Hunnen
Der Begriff Hunnen ist eine Bezeichnung für eine Gruppe innerhalb der zentralasiatischen Völkerschaften mit nomadischer, später halbnomadischer Lebensweise. Sie waren ursprünglich im Gebiet zwischen dem heute kirgisischen Yssykköl-See und der heutigen mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar beheimatet und sollten für die weitere asiatische und europäische Geschichte eine bedeutende Rolle spielen.
Namensherkunft und -verwendung
Das Wort "Hunne" (in der Sprache der Hsiung-nu lautete es Hun) mit der Bedeutung von "Mensch" oder "Volk". Es ist verwandt mit dem tungusischen Chun, das "Kraft" oder "Mut" bedeutete. Chün wurde auch zur chinesischen Bezeichnung eines Fürsten.
Verwendet wurde der Begriff "Hunnen" vor allem von den Nichtchinesen, die Chinesen bezeichneten sie stattdessen als "Hsiung-nu". Ein nach Samarkand gerichtetes Schreiben eines sogdischen Händlers aus dem China des frühen 4. Jahrhunderts mag das verdeutlichen:
- Herr, der letzte Kaiser floh, wie sie sagen aus Saragh (Luoyang) vor der Hungersnot. Seine befestigte Residenz und die feste Stadt wurden dem Feuer übergeben. ... Weiterhin wurde der Kaiser zum Gefangenen gemacht und in die Gefangenschaft der Hunnen geführt. Und sie (waren)... in Chumdan (Ch'ang-an) und plünderten das Land - diese Hunnen, die gestern noch das Eigentum des Kaisers waren!
Heute verwendet man für das Reich Mao-duns Türkisch "Mete Batur Kagan" (reg. 210-174 v. Chr.) und seiner unmittelbaren Nachfolger bevorzugt den chinesischen Begriff Hsiung-nu. Man illustriert damit, dass Hsiung-nu und Hunnen nicht identisch sein müssen; die neuere Forschung geht auch zum größten Teil nicht mehr davon aus. Denn letztendlich handelte es sich um eine Nomadengruppe, die sich je nach politischen Umständen in rudimentären Staatswesen organisierte, trennte und neu organisierte, so dass einige Fragen zu ihrer Zusammensetzung immer offen bleiben werden (siehe auch: Ethnogenese).
Zu den Mitte des 4. Jahrhunderts an der Grenze Mitteleuropas auftauchenden Gruppen, speziell dem Reich Attilas (reg. 434-453), sagt man schon immer Hunnen. In diesem Artikel werden diese in unserem Kulturkreis seit alters her "Hunnen" genannten Stämme und die damit verbundene Völkerwanderung behandelt, die anderen Zusammenhänge sind unter "Hsiung-nu" zu finden.
In der spätantiken Geschichtsschreibung bezeichnet der Begriff Hunne zudem oft nur ein Volk, welches aus der gewaltigen Steppenregion Zentralasiens stammte, ohne dass damit eine Aussage über die ethnische Zugehörigkeit verbunden wäre.
Die asiatischen Hunnen
Die Herkunft der heute im allgemeinen als Hunnen bezeichneten Stämme (Schwarze Hunnen oder europäische Hunnen usw.) vollzog sich im Kontext des aufgesplitterten und untergehenden Hsiung-nu-Reiches.
Das Hsiung-nu-Reich hatte sich im Jahr 48 unter P'u-nu in einen nördlichen und einen südlichen Teil gespalten. Unter dem Süd-Hsiung-nu An-kuo verzeichnete man 93/94 noch einmal eine Einigung der Hsiung-nu, allerdings währte sie nicht lange. Als Tan-shi-huai (ca. 156–181) die Sien-pi zu ihrem Macht-Höhepunkt führte, gaben die Nord-Hsiung-nu laut chinesischen Chroniken im Jahr 158 Ost-Turkestan und den Altai auf und ließen sich nördlich von Kang-chu (d.h. nordöstlich des Aralsees) nieder.
Diese Altai-Hunnen werden heute allgemein als Schwarze Hunnen bezeichnet, da auch die heutigen Türken diese als "Kara Hun" (türk.: Kara = schwarz) bezeichnen. Als Alternativname könnte man zu dieser Hunnengruppe "europäische Hunnen" sagen, da auch die heutigen Türken diese mitunter als Avrupa Hunları bezeichnen, aber der Begriff "Schwarze Hunnen" ist in Europa verbreiteter.
Das Volk setzte sich hauptsächlich aus Turko-Mongolen zusammen, wobei der mongolide Einfluss im Verlauf der Westwanderung sicherlich abnehmend und der indogermanische Einfluss zunehmend war. Sie gelten als unmittelbare Verwandte der Onoguren (die vielfach als Teil der Hunnen angesehen werden) und der Westtürken. Eine spätere Eigenbezeichnung für diese Volksstämme lautet: Khara Bulkhar/Qara Bolqar – Schwarze Bulgaren.
Die folgende Tabelle zeigt die bekannten Namen der hunnischen Stämme und die später aus ihnen hervorgehenden Einzelvölker.
Stammesname | Einzelvolk |
---|---|
Hun | Hunnen |
Uange, Bugu, Bayegu, Tunlo, Sygye, Husye, Highye, Adye oder Eduz, Baysi | Uyghuren |
Seyanto, Kibi, Dubo, Dolange, Bayegu | Scha-t'o |
Guligan | Jakuten |
Dolange, Husye, Highye, Adye oder Eduz, Baysi | Telegiten |
Der eigentliche „Hunnensturm“ begann im 4. Jahrhundert: Im Jahr 350 begannen Angriffe einer als Chioniten bezeichneten hunnischen Gruppe gegen das Sassanidenreich unter Schapur II..
Die Chioniten eroberten bis 360 Baktrien, dazu Teile des Iran und drängten die Kidariten (eher als Reste der Yüe-tschi unter Kidara anzusehen) nach Afghanistan und Nordindien. Ihnen folgten die Hephthaliten (so genannte „Weiße Hunnen“, siehe auch das Geschichtswerk des Prokopios von Caesarea), die 425 den Syr-daja überschritten und bis 450 de facto die Herrschaft über die Chioniten übernahmen. Zu einem chronologisch unklaren Zeitpunkt (451 oder 484) endete auch die Zeit der Kidariten. Die Weißen Hunnen hatten wesentlichen Anteil am Niedergang des indischen Großreichs der Gupta und führten auch mehrere Auseinandersetzungen mit Persien (484 Tod des Sassaniden Peroz I., 498/99 Einmischung in die sassanidischen Thronstreitigkeiten).
Die „Weiße Hunnen“ genannten Völker werden von den chinesischen Chroniken zu den indogermanischen Ta-Yüe-tschi gestellt. Laut dem Chronisten Prokop unterschieden sie sich zwar in Lebensweise, Aussehen und Sitten von den europäischen Hunnen, trotzdem sah er in ihnen „Hunnen“. Heute zählen die meisten Historiker und Sprachforscher die "Weißen Hunnen" zu den indogermanischen Tocharern.
Siehe auch
Literatur
- Literaturhinweise zu Hunnen bei der Studienhilfe zur Archäologie und Kunst Mittelasiens.
- Franz Altheim: Geschichte der Hunnen, 5 Bände, Berlin 1959ff.
(Älteres und teils überholtes Standardwerk.) - Bodo Anke: Studien zur reiternomadischen Kultur des 4. bis 5. Jahrhunderts. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 8, Wilkau-Haßlau 1998, ISBN 3-930036-11-8.
- Istvan Bóna: Das Hunnenreich, Stuttgart 1991.
(Vor allem aufgrund der Einbeziehung archäologischer Erkenntnisse lesenswert.) - Peter J. Heather: The Huns and the end of the Roman Empire in Western Europe, in: English Historical Review 110 (1995), S. 4–41.
- Otto J. Maenchen-Helfen: Die Welt der Hunnen, Wiesbaden 1997.
(Deutsche Erstaufl. 1978. Standardwerk, aber teils lückenhaft; jedoch ist die deutsche Übersetzung von Robert Göbl überarbeitet worden und daher dem englischen Original vorzuziehen.) - Wilfried Menghin (Hrsg.): Germanen, Hunnen und Awaren. Schätze der Völkerwanderungszeit. Die Archäologie des 5. und 6. Jahrhunderts an der mittleren Donau und der östlich-merowingische Reihengräberkreis. Ausstellungskataloge des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 1987, ISBN 3-9801529-4-4.
- Edward A. Thompson: The Huns, Oxford 1999.
(Aufl. aus den 40er Jahren, mit einem Nachwort von Peter Heather; immer noch lesenswert.)
Weblinks
- Hunnen. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica. (englisch, iranicaonline.org – mit Literaturangaben).
- Die Hunnen bei steppenreiter.de/
- Liste der hunnischen Könige
- Hsiung-nu (englisch)
- ZDF: Der Hunnensturm über Europa
- HomePage der Ausstellung Reitervölker aus dem Osten, Hunnen + Awaren, Burgenländische Landesausstellung 1996