehörigen der Beitrittsländer allerdings aufgrund des Beitrittsvertrags und der Beitrittsakte vorübergehend suspendiert.
Die Staatsangehörigen Zyperns und der Republik Malta können seit Beginn des Beitritts an volle Freizügigkeit beanspruchen; Übergangsregelungen mit Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit sehen nur die Beitrittsakte der mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten vor.
Die Übergangsregelungen sehen ein "2+3+2-Modell" vor. Die 15 "alten" Mitgliedstaaten (2. Osterweiterung 1995) treffen während einer Übergangszeit von zunächst zwei Jahren Maßnahmen, um den Zugang zum Arbeitsmarkt für Staatsangehörige der mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer abweichend von Art. 1 bis 6 der VO (EWG) Nr. 1612/68 (Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der Gemeinschaft - Zugang zur Beschäftigung) zu regeln. Diese Maßnahmen können die Mitgliedstaaten - nach einer Überprüfung auf Basis eines Berichts der EU-Kommission - um weitere drei Jahre, sowie danach im Falle schwerer Störungen des Arbeitsmarktes oder der Gefahr einer solchen Störung noch einmal um zwei Jahre verlängern.
Vergrößerung der Kommission
Durch die Erweiterung der EU vergrößert sich auch die EU-Kommission. Jedem Land wird die Möglichkeit gegeben, einen Kommissar zu ernennen. Während der jetzigen Amtszeit bekommen diese allerdings kein eigenes Ressort. Die Besetzungen im einzelnen:
- Estland: Siim Kallas
- Lettland: Sandra Kalniete
- Litauen: Dalia Grybauskaite
- Malta: Joseph Borg
- Polen: Danuta Hübner
- Slowakei: Ján Figel'
- Slowenien: Janez Potočnik
- Tschechien: Pavel Telička
- Ungarn: Péter Balázs
- Zypern: Marcos Kyprianou
Beitrittsgründe der Beitrittsstaaten
Gründe für die neuen Mitglieder, vor allem für die Staaten Ostmitteleuropas, waren neben wirtschaftlichen Vorteilen auch ihre historische und kulturelle Zugehörigkeit zu den anderen Mitgliedern der Europäischen Union. Die Gebiete der Staaten des östlichen Mitteleuropas gehörten zu einem Großteil früher zum Deutschen Reich oder zur Donaumonarchie und haben eine größtenteils evangelisch oder katholische, keine orthodoxe, Bevölkerung. Die Angst vor dem großen Nachbarn Russland war ebenfalls Triebfeder für die Beitrittsbemühungen.
Ökonomische Betrachtung aus deutscher Sicht
Die EU-Staaten der Erweiterungsrunde 2004 sind ökonomisch mit der EU stark verwachsen. Die Exporte aus Deutschland in die neuen Staaten liegen bei etwa 50 %. Die EU-Erweiterung ist für Deutschland daher bedeutend.
Es gibt insbesondere zwei entgegengesetzte Thesen, die die ökonomischen Erwartungen charakterisieren:
- Die EU-Erweiterung und die damit verbundene Liberalisierung des Kapitalmarktes führt zu einer Ausnutzbarkeit der besseren Kapitalrenditen.
- Der Abfluss inländischen Kapitals in die neuen Länder verhindert das Entstehen neuer Arbeitsplätze im Inland.
Es wird also letztlich debattiert, ob die EU-Erweiterung einen Wohlstandsgewinn oder -verlust herbeiführen wird.
Erfahrungen früherer Erweiterungen der EU zeigen jedoch, dass die ökonomischen Vorteile überwiegen werden. So entwickelten sich typische Agrarstaaten innerhalb weniger Jahre zu modernen dienstleistungsorientierten Staaten. Dieser Strukturwandel kostete kurzfristig zwar viele Arbeitsplätze, führte langfristig aber zu einem erheblichen Anstieg des Lebensstandards und zu steigendem Handel und damit auch Wohlstandsgewinn im Inland.
Die Erfahrungen zeigen auch, dass durch Direktinvestitionen insbesondere hochqualifizierte Arbeitsplätze in den Beitrittsstaaten entstehen, weniger niedrigqualifizierte.
Sicher ist, dass durch die Erweiterungen der EU auch der Wettbewerb der Sozialsysteme verschärft werden wird. Insbesondere Staaten mit einem guten Sozialsystem wie etwa Deutschland, werden Anziehungspunkt für niedrigqualifizierte Menschen sein. Durch staatliche Maßnahmen gegen die Entstehung von Niedriglohnarbeit werden diese tendenziell jedoch in die Arbeitslosigkeit abrutschen, das Sozialsystem konsumieren und die Krise des deutschen Systems noch weiter verschärfen. Experten fordern daher seit langem tiefgreifende Reformen und eine Harmonisierung europäischer Sozialsystem.
Verschärft wird die Situation in Deutschland durch die besonders hohen Lohnzusatzkosten.
Weblinks
- Auswärtiges Amt: Die Erweiterung der Europäischen Union
- Offizielle Seite der Europäischen Kommission in Deutschland zur EU-Erweiterung
- Der Beitrittsvertrag der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei
- Europa wird bunter - Die EU-Erweiterung - Infos zum Thema und zu den neuen Mitgliedsländern
- MDR: Was ändert sich zum 1.Mai?
- Die Erweiterung in Zahlen
- Artikel: "EU-Erweiterung: GO East, Europe!" (sbznet.de, Schülerzeitung)