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Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam 2023

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„Masterplan zur Remigration ist ein vom Rechtsextremisten Martin Sellner vorgestellter Plan zur Deportation bestimmter Bevölkerungsgruppen – Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht sowie „nicht assimilierteStaatsbürger – aus Deutschland. Auf einem geheimen Treffen in der Villa Adlon in Potsdam diskutierten Mitglieder von AfD, Werteunion, Identitärer Bewegung und weitere Rechtsextremisten und von ihnen Eingeladene über die Umsetzung. Die Zusammenkunft am 25. November 2023 wurde vom Redaktionsnetzwerk Correctiv aufgedeckt und am 10. Januar 2024 veröffentlicht.[1]

Sowohl die inhaltlichen Enthüllungen als auch die Vernetzung zwischen AfD und anderen Rechtsextremen führten zu einer breiten Welle der Empörung und des Entsetzens bei zahlreichen Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kultur. In der Folge kam es zu einer intensiven Debatte um ein mögliches Verbot der AfD sowie zu Parteiausschlussverfahren in der CDU.[2]

Treffen

Landhaus Adlon (2013) am Lehnitzsee

Eingeladen hatten Gernot Mörig und Hans-Christian Limmer, von denen Limmer nicht anwesend war. Mörig war Bundesführer des Bund Heimattreuer Jugend und später bei der rechtsextremen Abspaltung Heimattreue Deutsche Jugend aktiv. Limmer ist ehemaliger Roland-Berger-Berater und wurde bekannt durch die BackWerk-Übernahme 2002 sowie Investments in die Systemgastronomien Hans im Glück und Pottsalat. In der Einladung wurden ein Masterplan und der Redner Martin Sellner angekündigt, außerdem wurde den Teilnehmern eine Mindestspende von 5.000 Euro empfohlen. Das Treffen sollte geheim bleiben, doch Journalisten waren undercover anwesend und haben auch Filmaufnahmen gemacht.[1]

Zu den 22 Anwesenden gehörten laut Correctiv:

„Masterplan“

In Sellners Beitrag und in der Diskussion ging es um einen sogenannten „Masterplan zur Remigration“. Laut Sellner sollen drei Gruppen Deutschland verlassen: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierteStaatsbürger. Man müsse über Gesetze auf die Menschen einen Anpassungsdruck ausüben, um sie zur Auswanderung zu bewegen. Sellner dachte auch an einen „Musterstaat“ in Nordafrika, wohin man bis zu zwei Millionen Menschen „hinbewegen“ könne und die Flüchtlingshelfer ihnen folgen könnten.[1] Dieser Plan zum Auswanderungsdruck in einen afrikanischen Staat weist Parallelen zum zur Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus entwickelten Madagaskarplan auf.[9][10]

Ulrich Siegmund zufolge sollen ausländische Restaurants aus dem Straßenbild verschwinden, es solle für „dieses Klientel“ unattraktiv werden, in Sachsen-Anhalt zu leben. Innerhalb der Teilnehmerrunde habe es keine Kritik am Plan gegeben, eher Zweifel, ob er umsetzbar sei. Um die Remigration zu realisieren, solle man vorpolitische Macht aufbauen, habe es in der Runde geheißen. Geld solle in Influencer-Projekte, Propaganda und Aktionen investiert werden, um das „Meinungsklima“ zu ändern.[1]

Der Nachrichtenagentur dpa schrieb Sellner, der Plan sehe eine Sonderwirtschaftszone in Nordafrika vor, die man pachte und als Musterstadt organisieren wolle. Zum Plan gehörten nicht „nur Abschiebungen, sondern auch Hilfe vor Ort, Leitkultur und Assimilationsdruck“.[11]

Correctiv zufolge wurde auch darüber gesprochen, das Bundesverfassungsgericht zu diskreditieren, demokratische Wahlen in Zweifel zu ziehen und die öffentlich-rechtlichen Medien zu bekämpfen; zudem wurde über die Beeinflussung junger Menschen in den sozialen Medien mittels Inhalten, die als „normale politische Thesen“ wahrgenommen werden sollen, beraten.[12]

Reaktionen und Folgen

Der Begriff der Remigration sei ursprünglich ein wissenschaftlicher, werde aber von Rechtsradikalen als „Kampfformel“ verwendet, so der Bayerische Rundfunk. Rechtsextremistische Verschwörungstheoretiker werfen den Eliten vor, die deutsche Bevölkerung auszutauschen, und dieser „Austausch“ solle durch den Masterplan rückgängig gemacht werden. Die Szene verzichte auf „allzu grellen biologischen Rassismus“, stattdessen habe Martin Sellner die „ethnokulturelle Identität“ popularisiert, die harmlos und wissenschaftlicher klinge.[11]

Correctiv selbst schätzt den „Masterplan“ als „Angriff auf die Existenz von Menschen“ und „Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik“ ein.[1] Laut MDR wird eine „Remigration“ im großen Umfang seit längerem in der AfD diskutiert.[13] Ähnliche Forderungen stellte laut Hajo Funke etwa in der Vergangenheit bereits Björn Höcke.[10]

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte vor dem Rechtsextremismus und der Vernetzung von Verfassungsfeinden mit AfD-Vertretern.[13] Bundeskanzler Olaf Scholz beschwor den Zusammenhalt der Demokraten im Land. Das Wir hinge nicht davon ab, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat: „Wir schützen alle – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder wie unbequem jemand für Fanatiker mit Assimilationsfantasien ist.“[14]

Vizekanzler Robert Habeck verwies auf das Buch des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke Nie zweimal in denselben Fluss, in dem diese Szenarien einer ethnischen Reinheit samt dafür notwendiger Gewaltanwendung bereits beschrieben seien.[12]

Janine Wissler, Vorsitzende der Partei Die Linke, verlangte von der CDU, dass sie eine Mitgliedschaft bei der Werteunion für unvereinbar mit einer CDU-Mitgliedschaft erklärt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sah die AfD auf einem gefährlichen Weg[13] und drohte CDU-Mitgliedern ein „hartes Durchgreifen“ an, wenn sie am Treffen teilgenommen haben sollten. Dennis Radtke, Vizechef der CDA, forderte von der CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit Blick auf die Werteunion, so wie die CDA dies längst getan habe.[15]

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) plädiert für AfD-Verbotsverfahren. In gleicher Weise äußerten sich mehrere andere Politiker, etwa der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) oder Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss des Bundestages.[16]

Britta Haßelmann zufolge, Fraktionschefin der Grünen, müssen nun die Demokratie und die vielfältige Gesellschaft gegen die Feinde der Demokratie verteidigt werden. FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr sah Parallelen zum Nationalsozialismus. Es zeige sich, dass die AfD die Demokratie ablehnt.[14]

Demgegenüber spielte die AfD-Führung laut ZDF die Bedeutung des Treffens herunter. Ein Sprecher von Alice Weidel sagte, dass die Partei ihre Haltung zur Einwanderungspolitik nicht ändern werde, die außerdem „vollständig im Einklang mit dem Grundgesetz“ sei. Viele AfD-Mitglieder hingegen betonten, dass es längst Kurs der AfD sei, Millionen von Menschen abzuschieben. Der Bundestagsabgeordnete und sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion René Springer verkündete auf der Plattform X: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“ Auch der Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende der AfD Bayern Stephan Protschka äußerte sich ähnlich.[12][17] Zudem setzte die AfD auf ihrem offiziellen X-Konto am Tag nach der Correctiv-Enthüllung einen Tweet ab, in dem sie forderte: „Remigration jetzt starten!“[18]

Daniel Bax in der taz schreibt von dem Dilemma, dass die Medien das Geheimtreffen nicht ignorieren könnten, durch ihre Berichterstattung den Rechten jedoch unfreiwillig Aufmerksamkeit verliehen und das Stichwort Remigration weiterverbreiteten. Martin Sellner und Götz Kubitschek sei es gelungen, den Begriff in die Debatte einzubringen, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben und den Begriff gesellschaftsfähig zu machen.[19]

Peter Maxwill bezeichnete das Treffen im Spiegel als „Deportationsgipfel“.[20]

Christoph Möllers, Professor für Verfassungsrecht, wies darauf hin, dass das Treffen im Landhaus Adlon bei einem möglichen Verbotsverfahren gegen die AfD eine Rolle spielen könne.[21] Der Focus sprach von einem „braunen Geheimtreffen“, auf dem eine „Massen-Vertreibung“ geplant worden sei.[22]

Laut dem Rechtsextremismus-Forscher Gideon Botsch geht es nicht mehr darum, wie rechtsextrem, sondern wie verfassungswidrig die AfD ist und welchen Spielraum sie für die Umsetzung ihrer Ziele besitzt. Die bei dem Treffen vorgestellten Vertreibungsforderungen seien hingegen nichts Neues, so Botsch unter Verweis auf Äußerungen Alexander Gaulands, der 2017 gefordert hatte, die frühere Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz in Anatolien zu „entsorgen“.[12]

Die Burger-Kette „Hans im Glück“ gab am 10. Januar 2024 bekannt, dass sie sich „mit sofortiger Wirkung von ihrem Mitgesellschafter Hans-Christian Limmer“ trenne; Limmer habe selbst angeboten, seine Gesellschafterstellung sofort aufzugeben.[23] Auch der Lieferdienst „Pottsalat“ kündigte die Trennung von Limmer an.[24]

In Anlehnung an die historische Wannseekonferenz, die in nur 8 km vom Landhaus Adlon entfernt in der Villa Marlier stattfand,[25] wurde das Treffen in verschiedenen Medien als Lehnitzsee-Konferenz tituliert.[26][27]

Einzelnachweise

  1. a b c d e Marcus Bensmann, Justus von Daniels, Anette Dowideit, Jean Peters, Gabriela Keller: Geheimplan gegen Deutschland. In: correctiv.org. 10. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  2. Süddeutsche Zeitung: CDU will Teilnehmer an Extremisten-Treffen aus der Partei werfen. 12. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
  3. Michael Bock: CDU-Landesvorstand watscht von Bismarck ab. In: volksstimme.de. 10. November 2011, abgerufen am 12. Januar 2024.
  4. Roland Mischke: Junkerland in Junkerhand. In: welt.de. 1. Februar 2004, abgerufen am 12. Januar 2024.
  5. a b Andreas Arnold, Arnd Gaudich: Correctiv: Zwei Oberbergerinnen bei Geheimtreffen in Potsdam. In: ksta.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
  6. Carsten Fischer: Verein Deutsche Sprache aus Kamen distanziert sich von Vorstandsmitglied. In: muensterlandzeitung.de. 10. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
  7. AFP, Alexander Eydlin: Treffen von Rechtsextremen: Restaurantkette Hans im Glück trennt sich von Gesellschafter. In: zeit.de. 10. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
  8. Metin Gülmen: Hans im Glück: Nach "Remigration"-Treffen! Co-Inhaber wirft hin. In: derwesten.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
  9. Christoph Gunkel, Die historischen Vorbilder des rechtsextremen Geheimtreffens, Spiegel Online vom 11. Januar 2024.
  10. a b Rechtsextreme planen Vertreibung: Politologe sieht Parallelen zu düsterem Nazi-Plan (Interview mit Hajo Funke), Focus vom 11. Januar 2024.
  11. a b Rechtes Geheimtreffen: Wofür steht der Begriff „Remigration?“ In: br.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  12. a b c d Geheimtreffen von AfD-Politikern und Rechtsextremisten zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund löst Besorgnis aus, deutschlandfunk.de, veröffentlicht und abgerufen am 11. Januar 2024.
  13. a b c Correctiv Recherche: AfD-Politiker und Neonazis besprechen Vertreibungsplan. In: mdr.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  14. a b Scholz beschwört Zusammenhalt gegen „Fanatiker mit Assimilationsfantasien“. In: spiegel.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  15. Linnemann droht Parteimitgliedern nach Extremisten-Treffen. In: n-tv.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  16. AfD: Daniel Günther spricht sich für Verbotsverfahren aus – Offenheit bei Ampelvertretern. In: Der Spiegel. 12. Januar 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 12. Januar 2024]).
  17. Oliver Klein, Nils Metzger, Jan Henrich: AfD-Vertreter bekräftigen Ausweisungs-Pläne. In: zdf.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  18. Einwanderung kostet 6 Billionen Euro: #Remigration jetzt starten! Abgerufen am 12. Januar 2024.
  19. Daniel Bax: Rechte profitieren von Enthüllungen. In: taz.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  20. Peter Maxwill: (S+) AfD-Migrationspläne: Der »Privatmann« beim Deportationsgipfel. In: Der Spiegel. 12. Januar 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 12. Januar 2024]).
  21. Max Bauer, Bianca Schwarz: Argumente für ein AfD-Verbotsverfahren? In: tagesschau.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  22. Die Köpfe hinter dem braunen Geheimtreffen. In: focus.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  23. „Hans im Glück“ trennt sich von Mitgesellschafter, tagesschau.de, 10. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024.
  24. Weder bei Workshops, noch bei Smalltalks: Da ist nie irgendeine Äußerung gefallen, wiwo.de, 11. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
  25. Fatina Keilani: Bericht: AfD-Politiker arbeiten mit Rechtsextremisten an Massenabschiebungen. In: nzz.ch. 10. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
  26. Die Lehnitzsee-Konferenz. In: Der Standard. 10. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
  27. Die Lehnitzsee-Konferenz. In: mdr.de. 11. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.