Gesundheitssystem
Das Gesundheitssystem oder Gesundheitswesen eines Landes umfasst alle Personen, Organisationen, Einrichtungen, Regelungen und Prozesse, deren Aufgabe die Förderung und Erhaltung der Gesundheit bzw. die Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen ist. In Österreich wird hierfür auch der Begriff Sanitätswesen verwendet.
Ziele
Die fünf Hauptziele des Gesundheitswesens sind:
- Zugang für alle,
- Qualität,
- Wirksamkeit,
- Wirtschaftlichkeit sowie
- Zufriedenheit der Patienten und des Gesundheitspersonals
Internationaler Vergleich
Typen
Ein zentrales politisches Steuerungsinstrument des Gesundheitswesens ist das Finanzierungssystem. Hiernach lassen sich die Gesundheitssysteme der OECD-Länder in drei Typen einteilen:
- Typ Nationaler Gesundheitsdienst: Finanzierung aus Steuermitteln (z. B. Großbritannien, Italien)
- Typ Sozialversicherung: Finanzierung durch gesetzliche Krankenversicherung/gesetzliche Pflichtversicherung, (z. B. Deutschland, Frankreich)
- Typ Privatversicherung: Finanzierung individuell oder durch Beiträge der Unternehmer (z. B. USA).
Mischformen dieser Typen sind häufig. In vielen Ländern hat der Anteil der öffentlichen Ausgaben an den gesamten Gesundheitsausgaben zugenommen.
Kosten des Gesundheitssystems der verschiedenen Länder
Rangfolge nach Kosten des Gesundheitswesens, 2003, in % des BIP
- USA: 15% des BIP (Bruttoinlandsprodukt)
- Schweiz: 11.5%
- Deutschland: 11.1%
- Frankreich: 10.1%
- Italien: 8.4%
- Großbritannien: 7.7%
Rangfolge nach Kosten in kaufkraftbereinigten US-Dollar pro Kopf (2003)
- USA 5.635
- Norwegen 3.807
- Schweiz 3.781
- Luxemburg 3.705
- Island 3.115
- Kanada 3.001
- Deutschland 2.996
- Niederlande 2.976
- Frankreich 2.903
- Belgien 2.827
In allen Ländern sind ohne Kostendämpfungmaßnahmen die Kosten gestiegen.
Qualität
Die Kommerzialisierung der Medizin und die Kostenentwicklung haben überall zu einer Dominanz der ökonomischen Perspektive geführt. Dagegen steht die Qualität von Gesundheitssystemen auch wegen der schwierigeren Beurteilung im Hintergrund. Beispielsweise deutet ein hoher Anteil an Kranken in der Bevölkerung nicht automatisch auf eine schlechte medizinische Versorgung hin. Ganz im Gegenteil: Ein Zuckerkranker würde in einem Land mit schlechter medizinischer Versorgung bald sterben und damit aus der Krankenstatistik verschwinden. In einem Land mit guter medizinischer Versorgung dagegen könnte er noch lange ein relativ normales Leben führen, wird in der Statistik aber als Kranker geführt.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte in ihrem Weltgesundheitsbericht 2000 (http://www.who.int/whr/2000/en/) eine Rangordnung der Gesundheitssysteme ihrer 191 Mitgliedsländer aufgestellt. Die Methodik dieses Rankings ist jedoch wissenschaftlich umstritten. Indikatoren waren das Gesundheitsniveau einer Bevölkerung, die Verteilung des Gesundheitsniveaus in einer Bevölkerung, das Eingehen auf die Erwartungen der Bevölkerung und der Patienten, die Patientensouveränität und -Zufriedenheit, die Zugänglichkeit für alle und die Fairness der Finanzierung.
Danach ergab sich folgende Rangfolge: 1. Frankreich, 2. Italien, 3. San Marino, 4. Andorra, 5. Neuseeland, 6. Singapur, 7. Spanien, 8. Oman, 9. Österreich, 10. Japan, ... 18. Großbritannien, ... 20. Schweiz, ... 25. Deutschland
Deutschland
Das Gesundheitssystem in Deutschland baut auf staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen und auf Personen auf. Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über eine überdurchschnittlich große Zahl an Ärzten, Fachärzten, Psychotherapeuten, Zahnärzten, Sozialpädagogen, Pflegepersonen und Krankenhausbetten. Dazu kommen Angehörige anderer Heilberufe, Apotheker und ihr Personal. Etwa jeder 9. Beschäftigte (4,2 der 80 Millionen Einwohner) arbeitet in der gesamten Gesundheitswirtschaft.
Daneben sind am Gesundheitswesen beteiligt: der Staat (Bund, Länder und Gemeinden), die Krankenversicherungen, die Unfall-, Pflege- und Rentenversicherung, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ihre Verbände, weitere im Gesundheitswesen tätige Interessenverbände und nicht zuletzt die Patienten, z. T. vertreten durch Patientenverbände und Selbsthilfeorganisationen.
Das Versorgungsangebot wird abgesehen von staatlichen Krankenhäusern weitgehend privat erbracht. Es dominieren freie Berufe wie Ärzte und Apotheker sowie private Großunternehmen (z. B. in der pharmazeutischen oder medizintechnischen Industrie). Krankenhäuser werden häufig in gemeinnütziger Trägerschaft geführt, jedoch zunehmend privatisiert. Der Staat beteiligt sich als Leistungserbringer nur nachrangig, in Form von Gesundheitsämtern, kommunalen Krankenhäusern oder Hochschulkliniken.
Im internationalen Vergleich einzigartig ist die weitgehende Trennung in ambulante und stationäre Versorgung.
Finanzierung
Das Gesundheitssystem wird überwiegend durch Versicherungsbeiträge finanziert, die (mit einigen Ausnahmen) paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht werden. Das Paritätsprinzip wird jedoch zunehmend ausgehöhlt (siehe hierzu: Gesundheitsreform). Knapp 90 % der Bevölkerung sind in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert. Die Beiträge orientieren sich an der Höhe des jeweiligen Einkommens. Familienmitglieder sind unter bestimmten Bedingungen beitragsfrei mitversichert. Der Leistungsanspruch ist unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge, allerdings begrenzt auf Leistungen, die notwendig, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind.
Etwa 9 % sind privat krankenversichert. Hier richten sich die Prämien nach dem vereinbarten Leistungsumfang, dem allgemeinen Gesundheitszustand, dem Geschlecht und dem Eintrittsalter. 2,3 % sind anderweitig versichert (z. B. Bundeswehrangehörige, Zivildienstleistende, Sozialhilfeempfänger). Nur ca. 0,1 bis 0,3 % sind ohne Krankenversicherungsschutz.
Nach den Versicherungsleistungen machen Eigenbeteiligungen oder Zuzahlungen von Patienten einen wachsenden Anteil an der Finanzierung des Gesundheitssystems aus. In einigen Bereichen werden Zuschüsse oder Kostenbeteiligungen durch den Staat oder durch gemeinnützige Organisationen erbracht.
Daneben hat sich ein erheblicher privater Gesundheitsmarkt für "IGeL" ("Individuelle Gesundheitsleistungen"), Fitness, Wellness, Anti-Aging, Schönheitsoperationen, Kosmetik, Medikamente, alternative Heilverfahren und esoterische Praktiken entwickelt.
Probleme und Reformvorschläge
siehe: Gesundheitsreform, Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
Statistische Angaben (2004)
Stationär:
- Zahl der Krankenhausbetten in 2.166 Kliniken: rund 531.300 (zusätzlich ca. 1000 Reha-Kliniken)
- Behandelte Fälle in Krankenhäusern: 16,8 Millionen.
- Durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus: 8,7 Tage
- Ärztliches Personal in den Kliniken: 117.681
- Pflegepersonal in den Kliniken: 309.510
- Nichtärztliches Personal in den Kliniken: 688.307 Beschäftigte.
- Gesamtpersonal in den Krankenhäusern: 0,8 Millionen Beschäftigte
- Gesamtumsatz der Krankenhäuser: rund 60 Milliarden € pro Jahr
Ambulant:
- Zahl der niedergelassenen Haus- und Fachärzte: 116 000 lt. kassenärztlicher Bundesvereinigung
- Zahl des nichtärztlichen Personals im ambulanten Bereich: 203.000 (davon ca. 90.000 Teilzeit)
- Zahl der Apotheken: 21.968
- Zahl der Beschäftigten in Apotheken: ca. 145.000
Direkt oder indirekt sind im Gesundheitswesen in Deutschland rund 4,1 Millionen Menschen beschäftigt. Dies entspricht rund 10,3% aller Erwerbstätigen.
- Siehe Weblink dazu: Statistische Bundesamt, Wiesbaden, Reihen zum Gesundheitswesen
Krankheitskosten (2002)
Gesamtausgaben: 224 Milliarden Euro, d.h. rund 2.700,- Euro pro Person (Frauen 3.160, Männer 2.240 Euro).
Die höchsten Ausgaben entfielen auf:
- Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems: 35,4 Milliarden Euro
- Krankheiten des Verdauungssystems: rund 31 Milliarden Euro
- Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems: ca. 25 Milliarden Euro
- Psychische Erkrankungen: knapp 22 Milliarden Euro
Die Menschen ab 65 Jahren (derzeit ca. 17 % der Bevölkerung) verursachten knapp 43 % der Gesamtausgaben.
(Quelle: Studie des Statistischen Bundesamtes "Krankheitskosten in Deutschland im Jahr 2002")
Österreich
siehe: Gesundheitssystem in Österreich
Schweiz
siehe: Gesundheitssystem in der Schweiz
Niederlande
siehe: Gesundheitsreform in den Niederlanden
Literatur
- Rita Baur, Andreas Heimer, Silvia Wieseler, Gesundheitssysteme und Reformansätze im internationalen Vergleich, in: Jan Böcken, Martin Butzlaff, Andreas Esche (Hrsg.), Reformen im Gesundheitswesen. Ergebnisse der internationalen Recherche Carl Bertelsmann-Preis 2000, Verlag Bertelsmann Stiftung Gütersloh, 3., überarbeitete Auflage 2003, ISBN 3-89204-515-1, Download unter http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-1EB3E760/stiftung/515.pdf (PDF 910 KB)
- Fritz Beske, Hermann Bechtel, Johannes F. Hallauer: Das Gesundheitswesen in Deutschland, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2004
- Beske, F.; T. Drabinski; H. Zöllner: Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich – Eine Antwort auf die Kritik. Kiel 2004. 159 S. ISBN 3-88312-290-4
- Beske, F.; T. Drabinski: Leistungskatalog des Gesundheitswesens im internationalen Vergleich. Eine Analyse von 14 Ländern. Kiel 2005, Bd. I: Struktur, Finanzierung und Gesundheitsleistungen. 274 S. ISBN 3-88312-330-7. Bd: II: Geldleistungen. 205 S.ISBN 3-88312-331-5
- Hans-Ulrich Deppe: Zur sozialen Anatomie des Gesundheitssystems. Neoliberalismus und Gesundheitspolitik in Deutschland, VAS Verlag, 2. Aufl. 2002, 312 S., 20,50 €
- Wolfgang Uwe Eckart, R.Jütte: Das europäische Gesundheitswesen : Gemeinsamkeiten und Unterschiede in historischer Perspektive. Stuttgart 1994. 211 S.
- Gerhard Kocher, Willy Oggier (Hrsg.): Gesundheitswesen Schweiz 2004-2006, ein aktueller Überblick. Hans Huber, Bern 2004, 336 S., € 22.95
- Elisabeth Niejahr: Erste Hilfe aus Den Haag. Gesundheit: In Holland funktioniert die Mischung aus Kopfpauschale und Bürgerversicherung. In: DIE ZEIT 30.03.2006 Nr.14, Seite 27.
- Leonhart Taschenjahrbuch Gesundheitswesen 2004/2005 - Institutionen, Verbände, Ansprechpartner. Deutschland - Bund und Länder, K.M. Leonhart Verlag München, 5. Auflage 2004. ISBN 3-9806190-9-5
- Rolf Rosenbrock, Thomas Gerlinger: Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung, Hans Huber, Bern 2004, 320 S., 29,95 €
- Michael Simon, Das Gesundheitssystem in Deutschland. Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise, Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen u.a. 2005