Evolutionstheorie
Die Evolutionstheorie ist eine grundlegende wissenschaftliche Theorie der Biologie.
Evolution ist ein Fremdwort aus dem Lateinischen mit der Bedeutung Entwicklung. Unter einer Theorie versteht man eine belegte wissenschaftliche Lehre, die, obschon widerlegbar, bisher nicht widerlegt wurde.
Die Evolutionstheorie versucht, Ursprung, Entwicklung und Vielfalt des Lebens auf der Erde als einen historischen natürlichen Prozess zu erklären, der sich über viele Jahrmillionen vollzogen hat. Danach stammen alle Organismen durch einen zusammenhängenden Verzweigungsprozess von gemeinsamen Vorfahren ab.
Die Evolutionstheorie beschreibt einen aus zwei wesentlichen Bestandteilen bestehenden Prozess mit:
- zufälligen Ereignisssen, die vererbbare Eigenschaften hervorrufen (Variationen, z.B. durch Mutationen oder Rekombinationen bedingt) und
- gesetzmäßigen Ereignissen (Selektion und Vererbung), durch die die zufallsbedingt erworbenen Eigenschaften an die nächste Generation weitergegeben werden oder nicht.
Die Bildung neuer Arten beruht im Wesentlichen auf
- einer Isolation zweier (selten auch mehrerer) Populationen einer Art voneinander durch Barrieren. Normalerweise ist dies eine geographische Isolation, beispielsweise durch geologische (Gebirgsbildung, Grabenbrüche), klimatische Vorgänge oder die Neubesiedlung von Inseln oder anderen abgetrennten Lebensräumen. Eine Isolation kann auch durch andere ökologische Faktoren (neue Nahrungsquelle und damit veränderte Mikrohabitate) oder Verhaltensänderungen eintreten
- einer getrennten Evolution beider Populationen, die zu unterschiedlichem Genomen führt
- der Entwicklung genetischer Inkompatibilitäten, die die Vermischung der Arten auch bei Wegfall der Barrieren verhindern sowie von Verhaltensänderungen, die die Kopulation unwahrscheinlich machen.
Eine erste Evolutionstheorie stammt von Jean Baptiste Lamarck. Die heutige Evolutionstheorie wurde von Charles Darwin begründet und von einer Vielzahl von Biologen und anderen Wissenschaftler weiterentwickelt. Sie ist heute weitgehend als eine grundlegende naturwissenschaftliche Lehre anerkannt, auch wenn einige Details noch nicht vollständig verstanden sind.
Sie ist eng mit der Systematik der Biologie, der Genetik, der Populationsgenetik, der Morphologie und anderen Teilbereichen der Biologie verknüpft: Einerseits liefern genannte Bereiche experimentelle Hinweise zur Evolution, andererseits liefert die Evolutionstheorie ein vereinheitlichendes Bild innerhalb und zwischen den Bereichen.
Daneben ist die Geologie mit ihrer systematischen Untersuchung fossiler Lebensspuren (Paläontologie) eine eng mit der Evolutionstheorie verknüpfte Wissenschaft.
Eine wichtige Technik zur Erstellung phylogenetischer Stammbäume für die Systematik ist die Kladistik.
Konfliktpunkte
Nur wenige andere naturwissenschaftliche Theorien haben einen derart heftigen Diskussionsprozess in Gang gebracht wie die Evolutionstheorie. Vor allem mit dem Schöpfungsglauben vieler Religionen gab und gibt es immer noch scheinbar unüberbrückbare Kontroversen:
- Die Evolutionstheorie widerspricht der christlichen, jüdischen und islamischen Ansicht einer göttlichen Schöpfung der heutigen Lebensformen (Kreationismus).
- Sie widerspricht der Ansicht einer unveränderlichen, gleichbleibenden belebten Natur (Konstanz der Arten).
- Sie widerspricht der Ansicht, dass die Entwicklung der verschiedenen Lebensformen auf ein Ziel hin ausgerichtet ist. (Teleologie )
- Sie widerspricht der Ansicht von der Vererbung erworbener Eigenschaften. (Lamarckismus)
- Sie widerspricht auch der Ansicht, dass das heutige Leben ohne Einfluss des Zufalls entstanden sei.
- Oft wird angeführt, etwas so Kompliziertes, wie z.B. der Mensch, könne nie durch Zufall entstehen. (Siehe oben Mischprozess aus Zufall und Gesetzmäßigkeit)
Einteilung und Entwicklungen
Seit ihrer ursprünglichen Formulierung hat sich die Evolutionstheorie in vielfacher Hinsicht weiterentwickelt. Als direkter Nachfolger der Darwinschen Evolutionstheorie gilt die klassische neodarwinistische Evolutionstheorie. Sie wurde insbesondere von Ernst Mayr zur Synthetischen Theorie der Evolution weiterentwickelt. Durch die Einbeziehung der informationstheoretisch geprägten Systemtheorie nach Ludwig von Bertallanfy entwickelte insbesondere die Wiener Schule (Rupert Riedl u.a.) die Systemtheorie der Evolution.
Auch die Frage, wo die Selektion ansetze, ist Modifikationen unterzogen. So geht die darwinistische Theorie davon aus, dass die Selektion auf der Ebene des Phänotyps ansetze, und die Selektion zum Überleben des bestangepassten Organismus (survival of the fittest) führe. In Abgrenzung davon wurde der Begriff vom "Eigennutz des Gens" (Richard Dawkins: The Selfish Gene, 1976) geprägt, wonach auch Gene, die zu einer Beeinträchtigung des Organismus führen, selektiert werden, sofern sie Merkmale hervorrufen, die die Verbreitung dieses Gens unterstützen. Auf diese Weise werden Phänomene wie die Ermordung von Affenbabys durch Männchen, die nicht der biologische Vater sind, erklärt, ebenso die zum Teil für das Überleben hinderlichen Sexualdimorphismen wie übergroße Geweihe, auffällige Federkleider usw.
Aktuell diskutierte Probleme sind auch:
- Die Koevolution. Betrachtet man viele Symbiosen, so erscheint es fraglich, wie die tiefgreifenden Abhängigkeiten von Symbiosepartnern (z.B. bei Flechten) entstehen konnten. Ebenso erstaunlich sind die wechselseitigen Anpassungen von Insekten und Blütenpflanzen. Sehr oft hat man aber fossil oder rezent Zwischenstufen gefunden, die die parallele Evolution verständlich machen.
- Die Evolution der Evolutionsmechanismen. Hier hat die Molekularbiologie in jüngerer Zeit deutlich veränderte Einsichten gebracht. Ging man in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts noch davon aus, das die DNA-Sequenz direkt das entscheidende Genmaterial darstelle, so haben die Entdeckung der Introns , Exons sowie des Splicings und insbesondere des alternativen Splicings gezeigt, dass die Ursachen der genetischen Varabilität bereits auf molekularer Ebene Evolutionsprozessen unterworfen sind.
- Die Evolution tiefgreifender Änderungen (Makroevolution), etwa auf der Ebene von Tierstämmen. Solange als Ursachen der Variabilität nur Genmutationen, Chromosomenmutationen, Genommutationen und Rekombination im Zuge der Meiose erkannt waren, war schwer vorstellbar, wie sich bestimmte Merkmale ohne Zwischenstufen ohne eigenen Selektionsvorteil entwickelt haben könnten. Solche Erscheingen findet man speziell bei Eukaryonten. Die Entdeckung des alternativen Splicings bei Eukaryonten hat Ende des 20. Jahrhunderts gezeigt, dass DNA-Sequenzen multifunktionell sein und - je nach Splicing - zu unterschiedlichen Proteinen führen können. Zudem codiert ein erheblicher Teil der DNA nicht für Proteine. Auch die Genregulation bringt neue Aspekte in die Evolutionsforschung. So kann es einen Selektionsvorteil darstellen, phylogenetisch alte und nicht zur Proteincodierung benutzte DNA-Sequenzen im Genom zu konservieren, da damit die Ausprägung neuer Merkmale durch verändertes Splicing oder Änderungen der Genregulation weitaus schneller und tiefgreifender sein kann als es durch einen Austausch von DNA-Basen der Fall wäre.
Literatur
- Riedls Kulturgeschichte der Evolutionstheorie. Die Helden, ihre Irrungen und Einsichten.
- Riedl, Rupert
- 2003. 236 S. m. 39 Abb. 24 cm. Gebunden. 574gr.
- ISBN 3-540-43668-5, KNO-NR: 10 90 42 97 -SPRINGER, BERLIN- 29.95 EUR
- Die Herausforderung der Evolutionsbiologie:
- Hrsg. v. Heinrich Meier. Serie Piper Bd.997. Mit 28 Abb.. Kartoniert. 250gr.
- ISBN 3-492-10997-7, KNO-NR: 03 41 32 93 -PIPER- 10.90 EUR
- Evolutionsbiologie. Eine allgemeine Einführung.
- Kutschera, Ulrich:
- 2001. 284 S. m. 104 Abb. 21 cm. Kartoniert. 476gr.
- ISBN 3-8263-3348-9, KNO-NR: 10 05 93 31 -BLACKWELL WISSENSCHAFTS- VERLAG; PAREY- 29.95 EUR
- Die Evolutionstheorie und ihr Gegenstand
- Beitrag der Methodischen Philosophie zu einer konstruktiven Theorie der Evolution
- Gutmann, Mathias
- (Studien zur Theorie der Biologie Band 1) 1996
- Dawkins, Richard: The Selfish Gene. Oxford: Oxford University Press, 1976. New Edition 1989.
- Dawkins, Richard: The Blind Watchmaker. London u.a.: Penguin, 1986. Rpt. 1991.
Weblinks
- Linkliste Evolutionsbiologie in Deutschland
- Fossile Zeugen der Evolution
- Geschichte des Evolutionsgedankens (englisch)
- Frankfurter Evolutionstheorie
- Die Evolutionstheorie und der moderne Antievolutionismus
- http://www.vwb-verlag.com/Katalog/m045.html
Siehe auch
- Art -- Fitness -- Mutation -- Variation -- Genetik -- Charles Darwin -- Genetischer Code -- Gregor Mendel -- James Watson -- Selektion -- Ernst Haeckel -- Lamarck -- Ernst Mayr -- genetische Drift -- Paläontologie -- Artbildung -- Chromosom -- Dominanz -- Merkmal -- Abstammung -- Verwandtschaft -- Taxonomie -- Phylogenese