Lehnwort
Ein Lehnwort (Materialentlehnung) ist eine Form der Entlehnung, nämlich ein Wort, das einer anderen Sprache entlehnt ist. Im Unterschied zum Fremdwort, dem der fremdsprachige Ursprung noch anzumerken ist, ist das Lehnwort in Schreibung, Lautung und Betonung so weit an den Sprachgebrauch der Zielsprache angepasst, dass es nicht oder kaum mehr als fremd wahrgenommen wird. Die Übergänge vom Fremdwort zum Lehnwort sind fließend. Verschiedene Sprachwissenschaftler haben darauf hingewiesen, daß der Terminus Lehnwort irreführend ist, weil nichts "ausgeliehen", also sozusagen nur kurz in der Nehmersprache verbleibt und später wieder in die Gebersprache zurückgegeben wird, sondern daß eine Entlehnung die (mehr oder weniger gelungene) Kopie eines Wortes ist, das aber allmählich vollständig in die Nehmersprache integriert wird. Deshalb etabliert sich in der Sprachwissenschaft zunehmend der Begriff Kopie oder Codekopie.
Begriff
Lehnwörter, die vor der 2. Lautverschiebung in die deutsche Sprache aufgenommen wurden, haben diese, ebenso wie die Erbwörter, mitgemacht und sind deshalb Erbwörtern so ähnlich geworden, dass man sie strukturell nicht mehr unterscheiden kann. (Beispiel: Palatin > Pfalz). In der deutschen Sprache kommt dazu, dass ihre Schreibweise erst viel später festgelegt wurde und man sie deshalb auch nicht mehr an einer abweichenden Schreibweise unterscheiden kann. Eine Unterscheidung ist hauptsächlich durch Kenntnis ihrer Etymologie oder durch Sprachvergleich möglich. Prinzipiell unterliegen Lehnwörter den gleichen sprachlichen Änderungen wie Erbwörter (zum Beispiel Bedeutungswandel und Lautverschiebungen).
An der Art der Lautstruktur eines Lehnwortes kann man den Zeitraum der Entlehnung bestimmen. Einige Wörter wurden mehrfach entlehnt und unterscheiden sich heute in Bedeutung und Aussprache, beispielsweise Partei (seit dem Mittelalter) vs. Partie (seit dem 17. Jahrhundert) vs. Party (seit dem 20. Jahrhundert).
Manchmal behält ein Lehnwort die ursprüngliche Form, während es sich in der Ursprungssprache ändert oder dort sogar verschwindet.
Bei der Zuordnung eines Lehnwortes zur Ursprungsprache (siehe untenstehende Liste) kommt es nicht darauf an, aus welcher Sprache das Wort tatsächlich ursprünglich kommt, sondern nur, aus welcher Sprache heraus es in die Zielsprache übernommen wurde.
Es gibt unterschiedliche Arten von Entlehnungen. Neben den Lehnwörtern gibt es auch Lehnbedeutungen, Lehnbildungen, Scheinentlehnungen und Falsche Freunde.
- Beim Lehnwort wird das Fremdwort in Klang und Schriftbild an die eigene Sprache angeglichen, beispielsweise Fenster aus dem Lateinischen fenestra oder Grenze aus dem Polnischen (granica).
- Bei einer Lehnbedeutung wird die Bedeutung eines fremden Wortes übernommen und auf ein einheimisches Wort übertragen. Das gotische daupjan mit der Grundbedeutung untertauchen bekam unter dem Einfluss des griechischen baptizein die Bedeutung jemanden durch Untertauchen zum Christen machen (taufen), und das deutsche Wort schneiden erhielt vom englischen Ausdruck to cut a person die Zusatzbedeutung jemanden absichtlich nicht kennen; s. Begriffsübernahme.
- Bei der Lehnbildung gibt es drei Varianten:
- die Lehnübersetzung, wo ein meist zusammengesetztes Fremdwort Glied für Glied übersetzt wird: Beispiele sind Großvater von französisch grand-père oder Flutlicht vom englischen flood light.
- die Lehnübertragung, wo die fremden Bestandteile teilweise übersetzt werden, z.B. Wolkenkratzer von englisch skyscraper (wörtlich Himmelskratzer) oder Fernsprecher von Telephon (Fern-Klang).
- die Lehnschöpfung, wo unabhängig vom fremden Wort eine entsprechende deutsche Wortneubildung stattfindet um das Fremdwort zu ersetzen, z.B. Kraftwagen statt Automobil oder Wasserglätte statt Aquaplaning.
- Scheinentlehnungen sind Wörter, die so klingen, als kämen sie aus einer fremden Sprache, in dieser Sprache aber nicht existieren, z.B. Friseur (französisch coiffeur), Handy (englisch mobile phone), Smoking (englisch dinner jacket).
Ein Xenismus (v. griech.: xenos fremd) ist ein Wort oder eine Wortbildung, das eine neue Bedeutung aus einer fremden Sprache in die eigene Sprache hineinträgt, oder den Begriff der eigenen Sprache ersetzt oder verdrängt. Z.B. bedeutete "realisieren" in der deutschen Sprache immer "verwirklichen"; unter dem Einfluss des englischen "to realise" wird es aber immer mehr als Synonym für "bemerken" verwendet.
So wie die deutsche Sprache zu jeder Zeit durch fremde Begriffe verändert wurde, finden ebenso Germanismen in anderen Sprachen Aufnahme.
Mit den Motiven, Gründen und Auslösern von Entlehnungen -- und Bezeichnungswandel allgemein -- beschäftigt sich die Onomasiologie.
Lehnwörter nach Ursprungssprachen
Beispiele:
aus der arabischen Sprache (Arabismus)
Aba - Admiral - Algebra - Alkohol - Beduine - Chemie - Emir - Gibraltar - Harem - Haschisch - Kaffee - Kali/Kalium/alkalisch - Kalif - Laute - Matt - Mufti - Scheich - Tarif - Ziffer - Matratze - Marzipan - Sirup - Maske - Aprikose -
aus der aztekischen Sprache
Chili - Kojote - Ozelot - Schokolade - Tomate
aus der chinesischen Sprache (Sinismus)
Kotau - Taifun - Tee (südchinesischer Dialekt) - Tofu
aus der deutschen Sprache (Germanismus)
siehe Liste deutscher Wörter in anderen Sprachen.
aus der englischen Sprache (Anglizismus)
aus Großbritannien
aus den USA
Bob - lynchen ursprünglich aus dem Irischen, ebenso wie Boykott - Quiz - Tanker
aus der Sprache der Aborigines
Hier sind Wörter aufgelistet, die durch die englische Sprache in die deutsche Sprache gelangt sind, jedoch ihren Ursprung von australischen Ureinwohnersprachen haben. Siehe auch: Australisches Englisch
aus Eskimosprachen
aus der ewenkischen Sprache
aus der finnischen Sprache (Fennizismus)
aus der französischen Sprache (Gallizismus)
Bistro (evtl. aus dem Russischen)
aus der griechischen Sprache (Gräzismus)
Achtung: Viele der Ausdrücke in dieser Liste sind nur indirekte Lehnwörter aus dem Griechischen, denn
- es handelt sich um Wörter, die zwar ursprünglich aus dem Griechischen stammen, dann aber in eine andere Sprache übergingen und nachgewiesenermaßen erst von dort aus ins Deutsche entlehnt wurden;
- es handelt sich um in der Neuzeit in modernen Sprachen aus griechischem Wortmaterial zusammengesetzte Bildungen, die im Griechischen in dieser Form nie existiert haben – auch wenn sie teilweise heute in die neugriechische Sprache zurückübernommen worden sind.
aus der hebräischen Sprache (Hebraismus)
Amen - betucht - Chuzpe - Ganove - Guten Rutsch - Hals- und Beinbruch - Kaff - Kassiber - Kluft - Kohl - koscher - Maloche - Massel - meschugge - Messias - mies - Mischpoche - Pleite - Sabbat - Schickse - Schlamassel - Schmiere - schofel - Stuss - Tacheles - Tinnef - Tohuwabohu - Zoff
Jiddisch ist eine häufige Quelle für Hebraismen im Deutschen. Vgl. auch: Jenische Sprache, Jiddisch, Lottegorisch (Carlsberg), Manisch, Masematte (Münster), Mattenenglisch, Rotwelsch, Sintitikes
aus den indischen Sprachen
Bungalow - Dschungel - Gulli - Guru - Nirvana - Punsch - Pyjama - Shampoo - Yoga
aus den iranischen Sprachen (z. B. Persisch)
Absinth - Algorithmus - Babuschen - Baldachin - Balkon - Basar - Kapern - Karawane - Kaviar - Khaki - Kiosk - Magie - Magier - Orange - Paradies - Pascha - Pistazie - Pyjama - Rochade - Schach - Schal - Scheck - Tambour - Tasse - Trabant - Tulpe - Jasmin
aus der italienischen Sprache (Italienismus)
Antenne - Bank - Bankrott - Bilanz - Fango - Fumarole - Ghetto - Gorgonzola - Graffiti - Kanone - Kapital - Kartoffel - Kasse - Korridor - Kredit - Konto - Lava - Makkaroni - Marzipan - Melone - Mole - Mortadella - Mozzarella - Muskat - Netto - Parmesan - Peperoni - Pistazie - Pizza - Porto - Prokura - Rest - Risiko - Salami - Salto - Solfatare - Spaghetti - Zitrone - Zucchini sowie eine Vielzahl von Wörtern aus der Musik: Alt - Bass - Dur - Forte - Intermezzo - Melanzane (Austriazismus) - Mezzosopran - Moll - Piano - Ribisel (Austriazismus) - Sopran - Spagat (Austriazismus) - Tenor
aus der japanischen Sprache
Bonsai - Bonze - Harakiri - Judo - Kamikaze - Karaoke - Karate - Kimono - Manga - Mikado - Sake - Shibuya - Sushi - Tamagotchi - Tsunami - Yakuza
aus der lateinischen Sprache (Latinismus)
Es gilt sinngemäß dieselbe Einschränkung wie oben bei den Gräzismen:
aus der niederländischen Sprache (Niederlandismus)
Auster - Boss - Korfball - Matrose - Matjes - Abstecher - Stillleben - bugsieren
aus den polynesischen Sprachen
Aloha - Tätowierung - Tabu
aus den slawischen Sprachen (Slawismus)
Blinse (sächsisch) - Karst - Kren (österreichisch) - Kukuruz (Austriazismus) - Petschaft - Quark (Lebensmittel) - Ranzen - Vampir - Weichsel (Austriazismus) - Wodka
aus der slowenischen Sprache
aus der polnischen Sprache
Dalli! (Aussage für schnell, vom polnischen Wort "dalej") - Penunze - Jauche - Ogonek - Kalesche - Grenze - Gurke - Peitsche - Säbel - Stieglitz (und andere Vogelarten)
aus der russischen Sprache (Russizismus)
aus der slowakischen Sprache
aus den skandinavischen Sprachen (Skandinawismus)
Fjord - Geysir - Hummer - Knäckebrot - Ombudsmann - Rentier - Ski - Slalom - Troll - Vielfraß
aus der spanischen Sprache (Hispanismus)
aus der tschechischen Sprache
Pistole - Trabant - Buchtel (Austriazismus) - Kolatsche (Austriazismus) - Powidl (Austriazismus) - Roboter - Polka - Tuchent (Austriazismus)
aus der türkischen Sprache
Joghurt - Schaschlik - Döner Kebab
aus der ungarischen Sprache (Hungarismus)
Dolmetscher - Gulasch - Husar - Kutsche - Palatschinken - Paprika - Tokajer - Tolpatsch
Literatur
In vielen Untersuchungen werden sowohl Entlehnungen als auch Fremdwörter behandelt. Siehe daher Literatur unter Fremdwort. Zu den Begriffen:
Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2002. ISBN 3-520-45203-0