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Tafelservice berühmter Frauen

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Das Tafelservice für berühmte Frauen von Vanessa Bell und Duncan Grant, 2018

Das Tafelservice für berühmte Frauen (Famous Women Dinner Service) besteht aus einem Set von 50 Speisetellern, die von den Künstlern Vanessa Bell und Duncan Grant geschaffen wurden. Das Werk stellt jeweils zwölf namhafte Schriftstellerinnen, bedeutende Tänzerinnen, einflussreiche Königinnen und bekannte Schönheiten dar. Zwei weitere Teller stellen Vanessa Bell und Duncan Grant selbst dar, die beide zur Bloomsbury Group gehörten, einer Gruppe von englischen Künstlern, Intellektuellen und Wissenschaftlern vor dem Ersten Weltkrieg.

Das Tafelservice wurde 1932 vom Kunsthistoriker und Museumsdirektor Kenneth Clark in Auftrag gegeben und zwischen 1932 und 1934 verwirklicht.

Geschichte

Jane Clark und ihr Mann Kenneth Clark beauftragten das Künstlerpaar Vanessa Bell und Duncan Grant mit der Gestaltung eines individuellen Geschirrsets, ohne Vorgaben zur Ausgestaltung zu machen. Allerdings gaben sie die Anzahl und Art des Geschirrs vor. Sie wünschten sich die Verzierung von 36 großen Tellern, zwölf kleineren Tellern, 36 Beilagentellern, zwölf Suppentassen und -untertassen, einer Salatschüssel, zwei Dessertschalen, sechs ovalen Tellern in verschiedenen Größen, zwei Saucieren und -ständern, vier Pfeffertöpfen, vier Salztöpfen, vier Senftöpfen, zwei Soßenterrinen und -ständern sowie drei Kannen. Bell und Grant reisten als Gäste von Josiah Wedgwood V nach Stoke-on-Trent, wo sie in der „Etruria“-Fabrik für ihr Werk eine geeignete Tellerform und eine Glasur auswählten, deren kühles Weiß sie an Delfter Porzellan erinnerte.[1] Im Charleston Farmhouse, ihrem Wohnhaus mit Atelier im Lewes District in East Sussex, bemalten Grant und Bell zwischen 1932 und 1934 statt der bestellten Serviceteile 50 Wedgwood-Porzellanteller nach ihren Vorstellungen mit von ihnen ausgewählten bekannten Frauenfiguren, deren Lebensgeschichte sie recherchiert hatten, nach soweit vorhandenen Fotografien und Porträts. Im Oktober 1931 schrieb Vanessa Bell in einem Brief, dass das Projekt „den Feministinnen gefallen sollte“.[2] Während Kenneth Clark ein umfangreiches Set dekorativen Geschirrs mit den typischen stilisierten Bloomsbury-Mustern erwartete, war seine Frau Jane Clark enger in das Projekt involviert, da sie während des gesamten Prozesses mit Bell in Kontakt stand.[3][4] Bell und Grant sind jeweils für die Hälfte der Portäts verantwortlich, außerdem porträtierten sie sich gegenseitig, so dass das Service aus insgesamt 50 Tellern besteht.[4]

Nach der Fertigstellung blieb das Service im Besitz der Familie Clark und wurde gelegentlich auf Dinnerpartys verwendet. Nach Kenneth Clarks Tod 1983 brachte seine zweite Frau Nolwen de Janzé-Rice es in ihr Haus in Frankreich. Nach ihrem Tod wurde das Service in Deutschland versteigert und gelangte erst durch den Kauf eines Privatsammlers wieder nach England. Anfang 2018 wurde es erstmals in der Piano Nobile Gallery in London ausgestellt.[4] Seit dem Frühjahr 2018 befindet das Service sich dauerhaft im Charleston Farmhouse, dem Ort seiner Entstehung und ist in einer kuratierten Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich. Der Erwerb des Tafelservices wurde durch Zuschüsse des National Heritage Memorial Fund und der britischen Wohltätigkeitsorganisation Art Fund sowie aus privaten Spenden finanziert.[1][2][5] Ergänzend sind vier Test-Teller und frühe Entwurfszeichnungen aus der Entstehungszeit des Sets zu sehen.[3][4]

Werk

Die Teller sind mit einem Porträtbild der jeweiligen Frau in der Mitte ausgeführt, daneben ist der Name vermerkt. Bell und Grant fertigten je 24 Tellerbemalungen und das Porträtbild des jeweils anderen, so dass das Set aus insgesamt 50 Tellern besteht. Der äußere Rand jedes Tellers ist mit einem ebenfalls gemalten kräftig gemusterten Dekor in Schwarz und Blau verziert, wobei die Muster variieren.[4] Die Teller sind vollständig erhalten und in einem guten Zustand.[2]

Dargestellt sind hauptsächlich historische, biblische oder mythologische Frauengestalten. Neben Bell und Grant selbst finden sich zur Entstehungszeit des Services mit Bells Schwester Virginia Woolf, Maria von Teck, Marian Bergeron, Mrs. Patrick Campbell und Greta Garbo aber auch fünf zeitgenössische lebende Frauen in der Auswahl.[1]

Autorinnen

Königinnen

  • 13. Katharina die Große (1729–1796), Kaiserin von Russland
  • 14. Christina (1626–1689), Königin von Schweden
  • 15. Kleopatra (70/69–30 v. Chr.), letzte Pharaonin des ägyptischen Ptolemäerreiches
  • 16. Elisabeth I. (1533–1603), Königin von England
  • 17. Eugénie de Montijo (1826–1920), Kaiserin von Frankreich
  • 18. Isebel († um 843 v. Chr.), biblische Gestalt
  • 19. Marie-Antoinette (1755–1793), Erzherzogin von Österreich, Königin von Frankreich und Navarra
  • 20. Maria Stuart (1542–1587), Königin von Schottland
  • 21. Queen Mary (1867–1953), deutsch-britische Hochadlige
  • 22. Königin von Saba (um 1000 v. Chr.), sagenhafte biblische Gestalt
  • 23. Theodora I. (um 500–548), Ehefrau des byzantinischen Kaisers Justinian I.
  • 24. Königin Victoria (1819–1901), Königin von Großbritannien und Irland (1837–1901), Kaiserin von Indien (1876–1901)

Schönheiten

Tänzerinnen und Schauspielerinnen

Künstlerporträts

  • 49. Vanessa Bell (1879–1961), britische Malerin und Innenarchitektin
  • 50. Duncan Grant (1885–1978), schottischer Maler, einziger Mann im Tafelservice für berühmte Frauen[6]

Rezeption

Das Tafelservice für berühmte Frauen ist dauerhaft im Charleston Farmhouse ausgestellt.[5] Nach der Wiederentdeckung um 2017 des bis dahin weitgehend in Privatbesitz befindlichen und der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Werks erfuhr es ab 2018 unterschiedliche Rezeption.

Der Direktor der Londoner Piano Nobile Gallery Matthew Travers bezeichnete das Service als „bedeutendes protofeministisches Werk“. Alle dargestellten Frauen würden sich durch ihre Lebensweise und Handlungen auszeichnen „in der Art und Weise, wie sie ihr Privatleben führten, und passten sich oft nicht den Patriarchaten an, in denen sie lebten.” Zudem betonte er Grants und Bells Auswahl der Frauen „über den Tellerrand des Westens hinaus“, das sie „für die damalige Zeit sehr vorausschauend“ auch afrikanische Frauen, Angehörige der indigenen Völker Amerikas und Japanerinnen aufnahmen.[4]

Die Kunsthistorikerin Hana Leaper beschrieb in einem Artikel in British Art Studies, dem Online-Journal des Paul Mellon Centre for Studies in British Art, das Tafelservice für berühmte Frauen als „eines der herausragendsten Werke eines damals entstehenden feministischen Kunstfeldes“ und dass „die Wiederentdeckung des Tafelservices für berühmte Frauen dessen wichtigen Platz in einer feministischen Kunsttradition verdeutlicht“.[1] Das Tafelservice für berühmte Frauen wurde als „kühne, feministische Aussage“ bezeichnet,[2] die Bell und Grants „wegweisende Rolle in der feministischen Kunstgeschichte“ unterstreiche[6] und es wurden Parallelen zwischen Judy Chicagos feministisches Werk The Dinner Party von 1979 und dem Tafelservice für berühmte Frauen gezogen.[3] The Dinner Party erinnert an das Tafelservice für berühmte Frauen von 1932–1934, sowohl im Thema, als auch in der Technik. Es gibt auch Übereinstimmungen in der Auswahl der Persönlichkeiten. Sappho, Virginia Woolf, Elizabeth I und Theodora kommen in beiden Werken vor. Das Tafelservice für berühmte Frauen ist jedoch rund 45 Jahre älter als The Dinner Party[7] und Judy Chicago schuf ihr Werk ohne von dem Service zu wissen.[4]

Im Guardian schrieb der Kunstkritiker Jonathan Jones, dass es vielen Künstlern der Bloomsbury-Group an Substanz gemangelt habe, so auch Bell und Grant, deren Gemälde "seltsam entspannte und substanzlose Imitationen der Werke dieser großen Künstler" (Cezanne, Picasso) seien. „Wir sollen es als verlorenes Meisterwerk und kühnes feministisches Manifest feiern, für mich sieht es aber nur nach einem kleinen Spaß, zur Unterhaltung ihres Mäzens Kenneth Clark aus." Die Auswahlkriterien für die berühmten Frauen seien so inkonsistent, dass es einer Parodie auf die Sammlungen berühmter Männerporträts, die in Herrenhäusern zu finden sind, gleichkomme. Außerdem kritisiert er den seiner Ansicht nach schlampigen Stil der Porträts.[8]

Einzelnachweise

  1. a b c d Hannah Leaper: The Famous Women Dinner Service: A Critical Introduction and Catalogue. In: British Art Studies. 7. Jahrgang, 30. November 2017 (englisch, britishartstudies.ac.uk).
  2. a b c d Jennifer Grindley: The Famous Women Dinner Service. In: Charleston Trust. 4. März 2021, abgerufen am 24. Februar 2024 (englisch).
  3. a b c Jason Daley: “Lost” Feminist Dinner Set Goes on Public Display for the First Time. In: Smithsonian Magazine vom 6. April 2018. Abgerufen am 7. April 2024
  4. a b c d e f g Sarah Cascone: Decades Before Judy Chicago’s ‘The Dinner Party,’ Virginia Woolf’s Sister Made a Set of Dinner Plates Celebrating 50 Historic Women. In: Artnet vom 29. März 2018. Abgerufen am 7. April 2024
  5. a b Diana Tsar: Elizabeth ‘Lizzie’ Siddal and the Famous Women Dinner Service. In: Charleston Trust. 25. Juli 2020, abgerufen am 25. Februar 2024 (englisch).
  6. a b Hannah Leaper: Vanessa Grant Duncan Grant Famous Women. In: The Paul Mellon Centre for Studies in British Art. 2017, S. 5, abgerufen am 24. Februar 2024 (englisch).
  7. Rachel Cooke: The Art of Judy Chicago In: The Guardian, 4. November 2012. Abgerufen im 24. Februar 2024 (englisch). 
  8. Jonathan Jones: Famous Women/Orlando at Charleston review – the fundamental daftness of Grant and Bell In: The Guardian, 6. September 2018. Abgerufen im 26. Februar 2024 (englisch).