Sikhismus

Der Sikhismus (Panjabi: ਸਿੱਖੀ sikkhī) ist eine vor allem in Indien verbreitete monotheistische Religion. Der Sikhismus wird manchmal dem Hinduismus zugerechnet, so etwa in der indischen Verfassung. Gegründet wurde er im 16. Jahrhundert von Guru Nanak, dem neun weitere Gurus folgten. Der Sikhismus hat rund 23 Millionen Anhänger.
Der Sikhismus ist im Selbstverständnis seiner heutigen Anhänger weder Teil des Hinduismus, noch eine hinduistische Reformbewegung und auch kein Synkretismus aus Hinduismus und Islam.
Verbreitung
Die Mehrheit der Sikhs lebt nach wie vor in der Ursprungsregion im indischen Bundesstaat Punjab. In Großbritannien und in Nordamerika leben insgesamt über eine Million Sikhs; in Deutschland über 10.000. In der Bundesrepublik haben sich Sikhs vor allem in Ballungszentren wie Frankfurt am Main, Köln, Hamburg und Stuttgart niedergelassen. In der Schweiz leben ca. 500 Sikhs. Am 23.9.2006 wurde ein Sikh-Tempel in Langenthal BE (Schweiz) eingeweiht.
Geschichte
Die Zeit der Gurus
Der Begründer Guru Nanak wurde 1469 in Talwandi, im heutigen Pakistan, geboren. Guru Nanak folgten neun Gurus, die jeweils ihren spezifischen Beitrag zur Entwicklung des Sikhismus leisteten. Die zehn Gurus wirkten im Zeitraum von 1469 bis 1708. Sie sind im Einzelnen:
- Guru Nanak Dev, 1469 - 1539
- Guru Angad Dev, 1504 - 1552
- Guru Amar Das, 1479 - 1574
- Guru Ram Das, 1534 - 1581
- Guru Arjan Dev, 1563 - 1606
- Guru Har Gobind, 1595 - 1644
- Guru Har Rai, 1630 - 1661
- Guru Har Krishan, 1656 - 1664
- Guru Teg Bahadar, 1621 - 1675
- Guru Gobind Singh, 1666 – 1708
Die Sikhs entwickelten sich unter der Führung der Gurus zunehmend zu einer religiösen als auch politischen Macht. Die Bewegung der Sikhs fiel unter anderem dadurch auf, dass sie das Kastenwesen als Grundlage der Erlösung ablehnte, Frauen eine religiös gleichberechtigte Stellung zusprach, sowie das gemeinsame Mahl seiner Anhänger unabhänig von der Kaste zuließ. Die bis dahin weitestgehend ungestörte Entwicklung der Sikhs fand mit dem Tode des Moghulkaisers Akbar 1605 ein Ende. Sein muslimischer Nachfolger Jahangir (1569-1627) leitete eine Ära der Gewalt gegenüber Andersgläubigen ein. 1606 wurde der fünfte Guru, Guru Arjan, auf Befehl von Jahangir zu Tode gefoltert. Der nachfolgende Guru Har Gobind betonte dementsprechend die Notwendigkeit, sich gegen religiöse und politische Intoleranz zur Wehr zu setzen. 1675 wurde der neunte Guru von den Machthabern in Delhi hingerichtet. Guru Gobind Rai, der sich nach der Taufe Gobind Singh nannte, wurde der zehnte und letzte menschliche Guru der Sikhs. Er war, wie bereits der sechste Guru, in zahlreiche Verteidigungsschlachten gegen die Machthaber und lokale Bergfürsten verstrickt. Der letzte Guru gründete 1699 während einer neu eingeführten Taufzeremonie die Khalsa-Bruderschaft.
Die Zeit nach den Gurus
Nach dem Hinscheiden des zehnten Gurus, der 1708 starb, verstärkten sich die Unruhen in Nord-Indien weiter. Die Gemeinschaft der Sikhs verlor zusehends ihre Dynamik und Geschlossenheit. Ahmad Shah Abdali fiel mehrere Male in Nord-Indien ein. Laut den verfügbaren historischen Quellen starben viele tausende Sikhs in dieser Zeit; sie waren zum Teil gezwungen, im Untergrund zu leben. Im Laufe der Jahre gewannen die Sikhs allerdings wieder an Kraft. Ranjit Singh, einer Sikh-Familie entstammend, nutzte die Uneinigkeit der Herrscher von Lahore und stürmte die Stadt. Er wurde 1799 Herrscher des Punjabs. Nach seinem Tod 1839 zerfiel das Reich rasch. 1849 wurde der Panjab von den britischen Kolonisatoren annektiert. Im Jahre 1873 formten die Sikhs die Bewegung Singh Sabha. Diese hatte zum Ziel, die Sikh-Gemeinschaft wieder mit den Lehren der Gurus vertraut zu machen und die Gemeinschaft als Gruppe zu stärken. Es wurden zahlreiche Publikationen über Sikh-Dharma veröffentlicht und es bildeten sich erste religiöse und politische Gruppierungen.
Die Sikhs nach der Unabhängigkeit
Am 15. August 1947 wurde Indien unter der Führung der Briten unabhängig. Indien wurde geteilt, der Staat Pakistan gegründet. Es entstanden ein pakistanischer und ein indischer Panjab. Millionen von Menschen, darunter viele Sikhs, mussten vom entstandenen pakistanischen Teil in den indischen Teil umsiedeln. Während der Unabhängigkeitsbestrebungen starben unzählige Menschen.
Unter der Premierministerin Indira Gandhi wurde den Sikhs 1966 nach zahlreichen politischen Protesten die Panjabi-Suba, eine eigene Sprachprovinz, zugestanden. Die von Hindus dominierten Gebiete wurden getrennt und in dem neu gegründeten Bundesstaat Haryana zusammengeschlossen. 1973 verabschiedeten Sikh-Führer die Anandpur Sahib Resolution. In dieser forderten sie die Einsetzung Chandigarhs zur alleinigen Hauptstadt des Panjabs, stärkere politische Autonomie, sowie eine Überarbeitung des Artikels 25 der indischen Verfassung, der die Sikhs unter die Zuschreibungskategorie Hindu subsummiert. In den Jahren nach 1984 kam es zu politischen und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen Sikhs und der indischen Regierung. Im Zuge dessen wurde der Darbar Sahib in Amritsar von indischen Truppen gestürmt. Mehrere zehntausend Sikhs und über 700 Soldaten starben. Am 31. Oktober 1984 wurde die Premierministerin Indira Gandhi erschossen, wofür zwei Sikh-Leibgardisten verantwortlich waren. In Delhi und im Panjab fanden daraufhin Pogrome statt, denen tausende Sikhs zum Opfer fielen. Die Unabhänigkeitsbewegung für einen eigenen Sikhstaat wurde in den Folgejahren mit Gewalt zerschlagen. Viele Sikhs verließen ihre Heimat und siedelten sich im Westen an. Mittlerweile hat sich die Lage im Panjab weitestgehend beruhigt.
Lehren und Gottesbild
Die Lehre der Sikhs hat ihre Wurzeln in nordindischen religiösen Traditionen, besonders Sant Mat und Vaishnava-Bhakti. Darüber hinaus sind die Lehren des Sufismus und von Kabir sehr wichtig. Von dieser Gundlage aus entwickelte Guru Nanak seine Lehren. Von der vishnuitischen Bhakti unterscheidet sich Sikhismus jedoch dadurch, daß die Verehrung von Gottesbildern und die Lehre von Avataras abgelehnt wird. Der Sikhismus lehrt Reinkarnation und Karma und die Erlösung von diesen durch eine spirituelle Vereinigung mit dem Göttlichen. Auch ein Konzept von Maya wird im Sikhismus gelehrt, doch meint es nicht die Welt als solche als Illusion sondern eher die Werte des Weltlichen, da die sichtbare Welt eine Manifestation des Göttlichen ist und so Heiligkeit und Realität besitzt. Jedoch wird diese Realität nicht als wahr, unveränderlich und ewig angesehen, da sie nur ein Teil des Göttlichen und nicht die Absolute Realität ist.
Nach Guru Nanaks Lehre ist das Haupthindernis für die Erlösung das Hängen an weltlichen Dingen (Maya), was zur Wiedergeburt führt. Erlösung kann nur durch strikte und disziplinierte Hingabe an Gott erreicht werden. Äußere Dinge wie Rituale, Pilgerfahrten und Askese sind für die Erlösung unwichtig, vielmehr wird ein Leben in der Balance von Arbeit, Spiritualität und Wohltätigkeit angestrebt, und Optimismus und eine positive Haltung (Chardi Kala) werden als Lebenseinstellung gefordert. Auch religiöse Spezialisten wie Priester oder das Mönchs- und Nonnentum wird abgelehnt, da jeder Einzelne das Göttliche ohne Vermittlung selbst erfahren könne.
Gott, Wahegurū genannt, ist im Sikhismus eins, unendlich, formlos, ewig, unbeobachtbar, wie es auch in den Eingangsversen des Guru Granth Sahib, dem Mul Mantra, zum Ausdruck kommt. Im Gegensatz zu anderen monotheistischen Religionen ist im Sikhismus jedoch Gott als Schöpfer auch die Schöpfung selbst und wird nicht als weiblich oder männlich angesehen. Das Göttliche ist also im Sikhismus sowohl transzendent, als auch immanent und omnipräsent und kann innerlich erfahren werden, z. B. durch Meditation, die häufig als Meditation über die Namen Gottes oder Passagen aus dem Guru Granth Sahib ausgeführt wird, die oft auch gesungen werden. Eine wichtige Praxis ist die Nām Simran genannte innerliche Wiederholung der Namen Gottes. Dem Klang des Namens wird dabei eine wichtige Rolle beigemessen (vgl. Mantra, Japa). Mukti (Erlösung) wird im Sikhismus als vollständiges eingehen in Gott angesehen (vgl. Unio Mystica). Da der Schöpfung gemäß den Sikh-Lehren das Göttliche innewohnt, gilt sie als heilig und jedes Geschöpf als beseelt, so dass z. B. der Vegetarismus unter Sikhs verbreitet ist und der Dienst an Mitmenschen geboten ist.
Die religiöse Philosophie und ethische Prinzipien des Sikhismus sind detailliert im Guru Granth Sahib niedergelegt, wobei die Schriften betonen, dass viele Wege zu Gott führen, und andere Religionen toleriert und akzeptiert werden sollen.
Das heilige Buch der Sikhs
Das heilige Buch der Sikhs wird Guru Granth Sahib genannt. Granth heißt Buch und Sahib Herr. Es wurde vom zehnten Guru als sein "Nachfolger" eingesetzt, weshalb Sikhs es Guru Granth Sahib nennen. Manchmal wird es auch weniger genau Adi Granth genannt. Das Adi Granth ist aber nur ein Teil des Guru Granth Sahib. Das Guru Granth Sahib setzt sich aus schriftlichen Niederlegungen der Gurus und weiterer Heiliger (Bhagats) verschiedenster Herkunft zusammen. Guru Nanak und seine Nachfolger schrieben in einer poetischen und bildlichen Sprache zahlreiche Verse (Gurbani). Diese wurden 1603 und 1604 von Guru Arjan, dem fünften Guru, zusammengetragen und in dem Werk Adi Granth vereint. Später wurden noch weitere Teile hinzugefügt und so wurde daraus das Guru Granth Sahib.
Die Einteilung des Werke geschieht nach Ragas (religöse Lieder). Teile des Adi Granth stammen von Sheikh Farid, Pipa, Namdew und Kabir. Die Sprache des Adi Granth umfasst verschiedene, nah verwandten, nordindische Sprachen. Diese sind Panjabi, Hindi und Braj. Die Schrift ist Gurmukhi.
Gotteshäuser
Sikhs beten gemeinschaftlich in einer Gurdwara (Schule der Weisheit). In einem Gurdwara wird ein Exemplar des Guru Granth Sahib aufbewahrt. Es finden Rezitationen (Kirtan) und Gebetserläuterungen statt. Das Verständnis und die Verinnerlichung der Verse stehen dabei im Mittelpunkt. Jede Gurdwara bietet freie Speisen (Langar) für die Besucher an. Sikhismus kennt der Idee nach keine Priester; jede Frau/jeder Mann darf aus dem Guru Granth Sahib öffentlich rezitieren.
Namensgebung
Als Ausdruck von Geschwisterlichkeit tragen Sikh-Männer den gemeinsamen Nachnamen Singh (Löwe), Frauen heißen mit Nachnamen Kaur (Prinzessin).

Die Fünf K
Orthodoxe Khalsa-Sikhs zeichnen sich durch die fünf K aus:
- Kes (Haare): Sie schneiden sich weder Haupt- noch Barthaare.
- Kangha (Kamm): Sie tragen einen Kamm bei sich.
- Kachhera (Knielange Hosen): Sie tragen, oft unter langen Hosen, knielange Hosen.
- Kara (Armreif aus Stahl): Sie tragen einen Armreif aus Stahl.
- Kirpan (Dolch): Sie tragen einen Dolch bei sich. Heute meist sehr klein und im Turban verstaut.
Auszüge aus dem Guru Granth Sahib
- Ich faste nicht, noch begehe ich den Monat Ramadan. Ich diene nur dem Einen, der mich am Ende schützen wird. […] Er/Sie (der Schöpfer) erteilt Gerechtigkeit - an Hindus und an Muslimen (gemeint sind hier alle Menschen). Pause. Ich mache keine Wallfahrt nach Mekka, noch bete ich in den heiligen Schreinen der Hindus. […] Ich vollziehe keine Anbetungsrituale der Hindus, noch rezitiere ich die Gebete der Muslime. Ich habe den einen formlosen Schöpfer in meinem Herzen aufgenommen, dort verehre ich ihn voller Demut. Weder bin ich ein Hindu noch ein Muslim. Mein Körper und mein Lebensatem gehören Allah, Ram dem Gott aller. (Guru Granth Sahib, Seite 1136, Arjan)
- Von der Frau wird man geboren, in der Frau wächst man heran, mit einer Frau verlobt und vermählt man sich. Von der Frau erfahren wir Freundschaft; durch die Frau setzt sich der Gang der Welt fort. [...] Wie kann man sie da als minderwertig bezeichnen, wo sie doch Königen das Leben schenkt? Aus einer Frau entsteht eine Frau, niemand wäre ohne die Frau. Nanak sagt, ganz ohne Frau existiert nur der eine Schöpfer. (Guru Granth Sahib, Seite 473, Nanak)
Literatur
- Grewal, J. S. : The Sikhs of the Punjab, 1999, New Delhi: Cambridge University Press.
- Shackle, Christopher & Arvind-pal Singh Mandair (Hrsg.): Teachings of the Sikh Gurus. Selections from the Sikh Scriptures, 2005, Routledge: New York.
- Macauliffe, Max Arthur : The Sikh Religion (3 Volume Set): Its Guru Sacred Writings and Authors, 1996 (1909), Oxford: University Press.
Webseiten
- www.sikh-religion.de Informationsforum über Sikhismus und den Guru Granth Sahib