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Albert Schweitzer

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Albert Schweitzer, Radierung von Arthur William Heintzelman

Albert Schweitzer (* 14. Januar 1875 in Kaysersberg im Oberelsass bei Colmar, Deutsches Reich; † 4. September 1965 in Lambaréné, Gabun) war elsässischer Evangelischer Theologe und Pfarrer, Orgelkünstler, Musikforscher (Musiker), Philosoph und Arzt. In der Evangelischen Kirche ist sein Gedenktag am 4. September.

Schweitzer stammte aus einer alemannisch-elsässischen Familie. Er gründete das Krankenhaus in Lambaréné im Gabun und war 1952 Friedensnobelpreisträger. Er spielte sich selber in einem Film von Gilbert Cesbron über sein Leben. Unter seinen theologischen Werken kann man Die Mystik des Apostels Paulus (1962); Das Christentum und die Weltreligionen, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (1906) nennen. Seine philosophischen Werke: Die Weltanschauung der indischen Denker (1936); Kultur und Ethik, Verfall und Wiederaufbau der Kultur, Das Problem des Friedens in der Heutige, Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Seine autobiographischen Werke: Zwischen Wasser und Urwald, Aus meinem Leben und Denken, Aus meiner Kindheit und Jugendzeit, die Linde von Gunsbach. Musikologische Werke: Johann Sebastian Bach (Biographie), Die Orgelwerke Johann Sebastian Bachs. Er war auch Organist und Mitherausgeber einer Ausgabe von Bachs Orgelwerken.

Leben und Werk

Kirche Günsbach, Ort der Kindheit

Frühe Jahre und Ausbildung

In Albert Schweitzers Elternhaus wurde Französisch gesprochen. Er beherrschte aber das Deutsche vollkommen, das auch die Sprache seiner Schulausbildung und seines Studiums im damals zum Deutschen Reich gehörenden sog. Reichsland Elsass-Lothringen war. Albert Schweitzer studierte an der Reichsuniversität Straßburg die Fächer Theologie und Philosophie; daneben studierte er in Paris bei Charles-Marie Widor Orgel und war Mitglied der Wilhelmitana-Studentenverbindung im Schwarzburgbund.

1899 wurde er im Fach Philosophie mit einer Dissertation über "die Religionsphilosophie Kants von der Kritik der reinen Vernunft bis zur Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" promoviert. 1901 folgt die theologische Dissertation "Kritische Darstellung unterschiedlicher neuerer historischer Abendmahlsauffassungen" (Erstauflage 1906) - die in der zweiten Fassung den weitaus bekannteren Titel "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" (Tübingen 1913) trägt.

Nach seinem Studienabschluss wurde er Dozent für Theologie an der Universität Straßburg und Vikar an der Kirche St. Nikolai. Seine Theologie fand unter anderem bei Fritz Buri Nachhall. Schweitzer schrieb 1905 die französische Ausgabe von Johann Sébastien Bach, auf die drei Jahre später 1908 seine neu verfasste deutsche Bach-Monographie folgte.

Leben als Mediziner in Afrika und Europa

Nach einem Jahr beschloss Albert Schweitzer, Medizin zu studieren, um in Gabun als Missionsarzt dem Ruf Jesu Christi nachzufolgen und Menschen helfen zu können. Seine medizinische DoktorarbeitDie psychiatrische Beurteilung Jesu: Darstellung und Kritik“ widerlegt, analog seiner theologischen Dissertation, zeitgenössische Versuche, das Leben Jesu aus psychiatrischer Sicht beleuchten zu können.

1913 gründete er in Französisch-Äquatorialafrika (heute Gabun), an einem Fluss der afrikanischen Westküste, das Urwaldspital Lambaréné. Als Deutsche wurden er und seine Frau Helene Schweitzer-Bresslau ab 1914 zeitweise von den Franzosen interniert. Diese Zeit nutzte er zur Entwicklung und zum Ausbau seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Zentral für diese Ethik ist der Satz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

1917 wurde das Ehepaar Schweitzer von Afrika nach Frankreich überführt und in Bordeaux, Garaison und St. Rémy de Provence interniert. 1918 kamen sie ins Elsass zurück, das inzwischen von Frankreich annektiert worden war. Dort nahm Albert Schweitzer wieder die Stelle als Vikar in St. Nicolai an und trat als Assistenzarzt in ein Straßburger Spital ein.

Dank des schwedischen Bischofs Nathan Söderblom konnte Albert Schweitzer ab 1920 in Schweden Vorträge über seine Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ halten, mittels Orgelkonzerten seine Schulden bezahlen und Geld für die Rückkehr 1924 nach Afrika verdienen, um dort das Urwaldhospital auszubauen.

Bekannt wurde Albert Schweitzer vor allem durch sein Buch „Zwischen Wasser und Urwald“, das er in kurzer Zeit 1921 geschrieben hatte. In seiner Rede zum 100. Todestag Johann Wolfgang von Goethes 1932 in Frankfurt am Main warnte Schweitzer vor dem aufkommenden Nationalsozialismus.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde ihm viel öffentliche Ehre zuteil. In seiner Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises 1952 warnte Schweitzer davor, alle Verbrechen der Weltgeschichte allein „den Deutschen“ und dem Nationalsozialismus anzulasten und deren Verbrechen als „einzigartig“ hinzustellen, vielmehr sei jede Art von Gewalt zu allen Zeiten und bei allen Völkern gleichermaßen zu verurteilen.

Albert Schweitzer war 44 Jahre alt, als seine elsässische Heimat 1918 als Folge des ersten Weltkrieges vom Deutschen Reich getrennt und von Frankreich annektiert wurde. Damit wurde er Teil der deutschen Minderheit im französischen Staatsgebiet und erhielt die französische Staatsangehörigkeit. Trotz französischer Staatsbürgerschaft, bezeichnete er sich selbst nie als Franzose, sondern als Elsässer und "Weltbürger". Er beherrschte das Deutsche und das Französische gleichermassen gut. Mit Frankreich verband ihn u.a. Jean-Paul Sartre, der Sohn von Schweitzers Cousine Anne-Marie. Die kritische Auseinandersetzung mit der gerade in Frankreich populär gewordenen Existenzphilosophie beschäftigte ihn noch in seinen letzten Lebensjahren. Schweitzers Großneffe Louis Schweitzer war von 1992 - 2005 Vorstandsvorsitzender des französischen Automobilkonzerns Renault. Günsbach ist Sitz der Internationalen Albert Schweitzer Vereinigung.

Die Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben

Albert Schweitzers Alterswerk aus dem Jahre 1962 ist die Quintessenz seines philosophischen Denkens. Bei der Diskussion über das Problem der Ethik in der Höherentwicklung des menschlichen Denkens geht er von der Annahme aus, dass der Mensch beim Nachdenken über seine Grenzen und sich selbst erkennt, dass der andere ein Mensch wie er selber und wie ein Bruder ist. Dadurch erlebt er, dass er selbst vom Anderen auch wie ein Bruder gesehen wird. Im Zuge der Menschwerdung erweitert sich die ursprünglich auf das „Wir“ des eigenen Stammes bezogene Ethik im Laufe von Jahrtausenden auf alle auch unbekannten Menschen. In den Weltreligionen und Philosophien sind diese Stadien konserviert.

In den weltverneinenden asiatischen Religionen ist die Idee der Bruderschaft sehr stark an das metaphysische und immaterielle Sein gebunden. In der unwirklichen materiellen Welt des Brahmanismus ist die Ethik Unbekannten gegenüber nicht verwirklichbar, denn es wäre verrückt, das Trugbild der Welt und das in ihr enthaltene Leiden ernst zu nehmen. Die religiös geforderte Teilnahmslosigkeit enthält auf der anderen Seite eine pazifistische Grundhaltung, denn man tut zwar nichts Gutes, aber auch nichts Böses. Man ist zivil ohne Courage.

Der Buddhismus überwindet die Kälte des Brahmanismus und fordert ausdrücklich Mitleid mit Unbekannten, das allerdings nicht auf das Gefühl, sondern auf das Metaphysische zurückbezogen wird. Mit dem Mitleid entspricht man dem Willen des metaphysischen Seins nach einem harmonischen Verhältnis zwischen wahrem Sein und scheinbarer Welt und leitet die Courage nicht von der unwirklichen Zivilisation ab.

In der hinduistischen Bhagavad Gita stehen sich Aktivität und Nicht-Aktivität ziemlich ausbalanciert gegenüber, denn man ist nicht mehr nur ein teilnahmsloser Zuschauer im Spiel der Götter, das diese für sich selbst veranstalten, sondern spielt auch mit. Allerdings fristet auch hier das Mitleid nur ein Scheindasein. Es ist weniger eine Frage der Weltverbesserung, sondern es gehört als Eigenschaft zum spielenden Teilnehmer, der couragiert und zivilisiert zugleich ist, aber beides nicht aufeinander und auf Unbekannte bezieht. In allen drei Religionen wird man wiedergeboren.

Dagegen unterscheidet Zarathustra die Menschen in Gläubige und Ungläubige und fordert wesentlich weltbejahender den Kampf der sesshaften und gläubigen „guten“ Siedler gegen die ungläubigen „schlechten“ Nomaden. Hier zeigt man in seiner materiellen Welt Zivilcourage. Im Zoroastrismus gibt es Gott und Teufel und Himmel und Hölle nach dem Tod.

Im Gegensatz dazu steht bei den Griechen der Olymp nur Halbgöttern offen, Sterbliche müssen nach dem Tod in die kalte dunkle Höhle des Hades. Zur Weltbejahung verdammt entwickelt sich im Griechentum seit dem Stoiker Panätios eine Philosophie des Humanismus, die von der Vernunft ausgeht und das Wohl aller Menschen umfasst. Seneca, Epiktet und Marc Aurel aus dem Römischen Imperium stehen in dieser Tradition und sehen in der Menschenliebe die Tugend aller Tugenden. Man ist zivilcouragiert, obwohl die Zivilcourage nur die freien Bürger und die Aristokratie umfasst.

Auch die jüdische Religion und das Christentum sehen die materielle Welt als wahre, aber unvollkommene Welt an. Obwohl die Urchristen gute Taten immer und überall fordern, neigen sie im Laufe der Zeit nicht zur Weltbejahung, sondern eher zur Weltentsagung und zur Selbstvervollkommnung, während ihre Gedanken erst auf das Reich Gottes, das bald kommt, und später aufs Jenseits gerichtet bleiben. Trotzdem suchen die Religionen des Monotheismus zur Begründung von Tugenden und Pflichten nach dem Gebot aller Gebote und gelangen zum Ideal des Humanismus, wenn sie in die Tiefe gehen, um das grundlegende Wesen des Guten zu erforschen. Die griechisch-römische und christliche Weltsicht bleiben sich im Grunde bis zur Renaissance wesensfremd, in der man erst das im späten Stoizismus und im Epikureismus enthaltene Gebot der Liebe in einer Welt der Weltbejahung erkennt, das von der Vernunft zum Aufbau einer tugendhafteren Zivilisation verkündet wurde. Die Grundidee der Ethik wird jetzt nicht nur von der Religion offenbart, sondern vom Denken als Wahrheit bestätigt, und Erasmus von Rotterdam fordert im 16. Jahrhundert ein ethisch begründetes Recht.

Der Utilitarist Jeremy Bentham betrachtet über 200 Jahre später die Ethik unter ihrem Nützlichkeitsaspekt, denn Nächstenliebe aus Egoismus dient sowohl dem Wohl des einzelnen als auch dem der Gesellschaft durch die Bereitschaft eines jeden zur Hingabe an den Willen eines jeden anderen. David Hume beruft sich dagegen auf die Erfahrung, dass die natürlichen Triebkräfte der Ethik die Mitempfindsamkeit ausmachen, weshalb man die Freuden und Leiden der anderen wie die Freuden und Leiden von sich selbst erlebt und Sympathie empfindet. Immanuel Kant koppelt diese String-Theorie der Gutmütigkeit mit dem Utilitarismus, indem er ihn – a priori – in die innere Natur des Menschen verlegt. Jeder lebt einerseits in der materiellen Welt, ist aber genauso ein Subjekt in der geistigen. Der kategorische Imperativ der Vernunftethik erzeugt Entscheidungszwänge, wie weit man das Moralgesetz in sich in der Welt verwirklichen will. Weil man unmöglich in jeder Situation ihrem Anspruch gerecht werden kann, bekommt man ein schlechtes Gewissen, und das gute Gewissen wird zum Mythos.

Im 20. Jahrhundert kann sich die Ethik nicht mehr auf eine verbindliche Weltsicht berufen. Auf der Suche nach einer immer genaueren Erkenntnis der Naturgesetze und ihrer Anwendung löst das „Wie“ das „Was“ auf, zumal die Fortschritte des Wissens den einzelnen überfordern und entmutigen, den Sinn des Geschehens in einer Welt zu begreifen, in der sich eine Existenz durch die Vernichtung von anderen Existenzen erhält. Die Folge ist eine existentielle Hoffnungslosigkeit, die Gedankenlosigkeit inmitten einer geschönten Weltsicht mit einer resignierten Vernunft erzeugt.

Was tun, um der existentiellen Hoffnungslosigkeit zu entkommen? Da man eh phantasiert, kann man auch phantasieren, dass in der Welt, egal, wie sie ist, ein Geist existiert, der im Verlaufe des Unvollkommenen schließlich das Vollkommenere schaffen wird. Die Ethik hat jetzt zwar eine unvollkommene und einseitige Erkenntnis der Welt, aber immerhin eine Erkenntnis, mit der sie ihre Erfahrungen macht. Sie erlebt ihr Wesen in dieser Welt und schafft sich so selber einen ethischen Boden. „Ich bin Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will,“ so Albert Schweitzer, und aus dieser offenbarenden Erkenntnis macht er die Erfahrung, dass es das Geheimnis seines Willens zum Leben ist, dass ihn quasi zwingt, bei allem anderen Willen zum Leben als Teilnehmer mitzuwirken und sich von der Erkenntnis leiten zu lassen, dass das Wesen des Guten lebenserhaltend ist, das Wesen des Bösen lebensvernichtend.

Das Grundprinzip der Ehrfurcht vor allem Leben trägt auf diese Weise die Begründung des Gebotes der Liebe in sich trägt und umfasst so auch die Ehrfurcht vor dem eigenen Leben. Zur Ganzheitlichkeit vervollständigt überwindet sie die Trennung zwischen der eigenen Weltsicht und der Welt und verwandelt sie in Liebe und Verantwortung vor allem Leben. Der kategorische Imperativ von Immanuel Kant wird inhaltlich mit der Ehrfurcht vor dem Leben gefüllt.

Dem Schicksal der Schuld kann man nur mit einem bewussten Umgang mit diesem Schicksal entgegentreten. Man bleibt trotzdem immer und überall auch schuldig. Man gelangt also in ein geistiges Verhältnis zu einem Universum, in dem der Wille zum Leben in Konflikt mit sich selbst steht, doch im Inneren in Frieden mit sich selbst sein will. In der Welt tut sich der Wille zum Leben kund, im Inneren offenbart er sich. Die Ehrfurcht vor dem Leben zwingt dazu, überall dort anders zu sein als die Welt, wo das Böse Leben bedroht, und überall dort beteiligt zu sein, wo das Gute Leben erhalten will.

Wie kann man an der Entstehung einer ethischen Kultur teilnehmen? Neben dem Fortschritt im Wissen und Können und neben dem Fortschritt der Vergesellschaftung ist der Fortschritt der Geistigkeit der wichtigste, weil sich der Mensch mit seiner Geistigkeit (im Sinne von John Stuart Mill) auf die beiden anderen bezieht. Dabei erkennt er zunächst das Metaphysische in sich und das Unwirkliche der Welt, doch die ethische Lebensbejahung führt ihn mit seinem geheimnisvollen Sein zu einer vertieften Welt- und Lebensbejahung und richtet gleichzeitig sein Denken auf die Ethik. Damit erhebt sich aus seiner unmittelbaren Wirklichkeit und erlebt die Ethik als Wahrheit und Zweckmäßigkeit und begibt sich bereits auf denn Weg von der Unkultur zur Kultur. Die Ehrfurcht vor dem Leben gewinnt an Überzeugungskraft, überwindet die relative Ethik und widmet sich der Verwirklichung des Ideals einer umfassenden ethischen Kultur, sie entwickelt sich von der Teilnahmslosigkeit bis zur Erfurcht vor dem Leben und erweitert dabei ständig den Kreis der Liebe und wird zur denknotwendig erkannten Ethik im Geiste Jesu. Damit gibt der Mensch seinem Dasein einen Wert und tritt mit seinem Willen in der Welt auf. Je mehr Menschen die Ziele des Humanismus verwirklichen, desto mehr wird aus der sentimentalen Idee der Humanitätsduselei ein Sauerteig der ethischen Überzeugung der einzelnen und der Gesellschaft.

Durch die gesellschaftliche Zurückhaltung ist das Verhältnis von Mensch zu Mensch zunächst von Fremdheit geprägt. Doch die Ehrfurcht vor dem Leben beinhaltet Herzlichkeit. „Viel Kälte ist zwischen den Menschen, weil wir nicht wagen, uns so herzlich zu geben, wie wir sind“, so Schweitzer, doch die Herzlichkeit verhilft zu einer Güte, in der man sich selbst mutig beurteilen und richten kann. Bescheiden und nicht rechthaberisch wird man in allen Erlebnissen auf sich selbst zurückgeworfen und sucht den letzten Grund des Verlaufes des Geschehens in sich selbst. Im Gegensatz zur gereiften Persönlichkeit mit seiner resignierten Vernünftigkeit verfügt die jugendliche Persönlichkeit über die Energie und den Mut, die Ethik von der Ehrfurcht vor dem Leben anzunehmen und in einer neuen Renaissance durchsetzen zu wollen.

Das ethische Verhältnis von Mensch zu Kreatur fordert ein hohes Maß an Verantwortung, denn wer Unterschiede über die Wertigkeit von Leben aufstellt, beurteilt Leben nach seinem subjektiven Maßstab. Ethik und Notwendigkeit können nicht ausgeglichen werden, weil sie den Unterschied zwischen einem selbst und der Welt ausmachen, was immer wieder Entscheidungen erzwingt. Der Ehrfurcht vor dem Leben ist alles Leben heilig, sie weiß um die Willkürlichkeit ihrer Entscheidung und schädigt deshalb Leben nicht aus Gedanken- oder Teilnahmslosigkeit. Daraus ergeben sich Abwägungen zwischen der Ehrfurcht und der Notwendigkeit von Tierversuchen, Transporten, Schlachtungen u.a.: Wo ein Tier zum Dienst am Menschen gezwungen wird, muss ich mit den Leiden beschäftigt sein, die es meinetwegen zu tragen hat, so sinngemäß Schweitzer. Weil Descartes den Tieren keine Seele und nur scheinbare Schmerzen zugestanden hat, wird das Mitleid mit Tieren als Sentimentalität belächelt. Die Ehrfurcht vor dem Leben betont dagegen, dass alles notwendige Töten ein Grund zu tiefer Trauer ist. Man nimmt die Schuld aus Notwendigkeit auf sich und kann ihr nicht entkommen, sie lediglich verringern.

Aus dem bilateralen Abschreckungsszenario der fünfziger Jahre heraus fragt Schweitzer nach Friede oder Atomkrieg. Kriegsbefürworter idealisieren die Gewalt, die aus Begeisterung oder Notwehr begangen wird und vergessen die Millionen Kriegstoten. Als die Waffen noch begrenzte Wirkungen hatten, konnte der Pazifismus als Utopie belächelt werden, doch seit dem 20. Jahrhundert sollte er ernsthaft in Betracht gezogen werden. Das Wettrüsten soll eine Patt-Situation erhalten, die aber eine Dynamik enthält, die immer außer Kontrolle zu geraten droht. Von den Fortschritten in Wissenschaft und Zivilisation profitierte der Geist der Unmenschlichkeit sehr viel stärker als die Ehrfurcht vor dem Leben, denn die Möglichkeit der Verwendung von Massenvernichtungswaffen führt zu einer gegenseitigen Aufschaukelung von unmenschlichem Geschehen und gesellschaftlicher Verrohung. Die auf diese Weise gesteigerte Gesinnung der Unmenschlichkeit rüstet zur Vermeidung von Angst noch massiver auf: Die Entscheidung zwischen Frieden und Krieg sei ein politisch-militärisches Problem der Verantwortlichen, denn die Entscheidungsfreiheit sei ja die Voraussetzung für die Abschreckung, die wiederum die Voraussetzung für die Entscheidungsfreiheit der Kriegsführung sei. Diese Argumentation ist Ausdruck der Gesinnung der Unmenschlichkeit. Sie schafft sich die Angst vor dem Ausgeliefertsein selber und verstärkt damit die Gründe für kriegerische Handlungen. Beide Kontrahenten leben in der Angst vor einem Überfall des anderen, und die Gesinnung der Unmenschlichkeit bestätigt sich selbst und hinterfragt nicht, dass der Unterlegende dem Sieger noch so viel Schaden zufügen, dass dieser nichts mehr von seinem Sieg hat.

Los von der Gesinnung der Unmenschlichkeit! Los von den Atomwaffen! Wer sich aus Ehrfurcht vor dem Leben gegen die Aufrüstung wendet, muss bei allen Ängsten vor anderen militärischen Mächten aus Angst vor dem Geist der Unmenschlichkeit aus Notwendigkeit auch eine einseitige Abrüstung fordern. Die resignierte Vernunft glaubt nicht mehr an eine Umkehr, obwohl die Menschlichkeit doch das eigentliche Wesen des Menschen ist, und erkennt nicht, dass Vernichtungskriege in keinem Verhältnis zu den Problemen stehen, die mit ihnen gelöst werden sollen. Nur mit Mut kann die Lehre von der Ehrfurcht vor dem Leben verwirklicht werden, ohne Mut hat sie von vornherein keine Chance. Sie zwingt zur Weltbejahung und zum Entwurf einer Kultur, die Kriege gegen Mensch und Tier unmöglich macht, weil das Gebot aller Gebote und die Tugend aller Tugenden in ihr enthalten sind. Sie muss die Hoffnung und das Pflichtgefühl entwickeln, dass die Öffentlichkeit der Atommächte die Verantwortung über Krieg und Frieden übernehmen kann und muss.

Eine Kritik aus dem 21. Jahrhundert hat es leicht, Unzulänglichkeiten in einer Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben zu finden, die im philosophischen Denken des 18. und 19. Jahrhunderts verwurzelt ist. Das Schema des christlich und rationalistisch begründeten Entwicklungspfades von der Weltverneinung über die Weltentsagung bis zur Weltbejahung scheint Schweitzer aus der Sicht des Eurozentrismus entwickelt zu haben. Entsprechend „niedrigkomplex“ wertete er die Religionen mit brahmanistischen Hintergrund, machte die Stufen der ethischen Evolution mechanistisch an Religionen und Philosophien fest und unterbewertete die Verhältnisse, in denen die Religion nur ein Einfluss von vielen war. Dieser dürfte im modernen globalen Medienzeitalter noch sehr viel stärker zurückgegangen sein. Den Islam als bedeutende und jüngste monotheistische Religionsausprägung erwähnt er mit keinem Wort und ordnet ihn folgerichtig auch nicht in sein Schema der Evolution der Religiosität ein.

Bei seiner Wertung der Religionen übersah er bzw. bekam wohl nur am Rande mit, dass Gandhis Propagierung des gewaltlosen Widerstandes u.a. genau so in der Tradition des Brahmanismus begründet war wie der Versuch von Hindus, Moslems, Parsen und Christen, ein Zusammenleben aller Menschen des indischen Kulturkreises unter Vermeidung der Fehler der westlichen Moderne aus einer weltbejahenden Sicht zu entwickeln oder wie die Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche aus Protest gegen den Vietnamkrieg, der mit der zutiefst lebensverachtenden (westlichen) Domino-Theorie begründet wurde.

Es mangelt außerdem an einer noch tiefergehenden Abwägung des Entscheidungszwanges in Bezug auf kreatürliches und menschliches Leben, um auf Hunger, Krankheit oder Tod in Armuts- oder Kriegsgebieten eben nicht mit Teilnahmslosigkeit und unterlassener Hilfe zu reagieren. Auch bei Genoziden könnte ein Massenmord in tiefster Trauer geschehen, weil er für notwendig erachtet wird.

Eine Kritik oder Würdigung seiner Philosophie möchte ich hier noch anfügen: Im Zusammenhang mit der Pflicht- und der Vernunftethik Immanuel Kants entwickelt Schweitzer den Gedanken, dass das gute Gewissen ein Mythos sei. Am Ende des Kapitels „Mensch zu Kreatur“ zieht er sinngemäß die Schlussfolgerung, dass man der Schuld nicht entkommen, sie nur verringern kann. Daraus folgt, dass man dem schlechten Gewissen auch nicht entkommen soll, damit man selbstbewusst bleibt und nicht selbstgerecht wird. Das schlechte Gewissen bekommt so den Status des Gebotes aller Gebote oder der Tugend aller Tugenden. Schweitzer trifft m.E. an dieser Stelle die Russellsche Antinomie, denn wie anders ist der Widerspruch (aus der Mengenlehre) zu klären, dass ein gutes Gewissen sein schlechtes Gewissen beinhalten kann? Auch eine Nähe zu der Quintessenz Ludwig Wittgensteins in seinem Frühwerk „Logisch philosophische Abhandlung“ sehe ich hier: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen, und wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Das Paradox ist so nicht widerlegt, aber es ist als Ganzes über den Rand dessen gerückt, worüber man noch sprechen kann. Gutes und schlechtes Gewissen finden zusammen in der Gewissheit eines Gewissens, das sich von der Ehrfurcht vor dem Leben leiten lässt als bewusste oder unbewusste, aber denknotwendig erkannte Ethik im Geiste Jesu, die den Mut zur Herzlichkeit eröffnet. Der kategorische Imperativ von Immanuel Kant, der mit dem Utilitarismus Jeremy Benthams gefüllt war, wird mit John Stuart Mills Begriff der geistigen Erfüllung (happiness) erweitert und kann jetzt in Bertrand Russells Antinomie verwurzelt werden, die mit Hilfe von Ludwig Wittgenstein als unhinterfragbare, emotional verankerte Wahrheit zum Tragen kommt, als Gewissheit eines ganzheitliches Gewissen, das das schlechte Gewissen als Prüfinstanz und als Schicksal in sich trägt, mit dem man bewusst aus Ehrfurcht vor dem Leben umgeht. Man macht mit dem Gewissen als Prüfinstanz etwas Gutes aus dem, was das Gewissen als Schicksal mit einem macht. Dies lässt den Schluss zu, das auch Agnostiker und Atheisten der Ehrfurcht vor dem Leben verpflichtet sein können und um des eigenen Lebens Willen auch müssen. Die Ehrfurcht vor dem Leben braucht nicht notwendigerweise einen christlichen oder überhaut einen religiösen oder ideologischen Hintergrund. Dies mag eine Überinterpretation sein, als möglichen Punkt zur Diskussion über das Werk von Albert Schweitzer halte ich ihn dennoch für wichtig.

Eine ehrenrührige „Totschlag-Kritik“ bezieht sich auf die mangelnde praktische Umsetzung der Philosophie durch den damals beinahe neunzig Jahre alten Mann. Diese Kritik wird von Siegwart Horst Günther als oberflächlich und gehässig bezeichnet (Was heißt Ehrfurcht vor dem Leben, S.25, siehe Literaturliste). Auch die praktische Umsetzbarkeit dieser Philosophie im realen Leben wird bemängelt, weil sie zu anspruchsvoll sei. Dies Argument entkräftet Schweitzer selber in seinen Passagen über die resignierte Vernünftigkeit der gereiften Persönlichkeit bspw. am Ende der Kapitel Mensch zu Mensch und Los von der Gesinnung der Unmenschlichkeit! Los von den Atomwaffen! Die menschliche Entwicklung ist in ein Stadium gekommen, in dem die Umsetzung seiner Lehre nicht eine Frage der "menschlichen Natur" oder der "Wahlfreiheit", sondern eine Frage des Muts und des Elans und eine Frage des Überlebens oder der Ausrottung der Menschheit ist.

Diese Kritikpunkte schmälern nichts an dem großen philosophischen Werk und dem beinahe übermenschlichen praktischen Einsatz dieser humanistischen Ikone des 20. Jahrhunderts. Die Aufarbeitung der genannten Themen fand in der US-amerikanischen und europäischen Öffentlichkeit erst in den spätsechziger und siebziger bzw. achtziger Jahren statt, also lange nach seinem Tode. Sie ist bis heute noch längst nicht abgeschlossen. Obwohl aus heutiger – resigniert vernünftiger? – Sicht die Argumentation bspw. zum Pazifismus etwas veraltet klingt, ist die Lehre von der Ehrfurcht vor dem Leben einer der bedeutungsvollsten Beiträge zur Moderne und Postmoderne und wird hoffentlich zukünftig noch viele Anregungen zur ethischen Begründung von sozial- und umweltpolitischen Fragen in allen Lebensbereichen geben, die dem Humanismus widersprechen, und zum verantwortungsvollen Handeln motivieren.

Politische Wirkung

Albert Schweitzer hat versucht, sich möglichst wenig in politische Auseinandersetzungen hinein ziehen zu lassen. Dies änderte sich allerdings mit seinem Engagement gegen die atomare Rüstung. Bereits am 14.4.1954 schrieb er einen Leserbrief im "Dayly Herold", London, „Die Folgen der Wasserstoffbomben-Explosion bilden ein höchst beängstigendes Problem... Erforderlich wäre, dass die Welt auf die Warnrufe der einzelnen Wissenschaftler hörte, die dieses furchtbare Problem verstehen. So könnte die Menschheit beeindruckt werden, Verständnis gewinnen und die Gefahr begreifen, in der sie sich befindet.“ Bei der Rede anlässlich der Übergabe des Friedensnobelpreises vom 4. November 1954 in Oslo äußerte er sich erneut zur Gefahr der Atomrüstung.

Albert Schweitzer wurde von mehreren Freunden, u.a. Albert Einstein, gedrängt, seine Autorität gegen die Atomrüstung einzusetzen. Er zögerte allerdings, weil er sich zunächst nicht für kompetent genug fühlte. Endgültig überzeugte ihn dann allerdings der Publizist Norman Cousins. Nachdem er sich gründlich auch mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Folgen der Atomwaffentests auseinander gesetzt hatte, sendete er im April 1957 über den Sender Radio Oslo einen „Appell an die Menschheit“. Dieser Appel erfuhr weltweite Aufmerksamkeit und wurde in 140 Sendern übernommen. Im April 1958 folgten drei weitere Appelle, „Verzicht auf Versuchsexplosionen“, „Die Gefahr eines Atomkrieges“, „Verhandlungen auf höchster Ebene“ die vom Präsidenten des norwegischen Nobelpreiskommittees, Gunnar Jahn vorgelesen wurden. Sie wurden unter dem Titel „Friede oder Atomkrieg“ gedruckt. Schweitzer gehörte 1958 zu den prominentesten Unterzeichnern einer von Linus Pauling initiierten Unterschriftensammlung bei namhaften Wissenschaftlern gegen die Atomversuche.

Wie unter den Bedingungen des kalten Krieges zu erwarten, wurde Schweitzer neben vielfacher Zustimmung auch heftig angegriffen. Die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb am 10. September 1958 unter dem Titel „Seltsamer Albert Schweitzer“: „Der verehrte Name Albert Schweitzers darf nicht davon abhalten, festzustellen, dass dieses Dokument politisch und philosophisch, militärisch und theologisch wertlos ist. Das Wagnis, das er dem Westen zumutet, ist an sich schon ungeheuerlich. Das Urteil über Amerika und die Sowjetunion anderseits macht es vollends unmöglich, Albert Schweitzers Rat ernsthaft in Erwägung zu ziehen.“

Neben diesen direkten Angriffen wurde Schweitzer im Kern seiner eigentlichen Tätigkeit angegriffen, seiner Arbeit im Urwaldhospital Lambarene. War vordem eine kritiklose Verehrung Schweitzers festzustellen, wurden nun offensichtlich vorhandene Unzulänglichkeiten und Mißstände aufgedeckt. Der amerikanische Publizist John Gunther beschreibt 1957 nach einem Besuch in Lambarene in einem Buch sowie in einem Artikel im Spiegel Schweitzer als autoritär, mit wenig Interesse an den Menschen um ihm. In seinem Bild von den Afrikanern sei Schweitzer in alten, kolonialen Vorstellungen verwurzelt, nicht bereit, auch nur deren Sprache zu lernen. Die sanitären und hygienischen Bedingungen im Hospital beschreibt er als katastrophal, die medizinische Versorgung als rückschrittlich.

Die Kritik blieb allerdings nicht unwidersprochen; Dr. Edmond Duboze, der damalige Generalinspektor des militärärztlichen Dienstes Gabuns, nahm Schweitzer dagegen in Schutz und wies die erhobenen Vorwürfe zurück. In jüngster Zeit wurde die Kritik Gunthers durch ein „Enthüllungsbuch“ des französischen Tropenmediziners André Audoynaud erneuert und zum Teil erweitert; Audoynaud war von 1963 bis 1966 ärztlicher Direktor des Hôpital administratif von Lambaréné gewesen. Allerdings hatte sich Albert Schweitzer auch selber durchaus selbstkritisch geäußert.[1]

Letztendlich waren aber Linus Pauling, Albert Schweitzer und die ganze Anti-Atomwaffenbewegung insofern doch erfolgreich, dass 1963 das bis heute haltende Versuchsstoppabkommen für oberirdische Atomwaffentests unterzeichnet wurde.

Musik

Albert Schweitzer war ein bekannter Organist, Musikwissenschaftler, Theoretiker des Orgelbaus und einer der für das 20. Jahrhundert stilbildenden Interpreten der Musik Johann Sebastian Bachs.

Instrumentenbau und Orgelreform

Als einer der Hauptvertreter der sogenannten Elsässisch-Neudeutschen Orgelreform propagierte Schweitzer seit Anfang des 20. Jahrhunderts gegen die damals in Deutschland üblicherweise gebauten Instrumente einen neuen Orgeltyp: Diese Orgel sollte den ausgewogenen Plenum-Klang der französischen spätromantischen Orgel Cavaillé-Colls, die verschmelzungsfähigen Zungenstimmen der deutschen und englischen Romantik und den Obertonreichtum der alten klassischen Orgeln des Elsass ("Silbermann-Orgeln") miteinander verbinden. Eine neue Spieltischgestaltung sollte die Logik und Übersichtlichkeit der französischen Spielanlage und die in Deutschland gebräuchlichen Spielhilfen vereinen (Deutsche und französische Orgelbaukunst und Orgelkunst, Leipzig 1906). Vor allem im Elsass wurden mehrere Orgeln nach Schweitzers Vorstellungen realisiert. Er selbst empfahl dabei besonders die Orgelbaufirma Dalstein & Haerpfer. Berühmte, registerreiche Reformorgeln entstanden in Dortmund, St. Reinoldi (1909, V/P 105, 1939 um ein Rückpositiv mit 6 Registern erweitert, 1943/44 zerstört), und Hamburg, Sankt Michaelis (1912, V/P 163, nach Kriegsschäden 1943 durch den Neubau von 1962 ersetzt). Schweitzers Vorstellungen von der Orgel galten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der zunehmenden Bedeutung der Orgelbewegung zunächst als weitgehend überholt. Mit der erneuten Wertschätzung der Orgel des 19. Jahrhunderts, mit der Begeisterung für Orgelbau und Orgelmusik der französischen Spätromantik seit den 1970er Jahren zeigen besonders im deutschsprachigen Raum viele Orgelneubauten, die eine Synthese verschiedener historischer Stilelemente anstreben, zumindest in der Disposition durchaus eine Nähe zu Schweitzers Vorstellungen. Schweitzer wirkte bewußtseinsbildend für die wachsende Wertschätzung alter Orgeln im frühen 20. Jahrhundert. Auch in der Zeit seines Wirkens in Afrika setzte er sich immer wieder für die Erhaltung historischer Instrumente ein und begleitete Neubauten mit seinem Rat.

Neben der Orgel beschäftigte Schweitzer sich mit dem Geigenbau, genauer mit dem Geigenbogen. Ausgangspunkt war seine Kritik an dem Spiel der mehrstimmigen Passagen in den Violin- und Cello-Solosonaten von J.S. Bach. Mit dem modernen, steifen, leicht konkaven Bogen lassen sich nur zwei Saiten gleichzeitig zum Klingen bringen. Als Notbehelf wird appegiert, d.h. zunächst die unteren beiden, danach die oberen beiden Töne gespielt. Schweitzer störte das Zerbrechen der Akkorde, die damit verbundenen Kratzgeräusche, die Pausen zwischen den Akkorden, das ständige Fortespiel und die unsinnige Stimmführung. Dagegen ging er davon aus, dass vierstimmiges Geigenspiel zu Bachs Zeit auch tatsächlich möglich und üblich war und sah sich in Berichten z.B. über den norddeutschen Musiker und Bachs älteren Zeitgenossen Nicolaus Bruns bestätigt. Der Schlüssel lag in der Verwendung eines konvexen Bogens, dessen Haare beim Spiel so entspannt werden können, dass ein gleichzeitiges Anstreichen aller Saiten möglich ist. Schweitzer sah die einzige Möglichkeit, das Problem zu lösen in einer Neukonstruktion; gemeinsam mit dem Geiger Rolf Schröder entwickelte er einen konvexen Bogen mit einer Hebelaparatur am unteren Ende, mit der die Entspannung der Haare beim Spiel möglich war. Er nannte diesen Bogen "Bachbogen", wohl wissend, dass er damit kein historisches Instrument aus Bachs Zeit, sondern eben eine Neukonstruktion vorgelegt hatte. Heute wird diese Bogen als Rundbogen bezeichnet. Nur wenige Geiger praktizieren heute dieses Spiel, unter ihnen Rudolf Gähler, der zu diesem Thema auch ein Buch veröffentlicht hat.

Bach-Interpret

Als Bach-Interpret wandte sich Schweitzer gegen die seiner Meinung nach übertriebene dynamische und farbliche Differenzierung des spätromantischen Orgelspiels, wie sie sich in Deutschland und Mitteleuropa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Liszt-Schule etabliert hatte. Er wurde darin bestärkt durch seine Kenntnis der französischen Tradition des Bach-Spiels und seine Studien bei Charles-Marie Widor, Komponist und Organist an Saint-Sulpice in Paris.

Schweitzer propagierte für die freien Orgelwerke Bachs eine einheitliche, behutsam terrassendynamisch gestaffelte Registrierung. Der Jalousieschweller sollte allenfalls für großräumige Steigerungen und zum Nachzeichnen melodischer Bögen verwendet werden. Der Gebrauch des Registerschwellers (Walze) beim Solovortrag alter Orgelmusik galt Schweitzer als unkünstlerisch. Er vermied als Interpret Extreme, wählte ruhige Tempi, praktizierte eine zurückhaltende Agogik und arbeitete in einem plastischen Legato die Formzusammenhänge heraus. Besonders wichtig war ihm die Erkennbarkeit des Textbezugs in den choralgebundenen Orgelwerken J. S. Bachs. Schweitzer veröffentlichte in Zusammenarbeit mit Widor und nach dessen Tod mit dem Organisten Edouard Nies-Berger die praktische Notenausgabe J. S. Bach. Sämtliche Orgelwerke, Teil I bis VI, im Verlagshaus Schirmer in New York.

In Lambarene spielte Schweitzer nach seiner Arbeit im Hospital auf einem extra für ihn gebauten tropenfesten Klavier mit Orgelpedal. Er übte damit auch für seine Schallplatteneinspielungen und die Orgelkonzerte, deren Erlös seiner karitativen Arbeit zugute kam.

Monographie J.S. Bach

Schweitzers Orgellehrer Charles-Marie Widor regte auch ein Buch über Johann Sebastian Bach an, durch das die französische Orgelwelt stärker mit der für Bach grundlegenden protestantischen Kirchenmusik und ihrem Wortbezug vertraut gemacht werden sollte (J. S. Bach, le musicien-poète, Paris u. Leipzig 1905). Widor selbst, Schweitzer freundschaftlich zugetan, verfasste dazu das Vorwort. Er riet auch zu einer deutschen Fassung, woraus durch völlige Neubearbeitung Schweitzers große Bach-Monographie (Johann Sebastian Bach, Leipzig 1908) entstand, ebenfalls mit einem Vorwort Widors versehen. Während die biographischen Details und die Datierung insbesondere der Kantaten inzwischen durch die Bachforschung weitgehend überholt bzw. erweitert worden sind, ist die musikästhetische Bearbeitung nach wie vor ein Standardwerk und das Buch ist insgesamt ein geistes- und wissenschaftsgeschichtlich bedeutsames Werk. Schweitzer hebt besonders den im Werk J. S. Bachs konventionalisierten Gebrauch von Themen und Motiven, Tonarten und Instrumenten hervor. Er hat damit, ohne den Terminus zu verwenden, vergleichsweise früh die Bedeutung der Affektenlehre für die ältere Musik thematisiert. Den Schlüssel sah er dabei in den Kantaten. Er fand immer wiederkehrende, sehr bildliche Motive, am auffallensten bei der Beschreibung von Bewegungen wie z.B. Gehen, Laufen, Fallen, Daniedersinken oder bewegungsintensiven Dingen wie Schlangen, Wogen, Schiffe, Flügel, ebenso auch abstrakte, bestimmte Affekte wie Freude, Trauer, Schmerz oder Lachen, Seufzer, Ächzen, Weinen beschreibende Motive. Schweitzer stellt diese musikalische Sprache systematisch dar und gibt wiederum in der Rückwirkung Hinweise, wie einzelne Motive zu artikulieren und gestalten sind, um die zugrunde liegenden Bilder herauszuarbeiten. Er zeigt auch, dass z.B. die Orgel-Choralbearbeitungen diese Sprache enthalten und zum Verständnis und Darbieten dieser Musik die Kenntnis des Choraltext gehört.

Ein wichtiger Denkanstoß dürfte Schweitzer dabei von der an sich völlig anders gearteten Leitmotivik Richard Wagners gekommen sein, dessen Musik er sehr schätzte. Allerdings arbeitete er im Rahmen seiner Bach-Monographie in einem Kapitel "Dichterische und malerische Musik" die grundlegend unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden Meister beim Umgang mit Themen und Motiven heraus. Bei Wagner und anderen "dichtenden" Musikern wird versucht, ein dramatisches Geschehen als "ästhetische Ideenassoziationen" mit der Musik auf die Zuhörer zu übertragen; sie richten sich mitsamt ihren (Leit-)Motiven an das Gefühl. Bach und andere "mahlende" Musiker stellen das Geschehen in Bildern oder aufeinander folgenden Bildern dar. Ihre Motive und Themen wenden sich an die Vorstellungskraft und die Phantasie der Zuhörer.

Dr.-Albert-Schweitzer-Pokal

Der Deutsche Basketball Bund (DBB) spielt in Erinnerung an Albert Schweitzer jedes zweite Jahr im Frühjahr in Mannheim auf seinem Europa-Jugend Basketballturnier den Dr.-Albert-Schweitzer-Pokal für Jugend-Nationalmannschaften aus. Dieses internationale Basketballturnier ist eines der wichtigsten und am Besten besetzten Basketballtuniere für Jugendmannschaften aus Europa und Übersee, an dem auch schon zahlreiche spätere NBA-Profis teilgenommen haben. Die Idee zu diesem internationalen Freundschaftstreffen der Basketballjugend kam im Mai 1957 dem Fotografen Hans-Joachim Babies. Es gelang ihm die Stadt Mannheim, die US-Armee und den DBB für seine Idee zu gewinnen. Der Basketballtrainer Hermann "Pascha" Niebuhr, heute DBB-Ehrenmitglied, holte die Erlaubnis von Dr. Albert Schweitzer, das Jugendturnier nach dem berühmten Missionar und Arzt benennen zu dürfen. Im Dezember 1958 konnte zum ersten Mal um den Dr.-Albert-Schweitzer-Pokal gespielt werden. Für den ersten Turniersieger hat Albert Schweitzer sein Bild mit persönlicher Widmung gestiftet.

Schulen

Der Name Albert Schweitzers wird auch für die Namensgebung zahlreicher Schulen verwendet. Die erste deutsche Schule mit seinem Namen war das Gymnasium Albert-Schweitzer-Schule Nienburg in Nienburg (Weser), das den Namen im Jahre 1949 mit Zustimmung Albert Schweitzers erhielt. Aber auch die Schule in Hürth-Hermühlheim trägt diesen Namen und hat einen Albert-Schweitzer-Tag eingerichtet.

Auszeichnungen

Literatur

  • Albert Schweitzer: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hrsg. von Rudolf Grabs. Beck, München 1974 ISBN 3406042155
  • Walter Munz: Albert Schweitzer im Gedächtnis der Afrikaner und in meiner Erinnerung, Verlag Paul Haupt, Bern/Stuttgart, 1991
  • Harald Steffahn: Albert Schweitzer. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 14. Aufl. Rowohlt, Reinbek 2004 ISBN 3499502631
  • André Audoynaud: Le docteur Schweitzer et son hôpital à Lambaréné. L'envers d'un mythe. L'Harmattan, Paris 2005, ISBN 2-7475-9499-8.
  • James Bentley: Albert Schweitzer. Eine Biographie. Düsseldorf, Patmos 1993 ISBN 3491690315
  • Tomaso Carnetto: Albert Schweitzer: Tatsachen. Eine Einführung in Leben und Werk. CD-ROM für Windows und Mac mit Textband, Verlag P12c 2002 ISBN 3933176034
  • Rudolf Gähler: Der Rundbogen für die Violine - ein Phantom?.- ConBrio, Regensburg, 175 S., 1997
  • John Gunther: Afrika von Innen Humanitas Verl., Konstanz - Stuttgart, 880 S., 1957
  • John Gunther: Der alte Mann und seine Schwächen Der Spiegel vom 03.07.1957 S. 42
  • Claus Günzler: Albert Schweitzer. Einführung in sein Denken. Beck, München 1996. ISBN 3-4063-9249-0
  • Karl Rolf Seufert: Das Zeichen von Lambarene Hrsg. von Loewe Verlag. ISBN 3-7855-2209-6
  • Albert Schweitzer: Johann Sebastian Bach. 1908; Nachdruck Wiesbaden 1979, ISBN 376510034X
  • Albert Schweitzer und Fritz Buri: Existenzphilosophie und Christentum. Briefe 1935 - 1964. Eingeleitet, kommentiert und hrsg. von Andreas Urs Sommer. München 2000, ISBN 3-406-46730-X.
  • Albert Schweitzer: Die Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben, in: Siegwart Horst Günther, Gerald Götting: Was heißt Ehrfurcht vor dem Leben? Begegnungen mit Albert Schweitzer, neues leben, Berlin, 2005

Siehe auch

Commons: Albert Schweitzer – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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