Hoffmanns Erzählungen
Les Contes d'Hoffmann (dt. Titel: Hoffmanns Erzählungen)' ist eine Phantastische Oper in 4 Akten von Jacques Offenbach. Das Libretto von Jules Barbier basiert auf den Erzählungen E. T. A. Hoffmanns Der Sandmann, Rath Krespel und Das verlorene Spiegelbild sowie Motiven aus einigen weiteren Werken Hoffmanns. Hoffmann ist in der Oper selbst der Held der Erzählungen - im Gegensatz zu den literarischen Werken Hoffmanns, in denen die männlichen Helden andere Namen tragen oder ein fiktiver Ich-Erzähler sind. Les Contes d'Hoffmann wurde am 10. Februar 1881 in Paris uraufgeführt und wird regelmäßig mit einer Spieldauer je nach Fassung zwischen 2½ und 3½ Stunden gespielt.
Entstehung
Les Contes d' Hoffmann ist Offenbachs einzige bis heute erfolgreiche Oper und sein letztes Werk, an dem er bis kurz vor seinem Tode arbeitete. Er schrieb schon vorher eine große Oper, Les Fées du Rhin (Die Rheinnixen), die am 4.Februar 1864 in der Hofoper Wien in deutscher Sprache uraufgeführt wurde.
Der Tod in der Nacht vom 4. auf dem 5. Oktober 1580 hinderte den Komponisten daran, die endgültige Form der Oper Hoffmanns Erzählungen festzulegen. Zuvor hatte er in einer privaten Soiree am 18. Mai 1879 vor 300 Personen neun Aufzüge der Oper in Begleitung eines Pianos und eines Harmoniums mit Gesangssolisten aufführen lassen. Der Komponist Ernest Guiraud erhielt nach Offenbachs Tod von der Familie, der Pariser Opera-Comique und dem Verleger Choudens den Auftrag, eine aufführbare Fassung zu erstellen. Guiraud schuf, wie vorher in Carmen von Bizet eine durchkomponierte Oper mit eigenen Rezitativen. Gravierender war der Verzicht auf den Giuletta-Akt bei der Uraufführung in Paris. Die zweite Fassung von Guirauds Bearbeitung fand am 7. Dezember 1881 in Wien statt.
Weitere Fassungen erstellten Raoul Gunsburg und André Bloch (1904), Hans Gregor und Maximilian Morris (1905), Otto Maag und Hans Haug (1944), Walter Felsenstein und Karl-Fritz Voigtmann (1958).
Der spätere Forschungsstand
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann man mit der kritischen Sichtung der Quellen. Betrachtet man Offenbachs hinterlassene Manuskripte der Oper Hoffmanns Erzählungen aus heutiger Sicht, dann wissen wir, daß der Komponist viel mehr komponierte und instrumentierte, als die Musikwissenschaftler vermuteten. Heute kann man zu Recht behaupten, dass der gesamte Text des Librettos mit Noten von Offenbachs Hand belegt ist. Das aber ist für die Aufführungspraxis nur bedingt hilfreich. So gibt es vom Chanson des Dapertutto drei Versionen, wobei die aus der Guiraud-Fassung, die auf Offenbachs Ouvertüre zu Le voyage dans la lune (Die Reise auf den Mond) beruht, die theaterwirksamste ist. Auch Offenbach arbeitete an verschiedenen Fassungen, recycelte und verwarf vieles. So kann keine Fassung von Hoffmanns Erzählungen als definitiv betrachtet werden.
Mit der Entdeckung zusätzlicher Manuskriptseiten in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Qualität der Bearbeitungen besser. Als Fritz Oeser im Jahre 1977 eine quellenkritische Neuausgabe publizierte, konnte er sich auf 1250 Manuskriptseiten aus unterschiedlichen Entstehungsphasen der Oper stützen, die der Offenbach-Experte Antonio de Almeida entdeckt hatte. Diese Quellen aber reichten nicht aus, um das vermutliche Werkbild von Offenbach zu rekonstruieren. Daher sind Oesers eigene Ergänzungen, besonders im „Giulietta-Akt“, umstritten.
In Oesers Fassung, die das Werk in 5 Akte gliedert, ist die symmetrische Struktur des Werkes mit der Rahmenhandlung um die drei Erzählungen schlüssig wiederhergestellt. Vor allem der Figur der Muse kommt eine wesentlich gewichtigere Rolle zu. Aber auch die Rolle(n) der Geliebten Hoffmanns wird um eine Gesangspartie der Geliebten der Rahmenhandlung - Stella - ergänzt. Einige Stellen des Librettos, die in der traditionellen Fassung nicht komponiert waren, wurden theaterpraktisch mit vorhandenem Material aus anderen Werken Offenbachs ausgeführt. Zusätzlich zu den von Guiraud komponierten Rezitativen wurde alternativ eine ursprünglich von Offenbach intendierte Dialogfassung vorgestellt.
Michael Kaye legte in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine Gesamtausgabe der Oper vor, in der sämtliche Varianten, Fassungen, verworfene Nummern und abweichende Deutungen integriert wurden. Daraus schuf er eine Neufassung, die jedoch mit der Entdeckung weiterer Manuskriptseiten wiederum veraltert war. So wurde z.B. am 24. Januar 1999 der kurz zuvor entdeckte Schluss des „Giulietta-Aktes“ nach Offenbachs originalem Manuskript in Hamburg uraufgeführt. Alle drei Fassungen liegen in Einspielungen vor: Die ältere Guiraud-Fassung z.B. unter Cluytens, die Oeser-Fassung unter Cambreling und die auf den letzten Forschungsergebnissen beruhende Kaye-Fassung unter Tate und Nagano. Bei den letztgenannten drei Einspielungen sind die werkanalytischen Anmerkungen in den Beiheften lesenswert.
Werkbeschreibung
Die folgende Werkbeschreibung folgt der bis 1977 verbindlichen Fassung der Edition Choudens von 1907:
Im Unterschied zu den Opern dieser Zeit hat Les Contes d'Hoffmann keine Ouvertüre im eigentlichen Sinn. Sie beginnt mit wenigen Takten einer einleitenden Musik, deren Thematik sich in der ganzen Oper nicht wiederholt und mündet direkt in den Prolog, in welchem die "Muse" den Zuhörer darüber in Kenntnis setzt, dass sie beabsichtigt, Hoffmann von seinem unglücklichen Liebesleben abzulenken.
Personen
- Hoffmann (Tenor)
- Die Muse/Niklaus (Alt)
- Olympia, Giulietta, Antonia (Sopran - wird in einigen Aufführungen von ein und derselben Person gesungen)
- Lindorf, Coppelius, Dapertutto, Mirakel (Bass - wird in einigen Aufführungen von ein und derselben Person gesungen)
- Lutter (Bass)
- Hermann, Nathanael (Tenor)
- Spalanzani (Tenor)
- Crespel (Bass)
- Schlemihl (Bariton)
- Cochenille, Pitichinaccio, Franz, (Tenor - im wesentlichen auf schauspielerische Rolle beschränkt - von einem Sänger darzustellen)
- Stimme von Antonias Mutter (Mezzosopran)
- Stella (Sprechrolle - wird in einigen Aufführungen daher von der Sängerin der Olympia, Giulietta und Antonia übernommen)
- Unsichtbare Geister, Kellner, Studenten, Gäste Spalanzanis, Mädchen und Gäste bei Giulietta (Chor und Ballett)
Handlung
Die Oper greift nach dem ersten Akt auf drei Erzählungen von E.T.A. Hoffmann zurück, "Der Sandmann", "Rat Crespel" und "Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild". Die Protagonisten dieser Erzählungen, nämlich Nathanael, der Komponist B. und Erasmus Spikher werden in der Oper indessen von der Person des E.T.A. Hoffmann ersetzt.
Erster Akt
Protagonist der Oper ist der Schriftsteller E.T.A. Hoffmann, Ort der Handlung im ersten Akt die Stammkneipe Hoffmanns "Lutter & Wegner". Während Hoffmann dort mit Studenten zecht, um seine bislang unerhörte Liebe zu der Sängerin Stella im Alkohol zu ertränken, tritt Stella derweil in der Mozart-Oper "Don Giovanni" als Anna auf - was eine Hintergrundgeschichte bleibt (man hört aus dieser Oper selbst keine Musik -mit Ausnahme eines kurzen musikalischen Zitates der Arie des Leporello: " keine Ruh bei Tag und Nacht", durch Niklas) gleichwohl dem Zuhörer aber insoweit präsent ist, als dass immer wieder Applaus im Hintergrund zu vernehmen ist, der sich auf die Aufführung des "Don Giovanni" bezieht. Hoffmann hat einen Nebenbuhler, den Stadtrat Lindorf. Er ist der personifizierte Teufel und hat sich auch schon erfolgreich an Stella herangeschlichen, um sie nach der Aufführung des "Don Giovanni" endgültig in seinen Bann zu schlagen. Er kaufte Stellas Boten einen Liebesbrief, der an Hoffmann gerichtet ist, ab. Darin ist auch ein Schlüssel in ihr Boudoir.
Nach dem Trinklied "drig, drig, drig, maître Lutter" fordern die Studenten Hoffmann auf, das Lied von "Kleinzack", (eigentlich: "Klein Zaches" aus dem gleichnamigen Märchen von E.T.A. Hoffmann) zu singen. Hoffmann beginnt und verliert sich in der dritten Strophe in eine Traumwelt. Denn als es um die Gesichtszüge des Kleinzack geht - "quant aux traits de sa figure" - sieht er plötzlich die seiner Stella und gerät in leidenschaftliches Schwärmen. Die Studenten, erschrocken über die Wendung des Liedes, holen ihn in die Gegenwart zurück, so dass er die Ballade von "Kleinzack" vollenden kann. Durch diesen Vorfall kommt das Gespräch auf die zahlreichen unglücklichen Liebschaften, die Hoffmann schon durchlebt hat. Da die Aufführung des "Don Giovanni" noch lang währt, beginnt Hoffmann, zu erzählen. Die Szene wechselt in den zweiten Akt:
Zweiter Akt
Die im zweiten Akt vorgestellte Geschichte um seine große Liebe Olympia beruht auf E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann" aus den "Nachtstücken". Olympia ist Besitzstück des sich als Physiker ausgebenden Spalanzani, sie ist eine lebensgroße, bezaubernd anzuschauende weibliche Puppe. Ebenfalls vor Ort ist der mysteriöse Coppelius, der Spalanzani aus seinem eigentümlichen Sortiment an Optikartikeln lebende Augen verkauft hat (Arie "J'ai des vrais yeux, des beaux yeux"). Mit diesen Augen ist die Puppe ausgestattet worden. Coppelius bekommt deswegen von Spalanzani noch Geld und wird mit einem Wechsel abgespeist, doch bevor er geht, dreht er Hoffmann schnell noch eine Brille an, durch die die Welt in euphorischem Licht erscheint. Hoffmann betrachtet Olympia durch diese Brille, erkennt nicht, dass sie eine Puppe ist und ist bis über beide Ohren verliebt. Eine Party mit skurril anmutenden Gästen bricht an, auf der Olympia zum ersten Mal vorgestellt wird. Das von ihr intonierte Lied "les oiseaux dans la charmille" ("die Vögel im Laubengang") hat nicht nur einen dümmlichen Text und klingt im Ausdruck wie mechanisch vorgetragen, sondern wird zudem zweimal unterbrochen, weil die Puppe neu aufgezogen werden muss. Hoffmann merkt gleichwohl nichts. Unter großem Lob der Gäste wird Olympia wieder hinausgeführt. Mittlerweile ist Coppelius wutentbrannt zurückgekehrt, denn der von Spalanzani ausgestellte Wechsel ist geplatzt. Aus Rache zerstört Coppelius Olympia und im Trubel der Aufregung hierüber flieht der ernüchterte Hoffmann vom Ort weg. Die Szene wechselt in den dritten Akt:
Dritter Akt
Die Geschichte um die Liebe zu Antonia beruht auf E.T.A. Hoffmanns Novelle "Rat Crespel" aus dem ersten Band der "Serapionsbrüder". Antonia ist die Tochter des Rat Crespel, dessen Frau verstorben ist, weil sie das Singen nicht aufgeben wollte. Crespel sieht mit Sorge, dass die musikliebende, sängerisch begabte Antonia das gleiche Schicksal ereilen könnte. Hoffmann hat Antonias Herz gewonnen, sie ist bereit, um der Liebe willen auf eine Karriere als Sängerin zu verzichten. Indessen gefällt dies nicht dem gespenstischen Doktor Mirakel, der schon Antonias Mutter zu Tode kuriert hatte. Er bewirkt, dass Antonia in die Illusion verfällt, ihre Mutter würde aus dem Jenseits zu ihr sprechen und sie zum Singen auffordern, (Arie "ma mère, ma mère,son âme m'appelle" - "Meine Mutter, ihre Seele ruft mich"). Schließlich kann Antonia nicht anders und folgt der Aufforderung, was ihren Tod bedeutet. Ein von Verzweiflung getriebener Hoffmann flieht aus dieser Szene, es folgt der vierte Akt:
Vierter Akt
Die Schilderung der Begegnung mit der Kurtisane Giulietta stammt aus E.T.A. Hoffmanns "Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild" aus "Die Abenteuer der Sylvesternacht". Handlungsort ist Venedig, dementsprechend beginnt die Szene mit der berühmten Barcarole "Belle nuit oh nuit d'amour" ("Schöne Nacht, o Liebesnacht"). Eine Feier ist zugange, an der außer der Kurtisane Giulietta und Hoffmann ein weiterer Nebenbuhler namens Schlemihl sowie der dämonische Dapertutto zugegen sind. Dapertutto hat sich des Willens Giuliettas längst bemächtigt, indem er sie mit Diamanten lockt. Während die Gäste Pharo spielen, führt er diese Masche mit dem Lied "Scintille diamant" ("Funkle Diamant") ein weiteres Mal vor. Giulietta, die aus Gier nach Diamanten dem Teufel Dapertutto bereits den Schatten von Peter Schlemihl besorgt hat, verspricht, ihm das Spiegelbild von Hoffmann zu verschaffen. Der Coup gelingt. Aus seiner inbrünstigen Liebe zu Giulietta schenkt Hoffmann ihr sein Spiegelbild. Als er jedoch im Gegenzug ihre Liebe einfordern will, stößt er auf den Widerstand von Schlemihl. Dieser fordert von Hoffmann ein Degenduell. Da Hoffmann keinen Degen besitzt, ist Dapertutto so freundlich, ihm seinen zu leihen. Ein Duell mit des Teufels Degen kann man nicht verlieren, Hoffmann verletzt Schlemihl tödlich. Nun hat er Blut an den Händen und muss fliehen.
Epilog
Handlungsort des Epilogs, der im Original eine größere Ausdehnung erfährt als in der deutschen Fassung, ist wieder die Kneipe von Lutter & Wegner. Die Studenten sind angesichts der unheimlichen Geschichten stumm geworden. In einem Melodram wird Hoffmann von der Muse aufgefordert, sich künftig einzig ihrem Dienste zu weihen. Hoffmann ist sinnlos betrunken, der Stadtrat Lindorf frohlockt, dass seiner Eroberung Stellas nun nichts mehr im Weg steht. Im Hintergrund hört man den Schlussapplaus zu "Don Giovanni" und Stella erscheint. Sie findet den unter dem Schutz seiner Göttin eingeschlummerten Dichter und wendet sich hierauf Lindorf zu.
Anekdoten zu Aufführungen
Schon bei der Planung der Uraufführung der Oper "Hoffmanns Erzählungen" im Februar 1881 in Paris gab es die Befürchtung, das Stück sei zu lang. Deshalb wurde der Giulietta-Akt einfach gestrichen. Da man aber auf die beliebte Barcarole - die Offenbach im übrigen aus seiner früheren romantischen Oper Les fées du Rhin übernommen hatte - nicht verzichten wollte, wurde diese in den Antonia-Akt montiert - mit eigenartigem Effekt, denn die Geschichte "Rat Crespel" spielt in Deutschland und ein Stück, das in seinem 12/8-Takt eindeutig eine Gondelmelodie intoniert, passt dort nicht hin. Gleichwohl blieb es in zahlreichen Vorstellungen der Oper bei dieser verkürzten Version.
Eine besondere Dramatik erfuhr das Werk bei der Aufführung am 8. Dezember 1881 im Wiener Ringtheater: Die Vorstellung war ausverkauft, als durch einen technischen Fehler bei der Entzündung von Beleuchtungskästen das Theater in Brand geriet. Unzulänglichkeiten bei den Sicherheitsvorkehrungen sowie menschliches Versagen beim Retten von Leben führten dazu, dass ca. 350 bis 450 Menschen in den Flammen starben. Totenscheine wurden nur für die Opfer ausgestellt, die eindeutig identifiziert waren (ca. 250 an der Zahl). Dieser Vorfall führte dazu, dass die Oper "Hoffmanns Erzählungen" in allen Theatern aus dem Spielplan verschwand. Gerüchte machten den Umlauf, dass bei einem Werk, in dem in jeder Szene der Teufel erscheint und sein dämonisches Handwerk erfolgreich betreibt, es kein Wunder sei, wenn es zu so einem Unglück kommt.
Heutzutage wird die Oper in ganzer Länge (nur die Reihenfolge des dritten und vierten Akts variiert manchmal) wieder erfolgreich aufgeführt.
Verfilmungen
- Hoffmanns Erzählungen, 6. April 1923 (Premiere im Wiener Schwarzenbergkino), Vita-Film (Regie: Max Neufeld)
- Hoffmanns Erzählungen, 1947, London Film (Regie Michael Powell und Emeric Pressburger, Musikalische Leitung: Thomas Beecham)
Literatur
- P.Walter Jacob, Jacques Offenbach, Rowohlts Monographien, Reinbek 1969
- Les Contes d'Hoffmann, Programmheft der Hamburgischen Staastsoper, 1999, Beiträge Michael Kaye und Robert Didions
- Peter Hawig: Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach. Legenden, Malheure und Glücksfälle einer Oper. Bad Emser Hefte, Nr. 232. Verein für Geschichte, Denkmal- und Landespflege e.V. Bad Ems, Bad Ems 2003,38 S.