Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt

Der als Hitler-Stalin-Pakt bekannte Vertrag war ein auf zehn Jahre befristeter deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt, der am 24. August 1939 (datiert auf den 23. August 1939) in Moskau von dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop und dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow unterzeichnet wurde. In anderen Sprachen als dem Deutschen werden daher zumeist auch Variationen der Bezeichnung „Molotow-Ribbentrop-Pakt“ verwendet. Die Unterzeichnung erfolgte in Gegenwart Stalins und des deutschen Botschafters Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg .
Vorgeschichte
Als Deutschland am 15. März 1939 - unter Bruch des Münchner Abkommens von 1938 - die Tschechoslowakei besetzte, war klar, dass die bisherige sowjetische Politik der Kollektiven Sicherheit gescheitert war. Der Versuch, eine Konferenz der Großmächte und der osteuropäischen Staaten in Bukarest einzuberufen, scheiterte jedoch an der polnischen Weigerung zur Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Anstelle einer Konferenz trat ein bilateraler Beistandspakt zwischen Polen und Großbritannien, der am 6. April 1939 unterzeichnet wurde. Im Zuge der weiteren Verschlechterung der internationalen Lage wurde die britische Garantie, der sich auch Frankreich anschloss, auf Rumänien, Griechenland und die Türkei ausgeweitet, die ein weiteres Vordringen Deutschlands und Italiens in Osteuropa befürchteten. Den Garantien für die osteuropäischen Staaten folgte am 14. April 1939 ein formelles Bündnisangebot Frankreichs an die Sowjetunion, für den Fall eines deutschen Angriffs auf Polen oder Rumänien. Während die Sowjetunion ihrerseits ein Dreier-Bündnis zwischen mit Frankreich und Großbritannien anregte, führte sie gleichzeitig Geheimgespräche mit Deutschland. Da Großbritannien den weitergehenden sowjetischen Vorschlag ablehnte und Frankreich sich der britischen Haltung anschloss, wurde in Moskau die Politik Litwinows als gescheitert angesehen, die darauf abgezielt hatte, die antirevisionistischen Mächte in Westeuropas zum Erhalt des status quo zu verpflichten. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis folgte die Entlassung Litwinows und die Ernennung des bisherigen Vorsitzenden des Rats der Volksbeaufragten, W. M. Molotow zu seinem Nachfolger.
Nach langwierigen Verhandlungen kam es am 24. Juli 1939 in Moskau zur Unterzeichnung eines Entwurfs über ein Abkommen, dass einen Kompromiss zwischen der Haltung der Westmächte, die ein Garantieabkommen wünschten, und dem von der Sowjetunion angestrebten Defensivbündnis darstellte. Gleichzeitig hatte Deutschland mit Estland und Lettland Nichtangriffspakte geschlossen, die beide in den Gültigkeitsbereich des Moskauer Abkommens fielen. Großbritannien, das eine Ausweitung des sowjetischen Einflußbereichs im Ostseeraum fürchtete, zog sich daraufhin von den Verhandlungen zurück. Der britische Rückzug bot der Sowjetunion Anlass, die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Deutschland zu verkünden, in denen es auch um die „lebenswichtigen politischen Interessen“ beider Staaten gehen sollte. Deutschland ließ dabei durchblicken, dass es eine sowjetische Vormachtstellung im Baltikum anerkennen würde. Durch die deutsch-sowjetische Annäherung aufgeschreckt versuchten die Westmächte einen raschen Vertragsabschluss zu erreichen, jedoch gelangten die britischen und französischen Delegationen erst am 11. August 1939 nach Moskau. Obwohl innerhalb weniger Tage ein Vorschlag ausgearbeitet wurde, dem alle Seiten zustimmen konnten, scheiterten die Verhandlungen letztlich am Widerstand Polens, im Kriegsfall sowjetische Truppen auf sein Territorium zu lassen. Die polnische Weigerung und die britische Haltung, nicht ohne Einwilligung Warschaus dem Vertrag zuzustimmen, ermöglichten es der Sowjetunion, die inzwischen mit Deutschland zu einer weitgehenden Einigung gelangt war, das Scheitern der Verhandlungen den Westmächten zuzuschieben.
Am 14. August nahm Ribbentrop die Einladung, nach Moskau zu kommen, an und bot wenige Tage später an, einen Nichtangriffspakt auf 25 Jahre abzuschliessen und auf die japanische Regierung einzuwirken, um eine Konsolidierung des Verhältnisses zur Sowjetunion zu erreichen. In seiner Antwort am 17. August 1939 ließ Molotow anklingen, dass im Gegenzug für ein deutsch-sowjetisches Kreditabkommen, eine Übereinkunft über die Interessen der beiden Parteien vertraglich festgelegt werden könne. Da sich die deutsch-polnische Krise bereits dramatisch zugespitzt hatte, drängte Rippentrop auf einen schnellen Vertragsabschluss, indem er der sowjetischen Position weitgehend entgegenkam. Der Unterzeichnung des seit Anfang 1938 verhandelten Kreditabkommens in Berlin am 19. August 1939, das einen Wechselkredit in Höhe von 200 Millionen Reichsmark auf sieben Jahre im Gegenzug für Rohstofflieferung in Höhe von 180 Millionen Reichsmark innerhalb von zwei Jahren festlegte, folgte die Ankündigung der Reise Rippentrops nach Moskau und der Unterzeichnung eines deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes am 21. August 1939.
Entgegen der landläufigen Meinung kam der Aufruf zum Nichtangriffspakt von der sowjetischen Seite her, so Werner Maser. Am 20. August 1939 überreichte Molotow dem deutschen Botschafter in Moskau den Entwurf des Paktes, der schon ein geheimes Zusatzprotokoll vorsah. Ein Telegramm Hitlers akzeptierte den Entwurf und das Zusatzprotokoll.[1](Maser 1994: 35f)
Andreas Hillgruber stellt zu dem am 24. August 1939 (datiert auf den 23. August) unterzeichneten Abkommen fest:
„Dieses Vertragswerk stellte für die Beziehungen der Sowjetunion zu Deutschland wie für die internationale Politik eine einschneidende Wendung dar, von der der Verlauf des europäischen Krieges in den nächsten eineinhalb Jahren wesentlich mitgeprägte wurde. Für die Sowjetunion brachte der Paktabschluß mit Deutschland vor allem größere Bewegungsfreiheit und erhöhte strategische Sicherheit. In einem europäischen Krieg, mit dem bei Fortsetzung der Expansionspolitik Hitlers gerechnet werden mußte, würden sich nun Deutschland und die Westmächte gegenüberstehen. Moskau würde in der Hinterhand bleiben. Die Drohung eines Zweifrontenkrieges war entfallen. Nach Lage der Dinge mußte das nunmehr isolierte Inselreich sogar ein Arrangement mit der Sowjetunion suchen. Das Gewicht in der Weltpolitik mußte in dem Maße wachsen, in dem sich die Energien der übrigen europäischen Großmächte in dem von Stalin − wie er Ribbentrop gegenüber am 23. August 1939 offen aussprach − einkalkulierten langen Krieg gegenseitig lähmten. An einer raschen Niederlage Deutschlands hatte Stalin kein Interesse, da sich dann der Einflußbereich der Westmächte wieder bis nach Ostmitteleuropa vorgeschoben hätte. Den sowjetischen Standpunkt faßte er in einer zur Veröffentlichung durch den Reichsaußenminister bestimmten Fassung am 19. Oktober in der Formel zusammen, daß die Sowjetunion „an der Existenz eines starken Deutschlands interessiert ist. Daher kann sich die Sowjetunion nicht damit einverstanden erklären, daß die Westmächte Bedingungen schaffen, die Deutschland schwächen und in eine schwierige Lage bringen könnte.“ (ADAP D. Bd. 8, Dok. 280.)“
Der am 23. August 1939 geschlossene Deutsch-Sowjetische Nicht-Angriffspakt führte in seiner Konsequenz zur Unterzeichnung des Britisch-Polnischen-Beistandspaktes am 25. August 1939. Die Mehrheit der britischen Politiker war für einen Britisch-Sowjetischen-Nichtangriffspakt, man versäumte es jedoch einen solchen Pakt zu erzielen. Für Großbritannien war es wichtig einen Verbündeten im Osten zu haben. Da die Sowjetunion nun als Verbündeter „ausgeschieden“ war entschied man sich Polen als Verbündeten zu wählen. Für Polen, dass sich nun von zwei Seiten bedroht sah, erschien ein Verbündeter im Westen als eine gewisse Sicherheitsgarantie. Norman Davies schreibt hierzu „Der britisch-polnische Beistandspakt [...] kam vor allem deswegen zustande, weil Großbritannien und Frankreich es versäumt hatten, ein Bündnis von Stalin mit Hitler zu verhindern. Er wurde in aller Eile als Reaktion auf den nur zwei Tage zuvor, am 23.August, abgeschlossenen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt unterzeichnet...“[2]
Inhalt
Der Pakt sah neben den Nichtangriffsklauseln auch die gegenseitige Neutralität im Kriegsfalle der anderen Partei vor.
In einem geheimen Zusatzprotokoll legten die Länder die Aufteilung Nordost- und Südosteuropas in „Interessensphären“ für den Fall fest, dass es zu einer „territorial-politischen Umgestaltung“ Osteuropas kommen sollte. Die vier Punkte des Zusatzprotokolls sahen dabei Folgendes vor:
- Bei den baltischen Staaten (zu denen auch Finnland gerechnet wurde) sollten diese „Interessenssphären“ durch die Nordgrenze Litauens abgrenzt werden, das heißt Lettland, Estland und Finnland sollten im sowjetischen Einflussbereich liegen, Litauen hingegen im deutschen. Die deutsche Erklärung, kein Interesse an den anderen baltischen Staaten zu haben, implizierte dabei einen Kurswechsel um 180 Grad.
- Polen sollte längs der Flüsse Narew, Weichsel und San geteilt werden. Die beiden Vertragspartner verständigten sich darauf, dass die Frage „ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre“ erst „im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden“ könne.
- Derweil die Sowjetunion ihr Interesse an Bessarabien (heute Moldawien und Ukraine) bekundete, betonte die Reichsregierung „das völlige politische Desinteresse an diesen Gebieten.“
- Das Zusatzprotokoll sollte von beiden vertragsschließenden Parteien „streng geheim behandelt werden“.
Das überraschend schnelle Vordringen der Wehrmacht nach dem deutschen Angriff auf den Westen Polens vom 1. September 1939 sowie der sowjetische Einmarsch im Osten Polens am 17. September 1939 machten am 28. September 1939 (dem Tag an dem Warschau gegenüber den Deutschen kapitulierte) Zusatzvereinbarungen zum Hitler-Stalin-Pakt notwendig, um eine Interessenkollision zu vermeiden.
Diese Vereinbarungen wurden in drei geheimen Zusatzprotokollen zu einem Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag festgelegt. Dabei wurde auch Litauen der sowjetischen Interessenssphäre zugeteilt; im Gegenzug erhielten die Deutschen „die Woywodschaft Lublin und Teile der Woywodschaft Warschau“. Dies korrigierte die Tatsache, dass aufgrund der großen Eile bei den Verhandlungen zum Hitler-Stalin-Pakt der Fluss Pissa bei der Definition der Teilungslinie vergessen worden war („Geheimes Zusatzprotokoll“ I vom 28. September 1939). Die Vertragsparteien verpflichteten sich des Weiteren darauf, in den beiden Teilen des besetzten Polens „keine polnische Agitation [zu] dulden, die auf die Gebiete des anderen Teiles hinüberwirkt.“ („Geheimes Zusatzprotokoll“ II vom 28. September 1939). Außerdem wurde vereinbart, dass die deutschen Bevölkerungsgruppen aus der sowjetischen Interessensphäre „sofern sie den Wunsch haben“ nach Deutschland umgesiedelt werden dürften und dass die dafür Beauftragten der Reichsregierung diese Umsiedlung unter Billigung der Sowjets mit den „zuständigen örtlichen Behörden“ arrangieren würden. Ohne dass die Bevölkerungsgruppen spezifiziert wurden, bezog sich dies vor allem auf Bessarabiendeutsche, Deutsch-Balten und Bukowinadeutsche. Eine sinngemäße Verpflichtung übernahm die Reichsregierung für die in „ihren Interessengebieten ansässigen Personen ukrainischer oder weißrussischer Abstammung“ („Vertrauliches Protokoll“ vom 28. September 1939).
In der Literatur werden Bestimmungen der Zusatzprotokolle des Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 28. September häufig fälschlich als Bestimmungen des ursprünglichen Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August ausgewiesen. Dies gilt insbesondere für die Zuordnung Litauens zur sowjetischen Einflusssphäre und für die de facto vereinbarten Zwangsumsiedlungen.
Ziele
Ein späterer Krieg gegen die Sowjetunion war von Hitler bereits beschlossene Sache (Ziel des „Lebensraums“), der Pakt diente dem Dritten Reich dazu, Polen ungestört zu erobern und eine bessere Ausgangslage für den Krieg gegen die Sowjetunion zu erlangen. Wichtig war die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auch aus wirtschaftlicher Sicht, nämlich zur Erlangung von Rohstoffen.
Stalin wollte ebenfalls Land erobern und nahm einen Krieg zwischen Deutschland und den Westmächten gerne in Kauf. Seine Absicht war es, die „imperialistischen“ Mächte gegeneinander auszuspielen und am Ende auch Westeuropa erobern zu können. Daher war er sehr schockiert, dass Deutschland im Jahre 1940 unerwartet schnell Frankreich und weitere Länder besetzen konnte. Danach bemühte er sich, mit pünktlichen Lieferungen und Hinnahmen von Paktverletzungen von Hitlers Seite (z.B. deutsche Einmischung in die finnischen Verhältnisse) sich Ruhe zu erkaufen. Man könnte darin die sowjetische Variante der Appeasement-Politik sehen. Lange hat man als das wichtigste Motiv der Kurswechsel Stalins die annehmende Furcht vor einer deutschen Aggression gesehen, was auch von der kommunistischen Propaganda wiederholt wurde. Im letzten Jahrzehnte haben viele Historiker gegen frühere Behauptungen, einschließend der Meinungen über den Pakt, argumentiert. Laut Maser ist die Behauptung, dass „die Sowjetunion zu der Zeit von Hitler bedroht worden sei, wie Stalin mutmaßte,... eine Legende, zu deren Urhebern Stalin selbst gehörte“ (Maser 1994: 64). Maser zufolge (1994: 42) konnte die Tatsache, dass zur Zeit „weder Deutschland noch Japan in der Lage waren, auch nur mit geringster Aussicht auf Erfolg, die UdSSR anzugreifen“ nicht dem Stalin verborgen gewesen sein. (Laut in der früheren Geschichtsschreibung oft wiederholten Hypothese hätte der Pakt (z.B A.J.P Taylor zufolge) den Vorstoß Deutschlands falls eines Krieges einbeschränkt. [3] E. Carr zufolge habe der Pakt der UdSSR „einen Atmenraum der Immunität vor deutschem Angriff“ und eine „Verteidigungslinie gegen einen potenziellen deutschen Angriff“ versichert.[4])
Folgen
Der Pakt löste bei den Kommunisten (und auch in anderen Kreisen von Gesellschaft und Politik) in Westeuropa einen großen Schock und Verunsicherung aus, da es sich schließlich um eine Kehrtwende der sowjetischen Politik um 180 Grad handelte. Allerdings wurde von vielen durchaus geglaubt, mit dem Pakt würde der Frieden in Europa gesichert werden – das geheime Zusatzprotokoll war schließlich zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich gemacht worden. In Wirklichkeit war der Pakt geradezu der Startschuss zum Zweiten Weltkrieg, da Hitler sich des sowjetischen Stillhaltens nach dem Angriff auf Polen gewiss war. England und Frankreich bekräftigten kurz vor Kriegsausbruch wiederholt ihre Absicht, Polen im Falle eines deutschen Angriffs durch einen Kriegseintritt zu unterstützen.

Das Resultat des Paktes war, dass nach der vollständigen Eroberung Polens ungefähr 4 Wochen nach dem Angriff Anfang September (Warschau war bereits am 9. September eingeschlossen) die Deutschen und die Sowjets ihre Grenzen verschieben konnten. Allerdings war die deutsch-sowjetische Demarkationslinie durch eine weitere Vereinbarung vom 28. September 1939 dahingehend abgeändert worden, dass nunmehr auch Litauen in den sowjetischen Interessenbereich fallen sollte, während dafür die Grenze in Polen zu Gunsten von Deutschland von der Weichsel nach Osten an den Bug verschoben wurde. Die neue Westgrenze der Sowjetunion blieb auch nach 1945 erhalten und ist auch heute noch die polnische Ostgrenze.
Als weitere Folge des Paktes stellte die Sowjetunion am 26. Juni 1940 an Rumänien ein zweitägiges Ultimatum zur Räumung von Bessarabien. Danach setzte die Rote Armee über den Dnister und marschierte nach Westen, um die rumänische Provinz Bessarabien und den Nordteil der Bukowina (heute Teil der Ukraine) zu besetzen und wenige Monate später zu annektieren. Auch die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wurden 1940 besetzt und der Sowjetunion einverleibt.
Der sowjetische Überfall auf Finnland (Winterkrieg) war ebenfalls eine direkte Folge des Paktes, da Stalin keinerlei Hilfeleistungen oder gar militärische Operationen von deutscher Seite befürchten musste.
Die russische Neutralität und Warenlieferungen waren eine wesentliche Voraussetzung für Hitlers erfolgreiche Westfeldzüge im Jahr 1940.
Am 22. Juni 1941 brach Hitler den Pakt mit dem Angriff auf die Sowjetunion (Unternehmen Barbarossa).
Die Sowjetunion hat in der Folge stets die Existenz des geheimen Zusatzprotokolls (wegen der darin offenbarten Annexionspläne Stalins) geleugnet, um international – vor allem aber in Osteuropa – ihren Ruf als Befreier und Friedenswahrer aufrechterhalten zu können. Erst im Jahre 1989 wurde der Inhalt der Originaldokumente öffentlich gemacht.
Wirtschaftliche Aspekte
Für das deutsche Reich waren die Rohstofflieferungen aus der Sowjetunion äußerst wichtig, und die Sowjetunion hat ihre diesbezüglichen vertraglichen Verpflichtungen peinlich genau eingehalten. Noch im Frühjahr 1941 wurde der Vertrag erweitert. Die richtige Deutung des sowjetischen Geheimdienstes über die bevorstehende Invasion (Deutsche Handelsschiffe verließen am 20. Juni 1941 sowjetische Häfen, obwohl sie nicht vollständig beladen waren.) wurden von Stalin ignoriert. Bei ihrem Einmarsch in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begegneten die deutschen Truppen sowjetischen Zügen mit Warenlieferungen, welche nach Deutschland exportiert werden sollten.
Stalins Rolle
Stalin ist für den Abschluss dieses Vertrags heftig kritisiert worden, hatte allerdings für seine Entscheidung Gründe, welche zutreffend waren.
- In der Sudetenkrise 1938 wurde die Sowjetunion vom Westen völlig ignoriert, obwohl sie am System der kollektiven Sicherheit teilnahm und ihre Bereitschaft bekundet hatte, der Tschechoslowakei beizustehen. Zu der Internationalen Konferenz in München wurde die Sowjetunion ebenfalls nicht eingeladen.
- Stalin überdachte danach seine Rolle neu. Seine geheime Furcht war, dass München grünes Licht für Hitlers Eroberung Russlands war. Als Resultat dieser Revision hielt er im März 1939 auf dem XVIII. Parteitag die Kastanienrede, in der er offiziell am Bündnis mit dem Westen festhielt, aber einen Hinweis einbaute, dass er auch mit Hitler bündnisfähig wäre. In Berlin wurde dieser Hinweis verstanden, aber auch in den übrigen westlichen Hauptstädten.
- Seit März 1939 liefen zwischen Moskau und Berlin geheime Verhandlungen, bei denen es offiziell um Handelsbeziehungen ging.
- Mit der zunehmender Krise um Polen bot Stalin erneut seine Bereitschaft an, gemeinsam mit dem Westen eine Allianz gegen Hitler zu bilden. Nach langem Zögern schickten die Westmächte eine Delegation relativ niedrigrangiger Militärs nach Moskau; der Wunsch der Sowjetunion, auf Ministerebene zu verhandeln, wurde abgelehnt. Obwohl die Zeit drängte, reiste die Delegation mit dem Schiff an, was einen erneuten Affront gegen Stalin darstellte, da Chamberlain bei den vorangegangenen Verhandlungen mit Hitler ein Flugzeug als Transportmittel benutzt hatte. Während die sowjetische Delegation vom Volkskommisar für Verteidigung Woroschilow geleitet wurde, schickte die britische Regierung einen Admiral, welcher über keine Kenntnisse der Landkriegsführung verfügte und außerdem keine Verhandlungsvollmachten hatte. Auch auf die entscheidende Frage, wie die Sowjetunion Polen Beistand leisten sollte, wenn die sowjetischen Truppen von der polnischen Regierung keine Durchmarscherlaubnis durch das Land erhalten würden, war diese Delegation nicht vorbereitet.
- Im Gegensatz zu Hitler war der Westen nicht bereit gewesen, mit Stalin über die territoriale Neuordnung Ost- und Südosteuropas zu verhandeln.
- Nachdem mit dem Westen keine konkreten Ergebnisse zu erzielen waren, entschloss sich Stalin, die westliche Delegation nach Hause zu schicken und den Pakt mit Hitler abzuschließen.
- Was für Stalin sicherlich auch eine Rolle spielte, war die Erinnerung an die Niederlage der Sowjetunion 1921 vor Warschau, für die Trotzki ihn verantwortlich gemacht hatte und nach der Polen Teile Weißrusslands und der Ukraine okkupiert hatte.
Nach 1941
Obwohl Stalin nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion mit dem Westen verbündet war, der ja zur Verteidigung Polens in den Krieg gezogen war, war er fest entschlossen, seine Beute aus dem Pakt mit Hitler zu behalten. So weigerte er sich z. B. strikt, die polnische Exilregierung in London anzuerkennen. Unter dem Druck der Ereignisse gestanden die Westmächte schließlich – wenn auch murrend – Stalin seine Beute, nämlich Osteuropa, zu.
Rückblick
Stalin hatte den Pakt mit Hitler in Betracht gezogen, weil er, wie er in seiner bekannten Rede vom März 1939 sagte, nicht für die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen wollte. Letztlich bewirkte er aber mit der Wendung zu Hitler genau das, was er unbedingt vermeiden wollte. Ohne die freie Hand im Osten und die wirtschaftliche Unterstützung der Sowjetunion hätte Hitler kaum die Möglichkeit gehabt Frankreich zu besiegen und dann mit (fast) freier Hand im Westen 1941 die UdSSR mit geballter Macht anzugreifen. So war es schließlich doch die Sowjetunion, welche die Hauptlast des Krieges gegen Hitler trug und die größten Opfer bringen musste.
Fünfzig Jahre lang leugnete die Sowjetunion die Existenz der Zusatzprotokolle. Erst 1989 setzte Michail Gorbatschow einen Untersuchungsausschuss unter der Leitung seines Vertrauten Alexander Jakowlew ein, der zum Schluss kam, diese Dokumente gäbe es. Am 24. Dezember 1989 erklärte der Volksdeputiertenkongress der UdSSR den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt und seine Zusatzprotokolle für nichtig.
Quellen
- Werner Maser Der Wortbruch: Hitler, Stalin und der Zweite Weltkrieg. München: Olzog 1994.
- ↑ Dass die Idee des geheimen Zusatzprotokolles, das völkerrechtwidrig Osteuropa auf teilte, von den Sowjeten ausgang, erweist sich auch aus dem Telegramm, in dem Hitler „das von der Regierung der Sowjetunion gewünschte Zusatsprotokoll“ hinnimmt.
- ↑ Aus; „Norman Davies, Aufstand der Verlorenen: Der Kampf um Warschau 1944“; Droemer Verlag 2004; ISBN 3426272431; Seite 45ff.
- ↑ Taylor, A.J.P., The Origins of the Second World War, London 1961, p. 262-3
- ↑ Carr, Edward H., German-Soviet Relations between the Two World Wars, 1919-1939, Oxford 1952, p. 136.
Siehe auch
Literatur
- In der kostenlosen bibliographischen Datenbank RussGUS werden zum Hitler-Stalin-Pakt mehrere hundert Publikationen nachgewiesen (Formularsuche / Sachnotationen / 12.3.4.5.2.3.2 ).
- Schwendemann, Heinrich (1993): Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion von 1939 bis 1941. Alternative zu Hitlers Ostprogramm? Berlin: Akademie-Verlag. Dissertation 1991