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Moderne

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Der Begriff Moderne bezeichnet einen Umbruch in allen Bereichen des individuellen, gesellschaftlichen und politischen Lebens gegenüber der Tradition. Heute wird dieser Terminus überwiegend mit den Entwicklungen des 18. und 19. Jahrhunderts in Verbindung gebracht: Geistesgeschichtlich mit der Aufklärung, politisch mit der Französischen Revolution, ökonomisch mit der Industrialisierung. In der Kunstgeschichte gilt insbesondere das frühe 20. Jahrhundert als die klassische Moderne.

Zur Wortgeschichte

Bernhard von Chartres (genannt Sylvestris, 1080–1167) gebraucht den Terminus „modern“ in einem historischen Gleichnis der „modernie“ als Zwerge:

Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen. Wir können weiter sehen als unsere Ahnen und in dem Maß ist unser Wissen größer als das ihrige und doch wären wir nichts, würde uns die Summe ihres Wissens nicht den Weg weisen.

Das lateinische Wort modernus (neu; neuzeitlich; gegenwärtig) stammt vom lateinischen Adverb modo (eben; eben erst). Später entlehnt aus dem Französischen (moderne und moderniser), erscheint es im Deutschen als Fremdwort seit 1727 in der Bedeutung von „neu“, als Gegensatz zu alt, antik usw. Modernité wird als Substantiv erstmals 1849 von Chateaubriand verwendet (in einem abwertenden Sinne) und 1859 maßgeblich von Baudelaire aufgegriffen. Im Deutschen verwendet erstmals Eugen Wolff 1887 den Ausdruck „die Moderne“ auf die Kunst bezogen.

Heute wird das Adjektiv "modern" umgangssprachlich häufig statt in der o.g. Bedeutung verfälschend synonym zu "modisch", also im Sinne von "der Mode entsprechend" verwandt.

Anfang der Moderne

Der Begriff der Moderne geht tendenziell weit über einen Epochenbegriff - wie etwa den des Mittelalters - hinaus. Das historische Einsetzen der Moderne ist dabei stets eine Frage theoretischer Interessen und Grundlagen. Bezeichnender Ausdruck dafür ist eine schwer eindämmbare Rückdatierung.

Aus einer allerdings beschränkten, da eurozentristischen Sicht verschiebt sich das Einsetzen der Moderne mit jeweils guten Gründen rückwärts: Vom Zusammenbruch des Sozialismus und einem „Ende der Geschichte“ über die Erschütterungen durch den ersten Weltkrieg, die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, die Neuzeit mit der Reformation und der Entdeckung Amerikas, über das Imperium Roms zurück bis zur attischen Demokratie und zur Bildung des Staatswesens überhaupt bzw. zum Zusammenbruch frühester Staatswesen.

Erik Hornung schreibt über den Zusammenbruch des Alten Reichs in Ägypten:

Als Antwort auf die tiefen Erschütterungen der Ersten Zwischenzeit [2180 - 1987 v.Chr.] finden wir zunächst Klagedichtung. Sie entspringt dem Bemühen, eine wirre, aus den Fugen geratene Zeit durch stilisierte Klage zu bewältigen ... Von jetzt an werden die Formeln von Untergang und Neugestaltung zum festen Bestand der Literatur. … Die Folgen [des Umbruchs] werden aufrüttelnd bis ins Detail beschrieben, wobei man schon damals Überfremdung, Lärm, Baumsterben und Nahrungsmangel beklagt. Die einstmals Vornehmen sind im Elend, die Armen prunken in neuem Reichtum … und die ganze Menschheit ist (Zitat): Wie eine verirrte Herde, die keinen Hirten hat.

Nähere Bestimmungen

Die Reflexion auf die Erschütterung traditioneller Werte bildet aber weitgehend den Kern aller Theorien zur Moderne. Ausnahmen bilden etwa Konzepte, nach denen Traditionswandel fester Bestand aller menschlichen Entwicklung sei, oder, die die Entwicklung als solche nicht anerkennen. Charakteristisch für den Begriff der Moderne, insbesondere im Unterschied zur Postmoderne, ist zudem die Ersetzung der Tradition durch neue „Versprechen“, die einen geänderten, aber erneut gefestigten Wertekatalog oder Bezugsrahmen vorgeben. Aus dieser Sicht erscheint eine Umwälzung der Tradition zur Moderne als Mythos.

Literaturwissenschaftliche Betrachtung

Dies spiegelt sich auch in der literarischen Moderne zum Ende des 19. Jahrhunderts, wobei das Experimentieren mit neuen literarischen Techniken im Vordergrund steht. So ist die freie indirekte Rede und eine fragmentierte Weltsicht sowie die Relativierung von Ansichten ein Kennzeichen in modernistischen Romanen. Weiterhin sind Subjektivierung und Psychologisierung der Wirklichkeitserfahrung, das Zurücktreten der vermittelnden Erzählinstanz, der Verzicht auf einen kohärenten Plot, ästhetische Selbstreflexivität und die Wiedergabe subjektiver Wahrnehmungs- und Bewusstseinsvorgänge kennzeichnend. Dabei ist die Raum- und Figurendarstellung oft perspektivisch durchbrochen und die Ereignischronologie wird dem subjektiven Zeitempfinden untergeordnet. Nicht wenige Ansätze verlegen den Beginn der literarischen Moderne in den Zeitraum der Romantik, da diese bereits frühmoderne Anzeichen vorwegnimmt: Absage an die tradierte Poetik der Antike, ein neues Künstler-Kunstwerk-Verhältnis etc. Allerdings wird das Substantiv der "Moderne" sowie ein allgemeines Moderne-Empfinden tatsächlich erst um 1890 semantisch virulent.

Kunstgeschichtliche Betrachtung

Kunsthistorisch betrachtet ist sie die Epoche, die im 20. Jahrhundert mit den revolutionären Werken der Expressionisten und Avantgardisten in Europa, zunächst in der Malerei, Bildhauerei, der Neuen Musik und mit Theateraufführungen ihren Höhepunkt fand, und deren Ende in (zunächst West-)Europa durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten (vgl. entartete Kunst, entartete Musik) in Deutschland erzwungen wurde. Viele der verfolgten Protagonisten flohen zunächst nach Frankreich, später in die Vereinigten Staaten und nach Israel, wo die weitaus meisten architektonischen (Spät-)Werke der Moderne entstanden.

Im Bereich der Bildenden Künste bezeichnet der Begriff „Klassische Moderne“ die Vielfalt heute noch als bahnbrechend angesehener, heterogener Stilrichtungen in den Bildenden Künsten. Maler wie beispielsweise Pablo Picasso, Franz Marc, Henri Matisse, Georges Braque, Piet Mondrian, Marc Chagall, Elfriede Lohse-Wächtler und Wassily Kandinsky sind dafür typische Vertreter. Besonders das deutsche Bauhaus hat sich als kulturelle Keimzelle der Moderne hervorgetan. In Österreich gilt dies insbesondere für den Architekten Adolf Loos und die Architekten und Vertreter angewandter Kunst, die die Wiener Werkstätte bildeten.

Während in Russland zunächst die Bolschewiki und in Italien die Faschisten wenigstens in der bildenden Kunst und insbesondere in der Architektur Konzepte der Moderne aufgriffen, haben die deutschen Nationalsozialisten diese größtenteils als "entartet" bekämpft. Auch Stalin war kein Anhänger der Moderne; seine Präferenzen in Kunst und Architektur lagen beim Sozialistischen Realismus.

Soziologische Betrachtung

In der Soziologie hat Ferdinand Tönnies (mit Hilfe des Begriffes „Neuzeit“ (Geist der Neuzeit, 1935 [1998]) die Moderne mit einem Zurücktreten der Mentalität der „Gemeinschaft“ und einem Überhandnehmen der Mentalität von „Gesellschaft“ zu erklären unternommen (vgl.Gemeinschaft und Gesellschaft“). Dadurch rückt ihr Beginn historisch weiter zurück, mit ihren Wurzeln bis ins Mittelalter. Nach ihm hat eingehend der Strukturfunktionalismus daran gearbeitet, die Moderne mit der funktionalen Differenzierung ineins zu setzen.

Als Vorteil dieser Ansätze wird gesehen, dass man dann auch analytisch über den „Beginn der Moderne“ in z. B. Japan oder China sprechen kann (vgl. dazu unlängst: Ho-fung Hung, "Early Modernities and Contentious Politics in Mid-Qing-China, c. 1740-1839", in: International Sociology, 2004: S. 478-503), ohne dass dort damals von „Moderne“ gesprochen worden wäre.

Der Soziologe Gerhard Schulze beschreibt in Die beste aller Welten das Steigerungsspiel als entscheidendes Merkmal der Moderne.

Epochengeschichtliche Betrachtung

Der Beginn der Moderne wird historisch häufig auf die Französische Revolution gelegt. So sieht der US-amerikanische Soziologe Daniel Bell den Hereinbruch der Moderne mit dem Jahr 1789. Andere sehen eher einen Prozess der Entstehung der Moderne, der sich allmählich nach 1789 im 19. Jahrhundert vollzieht.

Als wesentliche Elemente der Moderne werden angesehen:

Man muss sich zum Verständnis der Moderne deutlich machen, dass alle diese Elemente, die vielen von uns heute als selbstverständlich erscheinen, keineswegs immer und überall vorherrschende Überzeugungen waren und sind. Epochen lassen sich am besten dadurch kennzeichnen, was die Menschen dieser Epoche ohne Nachfragen als selbstverständliche „Wahrheiten“ und Grundüberzeugungen akzeptieren. Diese Selbstverständlichkeiten ändern sich im Laufe der Zeit. Zu den Änderungen von Selbstverständlichkeiten siehe z. B. die Paradigmen-Theorie von Thomas S. Kuhn.

Neben der zeitlichen Dimension sollte auch die räumliche Begrenzung der Moderne betrachtet werden. Auch wenn moderne Einflüsse heute auf alle Kulturen festzustellen sind, so ist das beispielsweise in Asien vorherrschende zirkulare Denken dem aus der Bibel übernommenen linearen Denken des westlichen Fortschrittsglaubens deutlich entgegengesetzt.

Den kulturellen Höhepunkt erreicht die Moderne in Europa und Nordamerika in der Zeit vor und zwischen den beiden Weltkriegen.

Die verschiedenen nationalistischen Tendenzen des 19. und 20. Jahrhunderts werden vielfach als der Moderne entgegengesetzt betrachtet. Dies mag für die Moderne als Kunstbegriff zutreffen. Im epochengeschichtlichen Sinn jedoch ist der Nationalismus ein fester Bestandteil der Moderne, da er erst in dieser Zeit auftritt.

Die Nachfolge-Epoche der Moderne nennt sich heute die Postmoderne und auch für die Wegbereiter der Moderne hat man zwischenzeitlich den richtigen Fachbegriff bereit: Die Protomoderne.

Zitate

„Was wir Moderne nennen - also die Zeit zwischen der europäischen Aufklärung und dem Ersten Weltkrieg - hat uns mit idealistischen Zumutungen überlastet und mit humanistischen Idealen geködert. Deshalb haben wir heute eine ambivalente Einstellung zur Moderne: sie ist Utopie und Alptraum zugleich. Deshalb fällt es uns so schwer, souverän in eine neue Zeit einzutreten. Wir haben ein Entwöhnungstrauma der beendeten Moderne.“ Norbert Bolz (in Theorie der Müdigkeit - Theoriemüdigkeit, 1997)
„Wenn später einmal eine Soziologie sich fragen wird, was wohl die ungeheuerste geschichtliche Veränderung der äußeren Einfügung des Menschen in das Leben gewesen ist, diejenige, die alle seine Lebensinhalte am tiefsten umgewälzt hat, so wird sie sicher stets von neuem den Vorgang zeichnen, der von diesem Zustand hinübergeführt hat zum heutigen, von dem „gewachsenen“ Zustand aller Lebensformen in den rationaler Organisiertheit - den Vorgang, der die eigentliche gesellschaftliche Revolution des neunzehnten Jahrhunderts darstellt.“ aus Alfred Weber 1979/1910: Der Beamte, in: ders.: Haben wir Deutschen nach 1945 versagt?

Differenzierung

Aus der „Moderne“ ist der Begriff der Zweiten Moderne herausdifferenziert worden (siehe dort).

Entdifferenzierung

Der Ausdruck „Modernität“ wird häufig auch gleichbedeutend mit bloßer Fortschrittlichkeit oder Aktualität verwendet. Überhaupt ist „die Moderne“, seit sie im Naturalismus als Begriff in Deutschland eingeführt wurde, in ihrer inhaltlichen Bedeutung immer vage gewesen. Sie bezeichnete eigentlich immer nur jede neu aufkommende Stilrichtung oder Kunstgattung

Abweichende Bedeutungen

Mit Bezug auf die Mode ist modern derjenige, der sich am jeweils neusten Geschmack orientiert, insbesondere kleidet.

Modern (mit Betonung auf der ersten Silbe) bedeutet das Zerfallen, z.B. von Holz.

Siehe auch

Literatur