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Pluto (Marschflugkörper)

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Tory-IIC Triebwerk am Nevada Proving Ground vor dem erfolgreichen Test 1964. Man beachte zum Größenvergleich die Techniker in weißen Schutzanzügen mittig obenauf.

Pluto war die Bezeichnung für das amerikanische Forschungsprogramm an einem Marschflugkörper mit nuklearem Staustrahltriebwerk zum Transport von Kernwaffen. Das Projekt der SLAM - Supersonic Low-Altitude Missile begann 1957 und endete 1964.

Der Name Pluto bezieht sich auf den Römischen Gott der Unterwelt und des Totenreiches.

Konzept

Die Idee hinter Pluto war, dass ein Kernreaktor über längere Zeit hohe Energiemengen produzieren könnte, um den Marschflugkörper mit einer Geschwindigkeit von Mach 3 eine Strecke von über 20.000 km im Tiefflug fliegen zu lassen, wobei er feindliches Radar unterfliegen würde. Eine Abwehr wäre nahezu unmöglich gewesen.

Der Pluto-Marschflugkörper stand am Ende des Versuches der US-Luftwaffe, einen nuklearbetriebenen Bomber zu bauen, der Monate in der Luft bleiben und überall auf der Welt zuschlagen konnte. Probleme ergaben sich dabei vor allem durch das zusätzliche Gewicht der Abschirmung sowie durch das des Reaktors, welcher das Triebwerk durch einen sekundären Kreislauf antreiben sollte. Auf die Abschirmung konnte bei Pluto verzichtet werden, da keine Besatzung geschützt werden musste, ebenso war ein Sekundärkreislauf zur Regelung des Schubs nicht notwendig. Beides hätte zudem das Gewicht des Flugkörpers zu hoch getrieben.

Das Konzept eines nuklearen Staustrahltriebwerks erschien grundsätzlich vielversprechend, da der Reaktor die Luft direkt erhitzt und keine beweglichen Teile notwendig sind, die verschleißen können, während der Atomreaktor lange Zeit hohe Energiemengen liefern kann. Damit bedingt war die hohe Geschwindigkeit, da der Reaktor nur durch den Luftstrom gekühlt werden konnte. Eine Landung war nicht vorgesehen, vielmehr sollte Pluto nach dem Abwurf der Bombenlast über den Zielen weiter über der UdSSR kreisen, bis er durch Materialermüdung abgestürzt wäre.

Da ein Staustrahltriebwerk keinen Startschub erzeugt, sollte der Start durch drei konventionelle Boosterraketen erfolgen, die nach wenigen Sekunden bei genügender Geschwindigkeit und Höhe ausbrannten und abgeworfen wurden. Dann sollte der Kernreaktor zünden und Pluto ins Zielgebiet fliegen.

Statt Tragflächen war bei der hohen Geschwindigkeit lediglich ein dreiblättriges Leitwerk vorgesehen. Wegen der enormen aerodynamischen Belastungen musste die Zelle besonders stabil ausgelegt werden.

Wirkung

Schon die bei Mach 3 im Tiefflug entstehende Druckwelle von Pluto wurde mit 162 db Schalldruckpegel als potenziell tödlich erachtet. Weiterhin hätte Pluto im Flug nicht nur seine Umgebung aufgrund fehlender Abschirmung des Reaktors mit starker Neutronen- und Gammastrahlung verstrahlt, sondern möglicherweise auch die Luft, welche das Triebwerk passierte, mit Radioisotopen verstrahlt. Der Flugkörper hätte zusammen mit der erzeugten Druckwelle bis zu seinem Ziel eine Spur der Zerstörung gezogen. Die Konstrukteure planten zudem, dass Pluto, nachdem er seine H-Bomben auf die Ziele abgeworfen hatte, weiter für Minuten oder Stunden über der UdSSR kreisen sollte, um bis zum Absturz weitere Gebiete durch seinen Überflug zu zerstören oder radioaktiv zu kontaminieren.

Entwicklung

Die Entwicklung begann 1957 am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien. Hier wurde auch der Reaktor entwickelt und produziert, während die Zelle von der Flugzeugfirma Vought (en) zugeliefert werden sollte.

Die Konstruktion erwies sich als Gratwanderung in den Bereichen Aerodynamik, Thermodynamik und Metallurgie und verlangte die Entwicklung neuer Technologien in verschiedenen Bereichen. Dazu war das Projekt mit einem großzügigen Budget ausgestattet.

Eine erste Herausforderung bestand darin, die für Navigation und Steuerung notwendige Elektronik zu entwickeln, die bei der hohen Radioaktivität noch arbeitete. Eine Fernsteuerung kam wegen der Störanfälligkeit nicht in Frage. Für die Navigation auf die große Entfernung schienen inertiale Navigationssysteme prinzipiell geeignet, für Pluto mussten diese aber gegen die Strahlung "gehärtet" und durch Gas-Dynamische Lager präziser gemacht werden. Daneben wurde ein ergänzendes System entwickelt, um im Zielgebiet die für den Abwurf mehrerer H-Bomben notwendige Zielgenauigkeit zu erreichen: Die Bilder einer Videokamera wurden dabei mit vorher abgespeicherten Gelände-Kontur-Daten im Flug abgeglichen. Nach ausgiebigen Tests erreichte das 'Fingerprint' genannte System die geforderte Zuverlässigkeit. Als en:TERCOM wird es bis heute in Marschflugkörpern eingesetzt.

Wegen der fehlenden Abschirmung musste ein spezielles Testgelände in der Wüste von Nevada eingerichtet werden. Die Testflüge sollten später über dem Pazifik stattfinden, wo bereits Atombombentests durchgeführt worden waren, eine Strahlenbelastung somit akzeptabel erschien.

Allein die Triebwerktests verlangten enormen Aufwand, da man einen schnellen Luftstrom brauchte, aus den genannten Gründen aber nicht im Flug getestet werden konnte. Daher zog man von Livermore zu der Nevada Test Site um, wo auf 21 km² spezielle Anlagen errichtet wurden: Neben 10 km Straßen und einem Fabrikationskomplex wurden 40 km Öl-Pipeline verlegt, die zur Speicherung von 450 t komprimierter Luft notwendig waren. Die Luft wurde auf 500° Celsius erhitzt und mit einem Druck von 22 bar in den Windkanal geleitet - nur so konnte der Ramjet am Boden getestet werden, da ein passender Turbinen-getriebener Windkanal damals (und bis heute) nicht existierte.

Das „Tory“ genannte Triebwerk musste 1.600 Grad Celsius standhalten, eine Temperatur, bei der alle gängigen Metalle geschmolzen wären. Der Reaktor hatte ein Länge von 163 cm und einen Durchmesser von 145 cm, er war mit 59,9 kg angereicherten Urans bestückt. Die Gratwanderung zeigt sich etwa daran, dass einige Stoffe nur 150 Grad unter ihrer Zündtemperatur betrieben wurden. Auch wurden spezielle Keramikwerkstoffe eingesetzt; allein für den Reaktor waren 465.000 bleistiftgroße, röhrenförmige Brennelemente hochpräzise zu fertigen. Sie wurden zu 27.000 Röhren zusammen gesetzt, in denen die durchströmende Luft erhitzt wurde.

Für die Steuerung waren pneumatische Motoren zu konstruieren, die in weißglühendem Zustand noch funktionierten. Die hohe Geschwindigkeit stellte auch neue Anforderungen an Struktur und Werkstoffe der Zelle; nach Berechnungen der Ingenieure hätte der aerodynamische Druck um das Fünf- bis Achtfache gegenüber dem des Überschall-Experimentalflugzeugs X-15 gelegen.

Am 14. Mai 1961 lief das weltweit erste nukleare Staustrahltriebwerk „Tory-IIA“, das auf ein Eisenbahngestell montiert war, für ein paar Sekunden. Drei Jahre später brannte das weiterentwickelte „Tory-IIC“ für 292 Sekunden mit der vollen Leistung von 513 MW (ca. 700.000 PS), entsprechend einem Schub von über 156 kN. Trotz dieses und anderer erfolgreicher Tests beschloss das Pentagon jedoch, nur mehr auf Interkontinentalraketen zu setzen, deren Konstruktion wider Erwarten erfolgreich fortgeschritten war. <br\> Am 1. Juli 1964, sechseinhalb Jahre nach dem Beginn, wurde "Projekt Pluto" endgültig gestoppt - in der Erklärung des Department of Defense und State Department deklariert als “being too provocative”.

Technische Daten

  • Länge: 26,8 m
  • Größter Durchmesser: 1,5 m
  • Masse: 27.540 kg
  • Antrieb: Feststoffraketen als Booster, Marschflug durch nuklearen Ramjet
  • Geschwindigkeit: Mach 3,5 in 300 m Flughöhe, bis zu Mach 4,2 in 9.000 m
  • Reichweite: 21.300 km in 300 m Flughöhe und bis zu 182.000 km in 9.000 m
  • Gefechtskopf: bis zu 26 Wasserstoffbomben unterschiedlicher Sprengkraft

Siehe auch

  • NERVA - ein nukleares Raketentriebwerk für die Raumfahrt, 1954 bis 72
  • Orion-Projekt - Raumfahrtantrieb auf Basis von Atomexplosionen, 1957 bis 65