Mitteleuropa
Mitteleuropa oder Zentraleuropa bezeichnet eine Region in Europa zwischen Westeuropa, Osteuropa, Südosteuropa, Südeuropa und Nordeuropa. Es gibt wenig deutliche geographische Kriterien, die zur Abgrenzung herangezogen werden könnten.
Der Begriff „Mitteleuropa“ kann auch politisch, kulturhistorisch oder naturräumlich definiert werden. Die Auffassung des Begriffes Mitteleuropa unterliegt auch dem geschichtlichen und politischen Wandel. Mitteleuropa ist daher derzeit nicht eindeutig zu definieren. Seit dem Ende des Kalten Krieges kommt der Definition Mitteleuropas erneut Aufmerksamkeit zu.
Der Begriff "Kerneuropa" ist nicht identisch mit der Bezeichnung Mitteleuropa.
Geographische Abgrenzung Mitteleuropas
Bei der geographischen Abgrenzung können klimatische und naturräumliche Gegebenheiten (beispielsweise Vegetationstypen oder tektonische Erscheinungen) herangezogen werden. Die Naturwissenschaften definieren als Kriterium das ozeanische bis subkontinentale, gemäßigt warme Großklima. Eine grobe Abgrenzung Mitteleuropas ist im Westen und Nordwesten der Rhein, im Norden die Nordsee, Skagerrak, Kattegat und die Ostsee, oder die Eider, im Osten die Weichsel, im Süden die Hauptkämme der Karpaten und Alpen. Auch hier gibt es Zweifel, ob Flüsse wie die Eider oder die Weichsel ausreichen, um einen Teilkontinent zu definieren. Die geographische Einteilung ist aber unscharf. Nähme man den Rhein als Kriterium, wären Teile Deutschlands nicht Bestandteil Mitteleuropas.
Versuch einer klimatischen Abgrenzung
Im Gegensatz zu Mitteleuropa findet man in Südeuropa mediterranes Klima (gemäßigt warm bis subtropisch), in Westeuropa gemäßigt warmes euozeanisches bis ozeanisches Klima, in Nordeuropa kühl-gemäßigtes bis subboreales Klima, in Osteuropa kontinentales bis eukontinentales Klima und entsprechende Naturräume vor.
Religiöse Abgrenzung nach Osten und Südosten
Vor dem 2. Weltkrieg und noch klarer dem 1. Weltkrieg war Mitteleuropa religiös abgrenzbar. In Mitteleuropa war de facto ausschließlich die katholische und evangelische Variante des Christentums vertreten. Östlich und südöstlich prallte dieser Kulturkreis scharf gegen die russisch-orthodoxen und griechisch-orthodoxen Glaubensbekenntnisse bzw. gegen die muslimischen der bosnisch-herzegowinischen Muslime.
Kulturelle und politische Abgrenzung heute

Wenig Zweifel bestehen an der Zugehörigkeit von Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen zu Mitteleuropa. Der ehemalige Papst Johannes Paul II. soll Audienzen sogar verärgert abgebrochen haben, wenn Polen als Osteuropa bezeichnet wurde.
Spielräume bei der Einteilung gibt es aber bereits durch kulturelle Verflechtungen und Überlagerungen der Territorien:
- Belgiens und Luxemburgs, wegen der traditionellen Ausrichtung auf Frankreich: mit Westeuropa,
- Rumäniens (Siebenbürgen) und der Ukraine (Transkarpatien), die (teilweise) innerhalb des Karpatenbogens liegen: mit Südosteuropa und Osteuropa;
- Sloweniens: mit Südosteuropa und Südeuropa;
- Kroatiens: sie sind streng genommen (nördlich der Save, Teile Slawoniens und Zentralkroatien) mitteleuropäisch (gehören also zu Ostmitteleuropa), überschneiden sich aber auch mit Südosteuropa. Istrien, das Kroatische Küstenland, sowie die Küste Dalmatiens gehören zu Südosteuropa, haben aber vornehmlich mediterrane (südeuropäische) Einflüsse aufzuweisen;
Dies gilt aber auch bei der Einordnung von Regionen, die Staatsgrenzen überschreiten oder in Grenzgebieten liegen, wie
- Elsass (seit 1919 zu Frankreich gehörend)
- Südtirol (zu Italien in Südeuropa mit Einordnung der Kultur der Südtiroler zu Tirol),
- die deutschsprachigen Ostkantone Belgiens,
- Friesland (zu Deutschland und den Niederlanden in Mitteleuropa und zu Dänemark in Nordeuropa beziehungsweise Skandinavien),
- des dänischen Nordschleswig und des deutschen Südschleswig,
- die russische Exklave Oblast Kaliningrad.
Häufig sind diese Gebiete wegen vielfacher Einflüsse mehrerer Regionen nicht eindeutig zuzuordnen und werden je nach politischer Intention oder „Heimatgefühl“ zugeordnet. Heute soll die Verortung eine Landes(-teils) zu „Mitteleuropa“ gleichzeitig auch eine tatsächliche oder angestrebte Nähe oder Zugehörigkeit zur Europäischen Union verdeutlichen. Auf diese Weise wird Mitteleuropa zum Politikum erhoben. Die Unschärfe der Abgrenzung zeigt jedoch deutlich, dass die Definition relativ beliebig ist.
Im heutigen englischen Sprachraum wird häufig nur zwischen ost- und westeuropäischen Ländern unterschieden. Dabei werden die Länder Ostmitteleuropas (siehe auch: Visegrád-Länder) manchmal auch als "Central Europe" bezeichnet. Die Staaten Westmitteleuropas (Niederlande, Deutschland, Schweiz, Liechtenstein, Österreich) werden zu Westeuropa („Western Europe”) gerechnet. Diese Ost-/West-Einteilung verliert seit der EU-Osterweiterung an Bedeutung.
In Österreich wiederum ist die (empfundene) Abgrenzung eine ganz andere: dort wird Mitteleuropa oft mit den Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie gleichgesetzt. Mitunter werden zur Abgrenzung Mitteleuropas auch kulturreligiöse Kriterien herangezogen, genauer: das Überwiegen des römisch-katholischen Bekenntnisses. Diese „Grenze” würde demnach durch die etwa gleichermaßen katholisch wie protestantisch geprägten Länder Deutschland und Lettland verlaufen, nach Ost- und Südosteuropa zum orthodoxen Bekenntnis (z.B. Weißrussland, Ukraine, Rumänien, Serbien) und teilweise (vor allem Bosnien und Herzegowina) zum Islam. Eine Abgrenzung Mitteleuropas nach Westen und Süden kann mit diesem Ansatz kaum getroffen werden.
Geschichte des Begriffs Mitteleuropa
Der Begriff Mitteleuropa war zunächst ein politischer Begriff, der jedoch unterschiedlichen Zielsetzungen gedient hat. Er kam in der Mitte des 19. Jh. auf, als Constantin Frantz eine Föderation „Mitteleuropa“ aus Deutschland, Polen und Donauslawen vorschlug, um ein Gegengewicht zu den Großmächten Russland und Amerika zu schaffen. Ähnliche Ideen waren auch in der Nationalliberalen Partei verbreitet, so bei Friedrich List und Heinrich von Gagern, die ein deutsch-österreichisch geführtes Mitteleuropa von Hamburg bis Triest propagierten.
Zur selben Zeit – vor 1871 – wurde der Begriff auch in Österreich-Ungarn wichtig: als Alternative zur von vielen in Deutschland und Österreich propagierten großdeutschen Lösung, die vorsah, alle Deutschen – und nur diese – in einem Staat zusammenzufassen. In Österreich lehnte man dies mehrheitlich ab, da dies eine Zerschlagung des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarns bedeutet hätte. Die Regierung Österreichs schlug daher als Alternative die „mitteleuropäische Lösung“ der deutschen Frage vor: den Zusammenschluss Deutschlands mit ganz Österreich-Ungarn zu einem „70-Millionen-Reich“.
Tatsächlich wurde 1871 das „kleindeutsche“ bismarcksche Deutsche Reich gegründet.
Vor dem Ersten Weltkrieg verbanden sich mit der Mitteleuropa-Idee vor allem wirtschaftliche Ziele, so forderte Walther Rathenau die Schaffung einer mitteleuropäischen Zollunion. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges plante Theobald von Bethmann Hollweg in seinem Septemberprogramm die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes. 1915 veröffentlichte Friedrich Naumann sein Buch Mitteleuropa. Er schlug darin einen Staatenbund vor, in dem Deutschland eine führende – jedoch nicht beherrschende – Rolle spielen sollte. Naumanns Idee fand in Deutschland großes Echo.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor der Begriff etwas an Bedeutung, da Europa nunmehr im Kalten Krieg in West- und Osteuropa geteilt war. Entsprechend dieser dualistischen Nomenklatur wurden die westlichen Staaten Mitteleuropas zu Westeuropa gerechnet und die östlichen Staaten zu Osteuropa. Allerdings wurde der Begriff Mitteleuropa oft und gern verwendet, wenn man die Teilung Europas in die zwei Blöcke thematisieren wollte; diese Teilung verlief durch die „Mitte Europas“. Auch im Zusammenhang mit polemisierenden Slogans wie „Mitteleuropa ist ein Pulverfass“ – eine Anspielung auf den extrem hohen Bestand an Atombomben in Ost- und Westdeutschland – hatte dieser Begriff seine Bedeutung.
Erst nach Ende des Kalten Krieges kam dem Begriff wieder vermehrt Aufmerksamkeit zu; er diente nunmehr der Identitätsstiftung für die im Kalten Krieg als osteuropäisch bezeichneten Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes, insbesondere für Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei, die sich friedlich in Tschechien und die Slowakei teilte, mit dem Zerfall Jugoslawiens auch für Slowenien und Kroatien. Insofern ändert sich die politische räumliche Auffassung des Begriffes Mitteleuropa wieder zu einer größeren Ausdehnung in Richtung Osten.
Die mitteleuropäische Zeitzone
Zur mitteleuropäischen Zeit (MEZ) gehören folgende Länder:
Albanien, Andorra, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Dänemark, Deutschland, Frankreich (ohne Guyana, Réunion, Martinique und Guadeloupe), Italien, Kroatien, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Monaco, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, San Marino, Schweiz, Schweden, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien (ohne Kanarische Inseln), Tschechien, Ungarn und Vatikanstadt
Diese großzügige Einteilung hat jedoch teilweise paradoxe Folgen.
Literatur
- Mitterbauer, Helga / Balogh, András F. (Hg.): Zentraleuropa. Ein hybrider Kommunikationsraum. Wien: Praesens 2006. ISBN 978-3-7069-0372-1
Weblinks
- Uni Mainz, FB Geschichte, Osteuropa
- Aktuelle Problematik des Begriffs
- Der heimliche Traum von Europa, in: Der Tagesspiegel, 5.5.2004 (auf der Homepage des Autors)
- Krejčí, Oskar: "Geopolitics of the Central European Region. The view from Prague and Bratislava" Bratislava: Veda, 2005. 494 p. (Free download)
- Der Mitteleuropabegriff. Entwicklung und Wandel unter dem Einfluss zeitspezifischer Geisteshaltungen aus dem geoWEB Magazin - Institut für Geographie und Raumforschung