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Revisionismus

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Der Begriff Revisionismus (vom lateinischen: revidere - wieder hinsehen) bezeichnet Versuche, eine als allgemein anerkannt geltende historische, politische oder wissenschaftliche Erkenntnis und Position zu verlassen, anders zu bestimmen oder umzudeuten. Meist wird der Begriff von Gegnern solcher „Revision“ verwendet, während ihre Befürworter sie als neue Betrachtungsweise verstanden wissen wollen.

Der Begriff wurzelt historisch in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, wo er eine ideologische und politische Abkehr vom Marxismus bezeichnete. Er wurde sinngemäß später von bestimmten Richtungen des Kommunismus auch für den Stalinismus, von Stalinisten wiederum für Versuche einer Entstalinisierung verwendet.

Als Geschichtsrevisionismus bezeichnet man demgegenüber Versuche, bestimmte historische Tatsachen und damit verbundene Sichtweisen der Geschichte revidieren zu wollen. Dies nehmen auch rechtsextremistische „Revisionisten" in Anspruch, die unter diesem Etikett jedoch Holocaustleugnung propagieren und den Nationalsozialismus zu rehabilitieren versuchen.

Sozialdemokratischer Revisionismus

Als Revisionismus bezeichneten führende Theoretiker und Politiker der Sozialdemokratie in Deutschland ab 1899 Positionen innerhalb der SPD, die von deren bis dahin vereinbarten Zielen abwichen und deren Realisierung aufgaben. Hauptvertreter dieser Richtung war Eduard Bernstein, der den praktischen Teil des Erfurter Programms der SPD von 1890 verfasst hatte. Er trat nun mit der These hervor, dass die bisherige Ausrichtung auf Klassenkampf und Abschaffung des Kapitalismus durch die Realität überholt sei. Dieser habe sich als krisenfest und anpassungsfähig erwiesen, so dass die SPD nur im Rahmen der bestehenden Produktionsweise durch Reformen Verbesserungen für die Arbeiter im Sinne einer allmählichen Angleichung der Lebensverhältnisse erreichen könne (der Weg ist mir alles, das Ziel ist mir nichts).

Diese Position wurde damals sowohl von der Parteilinken, vertreten u.a. von Rosa Luxemburg, als auch vom marxistischen „Zentrum", vertreten von Karl Kautsky und der Parteiführung unter August Bebel, zurückgewiesen. In der Alltagspraxis verfolgte die Mehrheit der SPD jedoch einen Kurs, der heute als Realpolitik bezeichnet wird: Sie versuchte, durch Kompromisse mit der Monarchie Anerkennung bei den Eliten des Kaiserreichs zu finden. Im August 1914 gab sie ihre bis dahin vehement vertretene Ablehnung des Krieges innerhalb weniger Tage auf und trug die Kriegsentscheidung des Reichstags in Form der Zustimmung zu den Kriegskrediten geschlossen und für die ganze Dauer des 1. Weltkriegs mit.

Die Systemopposition wurde also hier tatsächlich „revidiert", auch wenn sie in der Theorie und im Programm noch festgehalten wurde. Das Abweichen vom ursprünglichen Kurs wurde als „moderate“, pragmatische und realitätsnahe Herangehensweise mehrheitsfähig, so dass das Festhalten am ursprünglichen Kurs als „extreme", „radikale", unrealistische und unmoderne Minderheitsmeinung erschien.

Dieses Verlassen des Vorkriegskurses begriff die linke Minderheit als „Verrat" der Parteiziele, den aber anfangs nur sehr wenige praktisch bekämpften. Der Flügelstreit in der Partei nahm während des Krieges erst wieder zu, als hohe Kriegsopfer, die russische Februarrevolution, Massenstreiks und der Kriegseintritt der USA die innenpolitische Lage verändert hatten. So kam es 1917 zur Parteispaltung in USPD und MSPD. Im Verlauf der Novemberrevolution spaltete sich die Linke ihrerseits nochmals, indem sich die KPD neu gründete. Diese beanspruchte, als einzige politische Kraft der deutschen Arbeiterbewegung nicht „revisionistisch" zu sein.

Die Kommunisten nutzten den Begriff sodann zur ideologischen Abgrenzung von der Politik der SPD-Regierung unter Philipp Scheidemann und Friedrich Ebert. „Revisionismus" hieß in der Weimarer Republik für sie brutale Gewalt, seit Wehrminister Gustav Noske mit Hilfe der Freikorps revolutionäre Arbeiteraufstände und Streiks niederschlagen ließ. Darüberhinaus diente der Begriff der KPdSU zur Abgrenzung von allen Parteien der gescheiterten 2. Internationale und wurde seit etwa 1925 von Stalins Propaganda synonym mit „Sozialfaschismus" verwendet.

Der Vorwurf, die SPD entferne sich von ihren Grundwerten, wurde 1959 erneut vom linken SPD-Flügel aufgegriffen, als die Partei am 15. Nov. 1959 das Godesberger Programm verabschiedete. Mit dieser Revision ihrer Ziele erkannte die Partei nach dem Tod ihres ersten Nachkriegsvorsitzenden Kurt Schumacher die soziale Marktwirtschaft an und vollzog den Schritt von einer Klientel-Partei der Arbeiterschaft zur Volkspartei, die auch für bürgerliche Schichten wählbar sein wollte.

Staatskommunistischer Revisionismus

Infolge des 20. Parteitag der KPdSU 1956, auf dem Chrustschow eine "Entstalinisierung" der Sowjetunion versprach, kam es zum Bruch mit der Volksrepublik China. Deren Führer Mao Zedong bezeichnete die sowjetische Staatsideologie als "modernen Revisionismus", der sich von den ursprünglichen Zielen von Karl Marx, Friedrich Engels, Lenin und Stalin abgewandt habe. Er wendete also die bis dahin gültige Grenzlinie zu allen sozialdemokratischen und reformistischen Ansätzen gegen die sowjetische Machtzentrale selbst. Diese verstand ihre bedingte Abwendung von Stalin jedoch als Rückkehr zu den "wahren" kommunistischen Zielvorstellungen Lenins, der eine Demokratisierung nach erfolgreicher Sozialisierung der Produktionsverhältnisse in Russland in Aussicht gestellt hatte.

Zu dieser Demokratisierung kam es jedoch damals nicht; dies wurde mit dem Einmarsch der Roten Armee in Ungarn im selben Jahr offenkundig. Daraufhin übernahmen Teile der deutschen "Neuen Linken" die chinesische Sprachregelung. Rudi Dutschke etwa bezeichnete den Staatskommunismus stets als "Revisionismus", wobei er wiederum das chinesische System in diese Kritik einschloss. Für ihn waren diese "real existierenden" Systeme kein Sozialismus und Kommunismus, auch nicht auf dem Weg dorthin oder seine spätere "Entartung", sondern verhinderten diesen strukturell ebenso wie der westliche "Spätkapitalismus" und "Imperialismus".

Holocaustrevisionismus

Siehe dazu: Holocaustleugnung

Als „Revisionisten" bezeichnen sich auch Personen, die den Holocaust an den europäischen Juden im 2. Weltkrieg ganz oder teilweise abstreiten, mit pseudowissenschaftlichen Methoden anzweifeln und die bekannten Fakten dazu als Fälschungen hinstellen. Besonders bekannt dafür wurden u.a. David Irving, Fred A. Leuchter, Germar Rudolf, Otto Ernst Remer sowie Ernst Zündel. Sie gehören vielfach zum Lager der Rechtsextremisten und werden von diesen herangezogen. Die Geschichtswissenschaft ordnet sie in aller Regel als Geschichtsfälscher ein; in einigen Staaten sind einige von ihnen wegen Volksverhetzung und vergleichbaren Straftatbeständen verurteilt worden.

Ihre Selbstbezeichnung als Revisionisten soll ihrer Holocaustleugnung den Anschein einer unvoreingenommenen „Revision" historischer Tatsachen geben, gehört also bereits zur Strategie des Leugnens.

Geschichtsrevisionismus

Siehe dazu: Geschichtsrevisionismus

Eine Form des rechtsextremen „Revisionismus“ ist der Versuch, die Ursachen der beiden Weltkriege außerhalb deutscher Politik anzusiedeln sowie den Holocaust des Nationalsozialismus als Reaktion auf stalinistische Verbrechen zu deuten. Diesen Versuch unternahm der Historiker Ernst Nolte, womit er 1986 einen Historikerstreit in der damaligen Bundesrepublik Deutschland auslöste. Kernthema des Streits war nicht die Tatsächlichkeit, sondern die Singularität des Holocaust.

Revisionismus im Kontext des Israelisch-Arabischen Konflikts

Während die sozialdemokratische Diskussion den Revisionismus-Begriff als pragmatische und realistische Politik tendenziell positiv besetzte, gewann er im Zusammenhang des Zionismus eine umgekehrte Bedeutung: Hier wurde er für einen starren ideologischen Fundamentalismus verwendet, der sein Programm ohne Rücksicht auf veränderte Umstände intolerant und gewaltbereit durchzusetzen versucht. So lehnte die 1925 gegründete militante Revisionistische Zionistische Allianz in Palästina jegliche Zusammenarbeit sowohl mit der britischen Mandatsregierung als auch mit den benachbarten arabischen Staaten radikal ab.

Revisionismus in US-amerikanischen Historikerstreiten

Einen wieder ganz anderen Sinn erhielt der Begriff in einem Historikerstreit in den USA über die Rolle der USA im Ersten Weltkrieg: Hier revidierten US-Historiker mit ihren Forschungsergebnissen das bis dahin gültige, einseitig-positive interessengeleitete Geschichtsbild, wonach die USA maßgeblich zum Kriegsende beigetragen und mit dem Völkerbund Europa Friedenschancen eröffnet hätten. Dieser Internationalismus Woodrow Wilsons wurde nun zum Teil als "Fortsetzung des Imperialismus mit anderen Mitteln" begriffen, während bisher gerade der Rückzug der USA aus den Verhandlungen von Versailles als Isolationismus mit negativen Folgen kritisiert wurde.

Literatur

  • Shermer, Michael: Why People Believe Weird Things: Pseudoscience, Superstition, and Other Confusions of Our Time. chs. 13 and 14¥ (W H Freeman & Co.: 1997).

Siehe auch