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Indogermanische Sprachen

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Indogermanische Sprachen (hellgrün dargestellt) neben den anderen Sprachfamilien der Welt

Die indogermanischen Sprachen (auch indoeuropäisch genannt) bilden die heute meistverbreitete Sprachfamilie der Welt mit mehr als 2,5 Mrd. Muttersprachlern. Die große Verbreitung liegt vor allem in der Kolonisationspolitik seit dem 16. Jhd. begründet. Von der nicht deutschsprachigen Philologie wird die indogermanische Sprachfamilie meist als „indoeuropäische“ bezeichnet.

Die Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie weisen weitreichende Übereinstimmungen beim Vokabular, in der Flexion, in den grammatischen Kategorien wie Numerus und Genus und im Ablaut auf.

Der Begriff „indogermanisch“

Bei der Bildung der Bezeichnung Indogermanisch im 19. Jahrhundert gingen die Sprachforscher von den beiden Sprachgruppen aus, die damals als die räumlich am weitesten voneinander entfernten angesehen wurden, d. h. der indischen im Osten und im Westen der germanischen Gruppe (mitsamt dem Isländischen). Die keltischen Sprachen wurden damals aufgrund grammatikalischer Besonderheiten noch nicht als indogermanisch angesehen und das Tocharische weiter östlich wurde erst 1890 entdeckt.

Die Bezeichnung Indogermanisch wurde im deutschen Sprachraum beibehalten, in anderen Sprachen wird hingegen fast nur die Bezeichnung Indoeuropäisch (IE) verwendet. Der amerikanische Linguist Merritt Ruhlen benutzt die Bezeichnung Indo-Hethitisch, um eine vorgebliche Sonderstellung des Hethitischen bzw. der anatolischen Sprachgruppe innerhalb des Indogermanischen zu betonen. Ein solcher Stammbaum wird jedoch (zumindest in der weitreichenden Form) von den meisten anderen Forschern abgelehnt. Einige Forscher nehmen an, dass sich die anatolischen Sprachen als erste von der Ursprache abgespalten haben (sog. Indo-Hethitische Hypothese).

Ursprung und Entwicklung

Die indogermanischen Sprachen sind im linguistischen Sinne genetisch verwandt. Dass ihre Ähnlichkeit nur auf typologischer Angleichung nach Art eines Sprachbunds zustande kam, kann ausgeschlossen werden.

Ende des 18. Jahrhunderts (1786) erkannte der englische Orientalist William Jones aus Ähnlichkeiten des Sanskrit mit Griechisch und Latein, dass es für diese Sprachen eine gemeinsame Wurzel geben müsse. Er deutete bereits an, dass dies auch für Keltisch und Persisch gelten könnte.

Der Deutsche Franz Bopp brachte 1816 in seinem Buch Über das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache den methodischen Beweis für die Verwandtschaft dieser Sprachen und begründete damit die deutsche Indogermanistik.

Diese indogermanische Ursprache ließ sich sprachwissenschaftlich rekonstruieren, obwohl aus dieser Zeit keine Schriftdokumente vorliegen. Der deutsche Linguist August Schleicher hat versucht, die Entwicklung und Verwandtschaftsstruktur der indogermanischen Sprachen in seinem berühmten „Stammbaum“ darzustellen. In diesem „Stammbaum“ gibt es sowohl gesicherte als auch spekulative Verzweigungen; letztere betreffen insbesondere ausgestorbene Sprachen, die keine Nachfolgesprachen hinterlassen haben.

Schleicher versuchte das hypothetische Protoindogermanische zu rekonstruieren, indem er sich ursprünglicher Formen diverser indogermanischer Sprachen bediente. Daraus entstand eine Übersetzung der sog. indogermanischen Fabel „Das Schaf und die Pferde“ als „Avis akvasasca“.

Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass solche Sprachrekonstruktion in der Regel zu Wortwurzeln einerseits und morphologischen und phonologischen Erscheinungen andererseits führen.

Auch syntaktische Merkmale des Indogermanischen konnten mit Einschränkungen rekonstruiert werden. Eine Grundsprache im Sinne eines kommunikativen Verständnisses wird mit dieser Rekonstruktion jedoch nicht erreicht.

Archäologie und Indogermanen - das Wo?

Ausgehend von Wortstämmen, die allen indogermanischen Sprachen gemeinsam sind, wurde und wird in Zusammenarbeit mit der Archäologie versucht, das Ursprungsgebiet, die sog. „Urheimat“ der Indogermanen zu bestimmen. Einschlägige Hypothesen reichen vom Balkan über Kleinasien (Renqvist) und das südrussische Steppengebiet (Marija Gimbutas) bis zum Ural und Altai. Einen neueren Überblick bietet z. B. John Day 2001 (Lit.: John Day 2001) und Mallory. Europäisch geprägte Forscher neigen eher zu Gegenden rund um das Schwarze Meer, im indischen Raum wird dagegen eher dort die Urheimat angenommen. Die Ursprungsfrage ist dabei stark geprägt auch durch nationalistische Überlegungen. Dies gilt speziell im Falle Indien, wo den Sprechern der drawidischen Sprache damit auch der meist in der Fachwelt zugesprochene Status als autochthones indisches Volk (und Träger z.B. der Harappa-Kultur) abgesprochen werden soll. Derzeit kann keine dieser zahlreichen Hypothesen als bewiesen angesehen werden.

Einige Archäologen stellen den Wanderungsmodellen die Konzeption eines ausgedehnten indogermanischen Sprachkontinuums gegenüber. Diese können aber nicht die frappierenden Übereinstimmungen z. B. des Zahlensystems oder der Grammatik zwischen dem Atlantik bis zur Wüste Gobi erklären.

Mathematische Methoden - das Wann?

Mit mathematischen Methoden der Lexikostatistik wird versucht, die Verwandtschaftsverhältnisse der Sprachen exakt zu berechnen, wodurch zunächst nur die Ähnlichkeit erfasst werden kann. Unter der zusätzlichen Annahme einer mehr oder weniger konstanten Ersetzungsrate (Glottochronologie) wird darüber hinaus versucht, auch das Alter der Trennungen und der Ursprache zu berechnen. Die Annahme fester Ersetzungsraten für einen gewissen Zeitraum und einen spezifischen Sprachzweig ist als Parametrisierung letztlich unvorhersehbarer soziohistorischer Ereignisse aufzufassen. Wobei historische Ereignisse bereits Fakt geworden sind und damit die Frage der Vorhersehbarkeit ohnehin nicht mehr besteht. Ohne auf linguistische Probleme detailliert einzugehen, fand ein in der ausschließlich naturwissenschaftlich orientierten Zeitschrift Nature erschienener glottochronologischer Artikel (Lit.: Gray, Atkinson 2003) in den Medien eine unkritische Beachtung. Die hier zu Grunde liegenden Wortlisten sind keineswegs auf dem aktuellen Stand der Indogermanistik oder gar der Einzelphilologien.

Genetik und Indogermanistik

Populationsgenetiker wie Luigi Cavalli-Sforza versuchen den Grad der Verwandtschaft sowohl innerhalb der indogermanisch sprechenden Völker als auch deren Außenbeziehungen mit molekular-genetischen Methoden zu erhellen.

Indogermanisch und andere Sprachfamilien

Über Außenverwandtschaften des Indogermanischen gibt es zahlreiche Hypothesen. Die am meisten vertretene, jedoch trotzdem stark umstrittene ist die einer Verwandtschaft mit den uralischen Sprachen. Einige Wissenschaftler haben auch versucht, Belege für die sogenannte Nostratische Sprachfamilie zu finden, zu der neben den Indogermanischen auch die Afro-Asiatischen Sprachen und die als genealogische Einheit selbst umstrittenen Altaischen Sprachen gehören sollen. Dies ist jedoch bis heute nicht gelungen.

In neuster Zeit wurde vom amerikanischen Linguisten Joseph Greenberg aufgrund von lexikalischen und grammatischen Gemeinsamkeiten eine eurasiatische Makro-Sprachfamilie vorgeschlagen. Sie umfasst insbesondere die drei relativ umfangreichen indogermanischen, uralischen und altaischen Sprachfamilien sowie einige Kleinfamilien und Einzelsprachen Eurasiens, jedoch ausdrücklich nicht Afroasiatisch. Diese Makro-Sprachfamilie deckt sich somit teilweise mit dem Nostratischen, wobei auch grundlegendere Gemeinsamkeiten beiderseitig (Greenberg, Bomhard) festgestellt wurden. Allgemein ist es beim Eurasiatischen aber heute einfach noch zu früh, über die Gültigkeit dieser Hypothese definitiv entscheiden zu können.

Die noch vor 50 Jahren übliche Unterteilung der indogermanischen Sprachen nach dem Einzelkriterium der Entwicklung des 'k-' im Zahlwort *kmtom, „hundert“ hat sich mit der Entdeckung des Hethitischen und Tocharischen als zu einseitig herausgestellt (Siehe Kentumsprachen).

Die Zweige des Indogermanischen in alphabetischer Folge

Zu den indogermanischen Sprachen gehören die folgenden Gruppen lebender und ausgestorbener (†) Sprachen:

Verwandtschaftsverhältnisse

Geschichte

Seit Schleicher (s.o.) wird immer wieder versucht, die oben genannten Untergruppen auf gemeinsame Zwischensprachen zurückzuführen. Durchgesetzt haben sich nur wenige, so v.a. die Zusammenfassung der indoarischen und der iranischen Sprachen als „indoiranischen Sprachen“. Weitgehend anerkannt ist auch die „balto-slawische“ Sprachgruppe (balto-slawische Hypothese), erst neuerdings eine nähere Verwandtschaft zwischen den italischen und den keltischen Sprachen; strittig bleiben die Zuordnung des Venetischen sowohl zum Illyrischen als auch zu den italischen Sprachen, eine „thrakisch-phrygische“ Sprachgemeinschaft, die Abstammung des Albanischen vom Illyrischen, und vieles mehr.

Daher wird bei der obigen Liste auf genauere Zuordnungen verzichtet, d. h. „Streitfälle“ stehen weiter als Einzelgruppen ohne Hinweise auf vermutete Verwandtschaftsverhältnisse.

Gegenwart

Die Archaismen des Protoindogermanischen sind heute nur in wenigen der modernen Nachfolgesprachen erhalten. Dabei können Sprachen sich in einigen Eigenschaften als konservativ zeigen in anderen aber große Veränderungen aufweisen. Meinungen, wonach eine Sprache besonders konservativ ist (z.B. oft für das Litauische vertreten - teils mit nationalistischem Flair), müssen sich also auf konkrete Eigenschaften beziehen und sind nicht zu verallgemeinern.

Siehe auch

Literatur

  • Robert S. P. Beekes: Comparative Indo-European Linguistics. An Introduction. Benjamins, Amsterdam 1995, ISBN 1-55619-505-2
  • Michael Meier-Brügger, Hans Krahe: Indogermanische Sprachwissenschaft. Walter de Gruyter, Berlin 2002 (8. Aufl.), ISBN 3-11-017243-7
  • Luigi Luca Cavalli-Sforza: Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation. dtv, München 2001, ISBN 3-423-33061-9
  • Warren Cowgill: Indogermanische Grammatik. Bd I: Einleitung; Bd II: Lautlehre. Begr. v. Jerzy Kuryłowicz, hrsg. v. Manfred Mayrhofer. Indogermanische Bibliothek, Reihe 1, Lehr- und Handbücher. Winter, Heidelberg 1986
  • John V. Day: Indo-European origins. The anthropological evidence. The Institute for the Study of Man, Washington DC 2001. ISBN 0941694755
  • Bertold Delbrück: Einleitung in das Studium der indogermanischen Sprachen. Ein Beitrag zur Geschichte und Methodik der vergleichenden Sprachforschung. Bibliothek indogermanischer Grammatiken. Bd 4. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1919 (6.Aufl.).
  • Thomas W. Gamkrelidse, Wjatscheslaw Iwanow: Die Frühgeschichte der indoeuropäischen Sprachen. In: Spektrum der Wissenschaft. Dossier. Die Evolution der Sprachen. Spektrumverlag, Heidelberg 2000,1, S. 50-57. ISSN 0947-7934
  • Marija Gimbutas: The Kurgan Culture and the Indo-Europeanization of Europe. Selected Articles from 1952 to 1993. Institute for the Study of Man, Washington 1997. ISBN 0-941694-56-9
  • Marija Gimbutas: Das Ende Alteuropas. Der Einfall von Steppennomaden aus Südrussland und die Indogermanisierung Mitteleuropas. in: Archeolingua. series minor 6. jointly ed. by the Archaeological Institute of Hungarian Academy of Sciences and the Linguistic Institute of the University of Innsbruck. Archaeolingua Alapítvány, Budapest 1994 (auch als Buch). ISSN 1216-6847 ISBN 3851241711
  • Maurice Leroy : La place de l'arménien dans les langues indo-européennes , Lovanii , Peeters , 1986 , ISBN 90-6831-049-6
  • James P. Mallory: In Search of the Indo-Europeans. Language, Archaeology and Myth. Thames & Hudson, London 1991, ISBN 0-500-27616-1
  • James P. Mallory, D. Q. Adams (Hrsg.): Encyclopedia of Indo-European Culture. Fitzroy Dearborn, London 1997, ISBN 1-884964-98-2
  • Georges-Jean Pinault : La langue poétique indo-européenne - actes du colloque de travail de la Société des Études Indo-Européennes , Leuven , Peeters , 2006 , ISBN 90-429-1781-4
  • Colin Renfrew: Die Indoeuropäer - aus archäologischer Sicht. in: Spektrum der Wissenschaft. Dossier. Die Evolution der Sprachen. Spektrumverlag, Heidelberg 2000,1, S. 40-48. ISSN 0947-7934
  • Colin Renfrew: Archaeology and Language. The Puzzle of Indo-European Origins. University Press, Cambridge 1995, ISBN 0-521-38675-6
  • August Schleicher: Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Böhlau, Weimar 1861/62, Olms, Hildesheim 1974 (Nachdr.), ISBN 3-487-05382-9
  • Reinhard Schmoeckel: Die Indoeuropäer. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 1999, ISBN 3-404-64162-0
  • Oswald Szemerényi: Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1990 (4. Aufl.), ISBN 3-534-04216-6
  • Eva Tichy: Indogermanistisches Grundwissen. Hempen, Bremen 2000, ISBN 3-934106-14-5
  • Jürgen E. Walkowitz: Die Sprache der ersten Bauern und die Archäologie. In: Varia Neolithica. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas. Bd 37. Beier & Beran, Langenweissbach 3.2004. ISBN 3-937517-03-0

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