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Brussilow-Offensive

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Die russische Brussilow-Offensive (russisch Брусиловский прорыв) begann am 4. Juni 1916 und endete nach großen Gebietsgewinnen am 20. September desselben Jahres. Die nach dem verantwortlichen General benannte Offensive stellte den größten militärischen Erfolg Russlands im Ersten Weltkrieg dar, doch beschleunigten die hohen Verluste die Demoralisierung des russischen Heeres. Bis Dezember 1916 folgten zwei weitere Brussilow-Offensiven, die für Russland erfolglos blieben.

Vorlage:Schlacht

Hintergrund

Nachdem die russischen Streitkräfte in der Anfangsphase des Krieges Teile Ostpreußens und fast ganz Galizien besetzt hatten, wurden sie durch mehrere Offensiven der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn im Jahre 1915 zurückgedrängt. Galizien und die Bukowina mussten bereits im Mai 1915 von russischen Truppen geräumt werden. Von Anfang Juli bis September erfolgte der Große Rückzug der zaristischen Armee. Vor dem Hintergrund der bisherigen Niederlagen und einer Munitionsversorgungskrise räumten die russischen Streitkräfte nach und nach Polen, Litauen und Teile Weißrusslands.

Im Kriegsjahr 1916 konzentrierte sich das deutsche Heer zunächst auf seine Westfront in Nord- und Ostfrankreich, wo am 21. Februar die Schlacht um Verdun begann. Frankreich geriet durch die Kämpfe vor Verdun in schwere Bedrängnis, und bat das Zarenreich um Entlastungsangriffe. Als Reaktion auf dieses Hilfegesuch gingen russische Truppen Mitte März am Naroch-See zum Angriff auf deutsche Stellungen über. Dabei verlor die russische Armee rund 100.000 Soldaten, ohne dass der Frontverlauf nennenswert geändert werden konnte. Diese Niederlage lähmte große Teile des Offizierskorps der Zarenarmee. Die Operation am Naroch-See war nach der überwundenen Munitionskrise trotz einer enormen Überlegenheit an Mensch und Material gescheitert. Als Gründe gab der Befehlshaber der westlichen Armeegruppe Alexei Evert den Mangel an schwerer Artillerie, beziehungsweise die angebliche Feigheit der eigenen Soldaten an. Die antiquierte Taktik, mit der die Schlacht geschlagen wurde, wurde von ihren gedanklichen Vätern allerdings nicht in Frage gestellt.

Am 14. April 1916 berief der Oberbefehlshaber der STAVKA Michail Alexejew seine Frontbefehlshaber in das russische Hauptquartier in Mogilew. Er plante eine Offensive durch den nordöstlichen und den westlichen Frontabschnitt um weiteren Hilfsgesuchen der westlichen Verbündeten entgegenzukommen. Deren Befehlshaber General Evert und General Kuropatkin lehnten dies aber ab. Aus den Lehren der Niederlage vom Naroch-See schlossen sie, daß sie über zuwenig Reserven und insbesondere über zu wenig schwere Artillerie verfügten. Daraufhin trat Brussilow auf den Plan. Er sagte, er könne mit seiner materiell vernachlässigten Südwestfront einen erfolgreichen Angriff gegen die Mittelmächte durchführen, ohne weitere Reserven zu verlangen.

Am 31. April erneuerten Frankreich und auch Italien, daß sich durch eine Offensive der k.u.k. Armee bedroht sah ihre Bitten nach einer russischen Entlastungsoffenive. Daraufhin stimme Alexjew Brussilows Vorschlag zu und befahl die Ausführung der Offensive durch die Südwestfront.

Neuerungen in Strategie und Taktik

Brussilow und sein Stab hatten die Niederlagen ihrer Armee ausführlich studiert. Sie befanden die alte Taktik und Strategie der Zarenarmee für das Hauptproblem. Bei der Schlacht am Naroch-See hatte Evert versucht, an nur einem Punkt einen Durchbruch zu erzielen. Dazu versuchte er durch ein tagelanges Artilleriefeuer die feindlichen Truppen in einem nur wenige Kilometer breiten Streifen praktisch zu vernichten und dann die Infanterie nachstossen zu lassen. Er überschätzte allerdings die Wirkung des Bombardements völlig. Die Deutschen verlegten ihre Einheiten aus der Feuerlinie zurück und brachten währenddessen Reserven heran. Als die russischen Soldaten, dann über das mehr als 1.000 Meter breite Niemandsland vorrückten boten sie ein deckungsloses Ziel gegenüber der intakten deutschen Verteidigung. In völliger Verkennung der Lage hatte Evert immer mehr Soldaten in die vermeintliche Lücke geschickt, was zu den katastrophal hohen Verlusten der Schlacht führte.

Alexei Brussilow stellte hingegen ein neues Konzept auf. Der Angriff sollte unterstützt von möglichst vielen Scheinangriffen an vielen Stellen entlang einer mehreren hundert Kilometer breiten Front erfolgen. Dadurch sollte dem Feind die Möglichkeit genommen werden seine Reserven koordiniert einzusetzen. Des weiteren sollte die Infanterie einen möglichst kurzen Weg zu den feindlichen Stellungen haben. Infolgedessen trieben die Soldaten in Brussilows Frontabschnitt ihre Schützengräben an manchen Stellen sogar bis auf fünfzig Meter an die Gräben ihrer Gegner heran. Um den Schwung des Infanterieangriffs zu behalten stellte er ebenso seine eigenen Reserven in großen Stellungssystemen direkt an der Front auf, damit sie nicht wie bei seinen Vorgängern erst mühsam und zeitaufwändig heranmarschieren mussten. Auch der Artillerie wies er eine andere Rolle zu. Nicht sie sollte die Truppen der Mittelmächte vernichten, sondern der Schock des Infanterieangriffs. Damit dieser Schock aber gelingen konnte musste das Überraschungsmoment gewahrt bleiben. Deshalb sollte das vorbereitende Artilleriefeuer nur kurz sein. Ebenso sollte es sich in enger Zusammenarbeit mit der Infanterie auf Schlüsselziele konzentrieren und aus der Luft kartographierte feindliche Geschützstellungen ausschalten, anstatt den irrigen Versuch zu wagen, die gut befestigten Stellungen des Gegners durch tagelanges Bombardement niederzukämpfen.

Verlauf

Den Beginn der Brussilowoffensive machte die VIII. Armee unter Alexei Kaledin am 4. Juni 1916. Nach einem eintägigen Artilleriebeschuß gingen die russischen Infanteristen aus ihren Stellungen zum Angriff über. Der russische Verband verfügte über 200.000 Soldaten und 704 Geschütze. Er stand gegen die 4. Armee Österreich-Ungarns mit 150.000 Soldaten und 600 Geschützen. Nach den Begriffen der konvervativen russischen Generäle war diese leichte numerische Überlegenheit nicht ausreichend für einen erfolgreichen Angriff. Binnen einer Woche gelang es allerdings Kaledins Kräften die k.u.k. Truppen 60 Kilometer zurückzudrängen und Lutsk, eine Festung der Österreicher im Hinterland zu erobern. Die 4. k.u.k. Armee verlor auf ihrem Rückzug den Hauptteil ihrer Kräfte und schmolz binnen einer Woche auf 27.000 Soldaten zusammen.

Gleichzeitig mit der VIII. Armee griff auch die IX. Armee unter Platon Lechitski weiter südlich an. Ebenso wie beim gleichzeitigen Angriff weiter nördlich hatten die Russen einen leichten zahlenmäßigen Vorteil. Die IX. Armee stellte 150.000 Mann ins Feld. Ihr gegenüber stand die 7. Armee der Doppelmonarchie mit insgesamt 107.000 Soldaten. Bezüglich der schweren Artillerie, die als Hauptfaktor im Denken der konservativen Generäle galt, herrschte allerdings eine dramatischen Unterlegenheit. Die Österreicher konnten den 47 schweren Geschützen der Zarenarmee 150 entgegen setzen. Trotzdem konnten die Russen auch an diesem Frontabschnitt einen beachtlichen Erfolg erzielen. Nachdem sie 50 Kilometer weit vorgstoßen waren ordnete der österreichische Befehlshaber Pflanzer-Baltin am 9. Juni den Rückzug an. Seine Armee löste sich dennoch fast vollständig auf. Sie verlor während des russischen Vormarsches rund 100.000 Mann.

Um den Erfolg der IX. Armee auszunutzen ließ Brussilow nun auch die XI. Armee unter Sacharow angreifen. Sie stand der 2. k.u.k. Armee, befehligt von Böhm-Ermolli, gegenüber. Diese Operation führte zur Eroberung des Verkehrknotenpunktes Dubno. Da seine Flanke durch den Zusammenbruch der 4. Armee extrem gefährdet war befahl Böhm-Ermolli nach wenigen Kampftagen den Rückzug.

Neben diesen drei erfolgreichen Operationen ging allerding der Angriff einer russischen Armee vollkommen fehl. Die VII. Armee unter Schtscherbatschow sollte gegen die deutsche "Südarmee"im Zentrum der Front der Mittelmächte vorgehen. Schtscherbatschow gehörte allerdings zur konservativen Schule der russischen Generalität. Er hatte sich als Antwort auf die Niederlagen der Armee französische Taktiken zu eigen gemacht, die nicht Brussilows Ideen entsprachen. So befahl er ein langes Artilleriebombardement von 48 Stunden länge und ließ einen konventionellen Infanterieangriff starten. Er musste die Operation, die er selbst nur widerwillig durchgeführt hatte, nach wenigen Tagen und 20.000 Mann Verlusten ohne Erfolg einstellen.

Um die Ostfront zu stabilisieren, wurde die österreichisch-ungarische Offensive gegen Italien kurz nach Beginn der Brussilow-Offensive abgebrochen. Mehrere Verbände wurden in den Osten verlegt. Das deutsche Heer sah sich gezwungen, seinen österreichisch-ungarischen Verbündeten zu unterstützen und zog einige Divisionen aus dem Raum Verdun ab. Die Befehlshaber der Fronten nördlich der Pripjet-Sümpfe Evert und Kuropatkin weigerten sich einen Angriff auf die deutschen Stellungen durchzuführen. Dies ermöglichte es den Deutschen, eine gesamte Armee nach Süden zu transportieren, um den Vormarsch von Brussilows Einheiten zu stoppen.

Als Nikolaus II. seinen Generälen schließlich befahl, Brussilow zu unterstützen, hatte sich das Kräfteverhältnis bereits zu Ungunsten des russischen Heeres verschoben. Auch der Kriegseintritt Rumäniens, der am 27. August erfolgte, brachte keine Entlastung. Die Russen mussten im Gegenteil ihren neuen Alliierten zahlenmäßig stark unter die Arme greifen. Trotzdem konnten die Mittelmächte am Rumänischen Kriegsschauplatz den Sieg davontragen. Die russische Armee musste nun hunderte Kilometer zusätzlich abdecken, was ihr natürlich Kräfte für die Offensive entzog.

Anfang September gelangten Brussilows Divisionen bis zu den Karpaten, doch stellte dieses Gebirge ein unüberwindbares Hindernis dar. Am 20. September brach er die Offensive aufgrund der enorm angestiegenen Verluste ab. Kurz darauf führte er bis zum Dezember 1916 zwei weitere Offensiven durch, die keine nennenswerten Gebietsgewinne mehr brachten.

Lage der Streitkräfte der Mittelmächte

k. u. k.-Infanterie

Neben den Neuerungen, die Brussilow in seinem Frontabschnitt eingeführt hatte spielte auch noch zahlreiche Faktoren aus Seiten der Mittelmächte in seine Hände. Das Verteidigungssystem der k.u.k.-Truppen war für seine Taktik des Schockangriffs besonders anfällig. Es bestand aus 3 Linien in nur 2 Kilometer tiefe. In der ersten und zweiten Reihe der Gräben war der Hauptteil der aktiven Kampftruppen versammelt. Die dritte Linie bestand aus den Ruhestellungen der Reserven. Diese waren in großen Bunkern, ähnlich den Reserven der Russen untergebracht. Durch den Schock des Angriffs wurden die ersten beiden Linien oft so schnell überrannt, daß die Russen die Reservestellungen schon erreicht hatten bevor diese übrhaupt aus ihren Bunkern herausgekommen waren. In den ersten beiden Linien wurden die k.u.k.-Verluste fast ausschließlich durch Kampfhandlungen hervorgerufen, während sie in der dritten Linie fast ausschließlich Gefangene genommen wurden. Desweiteren hatten die Truppen der Mittelmächte nicht einmal einen Versuch unternommen die Angriffsvorbereitungen der RUssen zu stören, da sie sich in ihren Stellungen vollkommen sicher fühlten.

Desweiteren wirkten sich Streitigkeiten innerhalb der Führung der Mittelmächte aus. Der österreichisch-ungarische Generalstabschef Conrad von Hötzendorf wollte unbedingt seine Offensive in Italien weiterführen und die Deutschen waren unwillig ihrem Juniorpartner noch mehr unter die Armee zu greifen. Dieses Problem wurde erst am 8. Juni 1916 gelöst als Falkenhayn Hötzendorf unmißverständlich klarmachte, daß er seine Offensive abbrechen solle. Die zusätzlichen 10 1/2 Divisionen konnten allerdings den Erfolg der russischen Offensive nicht mehr aufhalten. Ein Gegenangriff unter Georg von der Marwitz gegen die VIII. Armee Kaledins in Polesien scheiterte unter großen Verlusten.

Die Niederlagen verschärften die bestehende Führungskrise in der multiethnischen Armee Österreich-Ungarns noch weiter. Um die Verluste an Offizieren auszugleichen mussten schon aus dem Dient geschiedene Offiziere wieder den Truppen zugeteilt werden. Diese brachten in der Regel aber weder Verständnis für ihre Männer, noch für die Probleme der neuen Kriegsführung auf. So äußerte sich einer von ihnen frustriert gegenüber seinen Soldaten : "Meine Geduld ist am Ende und ich weigere mich, meinen Ruf und den der höheren Offiziere weiter durch den Dreck ziehen zu lassen." [1] Durch solches Handeln wurde der Abgrund zwischen den Soldaten der Vielvölkerarmee und ihren vorwiegend deutschösterreichischen und ungarischen Vorgesetzten noch weiter vertieft. Bemerkenswert ist auch, daß nach der Niederlage die Legende von der massenhaften Desertion slawischstämmiger k.u.k.-Soldaten als Rechtfertigungslegende für den Mißerfolg verwendet wurde.

Resultat

Während der Brussilow-Offensive wurden über eine Million russische Soldaten getötet, verwundet oder gefangen genommen. Die Verluste der Mittelmächte fielen etwas höher aus, wobei vor allem viele Soldaten Österreich-Ungarns in russische Kriegsgefangenschaft gerieten. Die Brussilow-Offensive verlief für Russland zunächst äußerst erfolgreich, rief aber aufgrund der enormen Verluste Unmut innerhalb der russischen Armee hervor. Die Demoralisierung verstärkte sich in der Folgezeit und trug wesentlich zum Kollaps des Zarenreiches im März 1917 bei.

Ebenso trug die Offensive deen Russen einen politischen Pyrrhussieg ein. Zahlreiche Politiker erhofften sich vom Kriegseintritt Rumäniens eine Entlastung der russischen Armee. Der Erfolg Brussilows gab den Ausschlag für die rumänische Regierung in den Krieg einzutreten. Hochrangige Militärs, darunter der russische Generalstabschef Alexejew hatten sich gegen diese Option gesperrt. Sie sollten Recht behalten, am rumänischen Kriegsschauplatz erlitten die Truppen des Zaren eine ernsthafte Niederlage und wurden auf Dauer geschwächt.

Aus kriegstaktischer Sicht war die Anfangsphase der Brussilow-Offensive bedeutsam. Während der militärischen Nutzen der Brussilowschen Neuerungen letztendlich in Russland nicht voll erkannt wurde, erzielte das deutsche Heer seit Ende 1917 mit der vergleichbaren "Sturmtruppen"-Taktik größere Erfolge. Brussilows Gegner monierte, seine Offensive sei nur wegen der Schwäche der Österreicher erfolgreich gewesen und seine Art der Kriegführung sei gegen die deutschen Truppen nutzlos. Warum Brussilow selbst von seinem Schema gegen Ende der Offensive abrückte ist ungewiß.

Zitatangaben

  1. Das Zitat des Offiziers Tersztyánski stammt aus Stone, Norman : "The Easter Front 1914-1917", Penguin Books, London, 1998 S.59

Literatur

  • John Keegan: Der Erste Weltkrieg – Eine europäische Tragödie. Reinbeck: Rohwolt Taschenbuchverlag 2001. ISBN 3-499-61194-5
  • Manfried Rauchensteiner: Der Tod des Doppeladlers: Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg.. Graz, Wien, Köln: Styria 1993. ISBN 3-222-12116-8
  • Norman Stone: The Eastern Front 1914–1917.. London: Hodder and Stoughton 1985. ISBN 0-340-36035-6
  • Christian Zentner: Der Erste Weltkrieg.. Rastatt: Moewig-Verlag 2000. ISBN 3-8118-1652-7

Siehe auch: Liste von Schlachten, Liste der Kriege