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Bologna-Prozess

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Ende der 1990er Jahre wurde eine Initiative gestartet, das Hochschulwesen in Europa zu harmonisieren. Auf der Grundlage einer Vereinbarung des Jahres 1998 (Sorbonne-Erklärung) zwischen den Bildungsministern Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Großbritanniens erwuchs ein Jahr später die Erklärung der Bildungsminister, die von Vertretern aus 29 europäischen Ländern am 19. Juni 1999 in Bologna unterzeichnet wurde. Die Vorbereitung und Umsetzung dieser (unverbindlichen) Erklärung wird als Bologna-Prozess bezeichnet.

Ziele

Die Ziele des Bologna-Prozesses lassen sich in drei große Themen subsumieren: Die Förderung von Mobilität, von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und von Beschäftigungsfähigkeit. Dies umfasst als Unterziele unter anderem:

  • die Schaffung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, auch durch die Einführung des Diplomzusatzes
  • die Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (konsekutive Studiengänge, undergraduate/graduate, in Deutschland als Bakkalaureus/Bachelor und Magister/Master umgesetzt,
  • die Einführung eines Leistungspunktesystems, dem European Credit Transfer System (ECTS), und einer Modularisierung
  • die Förderung der Mobilität durch Beseitigung von Mobilitätshemmnissen; dies meint nicht nur räumliche Mobilität, sondern auch kulturelle Kompetenzen, Mobilität zwischen Hochschulen und Bildungsgängen oder lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen
  • Qualitätsentwicklung der Hochschulausbildung durch Fakultätsentwicklung, Akkreditierung der Studiengänge, Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätsentwicklung.
  • die Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulausbildung.
  • das lebenslange bzw. lebensbegleitende Lernen
  • die studentische Beteiligung an der Lehre (z. B. im Rahmen von Fachtutorien)
  • die Förderung der Attraktivität des europäischen Hochschulraumes
  • die Verzahnung des europäischen Hochschulraumes mit dem europäischen Forschungsraum, insbesondere durch die Eingliederung von Doktoratsstudien in den Bologna-Prozess

Ein weiteres Ziel ist die Integration der sozialen Dimension, sie wird als übergreifende Maßnahme verstanden und bildet somit keinen eigenen Schwerpunkt.

Zyklen

Eines der bekanntesten Resultate des Bologna-Prozesses ist die Definition eines Systems von drei aufeinander aufbauenden Zyklen in der Hochschulbildung. Diese Zyklen werden durch ein grobes Rahmenwerk von Qualifikationen und ECTS-Credits definiert [1].

  • 1. Zyklus: typisch 180 - 240 ECTS-Credits, meistens als Bachelor bezeichnet.
  • 2. Zyklus: typisch 90 - 120 ECTS-Credits (Minimum 60). Meistens als Master bezeichnet.
  • 3. Zyklus: Erfordert eigenständige Forschung. Meistens als Doktor bzw. PhD bezeichnet. Keine ECTS-Angabe.

Die tatsächliche Benennung der Zyklen bleibt offen. Wie die jeweiligen akademischen Grade genannt werden (Bachelor, Bakkalaureat, licence, ...), hat keinen Einfluss auf ihre Kompatibilität zum Rahmenwerk; ein "Zwang" zur Umbenennung besteht daher nicht.

Organisation

Beim Bologna-Prozess handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche Absprache zwischen den Bildungsministern von inzwischen 45 „europäischen“ Staaten. Auf den alle zwei Jahre stattfindenden Ministertreffen (2001 in Prag, 2003 in Berlin, 2005 in Bergen, 2007 in London) legen sie offiziell fest, welche Ziele im Bologna-Prozess erreicht werden sollen (z.B. höhere Mobilität, Einführung von BA/MA oder die Einrichtung von Qualitätssicherungssystemen). Gleichzeitig sind die Minister für die Umsetzung der verschiedenen Konzepte auf Länderebene verantwortlich. Unterstützt werden sie dabei von einer Arbeitsgruppe auf europäischer Ebene, der Bologna Follow-Up Group (BFUG), und nationalen Komitees, den nationalen Bologna-Gruppen.

In der BFUG arbeiten Vertreter der verschiedenen Bologna-Staaten und der Europäischen Union an konkreten Plänen für die Umsetzung der Bologna-Ziele, wobei sie von europaweiten Vereinigungen der Hochschulen (EUA, EURASHE und EI), der Studierenden (ESIB), der Wirtschaft (UNICE) und des Europarates beraten werden. Weitere Organisationen wie EURODOC, CESAER oder SEFI wirken am Bologna-Prozess mit, in dem sie Empfehlungen für einzelne Bereiche ausarbeiten. Die BFUG trifft sich mehrmals im Jahr um offene Fragen zu den Reformen zu klären und über Fortschritte zu berichten.

Die nationale Bologna-Gruppe besteht in Deutschland aus Vertretern des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Kultusministerkonferenz (KMK), des freien zusammenschlusses von studentinnenschaften (fzs), der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und des Akkreditierungsrates. Gemeinsam erarbeitet sie Lösungen zur Umsetzung der Bologna-Ziele auf Bundesebene, berichtet an die BFUG und führt Seminare zu den verschiedenen Inhalten des Bologna-Prozesses durch.

Kritik

Kritik am Bologna-Prozess wird sowohl von Seiten der Studierenden als auch der Hochschulen selbst geäußert. In Deutschland dominieren Befürchtungen, dass ein verkürztes Studium, zumindest bei Bachelor-Absolventen, zu einem geringeren Qualifikationsniveau und zu einem weniger praktischen und berufsqualifizierenden Abschluss führen werde (z.B. durch den Wegfall von Praxissemestern und Auslandsaufenthalten).

Das Studium werde so zunehmend auf rein wirtschaftliche und berufsbezogene Kriterien reduziert, das vormalige Bildungsideal mit dem Prozess aufgegeben. Auch die Tatsache, dass die neuen Studienabschlüsse in Deutschland mit den traditionellen Ausbildungspfaden der Lehre und des berufsbegleitenden Studiums an Akademien konkurrieren, bietet Anlass zur Sorge. So treten nicht wenige Bachelorabschlüsse in direkte Konkurrenz zu klassischen und etablierten beruflichen (bzw. technischen) Ausbildungsabschlüssen (so beispielsweise in pharmazeutischen Fächern und der Medizintechnik) oder lassen bisher noch keine klaren Arbeitsmarktqualifizierungen bzw. adäquate Beschäftigungsfelder erkennen (so beispielsweise im Architekturstudium oder Lehrberufen). Gerade Studentenvertreter bezweifeln daher, dass Bachelor-Studierende angemessene Beschäftigungsangebote erhalten werden und sprechen sich deutlich gegen Zugangsbeschränkung zum Master-Studium aus.

Auf Seiten der Hochschulen bedeutet die Umstellung der Studienstrukturen einen großen Arbeitsaufwand, der mit hohen Kosten verbunden ist (z.B. durch die Akkreditierung neuer Studiengänge). Kritisiert werden deshalb zum einen die fehlende Finanzausstattung für eine Umsetzung der Reformen, als auch ein Verlust an Tiefe und wissenschaftlicher Komponenten im Studium.

Ein weiteres Problem ist das Wegfallen der Rahmenprüfungsordnungen, die für zahlreiche Studiengänge galten. Zwar soll das Akkreditierungsverfahren der Studiengänge einen gewissen inhaltlichen Standard definieren, tatsächlich führt der größere Freiraum der Fachbereiche und Hochschulen jedoch zu einer unübersichtlichen Vielfalt inhaltlich recht verschiedener Studiengänge mit gleichem Namen. Der Wechsel zwischen verschiedenen Hochschulen, der als eines der Ziele des Bologna-Prozesses verstanden wurde, wird damit eher erschwert denn erleichtert.

Gerade bei Studiengängen, die mit einer staatlichen Prüfung - wie Medizin oder Rechtswissenschaft - enden, ist die Bereitschaft das Bachelor/Master-System einzuführen eher gering. Es wird dort u.a. vorgebracht, dass bereits seit Jahrzehnten die Vergleichbarkeit der qualitativ hochwertigen Abschlüsse durch hochschulexterne Prüfungen hergestellt ist.

Ein weiteres Problem stellt die Adaptierung der akademischen Grade an das neue System dar, da von vielen Seiten eine Abneigung gegen die angloamerikanischen Titel herrscht. Es besteht unter anderem die Befürchtung das diese die nationalen Titellandschaften nur verwässern und zur internationalen Vergleichbarkeit der Abschlüsse nichts beitragen würden. Diese Annahme wird dadurch begründet, dass trotz identem akademischem Grad oft die Inhalte der einzelnen Studien stark divergieren würden. Aus diesem Grund verleihen viele Universitäten und Hochschulen weiterhin die national üblichen akademischen Grade.

Fortschritte

Nichtsdestoweniger sind in vielen Bereichen bereits erhebliche Fortschritte bei der Umsetzung der Reformen erkennbar, so z.B. bei der formalen Einführung gestufter Studiengänge und des ECTS. In anderen Bereichen, vor allem bei den Qualifikationsrahmen, den Anerkennungsmethoden und der Berufsbefähigung, müssen bis zur politischen Zielmarke im Jahr 2010 noch deutliche Anstrengungen unternommen werden. Es ist deshalb schwer abzuschätzen, ob die Bologna-Ziele fristgerecht erreicht werden können. Durch die laufende Erweiterung des Bologna-Raumes wird eine Umsetzung zumindest in den neuen Mitgliedstaaten zu diesem Zeitpunkt nicht vollendet sein können. Die Mehrzahl der Experten geht davon aus, dass dort der Prozess weitere fünf bis zehn Jahre andauern wird. Eine formale Umstellung auf BA/MA-Abschlüsse ist in Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts aber zu erreichen und eine Akkreditierungsstruktur bereits jetzt verankert. Schließlich zeigen erste Studien, dass Bachelor-Absolventen schon jetzt gute Berufsangebote erhalten und von der Wirtschaft positiv aufgenommen werden.

Derzeit ist das Verfahren, das zur Akkreditierung neu geschaffener Studiengänge eingesetzt wird, in Deutschland wieder umstritten. Die Einzelakkreditierung erscheint bei der Vielzahl von Studiengängen nicht ökonomisch, da jeder Akkreditierungsvorgang umfangreiche Prüfungen von Gutachtern und Fachexperten umfasst. Daher werden Verfahren diskutiert, bei denen mehrere Studiengänge zugleich geprüft werden oder - als neueste Entwicklung - eine Hochschule durch den Nachweis funktionierender interner Qualitätssicherungsmaßnahmen nur eine kleine Stichprobe ihrer Studiengänge zur vollständigen Prüfung bringt und die Akkreditierung sich auf die Frage konzentriert, ob die Hochschule die Voraussetzungen geschaffen hat, um die Qualität und Zielorientierung der von ihr angebotenen Studiengänge entsprechend des vereinbarten Qualifikationsrahmens gewährleisten zu können. Hierzu zählen eine glaubwürdige Philosophie (Leitbild, Hochschulprofil oder vergleichbar), systematische und personell angemessen unterfütterte Verfahren zur (Lehr-)Evaluation sowie ausreichende und zielorientierte Angebote und Konzepte zur kontinuierlichen Qualitätsentwicklung ("Iteration") durch Personalentwicklung, Qualitätszirkel und interne Maßnahmenprogramme.

Ein weiterer wichtiger Punkt des Bologna-Prozess der teilweise bereits umgesetzt wird ist der der "studentischen Lehre". Dabei geht es darum, dass höhersemestrige Studierende Studienanfängern nicht nur im klassischen Sinne "Nachhilfe" geben sondern sie im Rahmen einer eigenen, selbstkonzipierten Lehrveranstaltung betreuen. Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Die vier großen Einführungsprüfungen im Bakkalaureatstudium sowie die beiden Spezialvorlesungen des Magisterstudiums werden von Fachtutorien begleitet, in denen geeignete Studierende teilweise den Stoff der Vorlesung ergänzen, teilweise mit den Tutanten praktische Projekte durchführen und aber auch ergänzende Inhalte gemeinsam erarbeiten. Dieses Projekt integriert einerseits junge Forscher bereits während des Studiums in die universitäre Lehre und gibt ihnen Einblicke in didaktisches Arbeiten im Hochschulbereich, andererseits profitieren die Studienanfänger ebenfalls von der Erfahrung sowie dem sozialen Engagement der Fachtutoren und es ermöglicht der Universität auch mit knapperen Mitteln hochwertige Übungenseinheiten bereitzustellen.

Siehe auch

Literatur

  • Jana Bektchieva: Die europäische Bildungspolitik nach Maastricht. Münster 2004, ISBN 3-8258-7077-4
  • Winfried Benz, Jürgen Kohler, Klaus Landfried (Hrsg.): Handbuch Qualität in Studium und Lehre. Evaluation nutzen - Akkreditierung sichern - Profil schärfen. Berlin 2004, ISBN 3-8183-0207-3
  • Philipp Eckardt: Der Bologna-Prozess. Entstehung, Strukturen und Ziele der europäischen Hochschulreformpolitik. Norderstedt 2005, ISBN 3-8334-4031-7
  • Werner Fiedler, Eike Hebecker: Promovieren in Europa. Strukturen, Status und Perspektiven im Bologna-Prozess. Budrich 2006, ISBN 3-8664-9026-7
  • Hans Rainer Friedrich: Neuere Entwicklungen und Perspektiven des Bologna-Prozesses. Wittenberg 2002 (HoF-Arbeitsberichte, 4’02), ISBN 3-9806-7016-3
  • Frauke Gützkow, Gunter Quaißer (Hrsg.): Jahrbuch Hochschule gestalten 2005. Denkanstöße zum Bologna-Prozess. Bielefeld 2005, ISBN 3-937026-41-x
  • Anke Hanft, Isabel Müskens (Hrsg.): Bologna und die Folgen für die Hochschule. Wiesbaden 2005, ISBN 3-9370-2633-9
  • Kertz-Welzel, Alexandra: Motivation zur Weiterbildung: Master- und Bachelor-Abschlüsse in den USA, in: Diskussion Musikpädagogik 29 (2006), S. 33-35.
  • Michael Leszczensky, Andrä Wolter (Hrsg.): Der Bologna-Prozess im Spiegel der HIS-Hochschulforschung. Hannover 2005, Kostenloser Download
  • Franziska Muche: Opening up to the Wider World. Bonn 2005, ISBN 3-9323-0667-8
  • Stefanie Schwarz-Hahn, Meike Rehburg: BACHELOR und MASTER in Deutschland. Empirische Befunde zur Studienstrukturreform. Münster [u.a.] 2004, ISBN 3-8309-1370-2

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