Lise Meitner

Lise Meitner (*7. November 1878 in Wien; † 28. Oktober 1968 in Cambridge) war eine österreichisch-deutsch-schwedische Atomphysikerin.
Leben und Arbeit
Ausbildung und Studium
Lise Meitner wurde am 2. November 1878 in Wien geboren. Sie war die dritte Tochter des jüdischen Rechtsanwaltes Dr. Philipp Meitner und dessen Frau Hedwig Meitner-Skovran. Wie in den höheren Bürgerkreisen üblich wiurde sie jedoch nicht nach dem jüdischen sondern den evangelischen Glauben erzogen. Ihre Schullaufbahn absolvierte sie auf einer Bürgerschule, da an den Gymnasien Mädchen nicht zugelassen wurden. Um die Matura (Abitur) zu bekommen, bereitete sich Lise Meitner im Selbststudium vor und erlangte die Reifeprüfung 1901 im Alter von 23 Jahren am akademischen Gymnasium Wien.
Durch ihr Abschlusszeugnis berechtigt begann Lise Meitner 1902 ihr Studium der Physik an der Universität Wien. Bereits in den ersten Jahren ihres Studiums beschäftigte sie sich mit den Fragestellungen der Radioaktivität. Sie promovierte 1905 als zweite Frau an der Wiener Universität über die Wärmeleitung in inhomogenen Stoffen und bewarb sich anschliessend bei Marie Curie in Paris, allerdings erfolglos. Das erste Jahr nach ihrer Promotion arbeitete sie am Institut für theoretische Physik in Wien.
Die Forschung in Berlin
1907 ging sie nach Berlin und traf dort erstmalig auf den jungen Chemiker Otto Hahn, mit dem sie die folgenden 30 Jahre zusammenarbeiten sollte. Da auch im damaligen Preußen eine Frau in der Forschung ungen gesehen wurde, bekam sie in seinem Institut (heutiger Otto-Hahn-Bau an der Thielallee, Institut der Freien Universität Berlin) einen Platz in der so genannten "Holzwerkstatt" und musste das Gebäude immer durch den Hintereingang betreten. 1908 trat sie der evangelischen Kirche bei.
1909 entdeckten beide gemeinsam den radioaktiven Rückstoß und in den Folgejahren auch diverse radioaktive Nuklide. Durch diese Erfolge machte sie sich in der Physik einen Namen und lernte unter anderen Albert Einstein und Marie Curie persönlich kennen. Von 1912 bis 1915 wurde Lise Meitner als Assistentin bei Max Planck am Institut für Radioaktivität (Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie) in Berlin-Dahlem unentgeltlich tätig und forschte nebenbei in den Kellerräumen des Instituts für Chemie an ihren eigenen Projekten. Während des 1. Weltkriegs arbeitete Lise Meitner als Röntgenschwester der österreichischen Armee in einem Lazarett an der Ostfront während Otto Hahn an Projekten zur Herstellung von Giftgas beteiligt war.
Von 1917 an arbeitete Lise Meitner erneut gemeinsam mit Otto Hahn und sie entdeckten im selben Jahr das chemische Element Protactinium (Element 91). 1920 erhielt sie erstmals eine eigene radiophysikalische Abteilung mit angemessenem Gehalt und 1922 das Recht, als Dozentin zu arbeiten. 1926 wurde sie ausserordentliche Professorin für experimentelle Kernphysik an der Freien Universität Berlin und Leiterin der physikalisch-radioaktiven Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie.
Ihre Vertreibung und die Entwicklung der Kernspaltung
1933 wurde Lise Meitner die Lehrbefugnis aufgrund ihrer jüdischen Abstammung wieder entzogen, sie arbeitete allerdings trotzdem mit Otto Hahn an Bestrahlungsexperimenten mit Neutronen weiter. 1938, als Deutschland Österreich annektierte, wurde Lise Meitner zwar deutsche Staatsbürgerin, als Jüdin war sie jedoch an Leib und Leben bedroht. Sie floh vor den Nazis über Holland und Dänemark (siehe auch: Rettung der dänischen Juden) nach Schweden, wo sie ihre Forschungen bis 1946 am Nobel-Institut fortsetzte. Noch 1938 schrieb ihr Otto Hahn von einem Vorgang, den er entdeckt hatte und "Zerplatzen" nannte. Er fragte sie in dem Brief:
- Wäre es möglich, dass das Uran 239 zerplatzt in ein Ba und ein Ma? Es würde mich natürlich sehr interessieren, Dein Urteil zu hören. Eventuell könntest du etwas ausrechnen und publizieren
1939 veröffentlichte Liste Meitner mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch die theoretische Erklärung für dieses "Zerplatzen" und entwickelte damit erstmalig die theoretischen Grundlagen der Kernspaltung, die Otto Hahn 1938 gemeinsam mit Fritz Strassmann 1938 erstmals praktisch durchgeführt hatten.
Die Idee hierfür kam ihr bei einem Gespräch mit ihrem Neffen, heute ebenfalls ein bekannter Kernphysiker, bei einem Waldspaziergang. Sie errechnete den Zerfall des Uran in zwei Atome, deren Masse in der Summe kleiner ist als die Ursprungsmasse und ermittelte über die bekannte Einsteinsche Formel der Relativitätstheorie E=mc2 die beim Verschwinden der Differenzmasse freiwerdende Energie. Sie kam auf ein Ergebnis von 200 Millionen Elektronenvolt pro gespaltenem Atomkern. Mit dieser bahnbrechenden Berechnung legte Lise Meitner den Grundstein für die technische Entwicklung der Atomwaffen sowie der Nutzung der Atomenergie. Niels Bohr, dem Otto Frisch von dieser Erkenntnis erzählte soll reagiert haben mit dem Ausruf: "Ach, was für Idioten wir doch alle waren.
Leben nach 1945
Als überzeugte Pazifistin weigerte sich Meitner, Forschungsaufträge für den Bau einer Atombombe anzunehmen, obwohl sie von den USA immer wieder dazu aufgefordert wurde. Sie zog es vor, während des Krieges in Schweden zu bleiben.
Otto Hahn bekam 1944 den Nobelpreis für Chemie (verliehen wurde er erst 1945), Ilse Meitner wurde dabei nicht berücksichtigt und auch in den darauf folgenden Jahren sollte ihr diese Ehrung nicht zuteil werden. Der niederländische Physiker Dirk Coster, der Lise Meitner 1938 zur Flucht verholfen hatte, schrieb ihr anläßlich der Nobelpreis-Verleihung:
- Otto Hahn, der Nobelpreis! Er hat es sicher verdient. Es ist aber schade, daß ich Sie 1938 aus Berlin entführt habe (...) Sonst wären Sie auch dabei gewesen. Was sicher gerechter gewesen wäre.
Als "Mutter der Atombombe" und "Frau des Jahres" wurde sie allerdings 1946 bei einer Vorlesungsreise in den USA gefeiert, ein Jahr nach dem Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Ab 1947 leitete Lise Meitner die kernphysikalische Abteilung des Physikalischen Institut der Technischen Hochschule Stockholm und hatte diverse Gastprofessuren an US-amerikanischen Universitäten inne.
1960 siedelte Ilse Meitner zu ihrem Neffen nach Cambrdge, wo sie die letzten acht Jahre ihres Lebens verbringen sollte. Bis zu ihren Tod mit 89 Jahren machte sie sich für eine friedliche Nutzung der Kernspaltung stark. Lise Meitner starb am 27. Oktober 1968, im selben Jahr wie Otto Hahn.
Ehrungen
Bis zu ihrem Tod erhielt Lise Meitner 21 wissenschaftliche und öffentliche Auszeichnungen für ihr Werk und ihr Leben. 1947 erhielt sie den Ehrenpreis der Stadt Wien für Wissenschaft. Sie war das erste weibliche Mitglied der naturwissenschaftlichen Klasse der österreichischen Akademie der Wissenschaften und Ehrendoktorin an verschiedenen Universitäten. 1949 erhielt sie die Max-Planck-Medaille. 1961 wurde sie außerdem für ihre Verdienste mit dem Enrico-Fermi-Preis ausgezeichnet. Das chemische Element Meitnerium wurde nach ihr benannt und zusammen mit Otto Hahn ist sie Namensgeberin für das Hahn-Meitner-Institut in Berlin.
Obwohl sie drei Mal dafür nominiert wurde, blieb ihr der Nobelpreis für Physik versagt, da sie aufgrund ihrer Flucht nicht weiter gemeinsam mit Hahn weiterforschen konnte. 1944 wurde Otto Hahn für die Entdeckung der Kernspaltung mit dieser Auszeichnung geehrt.
Werke (Auswahl)
- 1906: Wärmeleitung in inhomogenen Körpern
- 1907: Über die Absorption von α- und β-Strahlen
- 1922: Über de Entsehung der Betastrahl-Spektren radioaktive Substanzen
- 1924: Über den Aufbau des Atominneren
- 1927: Der Zusammenhang von α- und β-Strahlen
- 1935: Der Aufbau der Atomkerne (gemeinsam mit O. Frisch)
- 1939: Disintegration of uranium by neutrons: a new type of nuclear reaction (gemeinsam mit O. Frisch)
- 1963: Wege und Irrwege der Kernenergie
Literatur
- Lise Meitner, Sabine Ernst (Hrsgin.): Lise Meitner an Otto Hahn. Briefe aus den Jahren 1912 bis 1924. Wissenschafts Verlag, Stuttgart, 1993. ISBN 3804712541
- Charlotte Kerner: Lise, Atomphysikerin. Beltz Verlag, 1998. ISBN 3407807422
- Ruth Lewin Sime: Lise Meitner. Insel Verlag, Frankfurt, 2001. ISBN 3458170669
Weblinks
- http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/meitner.htm - Porträt mit Werksliste