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Hühnergott

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Hühnergott, Fundort: Sassnitz, Insel Rügen

Als Hühnergott wird ein Stein mit einem natürlich entstandenen, durchgehenden Loch bezeichnet.

Steine dieser Art, meist Feuersteinknollen mit herausgewitterten Kreideeinlagerungen, kommen an der Ostseeküste und in eiszeitlichen Geröllen des Binnenlandes vor und sind unter Urlaubern ein beliebtes Souvenir. Andernorts in Deutschland findet man solche Bildungen eher selten.

Bei dem Begriff Hühnergott bzw. der Vorstellung, mit als Talisman gedeuteten entsprechenden Gegenständen das Hausgeflügel gegen böse Geister schützen zu können, handelt es sich um einen sehr alten slawischen Volksglauben. Im vorliegenden Fall geht es um die Abwehr des schädlichen Einflusses eines weiblichen Hausgeistes, der sogenannten Kikimora.

Die Kikimora ist offenbar eine zum Poltergeist umgewidmete alte slawischen Gottheit (vgl. Artikel zu Kikimora). Ihr wird unter anderem nachgesagt, dass sie Fäden spinnt, poltert, demjenigen, der sie sieht, Unglück bringt - und das Hausgeflügel stiehlt oder es am Eierlegen hindert. Um den bösen Einfluss abzuwehren, muss man den abgeschlagenen Hals eines Kruges oder aber einen Stein mit einem natürlichen Loch bei den Ställen aufhängen (so nachzulesen z.B. in dem im 19. Jahrhundert entstandenen und bis heute unter Wissenschaftlern wie sprachinteressierten Laien sehr populären Wörterbuch der großrussischen Sprache von Wladimir Dal). Insoweit greift der Bezug in Jewtuschenkos Erzählung auf den Glauben der Krimtataren, die mit einiger Wahrscheinlichkeit Vorstellungen ihrer slawischen Nachbarn übernommen haben, zu kurz.

Das Wort Kuriny bog (russ. куриный бог; Hühnergott) seinerseits bezeichnet im slawischen Sprachraum nicht nur Lochsteine, sondern auch andere gebrauchte und zerschlagene Gegenstände, etwa alte Gefäße ohne Boden, was man inzwischen im russischen Internet nachlesen kann (s. unten).

Es wurde längere Zeit vermutet, dass der deutsche Begriff auf die 1966 erschienene Übersetzung der gleichnamigen, 1963 verfassten Novelle von Jewgeni Jewtuschenko durch Thomas Reschke zurückgeht. Es gibt inzwischen aber mehrere Nachweise, dass der Begriff Hühnergott älter ist. Der älteste bisher bekannte Nachweis entstammt, wie Thomas Reschke selbst ermittelt hat, dem 1927 bei de Gruyter erschienen Buch von D. Zelenin zur ostslawischen Volkskunde (s.u.).

Lochsteine haben auch im germanischen Volksglauben als schützende Talismane eine Rolle gespielt. Inwieweit die damit verbundenen Vorstellungen mit denjenigen unserer slawischen Nachbarn zu verbinden sind, ist bisher offen.


Literatur

  • Zelenin, Dmitrij: Russische ( Ostslavische ) Volkskunde. (Grundriß der slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Hrsg.v. Reinhold Trautmann und Max Vasmer). Berlin und Leipzig, Walter de Gruyter 1927.