Gemeinschaft Sant’Egidio

Die Gemeinschaft Sant'Egidio ist eine Geistliche Gemeinschaft, die 1968 von dem damals 18-jährigen Andrea Riccardi in Rom als Schüler- und Studentenbewegung (Laienbewegung) gegründet wurde. Sie ist nach ihrem Hauptsitz, dem ehemaligen Kloster Sant'Egidio (dt. Heiliger Ägidius) im Stadtteil Trastevere benannt. Ihre Mitglieder wollen ein Leben führen, das von Gebet und Hören auf Gottes Wort, Brüderlichkeit und Solidarität mit den Armen geprägt ist. Die Bewegung wird jedoch auch wegen der Art ihrer Selbstdarstellung und der inneren Struktur kritisiert.
Mitglieder
Heute gehören der Bewegung nach eigenen Angaben ca. 50.000 Menschen in ca. 70 Ländern auf der ganzen Welt an, die in örtlichen Gemeinschaften organisiert sind. [1] Die Zahl der Mitglieder kann allerdings nur ungefähr geschätzt werden, da es keine förmliche Mitgliedschaft wie in einem Verein und auch kein Ordensgelübde gibt und die Gemeinschaft auch die von ihr begleiteten Personen wie alte Menschen, Kinder, Ausländer und Menschen mit Behinderung zugehörig rechnet. Die Mitglieder müssen sich in den Versammlungen des Vereins für ihr Handeln und den christlichen Weg den sie innerhalb dieser Gruppierung gehen verantworten. [2]
Der italienische Journalist Sandro Magister schreibt in einem Artikel des kirchenkritischen Wochenmagazins L'espresso, Andrea Riccardi selbst habe des öfteren zu seinen Anhängern gesagt: "Wir müssen so auftreten als ob wir mehr wären, als wir wirklich sind. Das ist unser Wunder: Der große Bluff."[3]
Laut Sonntagsblatt wird die Zahl der eigentlich Aktiven auf etwa 1200 geschätzt. [4]
Im deutschsprachigen Raum gibt es Gemeinschaften von Sant’Egidio in Würzburg und anderen Städten.
Tätigkeiten
Die Gemeinschaft sieht ihre zentralen Aufgaben im gemeinsamen Gebet, der Weitergabe des christlichen Glaubens, in der Solidarität mit den Armen, im Einsatz für Frieden, Ökumene und Dialog mit Angehörigen anderer Religionen und Nichtgläubigen.
Die Solidarität mit den Armen wird in lokalen Aktivitäten wie Nachmittagsschulen für arme Kinder, Besuche bei alten Menschen, Speisung von Armen, künstlerische Arbeit mit geistig Behinderten, Sprachunterricht für Ausländer, Begleitung von Obdachlosen oder in internationalen Projekten ausgeübt.[5] So initiierte Sant'Egidio das DREAM-Programm zur Behandlung von AIDS in Afrika[6] mit dem Schwerpunkt einer antiretroviralen Therapie für Aids-Patienten und medikamentöser Prophylaxe der Mutter-Kind-Übertragung. Beim DREAM-Projekt in Maputo, Mosambik, wird Sant´Egidio auch von der Deutschen AIDS-Stiftung unterstützt.[7]
In ihrem Einsatz für den Frieden war die Gemeinschaft Sant'Egidio als Moderatorin oder Beobachterin an zahlreichen Friedensverhandlungen (etwa für Mosambik, Guatemala, den Kosovo, die Elfenbeinküste, den Südsudan) beteiligt, die teilweise, allerdings nicht in Algerien,[8] zu erfolgreichen Friedensschlüssen geführt haben.[9] Ihr bedeutendster diplomatischer Erfolg ist die Vermittlung eines Friedensvertrags für Mosambik am 4. Oktober 1992, der einen sechzehnjährigen Bürgerkrieg beendete; hier arbeitete sie mit der UN und zahlreichen Staaten zusammen. [10] [11]
Der Arbeit von Sant'Egidio für Ökumene und interreligiösen Dialog bündelt sich in den jährlich stattfindenden Friedenstreffen, die auf das 1986 von Papst Johannes Paul II. erstmals veranstaltete Friedensgebet in Assisi zurückgehen. Sant’Egidio ist auch am Leitungskomitee des überkonfessionellen Bündnisses christlicher Bewegungen und Gemeinschaften „Miteinander für Europa“ beteiligt, dessen Schirmherrschaft u.a. der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso übernommen hat.[12]. Papst Benedikt XVI. würdigte in seiner Botschaft vom September 2006 zum 20jährigen Jubiläum des historischen Treffens von Assisi 1986 den Einsatz von Sant'Egidio für den interreligiösen Dialog.
Rechtlicher Status
Die Gemeinschaft Sant'Egidio ist vom Päpstlichen Rat für die Laien offiziell anerkannt; sie hat den kirchenrechtlichen Status eines öffentlichen Vereins von Gläubigen nach CIC Can. 312 inne. Von staatlicher Seite ist sie in Deutschland als gemeinnütziger Verein anerkannt.[13]
Auszeichnungen
Im Januar 2002 hat die italienische Abgeordnetenkammer einen Antrag an die italienische Regierung gestellt, die Gemeinschaft Sant'Egidio für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen.[14][15] Auch die Quäker-Vereinigung American Friends Service Committee (AFSC)[16] hat die Gemeinschaft Sant'Egidio für den Friedensnobelpreis nominiert.
Auswahl von Auszeichnungen (eine vollständige Liste findet sich auf der Website der Gemeinschaft[17]):
- World Methodist Peace Award 1997 vom Weltrat methodistischer Kirchen
- Niwano-Friedenspreis 1999 der Niwano Peace Foundation
- Félix Houphouët-Boigny-Friedenspreis 1999 der UNESCO[18] (en:Félix Houphouët-Boigny Peace Prize)
- Europäischer St. Ulrichspreis 2003[19]
- Arnold-Janssen-Preis der Stadt Goch 2004[20]
- Balzan-Preis 2004 für Humanität, Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern[21]
- International Peacemaking Award 2004[22] der Konfliktlösungs-NGO Search for Common Ground (en:Search for Common Ground)
- Wissenschaftspreis der Universität Aquila (2004) für das DREAM-Projekt[23]
Kritik
Der Theologe, Journalist und Autor Sandro Magister erhebt im kirchenkritischen italienischen Magazin "L'Espresso" unter Berufung auf ehemalige Mitglieder [24]der Gruppierung den Vorwurf, diese sei sektenähnlich, praktiziere unter anderem Kastenwesen und habe eine totalitäre innere Struktur und Führung. Auch wurde behauptet, dass Neumitglieder und Mitglieder ohne Leitungsfunktionen über die innere Struktur nicht aufgeklärt würden, solange diese noch Kontakte außerhalb dieser Gruppierung hätten. Außerdem bestimme Andrea Riccardi unter anderem auch die Wahl des Partners unter Mitgliedern oder wer zum Priester berufen sei.
Literatur
- Albert Franz (Hrsg.): Weltreligionen für den Frieden. Die Internationalen Friedenstreffen von Sant'Egidio. Paulinus Verlag, Trier 1996, ISBN 3790200956
- Andrea Riccardi: Sant'Egidio - Rom und die Welt. Gespräche mit Jean-Dominique Durand und Régis Ladous. EOS Verlag, St. Ottilien 1998, ISBN 388096453X
- Rudolf Schnackenburg: Predigt in der Gemeinschaft Sant'Egidio.. Echter, Würzburg 2003, ISBN 342902546X
- Gemeinschaft Sant'Egidio: Jesus als Freund. Mit geistig behinderten Menschen auf dem Weg des Evangeliums. Echter, Würzburg 2004, ISBN 3-429-02642-3
- Gemeinschaft Sant'Egidio: Gesang der Psalmen. Echter, Würzburg 2006, ISBN 3-429-02736-5
Quellen
- ↑ Gemeinschaft Sant Egidio: Entstehung
- ↑ Strenge Engel Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 8. September 2000 Nr. 36/2000
- ↑ Sandro Magister: The Story of Sant´Egidio. The Great Bluff., L'espresso, 9. April 1998 (engl.)
- ↑ Strenge Engel Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 8. September 2000 Nr. 36/2000
- ↑ Die Wochenzeitung: Diplomaten im Auftrag Gottes, 3. Juni 2004
- ↑ Dieter Wenderlein: Aids in Mosambik: Antiretrovirale Therapie erfolgreich, Deutsches Ärzteblatt 101, 51-52 vom 20.12.2004
- ↑ Deutsche AIDS-Stiftung: Eva Luise Köhler besucht von der Stiftung gefördertes Projekt in Mosambik, Pressemitteilung vom 3.4.2006
- ↑ Sandro Magister: Sant'Egidio "Ad Extra": Disaster in Algeria, L'espresso, 9. April 1998 (engl.)
- ↑ Christoph Albrecht: Die Gemeinschaft Sant' Egidio und ihr Friedensschaffen, friZ - Zeitschrift für Friedenspolitik, 5/2000
- ↑ Roberto Morozzo della Rocca. Mosambik. Frieden schaffen in Afrika. Echter, Würzburg 2003. ISBN 3429025826
- ↑ International Balzan Foundation. Würdigung des Werks der Gemeinschaft Sant'Egidio – DREAM Programm. Balzan-Preisträger 2004 für Humanität, Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern.
- ↑ Miteinander für Europa: Zeichen der Hoffnung setzen (doc), Pressemitteilung vom 26. Februar 2006
- ↑ Die Anerkennung erfolgte durch das Finanzamt Würzburg.
- ↑ Repubblica Italiana - Camera dei Deputati: Mozione Ciani ed altri N. 1-00027 concernente la Comunità di Sant'Egidio, Seduta n. 88 del 29/1/2002
- ↑ Repubblica Italiana - Camera dei Deputati: Resoconto stenografico dell'Assemblea, Seduta n. 88 del 29/01/2002
- ↑ American Friends Service Committee: AFSC Nominates Community for Nobel Peace Prize, 11. Januar 2002
- ↑ Comunità di Sant’Egidio: Premi e riconoscimenti
- ↑ UNESCO: Prizewinners of the Félix Houphouët-Boigny Peace Prize
- ↑ Landkreis Dillingen: "Gemeinschaft St.'Egidio" erhält Europäischen St.-Ulrichs-Preis, Pressemitteilung 28. April 2003
- ↑ Stadt Goch, Bürgermeister: Die Gemeinschaft Sant’ Egidio und ihr Gründer Andrea Riccardi erhalten den ersten, mit 15.000 Euro dotierten Arnold-Janssen-Preis der Stadt Goch (pdf), 26. September 2003
- ↑ Internationale Balzan Stiftung: Balzan-Preisträger für 2004 ernannt (pdf), 7. September 2004
- ↑ Search for Common Ground: Search for Common Ground Announces the 2004 Common Ground Awards Honoring Individuals and Organizations’ Achievements in Peacebuilding, Februar 2004
- ↑ Die Tagespost: SantEgidio erhält Wissenschafts-Preis, 17. April 2006
- ↑ Venticinque anni nella comunità di Sant'Egidio. Un memoriale di Giuliano Fiorese, ex appartenente alla Comunità di Sant'Egidio
Weblinks
- Homepage der Gemeinschaft Sant'Egidio
- Website zum Weltfriedenstreffen "Per un Mondo di Pace – Religioni e Culture in Dialogo" am 4. und 5. September 2006 in Assisi (ital.)
Kritische Links:
- Vite a metà. Der Aussteiger Giuliano Fiorese berichtet über seine Zeit in Sant'Egidio, articolo di Adista del 31 maggio 2003
- Sammelseite des kirchenkritischen Magazins L'Espresso mit 4 Artikeln von Sandro Magister über Sant'Egidio (englisch)
- Schein und Wirklichkeit bei Sant Egidio Artikel im Sonntagsblatt (2000)