Benutzer:Gisbert K/Reise
![]() Bearbeitungen nur in Abstimmung mit Gisbert K |
Eine Reise durch die deutsche Klarinettenbaulandschaft
Ist Neustadt an der Aisch in Bayern tatsächlich das „Mekka des deutschen Klarinettenbaus“, wie es der Bayerische Rundfunk sieht,[1] weil dort gleich drei Klarinettenbauer ihre Zelte aufgeschlagen haben? Oder ist nicht Markneukirchen im Vogtland in Sachsen, nahe der tschechischen Grenze, bedeutender, von wo aus ja Herbert Wurlitzer 1959 seine Flucht in den Westen (und letztlich nach Neustadt) angetreten hatte und wo sein Vater Fritz, allein in seiner geschlossenen Werkstatt noch bis Mitte der 1970er Jahre an dem Prototypen einer deutschen Kontrabassklarinette werkelte? Oder geht vielmehr im schönen Bamberg die Post erst richtig ab?
Ich wollte es aus eigener Anschauung genau wissen, also trat ich Mitte Mai (2023) eine Tour an, die mich zunächst nach Markneustadt führte, richtiger Weise müsste ich sagen erst mal in das nahe gelegene Bad Elster, wo wir übernachteten (außer mir mein Sohn, der mich chauffierte, weil ich mit meinen 82 Jahren nicht mehr selbst fahre), um am nächsten Morgen mit den Besichtigungen zu beginnen. Kurz vorher gab ich eine meiner Klarinetten noch rasch beim Holzblasdoktor Bernd Renz ab, der bis 16 h Zeit hatte, verschiedene Arbeiten an dem Instrument vorzunehmen.

Markneukirchen

Los ging es im Gewerbegebiet bei der Buffet Crampon Deutschland GmbH (BCD), die 2010 eigens gegründet worden war, um die Produktionsstätte und die Restbelegschaft mit 134 Arbeitnehmern der insolventen Firma Schreiber & Keilwerth Musikinstrumente GmbH zu übernehmen. Zwei Jahre später übernahm BCD zusätzlich die ebenfalls in Markneukirchen ansässige B&S GmbH, den führenden europäischen Hersteller von Blechblasinstrumenten mit 250 Mitarbeitern und integrierte sie in das Unternehmen. Heute stellt BCD mit etwa 500 Mitarbeitern knapp die Hälfte der weltweit im Konzern BC Paris tätigen Mitarbeiter. Da der Mechanisierungsgrad in den Betrieben in Markneukirchen deutlich höher ist als in den französischen Werkstätten, liegt der Anteil von BCD an der Gesamtleistung des Konzerns bei mehr als der Hälfte. Anders ausgedrückt, die Muttergesellschaft hat durch die beiden vorgenannten Investments ihre Kapazitäten mehr als verdoppelt.
Die spezielle Führung, die uns zuteil wurde, begann in dem Werk mit der Blechblasinstrumentenfertigung, worüber ich hier nicht berichte, da es um die Herstellung von Klarinetten geht. Danach wurden wir durch den wenige hundert Meter entfernt gelegenen Betrieb, in dem unter der Marke Schreiber Klarinetten und Fagotte und unter der Marke Keilwerth Saxophone produziert werden, geführt. Durch Investitionen der früheren Eigentümer nach der Wende und von BCD nach der Übernahme ist der modernste und größte Betrieb seiner Art in Europa entstanden. Die Holzbearbeitung erfolgt ausschließlich mit CNC-Maschinen, die für jede Bohrung automatisch das Werkzeug wechselt, bis das Werkstück, das Ober- oder das Unterstück einer Klarinette, fertig gebohrt ist, sowohl, was die Tonlöcher anbetrifft, wie auch die Gewindebohrungen für die Böckchen, an denen die Mechanik befestigt wird. Die Werkzeuge und die für die Steuerung der Maschinen benötigten Programme werden selbst hergestellt. Von dieser Art der Fertigung können die kleinen und mittleren Manufakturen in Neustadt und anderswo nur träumen. Dazu sind aber große Stückzahlen notwendig, damit die Maschinen, die pro Stück fast eine halbe Million Euro kosten, sich amortisieren. Zum Vergleich: allein die monatliche Stückzahl der in dem Betrieb neben den Schreiber-Instrumenten für die Muttergesellschaft hergestellten Schülerklarinetten französischen Systems dürfte größer sein als die Stückzahl aller pro Jahr von allen deutschen Manufakturen zusammen hergestellten Instrumente, gleich welcher Bauart. Entsprechend billig kann BC diese Klarinetten anbieten. Das Preis-Leistungsverhältnis ist hier deutlich günstiger, als das der Klarinetten für Profis, die längst nicht so hohe Stückzahlen erreichen.

Es versteht sich, dass es bei solchen Durchsätzen kaum möglich ist, die benötigten Hölzer, wie die Manufakturen es machen, von acht bis zu dreißig Jahren abzulagern. Die Trocknung erfolgt daher im Schnelldurchlauf in Trocknungskammern nach selbst entwickelten Verfahren. Dadurch wird aber die Rissgefahr, wie man sie bei frischem Holz hat, nur unzulänglich beseitigt, vom Klang einmal gar nicht zu sprechen. Und bei bunten Hölzern, wie Buchsbaum und Mopane ist die Farbe gut abgelagerter Hölzer eine ganz andere als die des frischen Holzes, schöner und vielfältiger. Die von BC versuchsweise und limitiert aus diesen Hölzern hergestellten Klarinetten fallen in Farbgebung und Maserung gegenüber den Schmuckstücken von Jochen Seggelke deutlich ab.

Kommen wir nun zur Fertigung der Mechanik, bestehend aus Klappen und Böckchen, an denen die Klappen befestigt werden. Eine Klappe besteht wenigstens aus zwei Teilen, dem Drücker und dem letztlich mit einem Polster versehenen Teller. Ist dieser weiter entfernt, sind beide Teile mit einer Achse oder einem Gestänge verbunden. Der Teller ist am Drücker oder am Ende des Gestänges anzulöten. Liegen alle Teile der Mechanik für eine bestimmte Klarinette bereit, werden zunächst die Böckchen eingeschraubt, dann teils mit Löchern, teils mit Gewinden versehen, bevor an einer Reihe von Böckchen Nadelfedern befestigt werden und an einigen Klappen Blattfedern, bis dann mit unterschiedlichen Schrauben und Schräubchen die Klappen an den Böckchen befestigt werden, wobei in der Regel Anpassungsarbeiten zu leisten sind. Man nennt das aufsetzen. Wenn alles passt und sich leicht bewegen lässt, wird die Mechanik wieder abgenommen und geht weg zum Versilbern. Dabei müssen die jeweils für eine bestimmte Klarinette angepassten Klappen für sich versilbert werden und anschließend auf genau der selben Klarinette wieder angebracht werden, auf der sie schon einmal aufgesetzt waren. Da die Versilberung das Material dicker bzw. länger werden lässt, muss die Mechanik nachgearbeitet und erneut angepasst werden, so jedenfalls bei BC und auch bei den anderen Herstellern, von denen noch die Rede sein wird.
Anmerkung: Bei Yamaha-Klarinetten entfällt das Aufsetzen und damit ein beachtlicher Aufwand. Eine größere Anzahl roher Klappen, die zu einem bestimmten Modell gehören, werden zusammengelötet und anschließend versilbert. Dann werden sie auf die Korpusse montiert, ohne dass Nachbearbeitungen der Klappen notwendig wären, weil alles zusammen passt. Und wenn ein Kunde einmal eine neue Klappe benötigt, kann er sie einfach bestellen; er kann sicher sein, dass sie auch auf seine Klarinette passt. Die dafür notwendige Genauigkeit der Berechnungen für die Bohrung der Löcher in die Korpusse und für die Fertigung der Mechanik und dann die genaueste Ausführung der Arbeiten beherrschen andere Firmen noch nicht.
Die Herstellung der Klappen geschieht bei BCD selbst. Teilweise werden sie gegossen, teilweise aus dem vollen Stück Material (Blech) herausgefräst.
Insgesamt lässt sich sagen, dass bei BCD die Klarinettenherstellung industriell und auf dem höchsten technischen Niveau und damit tendenziell Personal sparend und so rationell wie möglich erfolgt. Obwohl BCD auch Arbeiten von Vorlieferenten durchführen lässt, ist der Betrieb doch in der Lage, alles, was zum Klarinettenbau gehört, selbst herzustellen.

Welche Arten von Klarinetten stellt dieser Betrieb her? Es ist klar, nur solche, die in großen Stückzahlen abgesetzt werden können, und das sind nun einmal B-Klarinetten im unteren bis mittleren Preisbereich. Die französischen Schüler-Klarinetten hatte ich schon erwähnt. In erster Linie werden jedoch B-Klarinetten deutschen Systems der Marke Schreiber produziert und über Händler vertrieben. Die Palette fängt beim Einstiegsmodell D10 an, für Frühanfänger gedacht und daher als einzige Klarinette in C gestimmt und geht allmählich hinauf bis zur Volloehlerklarinette, die man allerdings in einem deutschen Symphonieorchester vergeblich sucht. Allerdings verfolgt die BC-Muttergesellschaft sehr wohl das Ziel, wenigstens erst einmal eine B- und eine A-Klarinette mit deutschem System auf aller höchstem Qualitätsniveau zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, mit Unterstützung eines bekannten deutschen Klarinettisten und das schon seit sechs Jahren. Da man nicht imitieren, sondern eine selbst entwickelte Klarinette dieser Art präsentieren möchte, bei der jedes ein Unikat darstellt und sich von einer anderen Klarinette des selben Modells in Ansprache, Klang und Haptik durchaus unterscheiden kann, wie das eben bei Wurlitzer & Co der Fall ist und den französischen Klarinettenbauern für diese Art des Klarinettenbaus nicht nur das Kow how sondern überhaupt das innere Verständnis fehlt, darf an dem Gelingen des Vorhabens sehr wohl gezweifelt werden.
F. Arthur Uebel GmbH
Nach der ausgiebigen Besichtigung der beiden Betriebe von CBD mussten wir die vorgesehene Mittagspause abkürzen, um rechtzeitig bei Uebel einzutreffen. Wir hatten es aber nicht weit, auch dieser Betrieb liegt im Gewerbegebiet von Markneukirchen, hane von CBD.


Ich hatte schon auf der Reise meinem Sohn berichtet, dass die Firma Uebel - Vorfahren waren schon um die Wende des 19. zum 20.Jahrhundert bekannte Klarinettenbaumeister - im Jahre 2005 praktisch aufgehört hatte zu bestehen. Zu DDR-Zeiten heruntergekommen, nach der Wende von Hand zu Hand gegeben, hatte die letzte Eigentümer-Firma , die JA Musik GmbH, wegen Unwirtschaftlichkeit die Produktion eingestellt. Dann erschien, wie ein Deus ex machina der Wiesbadener Musikalienhändler Arnold Stölzel mit einem tollkühnen Plan auf der Bildfläche, den er auch gleich umsetzte: Er kaufte den Markennamen, die Patente und die Fertigungsunterlagen und ließ begab sich sodann mit seiner chinesische Ehefrau, im Gepäck auch ein ehemals bei Uebel tätiger Klarinettenbaumeister, nach China in die Provinz Shandong, um dort ein supermodernes Werk zur industriellen Fertigung von Klarinetten zu errichten, Klarinetten der Bauart Uebel versteht sich, die er dort in Auftrag gab, um sie ab Mitte 2006 in Deutschland und anderen europäischen Ländern zu verkaufen, wohlgemerkt eine ausgestorbene Marke. Irgendwie hat es funktioniert, so dass er 2010 unter dem Traditionsnamen F. Arthur Uebel (GmbH) in Markneukirchen in angemieteten Räumen wieder eine Werkstatt einrichtete, in der hinfort Uebel-Klarinetten made in Germany gefertigt wurden, so jedenfalls das Marketing, offenbar mit großem Erfolg, so dass er 2017 in der Lage war, im Gewerbegebiet einen kompletten Betriebsneubau hinzustellen. Über das, was sich in diesen heiligen Hallen abspielt, wurde bisher nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Nun aber öffneten sich mir und meinem Sohn die Tore, ausnahmsweise. Durch einen schmucken Büroanbau gelangten wir in eine helle Werkhalle mittlerer Größe, in deren vorderem Teil etwa 15 Mitarbeiter*innen Klarinetten unterschiedlicher Bauart und Stimmung aus vor ihnen liegenden Materialien, insbesondere fertig bearbeiteten Ober- und Unterstücken, Mechanikteilen, Federn, Polstern und Schrauben zu fertigen Instrumenten zusammenfügten. Das meiste davon stammte aus dem Frau Stölzel gehörenden und von ihr auch geleiteten Werk in Shandong, einiges war wohl auch hier zugekauft.
Im hinteren Raum der Werkstatt stehen einige Maschinen zum Fräsen, Schleifen, Polieren usw., vor allem aber zwei CNC-Maschinen, deren eine gerade Löcher in ein Unterstück bohrte. Wie bei BCD werden die Programme, die die Maschinen benötigen, selbst erstellt, desgleichen die verschiedenen Bohrer. Dieser Teil der Werkstatt wird genutzt, um bei Engpässen in der Belieferung aus China die Teile selbst herzustellen oder auch zur Ergänzung dessen, was aus China kommt und überhaupt, um die Fähigkeit, Klarinetten auch selbst herzustellen, nicht zu verlieren.
Im Gegensatz zu Schreiber hat Uebel im Laufe der Jahre ein umfangreiches Angebot an unterschiedlichen Klarinetten, sowohl deutschen wie französischen Systems entwickelt, insgesamt mindestens 25 Modelle in den Stimmungen Es, C, B, A, G, Bassett und Bass, Einsteiger- Standard- und Profimodelle, alle aus Grenadill mit versilberter Mechanik, die teureren Modelle auch aus Mopane und mit vergoldeter Mechanik. Eine Böhm-B-Klarinette wird auch mit gedeckelten Tonlöchern geliefert. Die Preise liegen auf dem Level in Deutschland hergestellter Klarinetten, sie könnten wegen der überwiegenden Herstellung in China auch deutlich günstiger verkauft werden; aber offenbar gibt der Markt diese Preisstellung her.
Wie auch bei BCD werden die Instrumente serienmäßig hergestellt und über Händler in aller Welt vertrieben. Obwohl die teuersten B-Klarinetten aus Grenadill im Handel durchaus € 6.500 Euro kosten können, hat Uebel, jedenfalls bisher noch nicht, die Qualität und den Ruf eines Premium-Herstellers erlangt, wie das bis in die 1960er Jahre hinein durchaus der Fall war, als Uebel auch von bekannten Solisten gespielt wurde. Der Firma ist das durchaus bewusst. Ich sehe bei Uebel im Gegensatz zu BC die Fähigkeit und auch die Möglichkeit, innerhalb eines Zeitraums von sechs bis acht Jahren, bei deutschen Klarinetten - zunächst in B und A, die anderen müssten folgen - wieder Premium-Niveau zu erreichen, falls dazu ein klarer Beschluss der Geschäftsleitung getroffen würde und sie volle Unterstützung dazu gewährte. Ob das geschieht, ist eine geschäftspolitische Entscheidung, aber wenn, dann müssten Wurlitzer & Co. sich warm anziehen, da Uebel bei seiner Aufstellung solche Klarinetten wesentlich günstiger anbieten könnte (aber natürlich nicht müsste) als die weitgehend handwerklich arbeitenden Manufakturen.

Diese Firma, die seit 2001 ihr Domizil in der historischen Schuster-Villa hat, stellt nicht nur Klarinetten, sondern auch Oben und Fagotte her. Unter ihrem Dach haben gleich zwei Traditionsbetriebe, deren Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, Unterschlupf gefunden: die Gebrüder Mönnig und die Oscar Adler & Co. Beide DDR-geschädigt, haben sich nach der Wende zusammengeschlossen und unter den alten sehr prekären Produktionsbedingungen den Neuanfang gewagt, zunächst noch in getrennten Produktionsstätten und mit wenig Erfolg, sodass die Firma Ende der 1990er Jahre am Rand einer Insolvenz stand. Der Aufschwung begann 2000 mit der Einsetzung eines neuen Managements, das mit der Anmietung der Schuster-Villa die beiden Betriebe zusammengeführte, den Betrieb durch Anschaffung neuer Maschinen modernisierte sowie alle Instrumente überarbeitete und weitere neu entwickelte, die in Vor-DDR-Zeiten schon einmal gefertigt worden waren, wie z. B. die Bassoboe.
Klarinetten werden unter der Marke Oscar Adler & Co., hergestellt, mehrere Modelle deutschen Systems in Es, B, A und Bass, zwei französische Modelle in B und eins in B und A.
Nachdem wir die schöne Fassade des Betriebsgebäudes bestaunt hatten, wurden wir von dem Geschäftsführer Veit Schindler empfangen, der uns zunächst einen kurzen Überblick über der Geschichte der beiden Marken gab und uns das aktuelle Produktionsprogramm (auch der Oboen und Fagotte) vorstellte. Dann führte er uns durch den Betrieb, in dem fast 50 Mitarbeiter*innen beschäftigt sind. Die Herstellung erfolgt im Prinzip industriell, aber noch mit viel handwerklicher Arbeit. Wie auch bei BCD und Uebel werden die Instrumente serienmäßig produziert und über Händler in verschiedenen Ländern vertrieben. Eines ist hier aber ganz anders: Die für die einzelnen Instrumente benötigten Hölzer werden in den Kellerräumen des Betriebs und in ungeheizten Nebengebäuden mindestens 10 Jahre gelagert, allerdings ohne Temperierung, wie die Manufakturen in Neustadt und Bamberg es handhaben, wie wir dort erfuhren. Schindler: "Die Hölzer müssen die unterschiedlichen Temperaturen der Jahreszeiten aushalten, wie möglicherweise später die Instrumente auch." Abschließend konnte ich eine fertige Klarinette ansehen und in die Hände nehmen, das Volloehler Spitzenmodell S 25, ein schönes einwandfrei gefertigtes Instrument, das gut in den Händen lag. Angespielt habe ich es allerdings nicht. Gleichwohl machte es auf mich einen recht ordentlichen Eindruck. Wahrscheinlich würde ein ambitionierter Amateur oder auch ein Profi außerhalb eines Symphonieorchesters damit gut zurecht kommen; allerdings liegt der Preis von reichlich 7.000 Euro nicht sehr weit unter den Preisen der Manufakturen in Neustadt und Bamberg, die uns am nächsten und übernächsten Tag erwarteten.
Aus den ursprünglich geplanten 30 Minuten waren gut eineinhalb Stunden geworden. Nun mussten wir noch meine Klarinette beim Renz abholen und nach Neustadt an der Aisch weiterfahren, immerhin ca. 2 1/2 Stunden. Auf dem Weg nach Gopplasgrün, wo Renz seine Werkstatt hat, fuhren wir über die Johann-Sebastian-Bach-Straße; dort soll Herbert Wurlitzer eine Depandence mit sieben Mitarbeitern haben. An der Anschrift stand ein imposantes historisches Gebäude, aber von Wurlitzer keine Spur. Eine Hausbewohnerin verwies auf ein abseits der Straße gelegenes Nebengebäude ohne Firmenschild. Wir fuhren rasch weiter.
Neustadt an der Aisch
Herbert Wurlitzer GmbH

Schon bald nach seiner Flucht aus der DDR 1959 eröffnete der ehemaliger Klarinettist des Leipziger Gewandhausorchesters, der in der Werkstatt seines renommierten Vaters Fritz Wurlitzer auch das Handwerk des Klarinettenbauers gelernt hatte, im bayerischen Bubenreuth eine eigene Werkstatt zur Herstellung handgefertigter Klarinetten des deutschen Systems und des Ende der 1940er Jahre von seinem Vater entwickelten Reform-Böhm-Systems, wodurch er auch international bekannt wurde. 1964 verlegte er die Werkstatt nach Neustadt an der Aisch, da er in Bubenreuth zu wenig fachlich ausgebildete Mitarbeiter fand. Die außerordentliche Qualität seiner Instrumente sprach sich schnell herum. Bekannte Solisten wie Karl Leister und Sabine Meyer gehörten bald zu seinen Kunden. Und immer mehr Profis und auch ambitionierte Amateurklarinettisten wollte eine Wurlitzer haben. Angefangen hatte Herbert Wurlitzer mit B- und A-Klarinetten. Nach und nach entwickelte er weitere Instrumente der Klarinettenfamilie, von der hohen G-Klarinette bis zur Bassklarinette, und das in beiden Systemen. 1968 ließ er sich von Sabine Meyer, die das Mozart-Konzert unbedingt auf dem Instrument spielen wollte, für das Mozart es geschrieben hatte, dazu überreden, für sie die erste moderne Bassettklarinette deutschen Systems zu bauen. Heute spielt fast jeder Solist, der etwas auf sich hält, dieses Konzert auf einer Bassettklarinette mit deutschem oder französischen System.

Zur verabredeten Zeit wurden wir von Gudrun und Bernd Wurlitzer empfangen. Gudrun und ihr Bruder Frank-Ulrich sind an der Gesellschaft zu je 50% beteiligt, Gudruns Ehemann Bernd, der den Familiennamen Wurlitzer angenommen hat, führt die Geschäfte. Das Erste, das mir im Empfangsraum ins Auge fiel, war eine in einer Ecke stehende Kontrabassklarinette deutschen Systems. Das konnte nur der vom "alten Fritz" wenige Jahre vor seinem Tod gebaute Prototyp sein, den ich in einem Museum wähnte. Unglaublich, dieses Instrument vor Augen zu haben. Schnell war der Fotoapparat zur Hand und ich fotografierte das historisch bedeutsame Stück von allen Seiten. Bernd Wurlitzer erbot sich sogar, es samt Ständer auf den Tisch zu stellen, um es besser aufnehmen zu können. Lionel, mein französischer Coautor auf Wikipedia im Bereich Klarinette und Spezialist für die ganz tiefen Klarinetten, würde staunen. Mein Artikel über Herbert Wurlitzer war übrigens der Erste, den ich auf Wikipedia schrieb (2019), und gleich in fünf Sprachen. Im März 2023 fertigte ich dann auch einen Artikel über seinen legendären Vater Fritz.
Bernd Wurlitzer führte uns durch den Betrieb, der sich in dem ehemaligen Wohnhaus von Herbert Wurlitzer und seiner Familie befindet, das durch Anbauten erweitert wurde. Er besteht jetzt aus dem Empfangsraum, einem Probierraum für die Kunden, Lager-und Trocknungsräumen für die Holzbestände und der eigentlichen Werkstatt, in der nur vier Mitarbeiter arbeiteten, da die anderen acht wegen eines bevorstehenden Feiertages Urlaub genommen hatten. Allerdings kam mir die Werkstatt für 12 Mitarbeiter etwas klein vor. An eine Expansion ist in diesen Räumlichkeiten nicht zu denken. Überrascht war ich, als ich die zum Trocknen aufgestapelten Hölzer sah. Während Mönnig die quadratischen Kanteln unbearbeitet lagert, sind sie bei Wurlitzer - und wie ich bei den folgenden Besuchen sah, auch bei den beiden anderen Neustädter Manufakturen und bei Seggelke in Bamberg - zunächst von außen rund geschliffen und dann mit einer Innenbohrung versehen worden, dabei natürlich der Außendurchmesser dicker und der Innendurchmesser kleiner als bei den Klarinetten benötigt.
Als wir wieder zum Empfangsraum kamen, klingelte ein Kunde, der seine gerade fertiggestellte Klarinette probieren und abholen wollte. Wir verabschiedeten uns und weiter ging`s zu Dietz.
Dietz Klarinettenbau GmbH & Co. KG.

Wolfgang Dietz lernte das Handwerk des Holzblasinstumentenbauers bei Herbert Wurlitzer. Später legte er auch die entsprechende Meisterprüfung ab. Nach dem Tod von Herbert Wurlitzer im Jahre 1989 machte er sich selbständig und richtete in seinem Wohnhaus eine Werkstatt ein, die 1999 durch einen Anbau erweitert wurde. 2010 beteiligte Wolfgang Dietz seinen Sohn Ludwig unter Gründung einer GmbH & Co. KG. an dem Unternehmen. Ludwig hat bei seinem Vater gelernt und ist inzwischen auch Meister seines Fachs und seit kurzem Leiter der Werkstatt.
Gefertigt werden Klarinetten mit dem deutschen und dem französischen Griffsystem (Oehler-System bzw. Böhm-System), dem Reform-Böhm-System sowie Hybridklarinetten in den Holzarten Grenadill, Mopane, Cocobolo und Buchsbaum, auch für Linkshänder mit seitenverkehrter Mechanik. Das Modell-Spektrum reicht von der hohen G-Klarinette bis zur Bassklarinette. Darüber hinaus werden von Buffet Crampon Deutschland in Markneukirchen hergestellte B-Klarinetten der Marke Schreiber optimiert und an Endkunden weiterverkauft. Dietz Klarinettenbau wurde mit dem Deutschen Musikinstrumentenpreis 2020 in der Kategorie A-Klarinette (deutsches System) für das Instrument A-Klarinette Studentenmodell ausgezeichnet. Die Firma beschäftigt acht Mitarbeiter, alle in der Werkstatt, keine Bürokraft.
Nach der Begrüßung durch Wolfgang und Ludwig Dietz übernahm Wolfgang Dietz die Führung, treppab und treppauf vorbei an Holzbeständen für die nächsten 20 Jahre sowie an Fräs-, Schleif, Bohr- und Poliermaschinen. Zwischendurch vernahmen wir, wie Ludwig im Hauptraum der Werkstatt eine fast fertige Klarinette anblies und abstimmte. An einem Arbeitsplatz erblickten wir ein im Entstehen begriffenes Fagott, seit einigen Jahren Hobby von Wolfgang. An einem anderen Platz entdeckte ich einen Satz generalüberholter Schmidt-Kolbe-Klarinetten von Fritz Wurlitzer, die ein Kunde in Zahlung gegeben hatte. Ich hatte mir schon lange gewünscht, ein solche Klarinette einmal in Natura zu sehen. Ob diese Klarinette denn der Oehler-Klarinette nicht überlegen sei, fragte ich Wolfgang. Früher vielleicht, sagte er, aber der Kunde sei froh, sie gegen einen Satz moderner Dietz Oehler-Klarinetten eingetauscht zu haben.
Vater und Sohn sind leidenschaftliche Instrumentenbauer, Tüftler und Perfektionisten. Die Qualität ihrer Klarinetten liegt auf dem selben hohen Niveau, wie die der anderen Premiumhersteller am Ort oder anderswo.
Die Räumlichkeiten von Dietz sind leider recht beengt und bis zum letzten Quadratmeter ausgenutzt. Die Firma kann, wie Wurlitzer, nicht weiter expandieren, es sei denn ..., aber darauf komme ich noch zu sprechen.
Leitner & Kraus GmbH
Bamberg
Seggelke Klarinetten GmbH & Co. KG.
Resümee
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Bayerischer Rundfunk: Musikmesse Frankfurt – Klarinette prämiert: Auszeichnung für mittelfränkische Werkstatt. BR-Klassik, 12. April 2017, abgerufen am 5. Juni 2023.