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Kulturkampf in Preußen und im Deutschen Reich

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Der Kulturkampf war eine Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. und dem Königreich Preußen bzw. dem kaiserlichen Deutschen Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck zwischen 1871 und 1887.

Anlass

Anlass des Kulturkampfes war erstens die Veröffentlichung eines Verzeichnisses moderner theologischer Anschauungen und Lehren durch den Papst Pius IX. im Jahre 1864, die von der Kirche abzulehnen seien (Syllabus Errorum). Dies bedeutete u.a. sowohl die Ächtung philosophischer Vorstellungen, wie die des Naturalismus, Pantheismus und Rationalismus, als auch die Ablehnung von Sozialismus, Kommunismus, Nationalismus und Liberalismus. Zweitens wurde der Papst im 1. Vatikanischen Konzil 1870, wenn er in Fragen des Glaubens und der Sitte eine Lehre „ex cathedra“ verkünde, für unfehlbar erklärt. Viele Religionslehrer protestierten gegen dieses Dogma und spalteten sich ab. Den sogenannten „Altkatholiken“ wurde deswegen von der Kirche die Lehrbefugnis entzogen. Weil die Professoren aber auch Staatsdiener waren, sah der Staat dies als Eingriff in seine Belange an.

Außerdem erlaubte die katholische Abteilung des (kirchlichen) Kultusministeriums in den polnischsprachigen Gebieten, dass in den Schulen auf Polnisch unterrichtet werde, was gegen das deutsche Staatsverständnis verstieß. Dazu sagte Bismarck:

„Seit der Einrichtung der ‚Katholischen Abteilung‘ im geistlichen Ministerium stellten die statistischen Data einen schnellen Fortschritt der polnischen Nationalität auf Kosten der deutschen in Posen und Westpreußen außer Zweifel, und in Oberschlesien wurde das bis dahin stramm preußische Element der ‚Wasserpolacken‘ polonisiert.“
„In Posen und Westpreußen waren nach Ausweis amtlicher Berichte Tausende von Deutschen und ganze Ortschaften, die in der vorigen Generation amtlich deutsch waren, durch die Einwirkung der katholischen Abteilung polnisch erzogen und amtlich ‚Polen‘ genannt worden. Nach der Kompetenz, welche der Abteilung verliehen worden war, ließ sich ohne Aufhebung derselben hierin nicht abhelfen. Diese Aufhebung war also nach meiner Überzeugung als nächstes Ziel zu erstreben.“

Dass die Bevölkerung des Reichslands Elsaß-Lothringen vorwiegend katholisch war, und die Kirche auch zum Protest gegen die Besetzung benutzte, unterstrich in Bismarcks Augen noch den staatsgefährdenden Charakter der Kirche.

Politische Repressionen

Als dann am 8. Juni 1871 die katholische Abteilung im Kultusministerium aufgelöst wurde, regte sich Widerspruch von Seiten der Zentrumspartei. Die oppositionelle Zentrumspartei war der politische Arm des Katholizismus. Bismarck, der im Sinne modernen Denkens darauf bedacht war, Staat und Kirche zu trennen, versuchte, mit repressiven Mitteln die „Reichsfeinde“ zu zerschlagen. Am 10. Dezember 1871 wurde der „Kanzelparagraph“ als § 130a in das Strafgesetzbuch aufgenommen, in dem es hieß:

„Ein Geistlicher …, welcher … die Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.“

Es kam in der Folge auch zu politisch motivierten Haftstrafen gegen katholische Geistliche wie gegen Mieczysław Halka Ledóchowski, den Erzbischof von Posen. Er wurde zur Höchststrafe von zwei Jahren verurteilt[1]. 1876 wurden in Preußen alle Bischöfe festgenommen oder ausgewiesen.

Es folgten im Jahr 1872 ein Gesetz, das den Jesuitenorden verbot und ein Gesetz, das die Übernahme der Aufsicht über alle Schulen in Preußen durch den Staat vorsah. Außerdem wurden 1872 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. In einer Reichstagsrede bekräftigte Bismarck mit dem Ausspruch „Nach Canossa gehen wir nicht!“, seine Absicht, im Konflikt mit der katholischen Kirche „keinen Fußbreit nachzugeben“. Den Höhepunkt des Kulturkampfes markierten die Maigesetze von 1873, die die staatliche Reglementierung der katholischen Kirche gewährleisten sollten. Diese sahen vor:

  • Geistliche dürfen nur nach Ablegen eines staatlichen Kulturexamens ein Amt übernehmen
  • Meldung aller Geistlichen beim Staat
  • Recht, bei staatlichem Gericht Berufung einzulegen, wenn von der Kirche mit Strafen belegt
  • Erleichterung des Kirchenaustritts

1874 wurde außerdem die Zivilehe eingeführt. Dieses Gesetz wurde im Folgejahr auf das gesamte Reichsgebiet ausgeweitet. Durch das Brotkorbgesetz von 1875 wurden der Kirche jegliche staatliche Zuwendungen entzogen. Im Mai 1875 folgte das Klostergesetz (Auflösung aller Klostergenossenschaften außer den krankenpflegerischen in Preußen). Die Gesetze verfehlten aber ihre Wirkung, denn das Zentrum ging aus den Reichstagswahlen 1874 gestärkt hervor und konnte die Zahl seiner Wähler verdoppeln.

Folgen

Am 13. Juli 1874 verübte der katholische Handwerker Eduard Franz Ludwig Kullmann wegen des Kulturkampfs ein Attentat auf Bismarck, der dabei aber nur leicht verletzt wurde.

Als Pius IX. 1878 starb, folgte ihm Leo XIII. im Amt. In direkten Verhandlungen mit der Kurie wurden die harten Gesetze gemildert. Im Sommer 1882 nahm Preußen wieder diplomatische Beziehungen zum Vatikan auf. Die 1886 und 1887 erlassenen Friedensgesetze führten schließlich zur Beilegung des Konflikts. Leo XIII. erklärte am 23. Mai 1887 öffentlich den „Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte“, für beendet.

Das Jesuitengesetz wurde erst 1917, der Kanzelparagraph erst 1953 in der Bundesrepublik aufgehoben.

Das Schulaufsichtsgesetz und das Zivilehegesetz blieben jedoch erhalten. Der Kulturkampf war damit ein wichtiger Schritt in Richtung der Modernisierung Deutschlands durch Trennung von Kirche und Staat. Mit der Weimarer Reichsverfassung bekam dann das Verhältnis von Kirche und Staat seine bis heute geltende Fassung.

Das Zentrum ging gestärkt aus der Krise hervor. Bismarck konnte seinen politischen Gegner nicht zerschlagen und war bereit, sich mit den kirchlichen Kräften zu arrangieren, nachdem er wichtige Ziele durchgesetzt hatte.

Auch die liberalen Parteien gingen gestärkt aus der Krise hervor. Es entsprach ihrer rationalistischen Ideologie, dass sie Bismarck im Kampf gegen den Katholizismus unterstützen. So kam es zu einer Annäherung der bisherigen Gegner.

In Preußen gab es im Rahmen des Kulturkampfes erstmals Repressionen gegen die polnische Minderheit, denn diese war katholisch, während die Bevölkerungsmehrheit protestantisch war.

Einige Jahre später (1903–1908) brach erneut ein Kulturkampf aus, der jedoch nur zwischen den liberalen und katholischen Studentenverbindungen ausgetragen wurde.

Andere Begriffsbedeutungen

Der Begriff „Kulturkampf“ wird seit geraumer Zeit auch in anderen Zusammenhängen verwendet, so zum Beispiel für den globalen „Kampf“ zwischen Kulturen verschiedener Länder oder Kulturkreise (etwa Samuel P. Huntington in seinem berühmten Buch Kampf der Kulturen), für einen Kampf um die „kulturelle Vorherrschaft“ innerhalb einer Gesellschaft und insbesondere um die Definitionsmacht über das Selbstverständnis und die Wertvorstellungen einer Nation (siehe Neue Rechte, Wertewandel), sowie in zahlreichen verwandten Bereichen.

Literatur

  • Karl Zuchardt: Der Kulturkampf und Bismarck. Halle (Saale): Evang. Bund, 1912, 51 S. (Flugschriften des Evangelischen Bundes; Nr 330/31)

Anmerkungen

  1. http://www.preussen-chronik.de/person.jsp?key=Person_Mieczyslaw+Graf_Halka-Ledochowski