Balkanfeldzüge des Maurikios
Als der oströmische (byzantinische) Kaiser Maurikios im Jahr 582 den Thron bestieg, hatten wenige Monate zuvor die Awaren unter ihrem Khagan Baian mit ihren slawischen Hilfstruppen Sirmium eingenommen. Damit hatten sie eine Machtbasis südlich der Donau geschaffen, von der sie aus ungehindert auf der Balkanhalbinsel operieren konnten, zumal die Save im Vergleich zur Donau leicht zu überqueren war.
In seiner Regierungszeit unternahm Maurikios eine Reihe von Feldzügen gegen die Awaren und Slawen. Deren Ausgang war wechselhaft, doch es überwogen hart erkämpfte Erfolge, die Grundlage für den Erhalt der spätantiken Ordnung auf dem Balkan hätten werden können.
Awaren- und Slaweneinfälle bis 588
584 eroberten die Awaren Sigidunum und rollten in der Folgezeit die Kette der von Justinian I. errichteten/erneuerten byzantinischer Festungen entlang der Donau auf. Auch wenn gelegentlich die Awaren durch Tributzahlungen ruhig gestellt werden konnten, brachen sie immer wieder die Friedensvereinbarungen. Die teilweise unter awarischer Oberhohheit stehenden Slawen zogen selbstständig plündernd durch die Balkanhalbinsel, zum Teil gar in der Absicht, sich auf dem Balkan der awarischen Oberhohiet zu entziehen. Awaren und Slawen stellten daher zwei unterschiedliche Bedrohungen dar.
Da Maurikios durch den von seinem Vorvorgänger Justin II. verursachten Krieg gegen das Sassanidenreich gebunden war (siehe dazu Römisch-Persische Kriege), konnte er lediglich zusammengewürfelte Truppen den Awaren und Slawen entgegenstellen. Die Zusammenstellung dieser Truppen wurde durch den Umstand erschwert, dass es sich bei dem Kriegsschauplatz auf dem Balkan in den 580’er Jahren um einen Verteidigungskrieg auf eigenem Boden handelte, bei dem es im Gegensatz zu dem persischen Gegenstück praktisch keine Möglichkeit gab, den Wehrsold durch Plünderungen aufzubessern. Die durch diesen Umstand eher demotivierten Truppen taten sich schwer, auch nur örtliche Erfolge zu erzielen. Der Sieg des Komentiolos bei Adrianopolis um die Jahreswende 584/585 stellte eher eine Ausnahme dar.
Die Lage auf dem Balkan war 585 so kritisch, dass der persische Großkönig Hormizd IV. sich erhoffte, mit einem Friedensangebot die Byzantinier zur Preisgabe Armeniens zu bewegen. Da Maurikios ablehnte und erst 591 mit den Persern einen deutlich günstigeren Frieden aushandeln konnte, musste er die Plünderungszüge der Awaren und Slawen auf dem Balkan bis auf Weiteres hinnehmen und hoffen, dass er von dem grenznahen Singidunum das awarische Gebiet bedrohen und die Awaren so von weiteren Einbrüchen abhalten konnte. Tatsächlich war die römische Präsenz an Zusammenfluss von Save und Donau dergestalt, dass die Awaren ihre Raubzüge immer wieder abbrechen mussten. Vollständig unterbunden werden konnten die Feldzüge hierdurch jedoch nicht. Denn trotzdem konnten 586 awarische Angreifer Thessaloniki bedrohen, während slawische Gruppen sogar bis zur Peloponnes vorstiessen. Auch war der erste Balkanfeldzug des Priskos in Thrakien und Moesien ein Fiasko und ermutigte die Awaren sogar zu einem Vorstoß bis an das Marmarameer. Die Tatsache, dass Ende der 580’er Jahre der Druck der Awaren nachließ, war mehr auf den mittlerweile schlechten Zustand der von den Awaren bei Sirmium errichteten Savebrücken zurück zu führen.
Dennoch war Maurikios darauf bedacht, seine Truppen auf dem Balkan zu verstärken, zumal die slawischen Plünderungszüge unvermindert anhielten. Die diesbezüglichen Gelder erhoffte er sich 588 durch Kürzungen der Militärzuteilungen. Da diese Pläne im April 588 zu Revolten an der persischen Front führten, legte Maurikios sie auf Eis.
Die Feldzüge 593–595
Als dann im Spätsommer 591 Maurikios Frieden mit Persien schließen und Armenien zurück gewinnen konnte, standen ihm nicht nur die langersehnten und erfahrenen Truppen für den Balkan zur Verfügung, sondern auch die Menschenreserven Armeniens. Der nachlassende Druck der Awaren ermöglichte den Römern bereits 590/591, sich auf die Slawen zu konzentrieren und die Lage auf dem Balkan langsam zu bereinigen. Maurikios bereiste Anchialos (heutiger Name Pomorje) am Schwarzen Meer und andere Städte in Thrakien persönlich, um den Wiederaufbau der Stadt zu beaufsichtigen und seinen Truppen und der Bevölkerung neuen Mut einzuflössen. Er beschleunigte nach Friedensschluss mit Persien diese Lageentwicklung unverzüglich mit der Verlegung seiner Truppen auf den Balkan.
592 eroberten seine Truppen Singidunum, dass offensichtlich zwischenzeitlich wieder von den Awaren erobert wurde, zurück, während kleinere Einheiten slawische Plünderer in Moesien verfolgten und die Verbindungen zwischen den römischen Städten wieder herstellten. Ziel des Maurikios war es, entlang der Donau von Ost nach West die Donaulinie wieder herzustellen, so wie es hundert Jahre zuvor Anastasios I. getan hat. Des Weiteren beabsichtigte er, durch Präventivkriegsführung die Awaren und Slawen von römischem Gebiet fernzuhalten und durch die Möglichkeit der Plünderung im Feindesland die Feldzüge für die Soldaten attraktiver zu machen.
Sein Feldherr Priskos ging im Frühjahr 593 dazu über, die Slawen an der Überquerung der Donau zu hindern. Er fügte ihnen mehrere Niederlagen zu, bevor er ihnen über die Donau in die heutige Walachei nachsetzte, wo er trotz der waldreichen und sumpfigen Gegend den Slawen weitere Niederlagen zufügen konnte. Er setzte die Operationen bis in den Herbst fort, missachtete jedoch einen Befehl von Maurikios, in der Walachei zu überwintern, um so die kalte Jahreszeit (zugefroren Flüsse und Sümpfe, entlaubte Bäume) ausnutzen zu können. Begünstigt durch den Rückzug der römischen Truppen in das Winterquartier in Odessos zogen um die Jahreswende 593/594 die Slawen erneut plündernd durch Moesien und Makedonien und verwüsteten im Westen Aquis, Scupi und Zaldapa nahe der Dobruscha.
594 löste Maurikios Priskos daher ab und ersetzte ihn durch seinen noch unerfahrenen Bruder Petros. Petros konnte sich trotz anfänglicher Schwierigkeiten behaupten und patrouillierte die Donau zwischen Novae (heutiger Name Swischtow) und dem Schwarzen Meer. Ende August überschritt auch er die Donau und besiegte die Slawen, wodurch er deren Vorbereitungen für Plünderungszüge empfindlich stören konnte.
Diese Erfolge ermöglichten Priskos, der den Oberbefehl über ein weiteres Heer flussaufwärts erhalten hatte, 595 entlang des Nordufers der Donau auf Singidunum zu marschieren und im Zusammenwirken mit der römischen Donauflotte einen awarischen Angriff auf diese Stadt zu verhindern. Die Tatsache, dass die Awaren anders als 584 die Stadt zerstören und die Bevölkerung deportieren wollten, ist ein Zeichen schwindenden Selbstvertrauens und der Bedrohung, die sie in dieser grenznahen Stadt sahen.
Die Awaren drehten daraufhin nach Dalmatien ab, wo sie mehrere Festungen eroberten. Zu keinem Zeitpunkt hatten slawische Einfälle in diese abgelegene und veramte Provinz bei römischen Heerführen für übermäßige Besorgnis gesorgt. Priskos konnte es sich daher nicht leisten, durch einen Feldzug in Dalmatien die Donaugrenze zu entblößen. Er begnügte sich mit der Entsendung einer kleinen Abteilung, die den Awaren immerhin einen Teil ihrer Beute wieder abnehmen konnte.
Die Feldzüge 597–602
Nach diesem nur teilweise erfolgreichen Awarenzug herrschten 1 ½ Jahre lang Ruhe auf dem Balkan. Durch ihre Niederlagen entmutigt, sahen die Awaren größere Aussicht auf Beute im Westen bei den Franken, während die Römer diese Zeit ungenutzt ließen. Von fränkischen Tributzahlungen gestärkt, nahmen die Awaren im Herbst 597 ihre Feldzüge an der Donau wieder auf und überraschten die Römer. Es gelang ihnen sogar, Priskos in Tomis am Schwarzen Meer einzuschließen. Am 30. März 598 brachen sie die Belagerung ab, da Komentiolos mit einem Heer von zugegeben unerfahrenen Soldaten über das Balkangebirge zur Donau bis Zikidiba marschierte und sich damit bis auf 30 km Tomis näherte. Aus unerklärlichen Gründen setzte Priskos den Awaren nicht nach, so dass Komentiolos – auf sich allein gestellt – nach Iatrus ausweichen musste, wo seine Truppen von den Awaren versprengt wurden und sich über das Balkangebirge nach Süden durchschlagen mussten. Die Awaren nutzten diesen Erfolg aus und stießen bis nach Drizipera vor und befanden sich damit genau zwischen Adrianopolis und Konstantinopel, wo Teile ihres Heeres und sieben Söhne des Awarenkhagans Baian durch die Pest dahingerafft wurden. Durch Tributzahlungen konnten die Awaren zum Abzug bewegt werden. Im gleichen Jahr wurde ein Vertrag mit dem Awarenkhagan geschlossen, der römischen Truppen ausdrücklich Feldzüge in die Walachei erlaubte. Die Römer nutzten das verbleibende Jahr zur Reorganisation ihrer angeschlagenen Heere und zur Analyse der Gründe für das Debakel.
Im Sommer 599 brachen die Römer den Vertrag; Priskos und Komentiolos stießen in die pannonische Tiefebene und damit in das awarische Kernland vor. Während Komentiolos in der Nähe der Donau verharrte, fügte Priskos den Awaren tief im Landesinneren den Awaren hohe Verluste zu. Hierbei fielen weitere Sohne des Awarenkhagans Baian. Einzelne Awarenstämme und die Gepiden erlitten besonders hohe Verluste. Des Weiteren konnte der Exarch von Ravenna 599 slawische Einfälle in Istrien abwehren.
Im Herbst 599 öffnete Komentiolos die Trajanische Pforte (die möglicherweise mit dem Schipkapass identisch ist) erneut, während im Jahre 601 Petros zur Theiss vorstieß und die Awaren von den Stromschnellen fernhielt, deren Besitz für den Zugang der römischen Donauflotte zu den Städten Sirmium und Singidunum unabdingbar war. 602 konnten die Slawen in der Walachei entscheidend geschlagen werden, während das Awarenreich durch die Anten bedroht wurde und infolge von Aufständen der Teilstämme auseinanderzubrechen drohte. Die Römer konnten nun die Donaulinie wieder weitgehend halten. Im Ergebnis zahlte sich die aggressive "Verteidigung des römischen Reiches in der Walachei und in Pannonien“ aus, doch als Maurikios diese Erfolge ausnutzen wollte, um im Winter den Druck aufrechtzuerhalten, meuterte die Armee gegen seine Befehle.
Der Balkan nach 602
Maurikios hatte die Lage auf dem Balkan bereinigt und den Plünderungszügen der Awaren und Slawen ein Ende gemacht. Damit standen die römischen Balkanprovinzen an der Schwelle einer möglichen Erholung. Sie bedurften lediglich eines Wiederaufbaus und Neubesiedlung der entvölkerten Landstriche. Der neue Kaiser Phokas (602-610) musste jedoch erneut gegen die Perser kämpfen. Des Weiteren hatte eine Meuterei gegen die Auswüchse der Feldzüge ihn gerade an die Macht gebracht. Daher war er gezwungen, die aggressive Verteidigung aufzugeben.
Die Annahme, dass die römische Balkanverteidigung gerade deshalb bereits unter seiner Herrschaft zusammenbrach, dürfte falsch sein. Das gleiche gilt in Bezug auf die Theorie, dass dieser Zusammenbruch sich schnell vollzog. Phokas mag auf dem Balkan untätig gewesen sein und dürfte wohl Truppen von dem Balkan an die persische Front verlegt haben, doch spricht gegen eine völlige Entblößung des Balkans vielleicht seine thrakische Herkunft. Ein Zusammenbruch während seiner Herrschaft ist auch nicht durch archäologische Funde wie etwa Münzhortungen belegt. Demgegenüber erscheint sogar eine weitere Erholung der Balkanprovinzen unter der Herrschaft des Phokas denkbar.
Es dürfte wohl erst sein Nachfolger Herakleios (610-641) gewesen sein, der alle Truppen vom Balkan abzog – sie wurden im Osten gegen die Perser dringender benötigt. Neben der Ermutigung der Awaren durch ihre Erfolge gegen die Langobarden in Friaul 610 könnte dies der Grund dafür gewesen sein, weshalb die Awaren und Slawen ihre Einfälle auf dem Balkan nach der Machtübernahme von Herakleios erneuterten. Damit deckt sich auch der Umstand, dass die Chroniken erst nach 610 von neuen Plünderungszügen berichten, denen Städte wie Naissus und Justiniana Prima oder Salona dann zum Opfer fielen. Wann welche Gegend von den Slawen „überschwemmt“ wurde, ist nicht bekannt. Lediglich einzelne Ereignisse ragen heraus; die Zerstörung von Novae nach 613, die Eroberung von Naissus und Serdika sowie die Zerstörung von Justiniana Prima 615, die dreimalige Belagerung von Thessalonike (610, 615 und 617), die Schlacht bei Herakleia am Marmarameer 619 und die Belagerung von Konstantinopel (626). Einige Städte überlebten jedoch die Awaren- und Slawenstürme und konnten sich dank der See- und Flussverbindungen mit Konstantinopel noch lange halten, bis ihre Bevölkerung von der umliegenden slawischen Bevölkerung assimiliert wurde. Einige Städte entlang der Donau bewahrten ihrem römischen Charakter bis zum Einfall der Protobulgaren im Jahr 679 und standen bis zu diesem Zeitpunkt noch unter byzantinischer Herrschaft. In allem war der Niedergang der römischen Macht wohl ein langsamer Vorgang, der nur deshalb vonstatten ging, da Byzanz im Osten durch den Kampf gegen die Araber gebunden war. Das Reich hatte nicht genug Truppen zur Verfügung, um die Verbindungswege zwischen den Städten zu sichern, die Oberhoheit über die Balkanslawen in eine Herrschaft zu verwandeln und so die Grundlage für die Assimilierung aller Balkanslawen zu schaffen, wie dies - um zwei Jahrhunderte verzögert - nur in Griechenland und Thrakien gelungen ist.
Literatur
Siehe Artikel Maurikios.
- Michael Whitby: The Emperor Maurice and his Historian – Theophylact Simocatta on Persian and Balkan Warfare. Oxford 1988.