Kraftgrößenverfahren
Bei statisch bestimmten Systemen ist die Berechnung der Auflagerkräfte und Schnittgrößen allein aus den Gleichgewichtsbedingungen möglich (die Anzahl der Unbekannten (Auflagerreaktionen) entspricht der Anzahl der Gleichgewichtsbedingungen (Summe Vertikalkräfte, Summe Horizontalkräfte, Summe der Momente um beliebigen Pol).
Statisch unbestimmte Systeme sind dadurch gekennzeichnet, dass es mindestens eine Auflagerbindung mehr gibt, als Gleichgewichtsbedingungen zur Verfügung stehen (Die Freiheitsgrade des Systems sind kleiner gleich minus 1).
Das Kraftgrößenverfahren ist ein allgemeines Rechenverfahren der Bauinformatik, zur Berrechnung von statisch unbestimmten Systemen, das bei überschaubaren Systemen auch 'Handrechnungen' zulässt. Ein Taschenrechner (matrixtauglich) und Schreibmaterial genügen zur Lösung oder Plausibilitätskontrolle vorhandener Lösungen.
Die Vorgehensweise ist:
- das Tragwerk wird durch Entfernen von Bindungen in ein statisch bestimmtes Hauptsystem überführt (innere: Einfügen von (gedachten) Gelenken (häufig Momentengelenk, aber auch Querkraft- und Normalkraftgelenk), äussere: Lösen einzelner oder mehrerer Auflagerbindungen).
- Hierbei ist unbedingt darauf zu achten, dass man kein kinematisches System erzeugt, denn am kinematischen System kann nicht gerechnet werden (das im nächsten Schritt zu bildende Gleichungssystem wird unlösbar infolge Determinante =!= 0), und ein kinematisches System ist auch nicht brauchbar. Auf die Abzählformel f=3p-(a+z) ist hier kein Verlass, da sehr wohl auch kinematische Systeme diese Formel zu Null erfüllen können. Die Unverschieblichkeit muss entweder aus dem Erkennen vom Grundtragwerken (Balken auf 2 Stützen, ggf. mit Auskragung; Schleppträger; Dreigelenkrahmen) und/oder Aufbauprinzipien (1. und 2. Bildungsgesetz für Fachwerke), oder über einen Widerspruch bei der Konstruktion der Verschiebungfigur (Polplan) hergeleitet werden.
- Vorteilhaft für die Rechnung ist auch, wenn das erzeugte Hauptsystem dem Ausgangssystem im Tragverhalten möglichst ähnlich ist (also bspw. nicht aus einem Durchlaufträger mit fünf Feldern durch Wegnahme der innenliegenden vier Lager einen Balken auf zwei Stützen machen, sondern durch Einfügen von Gelenken über den innenliegenden Lagern einen Balken auf zwei Stützen mit anhängenden vier Schleppträgern).
- Durch die Wegnahme von Bindungen wird die Verträglichkeit verletzt, dass bedeutet im Hauptsystem stellen sich Verformungen ein, die im Ausgangssystem unmöglich sind. Um diesen Widerspruch zu lösen, wird für jede gelöste Bindung eine sog. Kraftgröße eingeführt. Diese Kraftgröße muss die am Hauptsystem errechnete Verformung gerade zurückführen, damit die Verträglichkeit wieder hergestellt wird. Im Prinzip wird also für jede überzählige Bindung eine Verformungsbedingung formuliert, um daraus die Bindungskraft zu gewinnen (lineares Gleichungssystem mit Kraftgröße(n) als Unbekannte).
- Sind die Kraftgrössen gefunden (lin. Gleichungssystem gelöst), kann das ganze Tragwerk mittels Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden!