Daniel Dennett
Daniel Clement Dennett (* 28. März 1942 in Boston) ist US-amerikanischer Philosoph und gilt als einer der führenden Vertreter in der Philosophie des Geistes. Daniel Dennett ist verheiratet mit Susan Bell Dennett, sie haben zwei Kinder. Dennett studierte in Harvard und Oxford, heute ist er Professor für Philosophie und Direktor des Zentrums für Kognitionswissenschaft an der Tufts University. 2001 wurde er mit dem Jean-Nicod-Preis ausgezeichnet.
Der naturalistische Blick auf den Menschen
Der Mensch ist ein natürliches Wesen, das im Prozess der Evolution aus der Tierwelt hervorgegangen ist. Dies ist nach Dennett "Darwins gefährliche Idee" (1995), die uns zu einem naturalistischen Blick auf den Menschen zwinge. Das heißt, so Dennett, dass es in Bezug auf das Wesen des Menschen nichts grundsätzlich Rätselhaftes gebe, nichts, was die Naturwissenschaften nicht - im Prinzip - erklären könnten. Diese generelle Position hat laut Dennett zur Folge, dass die Evolutionstheorie auch in der Erklärung des menschlichen Verhaltens und Denkens eine zentrale Rolle spielt. Da sich die kulturelle Evolution jedoch nicht durch Genselektion erklären lässt, ist Dennett zu einem bekannten Vertreter des Memkonzepts geworden. Meme sind für Dennett die Analoga von Genen in der kulturellen Evolution.
Nun mag gegen eine solche These der Einwand erhoben werden, dass es etwas gibt, was die Naturwissenschaften nicht erklären können: Einen menschlichen Geist, ein menschliches Bewusstsein. Weite Teile von Dennetts Denken sind dem Versuch gewidmet, diesen Einwand zu entkräften.
Dennett ist außerdem überzeugter Atheist und gehört der Brights-Bewegung an.
Qualiaeliminativismus
Warum sollte das Bewusstsein sich nicht durch die Neuro- und Kognitionswissenschaften restlos erklären lassen? Ein klassisches Problem ist der Erlebnisgehalt (die Qualia) von mentalen Zuständen. Wenn man sich mit einer Nadel in die Hand sticht, so führt das nicht nur zu bestimmten Aktivitäten im Gehirn und letztlich zu einem bestimmten Verhalten - es tut auch weh. Doch warum tut es weh? Warum laufen die Aktivitäten im Gehirn nicht ab, ohne dass dabei Erleben entsteht? Dies ist das sogenannte Qualia-Problem, wie es etwa von Thomas Nagel, Joseph Levine und David Chalmers formuliert wurde.
Die meisten naturalistisch gesinnten Philosophen reagieren auf das Problem wie folgt: Sie versuchen zu zeigen, warum Erleben aus bestimmten Gehirnprozessen, funktionalen Zuständen oder Ähnlichem entsteht. Das ist nicht Dennetts Strategie. Dennett ist der Meinung, dass es sich bei dem Qualiaproblem um ein Scheinproblem handelt. Er versucht zu zeigen, dass der Qualiabegriff inkohärent ist. Ein zentrales Argument ruht auf dem Verifikationismus, der Idee, dass Behauptungen sinnlos sind, wenn sie grundsätzlich unbeantwortbar (nicht überprüfbar sind, keine prinzipiell allgemein zugänglichen Wahrheitsbedingungen besitzen) sind. Dennett versucht nun zu zeigen, dass Behauptungen über Qualia grundsätzlich unbeantwortbar sind, also - wenn der Verifikationismus wahr ist - sinnlos.
Intentionalität
Doch der Erlebnisgehalt ist nicht das einzige Phänomen, das das Bewusstsein rätselhaft erscheinen lässt: Menschen sind nicht nur erlebende, sondern auch denkende Wesen. Philosophen diskutieren diese Tatsache unter dem Begriff "Intentionalität". Intentionalität ist durch ihre Gerichtetheit gekennzeichnet: Der Gedanke, dass p auf den Sachverhalt p gerichtet ist. Das macht ihn auch wahr oder falsch: Der Gedanke, dass Herodot ein Historiker war, ist offenbar wahr und zwar deshalb, weil der Gedanke auf einen realen Sachverhalt gerichtet ist.
Doch wie kann es sein, dass Menschen intentionale Zustände haben? Es scheint nicht ersichtlich zu sein, wie Aktivitäten im Gehirn wahr oder falsch sein können. Auch richten sich elektrische Impulse im Gehirn nicht auf Herodot und die Tatsache, dass er Historiker war. Die meisten naturalistisch gesinnten Philosophen versuchen nun zu zeigen, dass dies doch in irgendeiner Weise möglich ist. Wiederum ist dies nicht Dennetts Position.
Dennett macht vielmehr darauf aufmerksam, dass wir Systeme in verschiedener Weise beschreiben können. Zunächst gibt es eine physikalische Einstellung: Man kann ein System in seinen physischen Eigenschaften beschreiben und so sein Verhalten vorhersagen. Das Verhalten eines Systems in physikalischer Einstellung vorherzusagen wird jedoch oft aus Komplexitätsgründen nicht möglich sein. An dieser Stelle kann man zu einer funktionalen Einstellung greifen: Um eine Uhr zu verstehen und ihr Verhalten zu prognostizieren, muss man nur den Bauplan kennen, die konkrete physische Realisierung kann vernachlässigt werden. Doch manchmal sind Systeme sogar zu komplex, um ihnen in funktionaler Einstellung beizukommen. Dies gilt etwa von uns Menschen oder von Tieren. Hier greift die intentionale Einstellung: Das Verhalten eines Systems wird erklärt, indem man ihm Gedanken zuspricht. So sagt man etwa auch das Verhalten von Schachcomputern voraus: "Er denkt, dass ich den Turm opfern will."
Dennetts Antwort auf das Intentionalitätsproblem lautet: Ein Wesen hat dann intentionale Zustände, wenn sein Verhalten mit einer intentionalen Einstellung vorausgesagt werden kann. Menschen sind in diesem Sinne intentionale Systeme - aber auch Schachcomputer haben diesen Status. Dennetts Position wird auch Instrumentalismus genannt: "Intentionalität" ist eine nützliche Fiktion.
In seinen neueren Arbeiten hat Dennett diese Position zum Teil revidiert. Er nennt sich nun einen „schwachen Realisten“ und meint, dass intentionale Zustände so real wie zum Beispiel Muster seien. Man denke an einen Teppich: Das Muster auf ihm ist nicht im gleichen Sinne real wie der Teppich selbst. Dennoch ist das Muster nicht einfach nur eine nützliche Fiktion.
Freiheit und Selbst
Das naturalistische Programm wird von Vielen mit Unbehagen betrachtet. Greift es nicht die Grundlagen unseres Menschenbildes an? Bleibt noch Raum für Freiheit, für ein Selbst? Auch wenn Dennett sich im Allgemeinen nicht scheut, weitgehende Konsequenzen aus dem naturalistischen Programm zu ziehen, so verteidigt er doch bis zu einem gewissen Grade die Begriffe Freiheit und Selbst:
Wenn man sich fragt, ob Menschen frei sind, müsse zunächst eine weitere Frage gestellt werden: Was ist unter dem Begriff "Freiheit" zu verstehen? Wenn unter Freiheit die (partielle) Unabhängigkeit von den Naturgesetzen verstanden wird, sind wir nach Dennett nicht frei. Wenn unter Freiheit jedoch das Wollen und Handeln nach besten Wissen und Gewissen verstanden wird, könne man sich tatsächlich Freiheit zusprechen. Dennett favorisiert die zweite Lesart.
Eine ähnliche Strategie hat Dennett auch in Bezug auf das Selbst: Es gibt klassische Geschichten über das Selbst, die laut Dennett falsch sind: Wenn unter „Selbst“ eine immaterielle Substanz oder ein allgemeines funktionelles Zentrum im Gehirn verstanden wird, so gibt es nach Dennett kein Selbst. Dennoch haben Menschen laut Dennett alle in einem anderen Sinne ein Selbst: In den Lebensgeschichten der Menschen bildeten sich Leitmotive, Wiederholungen, herausstechende Merkmale. So konstituiere sich ein Selbst. Dennett nennt es auch das "Zentrum der narrativen Gravitation".
Literatur
Bücher von Dennett
- Content and Consciousness, 1969, London: Routledge & Kegan Paul and New York: Humanities Press.
- Brainstorms: Philosophical Essays on Mind and Psychology, 1978, Montgomery, VT: Bradford Books and Hassocks.
- The Mind's I: Fantasies and Reflections on Self and Soul, 1981, mit Douglas R. Hofstadter, New York: Basic Books (dt. Einsicht ins Ich. Fantasien und Reflexionen über Selbst und Seele.)
- Elbow Room: The Varieties of Free Will Worth Wanting, 1984, Cambridge, MA: Bradford Books/MIT Press (dt. Ellenbogenfreiheit. Die wünschenswerten Formen von freiem Willen )
- The Intentional Stance, 1987, Cambridge, MA: Bradford Books/MIT Press.
- Consciousness Explained, 1991, Boston: Little, Brown (dt. Philosophie des menschlichen Bewusstseins; übers. von Franz M. Wuketits)
- Darwin's Dangerous Idea: Evolution and the Meanings of Life, 1995, New York: Simon & Schuster (dt. Darwins gefährliches Erbe)
- Kinds of Minds, New York, Basic Books, 1996 (dt. Spielarten des Geistes).
- Brainchildren - Essays on Designing Minds, MIT Press, Bradford Book, 1998.
- Freedom Evolves, Allen Lane Publishers, 2003.
- Sweet Dreams. Philosophical Obstacles To A Science Of Consciousness, MIT Press, Bradford Book, 2005
- Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon, Viking Books, 2006
Bücher über Dennett
- Dennett and His Critics: Demystifying Mind, Herausgegeben von Bo Dahlbom. Philosophers and Their Critics. Oxford: Blackwell, 1993
- Dennett's Philosophy: A Comprehensive Assessment, Herausgegeben von Don Ross, Andrew Brook, and David Thompson. Cambridge, Mass.: MIT Press, 2000.
- On Dennett, John Symons, Wadsworth Philosophers Series. Belmont, California: Wadsworth, 2000
- Daniel Dennett, Herausgegeben von Andrew Brook, Don Ross Cambridge University Press, 2002
- Daniel Dennett, Matthew Elton, Polity Press, 2003
- Nicole Mahrenholtz: Intentionalität in der neueren Diskussion bei Dennett, Searle und Chisholm, 2003 Onlineressource
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Dennett, Daniel Clement |
KURZBESCHREIBUNG | US-amerikanischer Philosoph |
GEBURTSDATUM | 28. März 1942 |
GEBURTSORT | Boston |