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Geschichten aus dem Wiener Wald

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Geschichten aus dem Wienerwald ist ein von Ödön von Horváth verfasstes Drama, das am 2. November 1931 in Berlin uraufgeführt wurde.

Zum Stück

Es ist ein gesellschaftskritisches "Neues Volksstück", das im Milieu von Kleinbürgern und Arbeitern spielt. Der Titel spielt auf die Operette Geschichten aus dem Wienerwald von Johann Strauß (Sohn) an. Eine Bühnenmusik zu dem Stück wurde von Werner Pirchner (PWV 26) komponiert.

Aufbau

Das Stück ist in 3 Akte unterteilt:

  1. Akt: 4 Szenen
  2. Akt: 7 Szenen
  3. Akt: 4 Szenen

Sprache

Die Figuren sprechen nicht Dialekt, obwohl das Stück manchmal umgangssprachlich wirkt. Auffällig ist auch, dass die Personen versuchen, mit einer nicht zu ihrem gesellschaftlichen Stand passenden Sprache zu beeindrucken (Zitate aus anderen Werken, Fremdwörter). Allerdings kommt es dabei auch zu (vom Autor beabsichtigten) peinlichen Irrtümern (z.B. Gourmand = Schlemmer statt Gourmet = Feinschmecker).

Inhalt

Das Stück zeigt Ausschnitte aus Mariannes Leben und behandelt ihre entscheidenden Erfahrungen.

Figuren

Marianne:

Sie ist Tochter eines Puppenmachers, ein liebes und naives Mädchen, das versucht, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Da ihre Mutter schon tot ist, muss sie ihrem Vater im Geschäft und im Haushalt unter die Arme greifen. Außerdem würde sie gerne einen Beruf erlernen, aber ihr Vater verbietet es ihr und erzieht sie nur zur Ehe. Deshalb will Marianne aus der Gesellschaft ausbrechen und der Autorität ihres Vaters entfliehen. Durch den Tod ihres Sohnes, den sie aus einer wilden Affäre mit Alfred hat, verliert sie aber alles, was ihr noch geblieben ist. Sie muss sich gegen ihren Willen ihrem Schicksal, Oskar zu heiraten, fügen und wird gezwungen, gesellschaftlich das zu tun, was gemeinhin von einer jungen Frau erwartet wird. Die Ironie dabei ist, dass sich ihr Vater bereits mit dem unehelichen Kind und Mariannes Wunsch, sich selbst einen Mann zu suchen, abgefunden hätte.

Der Zauberkönig:

Der Zauberkönig (Leopold) ist der Besitzer der Puppenklinik und zugleich Mariannes Vater. Egoistisch wie er ist, erkennt er nicht, dass Marianne ihren eigenen Kopf hat und teils aus Trotz nicht das tut, was er von ihr will. Als sie sich mit Alfred auf und davon macht und auch noch ein Kind von ihm zur Welt bringt, ist sie für den Vater gestorben: "Ich habe keine Tochter." Als er Marianne im Variété auftreten sieht, zu dem ihn der Rittmeister eingeladen hat, erleidet er einen Schlaganfall. Durch Valerie werden die beiden dann doch wieder zusammengeführt, da der Zauberkönig erkennt, dass er seine Tochter braucht, ohne die er auch seine Puppenklinik schließen müsste.

Oskar:

Er ist wohlhabend und besitzt eine Fleischerei, wirkt oft aber roh und primitiv. Er ist vor allem scheinheilig, da er vorgibt, Marianne zu lieben, sie dann aber des Kindes wegen nicht mehr heiraten will, da das ja unehrenhaft wäre. Erst als dieses gestorben ist, möchte er sie doch wieder heiraten und nützt ihr Scheitern zu einer ungewollten Verbindung aus.

Alfred:

Alfred ist ein ehemaliger Bankangestellter, Spekulant und Frauenheld. Er will ans schnelle Geld kommen, zur Not auch durch Betrug. Er ist egoistisch, wirkt aber lässig-charmant. Zu Beginn lässt er sich von Valerie aushalten und hat mit Marianne nur ein Abenteuer im Sinn. Deshalb möchte er sich vor jeglicher Verantwortung drücken und will Marianne und das Kind möglichst schnell wieder loswerden.

Valerie:

Valerie ist eine ca. 50-jährige verwitwete Trafikantin und die Geliebte von Alfred. Sie will Marianne helfen und ist nationalsozialistisch eingestellt.

Auffälligkeiten

Es gibt viele Regieanweisungen und alles wiederholt sich (Stück endet am gleichen Schauplatz, wie es begonnen hat). Das wird auch noch durch Regieanweisungen wie z.B. „Es scheint überhaupt alles beim alten geblieben zu sein" verdeutlicht. Außerdem werden ständig Walzer erwähnt. Diese bestehen ja hauptsächlich aus Drehbewegungen, was darauf hindeutet, dass sich alles im Kreis dreht und wieder von vorne beginnt. Zum Schluss schaut es auch tatsächlich so aus als wäre kaum was geschehen (selber Ort wie zu Beginn, Kind tot...), aber das Stück endet als Tragödie. Die Menschen können aus diesem Kreislauf nicht entfliehen. Marianne hat es versucht, ist aber wieder da, wo sie bereits vorher war (muss Oskar heiraten, ihr Kind ist tot). Die Figuren sind unfähig, aus der Vergangenheit und ihren Fehlern zu lernen.

Interpretation

Zitat Horváths: „Ich habe nur zwei Dinge, gegen die ich schreibe, das ist die Dummheit und die Lüge. Und zwei wofür ich eintrete, das ist die Vernunft und die Aufrichtigkeit."

Außerdem ist dem Theaterstück noch der Satz „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit wie die Dummheit“ vorangestellt.

Diese beiden Sätze zeigen, dass Horváth die Dummheit der Menschen kritisiert. Für ihn ist Dummheit einerseits das bewusste Ignorieren von Unangenehmem und Unbequemem und andererseits auch die Folge vorenthaltener Belehrung und Unterweisung.

Das Werk zeigt typisches Verhalten des Kleinbürgertums auf. Die Menschen verstecken sich hinter einer Fassade, leben in einer „heilen Welt“, die sich allerdings nur als Scheinwelt entpuppt, und wollen die Realität nicht sehen. Die Musik, die im Stück eine wichtige Rolle spielt (v.a. Walzer) wirkt wie ein Mittel der Vernebelung, wie ein schwindelhaftes Versprechen auf Glück. Durch dieses häufige Wiederholen der Musik erhält das Stück eine fast kitschige Note. Dadurch wird aber auch deutlich, dass es diese gemütliche Wiener Welt in Wirklichkeit gar nicht gibt: In Wirklichkeit spielt sich eine Tragödie nach der anderen ab. Der Alltag wird von Verlogenheit, gespielter Höflichkeit und Scheinheiligkeit bestimmt.

Verfilmungen

Erstmals verfilmt wurde das Stück 1934 (Regie: Georg Jacoby, mit Magda Schneider und Wolf Albach-Retty), dann auch 1961 und 1964 (für das Fernsehen) unter der Regie von Erich Neuberg, mit Johanna Matz (Marianne), Walter Kohut (Alfred), Helmut Lohner, Hans Moser (Moser spielte schon bei der Uraufführung 1931 in Berlin den Vater der Marianne), Helmut Qualtinger (Oskar), Jane Tilden (Valerie) und anderen.

Eine weitere Verfilmung entstand 1979 unter der Regie von Maximilian Schell, mit Birgit Doll (Marianne), Hanno Pöschl (Alfred), Helmut Qualtinger (Zauberkonig), Jane Tilden (Valerie), Adrienne Gessner (Alfreds Großmutter), Götz Kauffmann (Oskar), André Heller (Hierlinger), Robert Meyer (Erich), u.a.