Pflegeskandal
Vorlage:QS-Antrag2 der Artikel muss bearbeitet und neutralisiert werden, enthält POV-Aussagen Dinah 14:12, 20. Nov. 2006 (CET)
Unter dem Schlagwort Pflegeskandal versteht man die andauernde Verletzung der Berufspflichten von Pflegepersonal gegenüber Patienten und pflegebedürftigen Personen absichtlich ebenso wie systematisch herbeigeführte Schädigungen von PatientInnen im Kliniken, Altenheimen bzw. von Kunden/-innen in der ambulanten Pflege. Dabei wird gleichzeitig unterstellt, dass die jeweilige Institution nicht alles ihr Mögliche getan hat, um diese Pflegefehler oder Straftaten zu verhindern. Es geht bei diesem Begriff also um das Zusammentreffen von individuellem und kollektivem Fehlverhalten, das in der Öffentlichkeit Zweifel auslöst, ob die pflegerische Einrichtung nicht gerade das Gegenteil der Fürsorglichkeit bewirkt, die von ihr erwartet und von ihr in der Regel auch geleistet wird.
Kranke oder Senioren gelten als "einfache", weil vom Personal stark abhängige Opfer. Sie selbst rufen meist nicht die Polizei, sie klagen nicht oder selten vor Gericht. Wenn sie auf sich allein gestellt sind und keine Angehörige für sie aktiv werden, bleiben Vernachlässigung oder gar Straftaten ihnen gegenüber unentdeckt. An Demenz erkrankte Personen, die seit 2000 über sechzig Prozent der Bewohnerschaft von Pflegeheimen ausmachen, stehen einer „gefährlichen Pflege“ besonders hilflos gegenüber. Kaum ein Jahr vergeht, ohne dass nicht irgendwo im deutschen Sprachraum über mindestens einen Fall von massiven „Mängeln" oder gar Verbrechen in einem Altenheim, einer Klinik berichtet wird.
Strukturelle Defizite
Unter den strukturellen Defiziten im Gesundheitswesen wird am häufigsten ein chronischer Personalmangel genannt. Gab es in den 60er und 80er Jahren zu wenige ausgebildete Pflegekräfte in Deutschland (Pflegenotstand), so werden heute meist zu geringe Personalzuweisungen (Personalschlüssel) als Folge einer unzureichenden allgemeinen Finanzierung des Gesundheitswesens beklagt.
In Pflegeheimen dürfen laut Heimgesetz bis zur Hälfte der Mitarbeitenden unausgebildete Pflegepersonen sein. Dies und die darüber hinaus geltend gemachte ungenügende fachliche Anleitung der Pflegekräfte könnte Schuld daran sein, wenn in Pflegeheimen Menschen Wunden ertragen müssen, die durch zu wenige oder fachlich falsche Lagerungen verschuldet werden (Dekubitus). Dabei bzw. deswegen werden nicht einzelne Pflegekräfte beschuldigt, sondern Juristen sprechen von einem Organisationsversagen, wenn die Institution zu geringe Vorsorge gegen oft/häufig auftretende Fehler trifft.
Vergleichbar wurde in den vergangenen Jahren durch den Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) bemängelt, dass zu viele Menschen in Pflegeheimen unterernährt seien oder zu wenig Getränke zugeführt bekämen.
Immer wieder berichten Pflegekräfte oder Angehörige von alten Menschen, die mangels Personal seit der Nacht bis mittags in ihrem Kot und Urin liegen oder von Personen, die ohne richterlichen Beschluss angebunden (fixiert) werden (Freiheitsberaubung). Eine Heimleitung müsste davon eigentlich Kenntnis haben und kann nicht einzelnen Pflegenden quasi dafür die juristische Schuld in die Schuhe schieben. Die Heimleitungen werden selbst als ein Teil der strukturelle Defizite bednannt, weil ihre Ausbildung und berufliche Erfahrung nur auf einem niedrigen Niveau vorgeschrieben ist.
Kliniken und Pflegeeinrichtungen müssen wie Ärzte ihre pflegerischen Handlungen (und auch ihre Unterlassungen) dokumentieren, damit spätere Kontrollen überhaupt möglich werden. In den letzten zehn Jahren wurde wiederholt darüber gestritten, ob diese Dokumentationspflicht sinnvoll ausgestaltet ist oder als bürokratischer Nonsens unnötig Arbeitskräfte bindet.
Individuelle Fehlhandlungen
Neben Mängeln bei der Arbeitsorganisation oder den Arbeitsbedingungen kann is in Gesundheitseinrichtungen auch zu Handlungen einzelner Krankenschwestern oder Altenpflegerinnen kommen, die nicht der Insitution angelastet werden könenn. Beschimpfen oder gar Misshandeln von Patienten wird regelmäßig deren individuellem kriminellen Tun zugeordnet. Es wurde von Vorgesetzen nicht angeordnet oder auch nur geduldet. Unterlassene Hilfeleistung oder Diebstahl in Pflegeeinrichtungen ist jedoch nicht nur ein Aufklärungsproblem sondern bedeutet einen Vertrauensbruch zwischen gepflegter Person und der Institution. Es stellt sich die Frage, warum es in Einzelfällen immer wieder möglich ist, dass solche individuelle Taten unentdeckt über einen längeren Zeitraum in einer Institution geschehen, in der viele Personen eng zusammen arbeiten. Hier kann zusätzlich noch ein Mangel in der wechselseitigen Kontrolle und Anleitung vorliegen.
Auf der Suche nach Täterprofilen ist die Kriminalistik und die Psychologie inzwischen so weit zu sagen, dass es das bei so genannten Pflegeskandalen nicht gibt. Vorsorge kann also nicht über frühzeitige Identifizierung von Tätern erfolgen sondern nur über Prophylaxe bei potentiellen Opfern. Die Opfer allerdings stammen sehr oft aus mehrfach kranken, sprachlich behinderten Patientengruppen, die oft wenig oder keinen Kontakt nach außerhalb der Institution haben.
Die innerberufliche Diskussion, die erst etwa seit 1995 den Themenkreis Pflegeskandale und deren Ursachen direkt anspricht, leidet zum Teil darunter, dass zwei zentrale Begriffe, „gefährliche Pflege“ und „Gewalt in der Pflege“, inhaltlich unklar definiert benutzt werden. Strukturelle Mängel, aggressives Verhalten auf verbaler Ebene und mangelnde berufliche Kenntnisse werden teilweise gleichgesetzt. Dadurch wird eine Verständigung über sinnvollle Präventionsmaßnahmen, berufliche Qualifikation einerseits und eine bessere personelle Ausstattung und Anleitung andererseits erschwert.
Die Grauzone Sterbehilfe
Die Selbsttötung wird in der Bundesrepublik nicht bestraft. Wird eine Person durch Dritte getötet, auch mit der Entschuldigung es aus Mitleid getan zu haben, muss dies durch den Staatsanwalt und später das Gericht einer genauen Prüfung der Umstände und Motive unterzogen werden. Daneben gibt es jedoch klare Aussagen der ärztlichen und pflegerischen Berufsverbände über die Aufgaben ihrer Berufsgruppen in der Begleitung Sterbender. Weil es in der Bundesrepublik keine rechtlichen Bestimmungen gibt, die Sterbehilfe (oft Euthanasie genannt) in klar umrissenen Grenzen erlaubt, wird Ärzten oder Pflegekräften, die sich daran beteiligen, in der Öffentlichkeit fast regelmäßig dies als strafmildernd zugestanden.
In der öffentlichen Debatte wird der Unterschied zwischen einer Tötung einer bekannten Person als Einzelhandlung einerseits und Serientaten oder Tötungen, um andere strafbare Handlungen zu verdecken, andererseits oft übersehen.
Da in der Bundesrepublik eine Leichenschau nur in Ausnahmefällen (weniger als 2 %) vorgenommen wird, gibt es keine wissenschaftlich überprüfbaren Zahlen über die Häufigkeit von kriminellen Handlungen direkt vor dem Tod einer in Institutionen gepflegten Person. Die Angaben der (haus-)ärztlichen Todesbescheinigungen werden in diesem Zusammenhang als unzuverlässig gewertet.
Mängel der Aufsicht
Der „Medizinische Dienst der Krankenversicherungen“ legt bei hilfsbedürftigen Älteren die Pflegestufe fest und prüft zudem die Qualität von Heimen neben der sogenannten staatlichen „Heimaufsicht“, von der evtl. jahrelang nichts zu hören ist. Werden dabei erhebliche Mißstände festgestellt und deren Abhilfe vom Heimbetreiber verlangt, erfährt die Öffentlichkeit oder Angehörige von dort gepflegten Personen zunächst gar nichts davon. Die Prüfer dürfen ihre Berichte laut Gesetz nicht veröffentlichen. Sie bleiben vertraulich zwischen den Pflegekassen, der Kreisbehörde, dem Heimverband und dem Heimbetreiber. Nur in den seltenen Fällen einer Heimschließung dringt mal was an die Öffentlichkeit.
Immer noch sind die meisten Besuche von Medizinischem Dienst und Heimaufsicht angekündigte Begehungen von Stationen. Dokumentationen werden unter Umständen kurz vorher vom Personal noch ergänzt, Speisenvorräte auf Hygienemängel überprüft, Medikamentenschränke und Rezepte mit einander abgeglichen.
Pflegemitarbeiter, die sich bei Missständen an diese Aufsicht wenden, müssen nicht nur mit dem Verlust ihres jetzigen Arbeitsplatzes rechnen sondern Angst haben, als „schwarze Schafe“ keine neue Beschäftigung zu finden.
Bekannte Skandale in den vergangenen Jahre
- 1989: Die Verurteilung der Krankenschwester M. R. zu elf Jahren Freiheitsstrafe wegen wegen Totschlags in fünf Fällen, fahrlässiger Tötung und Tötung auf Verlangen in je einem Fall 1989 durch das Landgericht Wuppertal. Als ihr Prozess begann, ging die Anklage davon aus, dass die Frau, die seit Oktober 1978 Krankenschwester und später Vertreterin des Oberpflegers auf der chirurgischen Intensivstation der St.-A.-Kliniken in Wuppertal gewesen war, in zwei Jahren 17 Patienten jeweils kurz nach ihrer Verlegung auf die Intensivstation getötet habe. Das Gericht hat sich mit der persönlichen Schuld der Angeklagten befasst. Es hat sich nicht an der Beantwortung der Frage versucht, ob nicht die Gesellschaft den Tod verdrängt, ob sie nicht Leiden und Sterben auf die Ärzte und das Pflegepersonal der Kliniken abwälzt.
- In Wien ist 1991 ein Prozess gegen vier Hilfsschwestern (Lainz) mit harten Urteilen wegen Mordes beendet worden.
- 1992 wird in Mosbach (Baden-Württemberg) ein Altenpfleger (Heimleiter) wegen körperlicher Misshandlung als vorsätzliche Körperverletzung in 15 Fällen und einer fahrlässigen Tötung mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Zur Anzeige kam es nicht durch Personal oder Ärzte, die Zeugen einzelner oder mehrerer Taten waren.
- Im Juli 1993 ist der Krankenpfleger W. L., der im Jahr 1990 in Gütersloh zehn alte, schwerkranke Patienten durch Luftinjektionen getötet hat, vom Landgericht Bielefeld wegen Totschlags zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
- 1994 - Eine Krankenschwester hatte in einer Klinik im mittelfränkischen Treuchtlingen einer todkranken Frau ein Beruhigungsmittel gespritzt. Kurz nach der Injektion war die 85-Jährige gestorben. „Das Gericht hat keine Zweifel, dass die Angeklagte eine ähnliche Tat nicht mehr begehen wird“. Urteil wegen mit Bewährungszeit drei Jahre. Durch die Presse auch als Ansbacher „Todesspritzenprozess“ bezeichnet. Die Angeklagte war bereits im Mai 1997 wegen versuchten Mordes vom Landgericht Ansbach zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hatte die Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers teilweise aufgehoben.
- 2001 - Das Luzerner Kriminalgericht verurteilte 2005 einen 36-jährigen Schweizer Krankenpfleger wegen 22-fachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs zu lebenslänglichem Zuchthaus. Er tötete zwischen 1995 und 2001 in Innerschweizer Pflegeheimen demenzkranke Menschen im Alter von 66 bis 95 Jahren. Er gestand, 23 Frauen und vier Männer mit Beruhigungsmitteln vergiftet und wenn nötig mit einem Plastiksack erstickt zu haben. Die Aufdeckung der Tat erfolgte, nachdem der Heimleitung eines Betagtenzentrums nach auffälliger Häufung von Todesfällen die Untersuchungsbehörden eingeschaltet hatte.
- 2003 - Das Verfahren gegen den „Krankenpfleger von Sonthofen“, Namenskürzel S. L. – 27 Jahre, begann am 6. Februar und endete am 20. November 2006 vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Kempten mit einem Urteil in 1. Instanz enden. Es geht darin um die größte bekannt gewordene Serientötung der BRD. Aufgrund ihrer Ermittlungen wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, zwischen dem 2. Februar 2003 und dem 10.Juli 2004 insgesamt 29 Patienten - zwölf Männer und 17 Frauen im Alter zwischen 40 und 94 Jahren – in einem Krankenhaus in Sonthofen getötet zu haben. Nur für einen Teil der Tötungen liegt ein Geständnis vor. Das Landgericht Kempten hat den sogenannten Todespfleger wegen mehrfachen Mordes und Totschlags zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht sah eine besondere Schwere der Schuld als erwiesen an.
- 2005 - Unter dem Verdacht, sechs Patienten getötet zu haben, ist in Bonn eine unausgebildete Pflegeassistentin verhaftet worden. Die Frau war aufgefallen, weil sie in den vergangenen Monaten während ihrer Dienstzeit in einem Pflegeheim bei Bonn in vier Fällen gemeldet hatte, die Patientin sei in ihrem Beisein eines natürlichen Todes gestorben. Das Landgericht Bonn verkündete am 22. 2. 06 das Urteil. Das noch nicht rechtskräftige Urteil wegen vierfachen Mordes, vierfachen Totschlags und einer Tötung auf Verlangen verhängt als Strafen Lebenslängl. Haft, die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt und Berufsverbot auf Lebenszeit.
Siehe auch
- Häusliche Gewalt
- Markus Breitscheidel
- Patientenrechte, Patientenverfügung, Pflegefall, PEG-Sonde, Pflegeombudsmann in Wien bzw. Wiener Patientenanwalt
- Sterbehilfe, Sterbebegleitung
Literatur
- Brandl Katharina (HSM Hrsg. 2005): Möglichkeiten zur Gewaltprävention in der Altenpflege. Eine Herausforderung für die Ausbildung. Bonner Schriftenreihe "Gewalt im Alter", Band 12. 102 Seiten. Mabuse-Verlag. ISBN 3938304278.
- Dörner Klaus (2002): Tödliches Mitleid. Zur sozialen Frage der Unerträglichkeit des Lebens. Paranus Verlag, 4. Aufl. 236 Seiten. ISBN 3926200863
- Eastman Mervyn (1984): Old Age Abuse. Mitcham, Surrey. Auf deutsch: (1985, 1991) Gewalt gegen alte Menschen. Lambertus-Verlag, Freiburg. ISBN 3784102859
- Fussek Claus, Loerzer Sven (2005): Alt und abgeschoben. Der Pflegenotstand und die Würde des Menschen. Herder, Freiburg, 2. Aufl. ISBN 3451284111
- Hiss Barbara u.a. (1999): Fallgeschichten Gewalt. Anfänge erkennen, Alternativen entwickeln. Reihe: Reihe Pflege im Vincentz Verlag , 106 Seiten,
- Kemper Johannes (2000): Alternde und ihre jüngeren Helfer. Vom Wandel therapeutischer Wirklichkeit. Unter Mitarbeit von Helga Geiger, Anette Helmrich, Josef Seyfried. 264 Seiten. Ernst Reinhardt Verlag, 2000, 2. Auflage. ISBN 3-497-01529-6
- Kienzle Theo, Paul-Ettlinger Barbara (2000): Aggressionen in der Pflege. Umgangsstrategien für Pflegebedürftige und Pflegepersonal. Kohlhammer, Stuttgart. Reihe Pflege kompakt. 130 S. ISBN 317 015997-6
- Kürten Claudio, Klaus Dörner (Herausgeber, 1999): Erfolgreich behandeln - armselig sterben. Macht und Ohnmacht im Krankenhaus und Heim. 136 Seiten. Verlag Die Brücke, Neumünster, 3. Aufl. ISBN 3926200715
- Maisch Herbert (1997): Patiententötungen. Dem Sterben nachgeholfen. Kindler, München. 432 Seiten. ISBN 3463402548
- U. Reus, H. Huber, U. Heine (2005): Pflegebegutachtung und Dekubitus. Eine Datenerhebung aus der Pflegebegutachtung des Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK WL) in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie: 38:3:210 – 217.
- Schneider Cordula (2005): Gewalt in Pflegeeinrichtungen. Erfahrungen von Pflegenden. Schlütersche. ISBN 3899931491
Weblinks
- Aktion gegen Gewalt in der Pflege (KDA Hrsg.): Menschenwürde in der stationären Altenpflege - (K)ein Problem. Memorandum 1999
- n3 u. a: Gewalt in Pflegebeziehungen. Bei pflegewiki.de. 2005
- C. Tesch: Wie Leitungen und Träger damit umgehen. Bei pflegewiki.de. 2006