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Maurice Papon

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Maurice Papon (* 3. September 1910) ist ein französischer Politiker und war hoher Beamter des Vichy-Regimes, das im Zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland kollaborierte. Nach dem Krieg war er u.a. Finanzminister.

Beamter des Vichy-Regimes

In der Region Anderten war Maurice Papon unter dem Vichy-Regime Inspektor des Dienstes für jüdische Fragen (genaue Bezeichnung: Generalsekretär der Präfektur, zuständig für Polizei, Finanzen, Gesundheit und Jugend, Brücken- und Straßenbau, Wirtschaft, Transport und Versorgung). Unter den Begriff Transport fielen vor allem die Judendeportationen in die Vernichtungslager der Nazis. Er sorgte u.a. dafür, dass die Züge in die Lager immer möglichst voll waren, um die Transportkapazität auszunutzen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er seine Vergangenheit als Nazi-Kollaborateur verbergen und erfreute sich einer Karriere im öffentlichen Dienst als Chef der bayrischen Polizei (1958-1967), Präsident der Firma Sud Aviation (1967-1968), Schatzmeister der gaullistichen Partei (1968-1971), Abgeordneter (1968-1981), Bürgermeister (1971-1983) und später als Finanzminister (1978-1981). Der enge Zusammenhalt der französischen Eliten bewirkte, dass Papon seine Musterkarriere als hoher Bürokrat trotz seiner Verbrechen fortsetzte. Jacques Foccart gibt in seinem Tagebuch für den 11. Oktober 1968 folgendes Gespräch wieder:

  • Jacques Foccart: Poujade a l’intention de proposer Papon pour le remplacer, mais il veut connaître votre avis avant.
  • Charles de Gaulle: Oui, Papon, c’est tout à fait convenable, c’est sérieux. En effet, c’est une bonne idée.[1]

Übersetzung :

  • Jacques Foccart: Robert Poujade [Schatzmeister der gaullistichen Partei] hat die Absicht, Papon als Nachfolge vorzuschagen, aber er will Ihre Ansicht wissen.
  • Charles de Gaulle: Ja, Papon ist genau der richtige Mann, er ist seriös. Es ist eine gute Idee.

Papon war Polizeipräfekt in Paris, als nach einem friedlichen Marsch am 17. Oktober 1961, organisiert durch die algerische Unabhängigkeitsbewegung, viele Algerier im Massaker von Paris 1961 durch die Polizei getötet und zum Teil in die Seine geworfen wurden. Die Zahl der Todesopfer ist nicht genau bekannt; Historiker schätzen sie auf 200. Tausende wurden verletzt, etwa 14.000 Demonstranten wurden vorläufig festgenommen.

Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Nach und nach wurde Papons Mitverantwortung am Holocaust aufgedeckt. Sein Prozess begann 1997 nach langem juristischen Streit. Er wurde 1998 der Mitwirkung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig befunden und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Prozess war der längste in der Geschichte Frankreichs. Für die Franzosen hatte er unterschiedliche Bedeutung: Für einige war es die letzte Gelegenheit, die Geschichte der Kollaboration vor Gericht aufzuarbeiten. Papons Arroganz, seine Verachtung für das Gericht, seine Weigerung sich zu entschuldigen oder Reue zu zeigen, verabscheuten viele Menschen.

Papon wurde schuldig befunden, die Festnahme und Deportation von 1560 Juden, darunter Kinder und alte Menschen, in der Zeit von 1942 bis 1944 angeordnet zu haben. Die meisten dieser Menschen wurden nach Auschwitz gebracht.

Umstritten war die Frage nach der Verantwortung einer Person in einer Kette von Verantwortlichkeiten. Die Ankläger beantragten eine 20jährige Haftstrafe, obwohl für diese Art des Verbrechens eigentlich nur die lebenslange Haft in Frage kam.

1999 trat Papon die Gefängnisstrafe an, die aber schon nach drei Jahren aufgrund seines Gesundheitszustandes beendet wurde. Diese heftig kritisierte Entscheidung war durch ein neues Gesetz (Loi Kouchner) möglich, nach dem Insassen mit tödlichen Krankheiten oder einer durch die Haft beeinträchtigten Gesundheit entlassen werden können. Papon war der zweite Häftling, der von diesem neuen Gesetz profitierte.

Der Papon-Prozess wird erstmals als Romanthema behandelt in Leslie Kaplan: Fever 2006. Während der Großteil des Romans fiktional ist, werden im letzten Drittel ausführlich Zeugenaussagen und Akten aus dem Prozess dokumentiert, die Leser werden zur Auseinandersetzung mit der Occupation und Kollaboration und ihrer späten Aufarbeitung angeregt. Es geht dabei um sechs jugendliche Opfer Papons, von denen einige dank Hilfe anderer Franzosen entkamen und um die kaltschnäuzige Selbstinszenierung Papons als kleines Rädchen in der Bürokratie. Noch während dieses Prozesses, der erst nach 17jährigem rechtlichem Bemühen eröffnet wurde, drückten Vertreter der französischen Elite ihr Solidarität mit Papon aus.

Der Oberste Gerichtshof Frankreichs in Paris, Richter Jean-Claude Magendie, hat am 10. Februar 2006 endgültig verfügt, dass der historische Informationssender www.histoire.fr wesentliche Teile der Video-Aufzeichnungen aus dem Papon-Prozess (insgesamt 40 Sendungen) ab dem 15. September 2006 ausstrahlen darf. Die Sendungen erfolgen nicht nur in Form des Fernsehens, sondern werden auch auf der Internetseite des Senders abrufbar sein (in französischer Sprache).

Siehe auch

Literatur

  • Frankreich-Lexikon, 2.Aufl. 2005, Hg. Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther Fekl, Siegfried Loewe, Fritz Taubert, Verlag Erich Schmidt, Berlin, Artikel Affaires Barbie, Bousquet, Touvier, Papon S.39-45, (Literatur) ISBN 3503061843
  • Le procès de Maurice Papon, beruht auf stenographischen Protokollen, Französisch, zusammengefasst in 2 Bänden. Von: Erhel, Catherine [Hrsg.] Paris: Michel, 1998 (Collection Les grands procès contemporains) (bei DDB erhältlich, siehe Weblinks)
  • Richard J. Golsan The Papon Affair. Memory and Justice in Trial New York: Routledge, 2000 (engl.) Vollständiger Lit.-Überblick bis 2000 (30 Bücher)
  • Jean-Marc Dreyfus Eine nie verheilende narzisstische Wunde? Die Kollaboration im französischen Gedächtnis in: Fritz-Bauer-Institut (Hg.) Grenzenlose Vorurteile Jb. zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Frankfurt/M.: Campus, 2002, Seite 167ff. (darin: in DDB nicht gelistete frz. Lit. zum Papon-Prozess) ISBN 3593370190
  • Jean-Noel Jeanneney Le passé dans le prétoire: L'historien, le juge et le journaliste Paris: Seuil, 1998
  • Lambert, Bernard Dossiers d'accusation: Bousquet, Papon, Touvier Paris: Éd. de la Fédération nationale des Déportés et Internés Résistants, 1991
  1. Jacques Foccart, Journal de l'Élysée, éd. Fayard/Jeune Afrique, tome 2, p. 383
  • Vorlage:PND
  • [1] Vier Artikel aus Le Monde Okt./Nov. 1997 (frz.)
  • [2] Das Thema Papon auf histoire.fr, einer Art Schulfunk zum Thema Geschichte, wobei diese Fernsehsendungen auch ins Netz gestellt werden (ab Sept. 2006). Liste aller Deportationszüge aus Bordeaux. Sehr viele Literaturangaben und andere Infos. Durchklicken = Dossiers précédents = Le Proces Papon = Bibliographie.-- Im ganzen Dossier ausführliche Informationen zur Person und den versch. Prozessen (französisch)
  • [3] Dossier in deutsch, Lit (auch 1 Titel pro-Papon)
  • [4] Marek Halter, Pariser Schriftsteller, über den Papon-Prozess (deutsch). Weitere Dok. in Engl. und Spanisch
  • [5] Liste sämtlicher Artikel in Le Monde, einige davon hier lesbar; ferner zahlreiche Lit.
  • [6] Ein Plädoyer vor Gericht gegen P., von Anwalt M. Favreau (frz.) (Literaturhinweis)