Präsidentschafts- und Parlamentswahl in Ecuador 2006
Die Wahlen in Ecuador 2006 fanden am 15. Oktober 2006 statt. Gewählt wurden der Präsident und Vizepräsident (direkt), die 100 Mitglieder des Nationalkongresses, die fünf Vertreter Ecuadors im Andenparlament und Mitglieder der Provinz- und Stadträte. Die Stichwahl um das Amt des Präsidenten wird am 26. November stattfinden.
Insgesamt waren 9.165.125 Ecuadorianer wahlpflichtig, davon 143.352 als im Ausland registierte. Außerhalb Ecuadors wurden erstmals Wahllokale eingerichtet, in insgesamt 36 Konsulaten in 21 Ländern. In Deutschland waren in den Konsulaten in Hamburg und in Berlin 527 Personen wahlberechtigt. In Ecuador herrscht gesetzliche Wahlpflicht für alle mündigen Bürgerinnen und Bürger zwischen 18 und 65 Jahren, die keine Analphabeten sind.
Die Wahlen verliefen insgesamt ruhig und ohne besondere Zwischenfälle. Der leitende Wahlbeobachter der OAS, der ehemalige argentinische Außenminister Rafael Bielsa, sagte am 20. Oktober, er gehe davon aus, die Wahl sei ordnungsgemäß abgelaufen. Ihm lägen keine Anzeigen wegen Wahlfälschung vor. Die einzigen kleineren Zwischenfälle spielten sich im kleinen Kanton Muisne in Esmeraldas ab, wo Stimmzettel verbrannt wurden und Bürger gegen die Anreise Ortsfremder zu den Wahlen demonstrierten. Hier wurde die Abstimmung am 29. Oktober wiederholt. Im spanischen Murcia, wo etwa 30.000 ecuadorianische Emigranten wählten, kam es vor dem Wahlort, einem Fortbildungszentrum, zu Tumulten, da Wahlwillige befürchteten, angesichts langer Schlangen ihrer Wahlpflicht nicht nachkommen zu können. Hier gab es einige Verletzte.
Da am Wahlabend das Rechenzentrum der für die Auswertung der Schnellauszählung kontratierten brasilianischen Firma EVote ausfiel, waren zwei Tage nach den Wahlen lediglich 70% der Stimmen der Präsidentschaftswahl im Schnellverfahren und etwa 45% regulär ausgezählt. Das Endergebnis des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahl lag erst eineinhalb Wochen nach der Wahl vor, kurz danach auch das Ergebnis der Wahl zum Andenparlament. Am 10. November 2006 standen auch die Wahlergebnisse zum Nationalkongress fest (siehe unten).
Der Wahlorganisator, das Oberste Wahlgericht Ecuadors, kündigte am 16. Oktober den Vertrag mit EVote wegen Nichterfüllung und begann selbst mit der Auszählung der Stimmen. Die Staatsanwaltschaft der Provinz Pichincha verfügte, dass die Unterlagen und der Teamleiter von EVote das Land nicht verlassen dürfen. Die verwendeten Computer wurden beschlagnahmt, das Netzwerk wird derzeit von Professoren der Nationalen Politechnischen Universität als Sachverständige begutachtet. Gegen die Mitglieder des Obersten Wahlgerichts wurden Korruptionsvorwürfe laut, da sie für den Vertragsabschluss vorgeschriebene Gutachten und Befugnisse nicht eingeholt haben sollen.
Präsidentschaftswahlen
Die folgenden 13 Kandidaten traten im ersten Wahlgang an. Da keiner der Kandidaten mehr als 40% der Stimmen und zehn Prozentpunkte Vorsprung auf den nächstplatzierten erreichen konnte, werden die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen, Álvaro Noboa und Rafael Correa, die Stichwahl am 26. November bestreiten.
Insbesondere die guten Wahlergebnisse für Noboa und Gilmar Gutiérrez, den Bruder des im April 2005 gestürzten Präsidenten Lucio Gutiérrez, sorgten für Überraschung, da in den Umfragen vor der Wahl immer Correa und León Roldós die beiden vorderen Plätze belegt hatten, während Gutiérrez auf dem fünften Platz eingestuft worden war. Analysten begründeten diese Abweichung mit den hohen Stimmanteilen, die Noboa und Gutiérrez in ländlichen und informal besiedelten Gebieten erhielten, die in den Wahlumfragen nur unzureichend berücksichtigt worden seien. Gutiérrez erhielt in allen fünf Provinzen im Amazonasbecken die meisten Stimmen, in einigen sogar mehr als 50%. Noboa entschied die Küstenregion für sich, während Correa in den meisten Andenprovinzen die höchsten Stimmzahlen erhielt. Sowohl Roldós als auch Correa äußerten sich sehr kritisch über die Umfragepraktiken.
Im zweiten Wahlgang kommt es zu einem deutlichen Richtungswahlkampf, da Noboa für populistische Politik konservativ-neoliberaler Prägung und die Beendigung diplomatischer Beziehungen zu Kuba und Venezuela steht, während der linksorientierte Correa für eine Annäherung an Venezuela, staatsinterventionistische Politiken und die Überwindung des von ihm „Partidokratie“ genannten Einflusses der traditionellen Parteien in Verwaltung und Judikative und eine neue Verfasssung eintritt.
Das amtliche Ergebnis im Einzelnen:
- Álvaro Noboa (PRIAN) - 26,83%
- Rafael Correa (PAÍS/PS–FA) - 22,84%
- Gilmar Gutiérrez (PSP) - 17,42%
- León Roldós (RED/ID) - 14,84%
- Cynthia Viteri (PSC) - 9,63%
- Luis Macas (Pachakutik) - 2,19%
- Fernando Rosero (PRE) - 2,08%
- Marco Proaño (MRD) - 1,42%
- Luis Villacís (MPD) - 1,33%
- Jaime Damerval (CFP) - 0,46%
- Marcelo Larrea (ATR) - 0,43%
- Lenin Torres (MRPP) - 0,28%
- Carlos Sagnay (INA) - 0,25%
Die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl betrug 72,13%. 16,5% der abgegebenen Stimmzettel der Präsidentschaftswahl waren leer oder ungültig.
Wahlen zum Nationalkongress
Bei den Wahlen zum Nationalkongress waren 100 Sitze zu vergeben. Diese waren im vorhinein auf die 22 Provinzen des Landes aufgeteilt. Jede Provinz stellt mindestens zwei Abgeordnete. Diese Zahl erhöht sich entsprechend der Einwohnerzahl. In der einwohnerreichsten Provinz Guayas wurden 18 Abgeordnete gewählt.
Die registrierten Parteien und politischen Bewegungen konnten nach Hinterlegung ausreichender Unterstützungsunterschriften in jeder Provinz Kandidaten nominieren. Die Höchstzahl der jeweils nominierten Kandidaten entsprach der Anzahl zu wählender Abgeordneter. Am Wahltag hatte jeder Wähler soviele Stimmen, wie in seiner Provinz Abgeordnete zu wählen waren. Diese konnten sowohl an einzelne Kandidaten verschiedener Listen als auch an eine komplette Liste vergeben werden.
Bei der Auswertung, die ebenfalls jeweils auf Provinzebene durchgeführt wurde, wurden zunächst die Stimmen jener Wahlzettel, deren Stimmen auf Kandidaten mehrerer Listen entfielen, in Listenstimmenäquivalente umgerechnet. Anschließend wurden die Listenstimmenäquivalente zu den Listenstimmen addiert. Entsprechend der so ermittelten Gesamtstimmzahl pro Liste wurden die Sitze auf Provinzebene auf die Listen verteilt. Hierbei kam das Verfahren von d'Hondt zur Anwendung. Die Sitze für die einzelnen Listen wurden an die Kandidaten mit den höchsten Individualstimmzahlen bzw. bei gleicher Stimmenzahl an diejenigen mit höheren Listenplätzen vergeben. Die Stimmanteile auf nationaler Ebene waren für die Besetzung des Parlaments nicht von Bedeutung.
Folgende Parteien registrierten in mindestens elf der 22 Provinzen mit Kandidatenlisten, wobei in jeder Provinz unterschiedliche Wahlbündnisse (gemeinsame Kandidatenlisten) zwischen Parteien und politischen Bewegungen möglich waren: Partido Social Cristiano (PSC), Movimiento Popular Democrático (MPD), Partido Renovador Institucional Acción Nacional (PRIAN), Partido Sociedad Patriótica (PSP), Izquierda Democrática (ID), Red Ética y Democracia (RED; meist in Bündnis mit ID), Pachakutik, Partido Roldosista Ecuatoriano (PRE), Unión Demócrata Cristiana (UDC), Partido Socialista – Frente Amplio (PS-FA), Movimiento de Reinvindicación Demócrata (MRD) und Concentración de Fuerzas Populares (CFP).
Die Bekanntgabe des Wahlergebnisses und der Sitzverteilung verzögerte sich bis zum 10. November, da in den Provinzen Guayas und Manabí Nachzählungen vorgenommen wurden. Nach den Auszählungen ergab sich folgende Verteilung der 100 Sitze im Nationalkongress:
Partei | Sitze | davon Wahl- bündnis |
Provinzen der Mandatsgewinner (in Klammern Wahlbündnisse) |
---|---|---|---|
Partido Renovador Institucional Acción Nacional (PRIAN) | 28 | 1 | Guayas (7), Manabí, Pichincha (je 4), Chimborazo, Carchi, Esmeraldas (je 2), Azuay, El Oro, Imbabura, Loja, Los Ríos, Sucumbíos, Tungurahua, Orellana (mit PS-FA und MOA) |
Partido Sociedad Patriótica (PSP) | 24 | 1 | Guayas, Los Ríos (je 3), Bolívar, Chimborazo, Napo, Pichincha, Tungurahua (je 2), Azuay, Cañar, Manabí, Morona Santiago, Orellana, Pastaza, Sucumbíos, Cotopaxi (mit MIRC) |
Partido Social Cristiano (PSC) | 13 | 1 | Guayas (5), Azuay, Cotopaxi, El Oro, Galápagos, Loja, Manabí, Pichincha, Tungurahua (mit UDC) |
Izquierda Democrática (ID) | 7 | 6 | Cotopaxi (1), Pichincha (mit RED, 3), Azuay, Imbabura, El Oro (mit RED, je 1) |
Pachakutik | 6 | 0 | Bolívar, Cañar, Chimborazo, Cotopaxi, Morona Santiago, Zamora Chinchipe |
Partido Roldosista Ecuatoriano (PRE) | 6 | 0 | Guayas (2), El Oro, Esmeraldas, Los Ríos, Manabí |
Red Ética y Democracia (RED) | 5 | 4 | Guayas (1), Pichincha (mit ID, 2),Cañar, Loja (mit ID, je 1) |
Unión Demócrata Cristiana (UDC) | 5 | 3 | Manabí, Pichincha, Charchi (mit MSC), Galápagos (mit ID), Zamora Chinchipe (mit RED) |
Movimiento Popular Democrático (MPD) | 3 | 0 | Esmeraldas, Pastaza, Pichincha |
Partido Socialista – Frente Amplio (PS-FA) | 1 | 1 | Imbabura (mit Pachakutik) |
Movimiento Ciudadano Nuevo País (MCNP) | 1 | 0 | Azuay |
Acción Regional por la Equidad (ARE) | 1 | 0 | Loja |
Quelle: El Universo vom 11. November 2006 und Oberstes Wahlgericht Ecuadors |
Damit sind die beiden die erst zu den Wahlen 2002 gegründeten Parteien von Álvaro Noboa (PRIAN) und Lucio Gutiérrez (PSP), dem im April 2005 gestürzten Präsidenten, sowohl absolut als auch in Stimmen- und Sitzzuwächsen die klaren Wahlgewinner waren, da sie ihre Abgeordnetenzahl deutlich erhöhen konnten.
Der PSC und die ID waren im bisherigen Kongress noch die beiden stärksten Parteien mit zu Beginn der letzten Legislaturperiode 25 bzw. 16 Sitzen gewesen. Auch der PRE und Pachakutik, die Partei der Indígena-Bewegung, verloren Sitze. Die meist im Wahlbündnis mit ID angetretene politische Bewegung des Präsidentschaftskandidaten León Roldós, RED, wird im Parlament eine neue politische Kraft sein. Auch die politischen Bewegungen ARE und MCNP ziehen neu bzw. nach einer Legislaturperiode ohne Vertreter wieder in das Parlament ein. Die Parteien Concentración de Fuerzas Populares und Integración Nacional Alfarista verloren ihre Vertretung im Nationalkongress.
Wahl der Vertreter im Andenparlament
Bei der Wahl der Vertreter Ecuadors in der parlamentarischen Versammlung der Andengemeinschaft waren fünf Vertreter zu wählen. Abgestimmt wurde über auf nationaler Ebene einheitliche Parteilisten, nicht über Einzelkandidaten.
Abgegeben wurden insgesamt 6,49 Mio. Stimmzettel, von denen 2,20 Mio. leer oder ungültig waren (33,9%). Von den fünf Sitzen werden zwei auf den PRIAN, je einer auf Partido Sociedad Patriótica (PSP), Partido Social Cristiano (PSC) und die Alianz aus Correas Movimiento PAÍS und Partido Socialista – Frente Amplio (MPAÍS/PS-FA) entfallen. Für den PSP zieht die ehemalige Handelsministerin Ivonne Juez de Baki in das Andenparlament ein und für MPAÍS/PS-FA die ehemalige Leiterin der staatlichen Bankguthaben-Garantieagentur Wilma Salgado. Die gewählten Kandidaten des PRIAN und des PSC, Wilson Homero Sánchez und Marcelo Dotti waren in der vergangenen Legislaturperiode Kongressabgeordnete. Dotti ist Vorsitzender seiner Partei in der Provinz Pichincha. Der zweite gewählte Kandidat des PRIAN, Freddy Giler, ist Anwalt und Politiker aus der Provinz Manabí.
Wahlergebnis im Einzelnen (Quelle: Ecuadorianisches Oberstes Wahlgericht):
Partei | Stimmen | Prozent | Sitze |
---|---|---|---|
PRIAN | 1.040.750 | 24,5 | 2 |
PSP | 742.816 | 17,5 | 1 |
PSC | 575.241 | 13,5 | 1 |
Allianz MPAÍS/PS-FA | 520.989 | 12,3 | 1 |
Allianz RED/ID | 406.914 | 9,6 | 0 |
UDC | 344.664 | 8,1 | 0 |
PRE | 241.450 | 5,7 | 0 |
MPD | 138.438 | 3,3 | 0 |
Pachakutik | 128.604 | 3,0 | 0 |
MRD | 41.383 | 1,0 | 0 |
CFP | 31.096 | 0,7 | 0 |
ATR | 19.061 | 0,4 | 0 |
INA | 17.919 | 0,4 | 0 |
Weblinks
- http://www.tse.gov.ec - Offizielle Homepage des Obersten Wahlgerichts (spanisch)
- http://www.ciudadaniainformada.com - Wahlportal der Organisation Participación Ciudadana (spanisch)
- http://www.votebien.ec - Wahlportal der Tageszeitung "Diario HOY" (spanisch)
- http://www.mivotointeligente.com - Übersicht über alle Kandidaten und Stimmzettel (spanisch)
- Michael Langer, Ecuador im Wahljahr 2006: viele Kandidaten – wenig Programm, Kurzberichte aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung, 8. Mai 2006 (PDF-Datei).