Romani
Romani, Romanes | ||
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Gesprochen in |
zahlreiche Länder | |
Sprecher | fast 6 Millionen weltweit davon 4,6 Millionen in Europa | |
Linguistische Klassifikation |
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Offizieller Status | ||
Amtssprache in | -- | |
Sprachcodes | ||
ISO 639-1 |
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ISO 639-2 | (B) rom | (T) rom |
Romani (in Deutschland auch Romanes genannt) ist die Sprache der Roma einschließlich der Sinti. Sie gehört gemeinsam mit bekannteren Sprachen wie Urdu und Hindi zur indo-iranischen Sprachfamilie.
Das Wort Romani ist ein nominalisiertes Adjektiv und kommt von romani čhib, "Roma-Sprache". Es ist die international übliche Sprachbezeichnung. In Deutschland gebräuchlich ist daneben die Bezeichnung Romanes, die vom Adverb abgeleitet ist (Džanes romanes? - "Sprichst Du Romani?"), und zu der manchmal auch das Adjektiv romanesisch gebildet wird. Es kann umgangen werden, indem man sagt: „in der Sprache der Roma“ oder „auf Romani“.
Ursprünge und Dialekte
Romani ist verwandt mit Sanskrit und weist Gemeinsamkeiten sowohl mit zentralindischen, wie auch mit nordwestindischen Sprachen auf. Der sprachliche Befund legt nahe, daß Romani zunächst an einer frühen Entwicklung der zentralindischen Sprachen teilhatte und sich dann über einen längeren Zeitraum der Entwicklung der nordwestindischen Sprachen wie Sindhi anschloß. Man nimmt deshalb an, daß die Sprecher des Romani aus Zentralindien kamen und ihre Siedlungsgebiete seit dem 3. Jh. v.Chr. nach Nordwestindien verlegten. Über den Zeitpunkt der weiteren Migration nach Westen besteht keine Einigkeit, man kann ihn jedoch zwischen dem 5. und 10. Jh. ansetzen und muß innerhalb dieser Zeit wahrscheinlich auch von mehreren Migrationsbewegungen ausgehen.
Romani hat sich somit seit mehr als 800 Jahren unabhängig von anderen indischen Sprachen entwickelt, davon seit mindestens 700 Jahren in Europa. Es unterlag in der Anfangszeit in Wortschatz und auch Syntax besonders dem Einfluß der Balkansprachen, und zwar hauptsächlich des Neugriechischen der byzantinischen Periode, der sich auf alle Untergruppen des Romani ausgewirkt hat.
Ältere Klassifizierungen nahmen an, daß Romani sich noch vor der Ankunft in Europa in drei Hauptvarianten geteilt habe: in das im 13. Jh. nach Europa gekommene Romani, Domari im Nahen Osten und Nordafrika sowie Lomavren in Armenien. Heute nimmt man demgegenüber an, daß Romani und Lomavren lediglich entfernt miteinander verwandt sind, und daß Domari eine selbständige Sprache ist, die schon im 7. Jh. aus Indien nach Westasien gelangte.
Bedingt durch die sozio-kulturelle Entwicklung der verschiedenen Sprechergruppen und den Einfluss der jeweiligen Kontaktsprachen haben sich in Europa zahlreiche Dialekte des Romani herausgebildet. Diese werden heute zumeist in vier Hauptgruppen gegliedert, nämlich eine zentrale Gruppe (mit Hauptkontaktsprachen Ungarisch und Deutsch), eine nördliche (Sinti oder Sintitikes, mit Hauptkontaktsprache Deutsch), eine Gruppe von Vlach-Dialekten (Kontaktsprachen Rumänisch, Ungarisch, Deutsch) und eine Gruppe von Balkandialekten (Kontaktsprachen Türkisch, Serbokroatisch, Makedonisch, Deutsch).
Von Romani zu unterscheiden sind die sogenannten Para-Romani-Sprachen wie das englische Angloromani, das skandinavische Romani rakripa, das spanische Caló oder das baskische Errumantxela, bei denen außer dem Wortschatz auch die Syntax und Morphologie bereits von einer der Kontaktsprachen dominiert sind, und die darum als Variante dieser Kontaktsprache einzustufen sind.
Wortschatz
Der Wortschatz des Romani ist von der Migration seiner Sprecher geprägt. Geht man aus von dem Wörterbuch Romani-Deutsch-Englisch für den südosteuropäischen Raum von Norbert Boretzky und Birgit Igla (1994), dann haben sich nur noch rund 700 Lexeme indischen Ursprungs erhalten, ferner aus der Anfangszeit der Migration rund 70 aus dem Persischen -- dort noch weitgehend ohne arabischen Einfluß --, 40 aus dem Armenischen und 230 aus dem Neugriechischen der byzantinischen Periode, dessen Lehngut noch vor der Turkisierung angeeignet wurde und damit einen Anhaltspunkt für die Datierung der weiteren Migrationsbewegung nach Westen bietet. Auch der Einfluß der europäischen Kontaktsprachen übersteigt in allen Romani-Dialekten jeweils den Anteil des ursprünglich indischen Wortgutes.
Dieser Einfluß betrifft auch den Kernbestand des Wortschatzes, bei dem sich z.B. unter den Zahlwörtern der Roma in Deutschland 1 = enslo (< schwed.), 4 = tschetteri (< lettisch), 6 = kuus (< estnisch), 7 = seize (< estnisch), 8 = ochto (< neugriech.), 9 = enja (< neugriech.), 15 = dekapente (< neugriech.), 30 = trianda (< neugriech.), 40 = saranda (< neugriech.), 50 = penda (< neugriech.), 90 = doxan (< türk.) und 1000 = míja (< rumän.) finden.
Romani hat seinerseits auch seine Kontaktsprachen beeinflußt, so in Deutschland besonders den Wortschatz des Jenischen und Rotwelschen und einige regionale Soziolekte wie das Gießener Manisch (als Variante des Deutschen nicht zu verwechseln mit dem Manischen Romani der Manouches), das westfälische Masematte und das pfälzische Lotegorisch.
Forschungsgeschichte
Über die Herkunft der Romani oder "Zigeuner" und ihrer Sprache bestanden in Europa zunächst mehr oder minder phantastische Vorstellungen, die diese mit Juden, Ägyptern und anderen exotischen Völkern in Zusammenhang brachten. Eine unvoreingenommene wissenschaftliche Beschäftigung setzte erst in der zweiten Hälfte des 18. Jh. ein, als der Sprachwissenschaftler Johann Christian Christoph Günther (1751-1822) mit seiner Schrift Von der Sprache und Herkunft der Zigeuner aus Indien (1782) den Nachweis der Abstammung von Sanskrit und damit der Herkunft aus Indien führte, bald darauf gefolgt von dem Königsberger Philosophen Christian Jakob Kraus, der sein sprachliches Material durch systematische Befragung von Roma im Königsberger Gefängnis zusammenstellte. Kraus hat seine Erkenntnisse zwar nicht im Zusammenhang publiziert, mit seiner Materialsammlung aber eine Grundlage geschaffen, auf die in der Folge auch noch andere Gelehrte und insbesondere dann August Friedrich Pott in seiner grundlegenden Darstellung Die Zigeuner in Europa und Asien (Halle 1844-1845) zurückgreifen konnte. Die Erforschung der sprachlichen Aufgliederung der Romani-Dialekte wurde initiiert durch den Slawisten Franc Miklošič, dessen Aufsätze zu diesem Thema seit 1872 erschienen. Grundlegend für die Einordnung von Romani in die interne Entwicklungsgeschichte der indischen Sprachen wurde Ralph L. Turner, dessen Aufsatz The Position of Romani in Indo-Aryan 1926 erschien.
Standardisierung und Literatursprache
Romani war bis in die jüngere Zeit eine überwiegend nur gesprochene und mündliche überlieferte Sprache, aus der seit dem 16. Jh. Sprachproben meist nur von Sprechern anderer Sprachen aufgezeichnet wurden. Versuche, Romani als Schriftsprache zu standardisierung, begannen erst im 20. Jh. Federführend ist dabei heute die Internationale Romani Union (IRU), die seit den 1980er Jahren eine standardisierte Orthographie auf der Basis der lateinischen Schrift und eine sprachlich standardisierte Schriftsprache auf der Basis des wlachischen Romani propagiert.
Obwohl die Roma bedeutende literarische Werke und autobiographische Zeugnisse in anderen Sprachen hervorgebracht haben, wurde der Gebrauch des Romani als Literatursprache lange Zeit durch die soziale und kulturelle Stigmatisierung ihrer Sprache verhinert. Eine der ersten, die sich schreibend zu ihrer Herkunft und Sprache bekannte, war die Serbien lebende Schriftstellerin Gina Ranjicic (1831-1890). In jüngerer Zeit haben Autoren wie Rajko Djuric, Leksa Manus und Sejdo Jasarov der Romani-Literatur zunehmend Geltung verschafft. Begünstigt durch die Emigration von Romani schreibenden Autoren aus Südosteuropa, insbesondere aus dem früheren Jugoslawien, ist auch in Deutschland eine rege Literaturszene entstanden. Institutionell wird die Entwicklung der Romani-Literatur gefördert durch die International Romani Writers' Association.
Literatur
- Yaron Matras, Romani - A Linguistic Introduction. Cambridge University Press 2002
- Norbert Boretzky, Birgit Igla: Wörterbuch Romani-Deutsch-Englisch für den südosteuropäischen Raum, Harrasso-witz-Verlag, Wiesbaden, 1994
- Siegmund A. Wolf: Großes Wörterbuch der Zigeunersprache. Buske Verlag, Hamburg, 1987 (Nachdruck 1993)
- Rajko Djuric: Die Literatur der Sinti und Roma. Edition Parabolis, Berlin 2002
Weblinks
- Romani-Projekt der Karl-Franzens-Universität in Graz
- Überblick über die gesamte Sprachgruppe in der Ethnologue-Datenbank (entspricht nicht den neueren wissenschaftlichen Darstellungen zum Romani, z.B. von Yaron Matras)
- "dROMa": Zeitschrift auf Deutsch und Romanes (Österreich)
- Fotos von Roma in Osteuropa von Helge Lindau