Toni Lessler

Toni Lessler (geboren als Toni Heine am 4. Juni 1874 in Bückeburg; gestorben am 5. Mai 1952 in New York City, USA),[1] war eine deutsche Pädagogin, Schulleiterin und -gründerin.[2]
Familie

Toni Heine wurde als zweites Kind und erste Tochter des Bankiers Louis Heine (1841–1876) und dessen Ehefrau Hermine geboren. Sie hatte einen älteren Bruder, Leo (geboren am 18. Oktober 1872 in Bückeburg), und eine jüngere Schwester, Clara (geboren am 29. Februar 1876).
Toni Heines Großvater, Levi Heine (1789–1855), war ein Vetter des Dichters Heinrich Heine. Ihr anderer Großvater Philipp Würzburger (geboren am 24. Mai 1812; gestorben am 9. November 1877) war langjähriger Stadtverordneter der Stadt Bochum, in vielen Funktionen für die Stadt engagiert und Vorsitzender der Synagogengemeinde.[3][4] Ihre Mutter Hermine Heine, geborene Würzburger, gründete nach dem Tod ihres Ehemannes ein Pensionat für Mädchen jüdischer und christlicher Herkunft in Bückeburg und führte dieses nach Umzug in Cassel weiter.[5]
Toni Heine heiratete in Berlin den Fabrikanten Max Lessler (geboren am 29. Dezember 1848 in Berlin; gestorben am 1. Januar 1912 ebenda). Die Ehe blieb kinderlos.
Ausbildung

Toni Heine besuchte nach der Volksschule in Bückeburg eine Höhere Töchterschule in Cassel und bereitete sich später am Lehrerinnenseminar Hedwig Knittel in Breslau (Schlesien) zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Clara auf ihr gemeinsames Berufsziel vor.[6] Nach bestandenem Examen übernahm sie im mütterlichen Mädchenpensionat in Cassel die Unterrichtsleitung. Nur wenige Monate später begann sie in der Schweiz ein Französisch-Studium, in Genf und Lausanne, das sie mit Auszeichnung abschloss. Kurz nach der Rückkehr zu ihrer Mutter in Kassel zog es sie 1894 in das Vereinigte Königreich, wo sie für knapp fünf Jahre an verschiedenen Bildungseinrichtungen in London, Cambridge und Edinburgh sowie in stellvertretender Leitungsfunktion an der renommierten Gloucester House School in Kew bei London tätig war. Dort führte sie ihre Schüler u. a. zum vorbereitenden Matric Exam der University of Oxford.[7]
Wirken

Im Jahr 1902 ließ sich Toni Heine in Berlin nieder, heiratete dort den Fabrikanten Max Lessler.[6] Ihr neuer Status als Hausfrau füllte sie jedoch nicht aus. Sie engagierte sich daher auf sozialem Gebiet und geriet dabei wieder in eine lehrende Funktion – als ehrenamtliche Deutsch-Lehrerin für ausländische Studenten an der Königlich Akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst. Dabei waren ihre guten Fremdsprachenkenntnisse hilfreich. Ihr Ehemann verstarb durch einen Unfall.[8] Kurz darauf verstarb auch ihr gemeinsames Kind.[9]
Ab 1912 baute Toni Lessler in der Uhlandstraße 161 in Berlin-Wilmersdorf (Gebäude besteht noch) private Schulzirkel auf, in denen sie Schüler mit erhöhtem Betreuungsbedarf beim Lernen und bei Hausaufgaben förderte. Aus diesen Schulzirkeln entwickelte sie ab 1915 eine private Familienschule, inoffiziell auch „Lesslerschule“ genannt, die sich unter aktivem Widerstand privater Mietparteien nahezu monatlich in weitere Räume, auch eines Nachbarhauses, ausdehnte. Der Schulsport musste in einer fünfzehn Gehminuten entfernten Turnhalle stattfinden.[2]
Im Winter 1917/18 kamen rund fünfzig Kinder russischer Aristokratenfamilien neu in die Lesslerschule, darunter rund zwanzig Baronessen und Fürstinnen, der Oktoberrevolution entkommen. Zur Unterstützung musste Toni Lessler zwei weitere Lehrerinnen einstellen. Zu diesem Zweck holte sie 1920 ihre schulerfahrene Mutter Hermine und ihre jüngere Schwester Clara aus Kassel nach Berlin. Die Hyperinflation stellte den Fortbestand der Privatschule in Frage, mit täglich entwertetem Schulgeld konnte man nicht wirtschaften. Die Elternschaft rettete diese Situation, in dem sie den Beschluss fasste, das Schulgeld nicht in Reichsmark, sondern in US-Dollar zu zahlen.[10]
Vom Erfolg dieser Familienschule motiviert, gründete Toni Lessler schließlich im Jahr 1930 in der Brahmsstraße 17/19 in Berlin-Grunewald die an das Erziehungsbild von Maria Montessori angelehnte Private Waldschule Grunewald, von Beginn an mit einem angegliederten Tagesheim für ganztägige Betreuung und Verpflegung.[2][11][12]
Schon 1932 reichten die Unterrichtsräume für die stetig steigende Nachfrage nicht mehr aus, so dass sie mit der ganzen Schule in die nahegelegene Hagenstraße 56 an der Ecke zur Teplitzer Straße umzog, in eine große Villa mit Garten (Gebäude besteht nicht mehr).[2]
Toni Lessler, die ihre Privatschule nicht an einen „arischen“ Betreiber übergeben mochte, fürchtete Ende 1933 eine Schließung ihrer Bildungseinrichtung. Ab 1934 musste die Schule als „Private Jüdische Waldschule Grunewald“ umfirmieren, weil Toni Lessler jüdischer Herkunft war. Die von den Nationalsozialisten als „arisch“ klassifizierten Schüler und Lehrer mussten somit die Schule verlassen. Im Jahr 1936 musste die Schule aufgrund steigenden Raumbedarfs erweitert werden. Unterricht[2] fand zusätzlich auch in dem an das Schulgrundstück angrenzenden Gebäude Kronberger Straße 18 statt (Gebäude besteht noch). Lessler erhielt die Berechtigung für das Abitur und die Genehmigung, ihre Bildungseinrichtung um eine Frauenschule zu erweitern.
Noch vor der von den Nazis angeordneten Schließung der Schule im Jahr 1939 emigrierte Lessler zusammen mit ihrer unverheiratet gebliebenen jüngeren Schwester Clara Heine in die Vereinigten Staaten,[2][13] Am 1. März 1939 verließ sie Deutschland und fuhr am 4. März 1939 zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Clara mit dem Passagierdampfer Queen Mary von Southampton nach New York City.[14][15] eine Option, die sie allein bereits im Jahr zuvor touristisch mit einer Schiffsreise nach New York City erkundet hatte.[16] Unmittelbar nach ihrer Emigration verfasste Toni Lessler eine Autobiographie.[17] Ihre durch das Nazi-Regime erzwungene Emigration und die Trennung von ihrer Lebensaufgabe hat sie bis zu ihrem Tod nicht verwunden.[18]
Sie verstarb im Alter von 77 Jahren.[1]
Werke
- mit Clara Heine: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933; Autobiographie, 1940. In: Leo Baeck Institute, Signatur: LBI, ME 726, MM 47.
Mitgliedschaften
- Toni Lessler bezeichnet sich in ihrer Autobiografie als langjähriges Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP).[19]
Ehrungen
- In der Ausstellung „Hier ist kein Bleiben länger“ (Nelly Sachs) des Museums Wilmersdorf (heute: Museum Charlottenburg-Wilmersdorf) wurde vom 19. März – 18. September 1992 fünf Gründerinnen jüdischer Schulen in Wilmersdorf gedacht: Leonore Goldschmidt (1897–1983), Lotte Kaliski (1908–1995), Vera Lachmann (1904–1985), Toni Lessler (1874–1952) und Anna Pelteson (1868–1943).
- Die Toni-Lessler-Straße in Berlin-Grunewald, die von der Hubertusbader Straße zur Wernerstraße führt, ehrt seit dem 1. September 2003 ihr Andenken.[2][20]
Literatur
- Kurt Landsberg (Hrsg.): Festschrift anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der Privaten Jüdischen Waldschule Grunewald. Selbstverlag, Berlin 1937, OCLC 250692574.
- Marlise Hoff: „Hier ist kein Bleiben länger“. Jüdische Schulgründerinnen in Wilmersdorf: Anna Pelteson, Toni Lessler, Lotte Kaliski, Dr. Vera Lachmann, Dr. Leonore Goldschmidt. Katalog zur Ausstellung „Hier ist kein Bleiben länger“. Jüdische Schulgründerinnen in Wilmersdorf, 19. März bis 18. September 1992 im Wilmersdorf-Museum. Bezirksamt Wilmersdorf von Berlin, Abteilung Volksbildung (Hrsg.), OCLC 246721451.
- Jörg H. Fehrs: Von der Heidereutergasse zum Roseneck. Jüdische Schulen in Berlin 1712–1942. Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum e. V. (Hsg.), Edition Hentrich, Berlin 1993, ISBN 978-3-89468-075-6, OCLC 246831900.
- Inge Hansen-Schaberg, Christian Ritzi: Wege von Pädagoginnen vor und nach 1933. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2004, ISBN 978-3-8967-6768-4, OCLC 56068218.
- Friedrich Wißmann, Ursula Blömer (Hrsg.): „Es ist Mode geworden, die Kinder in die Lesslerschule zu schicken“. Dokumente zur Privaten Waldschule von Toni Lessler in Berlin Grunewald. BIS Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg 2010, ISBN 978-3-8142-2047-5, OCLC 670210612.
Einzelnachweise
- ↑ a b Traueranzeige für Toni Lessler, geb. Heine. In: Aufbau – Reconstruction, deutsch-jüdische Wochenzeitung in New York City, Vol. XVIII, No. 19, 9. Mai 1952, S. 30, Spalte 4–5.
- ↑ a b c d e f g Toni-Lessler-Straße, auf: berlin.de
- ↑ „Aufstellen einer Steele [sic!] am Eingang des Stadtparks zur Ehrung des jüdischen Bürgers Philipp Würzburger“, Vorlage Nr.: 20210535 der CDU-Fraktion (James Wille), Bezirksvertretung Bochum-Mitte, vom 17. Februar 2021: „1869 fassten Bochumer Stadtpolitiker den Magistratsbeschluss einen städtischen Park zu errichten. Dieser Park sollte vor allem den Zechen- und Stahlarbeitern zur Erholung dienen. Einer der entscheidenden Befürworter des Projekts war Philipp Würzburger, der dann auch den Vorsitz der Parkkommission übernahm. Er stammte aus einer jüdischen Bochumer Familie, die seit 1800 einen Gewerbebetrieb in Bochum unterhielten. Bereits in der Zeit von 1861 bis 1863 leitete der engagierte Stadtpolitiker den Neubau der Bochumer Synagoge. Neben den vorgenannten Tätigkeiten war Vorsitzender der Innungsprüfungskommission, Direktor der Gasanstalt und des Wasserwerks, vorsitzender Brandmeister bei der städtischen Feuerwehr, Mitglied der Sanitätskommission, Vorsitzender des Kuratoriums der Handwerker und der Schuldentilgungskommission, die ausschließlich ehrenamtlich versah. 1872 stimmten die Stadtverordneten dem Bestreben, einen Stadtpark zu gründen, zu. 1873 wurden die Planungen zugunsten des Ausbaus des Gas- und Wasserwerks gestoppt, weil kein Geld für beide Projekte vorhanden war. Auf Initiative Philipp Würzburgers gelang es ihm bei der Regierung in Arnsberg die beantragten 500.000 Taler zu bekommen. Mit dem Geld konnten die nötigen Grundstücke durch die Stadt gekauft werden und der Kölner Stadt- und Landschaftsgärtner Anton Strauß 1874 den Bau beginnen, der mit der Eröffnung 1978 abgeschlossen werden konnte. Dank des engagierten Stadtpolitikers Philipp Würzburger verdanken wir ihm zu großen Teilen den heutigen schönen Stadtpark.“
- ↑ Philipp Würzburger / Ehrung zum Stadtparkjubiläum, 10. März 2022, auf: spd-bochum.de
- ↑ Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. S. 1–2.
- ↑ a b Clara Heine: Eidesstattliche Versicherung zu den Lebensverhältnissen von Toni Lessler, geborene Heine, vor und insbesondere nach der Emigration in die USA, notariell beglaubigt am 28. Juli 1956, S. 1; Center for Jewish History, cjh.org
- ↑ Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. S. 3.
- ↑ Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. S. 3–4.
- ↑ Ansprache von Kurt Landsberg am 29. August 1937. In: Kurt Landsberg (Hrsg.): Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Privaten Jüdischen Waldschule Grunewald. Berlin 1937, S. 110.
- ↑ Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. S. 4–11.
- ↑ Grunewaldrampe auf: berlin-judentum.de
- ↑ Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. S. 13.
- ↑ Aufruf zur Ehrung von Clara Heine zu deren 80. Geburtstag durch Henriette „Jetta“ Bamberger (1891-1978). In: Aufbau – Reconstruction, Vol. XXII, No. 5, 3. Februar 1956, S. 23, Spalte 1.
- ↑ List or Manifest of Alien Passengers for the United States Immigrant Inspector at Port of Arrival, S.S. Queen Mary, sailing from Southampton, 4th March 1939, arriving at Port of New York, March 9th, 1939. Pos. 28: Lessler, Toni, school teacher, 64 years old, able to read and write German, Nationality: German, Race or People: Hebrew. Place of Birth: Buckeburg, Germany. Immigration Visa: SEC.5.QIV.2325, issued in Berlin on 8.Feb.1939. Last permanent residence: Berlin, Germany.
- ↑ List or Manifest of Alien Passengers for the United States Immigrant Inspector at Port of Arrival, S.S. Queen Mary, sailing from Southampton, 4th March 1939, arriving at Port of New York, March 9th, 1939. Pos. 19: Heine, Clara, teacher, 62 years old, able to read and write German and English, Nationality: German, Race or People: Hebrew. Place of Birth: Buckeburg, Germany. Immigration Visa: SEC.5.QIV.2326, issued in Berlin on 8.Feb.1939. Last permanent residence: Berlin, Germany.
- ↑ List or Manifest of Alien Passengers for the United States Immigrant Inspector at Port of Arrival, S.S. Hansa, sailing from Hamburg, March 31st, 1938, arriving at Port of New York, April 8th, 1938. Pos. 14: Lessler, Toni, nee Heine, retired, 63 years old, able to read and write German, Nationality: German, Race or People: Hebrew. Place of Birth: Buckeburg, Germany. Immigration Visa: 2830.NIV., issued in Berlin on 5/5/37; Data concerning verifications of landings, etc. 99426/464. Last permanent residence: Berlin, Germany.
- ↑ Toni-Lessler-Straße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert)
- ↑ Clara Heine: Eidesstattliche Versicherung zu den Lebensverhältnissen von Toni Lessler, geborene Heine, vor und insbesondere nach der Emigration in die USA, notariell beglaubigt am 28. Juli 1956, S. 2; Center for Jewish History, cjh.org
- ↑ Toni Lessler: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933. S. 15–16.
- ↑ Toni-Lessler-Straße statt Seebergsteig. In: Berliner Zeitung, 2. September 2003.
Personendaten | |
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NAME | Lessler, Toni |
ALTERNATIVNAMEN | Heine, Toni (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Pädagogin, Schulleiterin und -gründerin |
GEBURTSDATUM | 4. Juni 1874 |
GEBURTSORT | Bückeburg |
STERBEDATUM | 5. Mai 1952 |
STERBEORT | New York City, USA |