Assyrer (Gegenwart)
Begriffsklärung
Die Bezeichnung heutiger Christen als Assyrer, im 19. Jh. aus dem angelsächsischen Raum popularisiert, meint:
- Im engeren Sinn die Angehörigen der Assyrischen Kirche des Ostens, die unter Katholikos-Patriarch Mar Dinkha IV. als weltweit einzige Kirche katholischen Typs (neben protestantischen Gruppen) das „Assyrisch“ in ihren Namen aufgenommen hat (in der Metropolie von Indien gewöhnlich nicht benutzt).
- In einem weiteren Sinn die Christen ostsyrischer Tradition, d. h. einschließlich der assyrischen Altkalendarier (= Alte Kirche des Ostens unter Katholikos-Patriarch Addai II.), der Angehörigen der Chaldäisch-katholischen Kirche (ohne „Thomaschristen“) sowie der mit der Russischen Orthodoxen Kirche unierten Gruppe assyrischer Christen. In der Summe werden die christlichen Ostsyrer auch „Assyro-Chaldäer“, „Chaldäo-Assyrer“ und neuerdings „Chaldoassyrer“ genannt.
- Im weitesten Sinn jene Christen, deren traditionelle Gottesdienstsprache das Syrische ist und historisch als Nachfahren der alten Völkern Syriens und Mesopotameins gelten, ohne Rücksicht auf ihre konfessionelle, staatliche oder sonstige Zugehörigkeit (und zum Teil gegen den erklärten Willen einzelner Gruppen und Kirchenleitungen). Entsprechend der Bezeichnung als "Syrer" werden die Assyrer von den Arabern Suriani bzw. von den Türken Süryani genannt.
Assyrer oder Aramäer?
In ihrem weitesten Sinn ist die Bezeichnung „Assyrer“ gleichbedeutend mit |Aramäer und nicht weniger umstritten als diese.
Die heutigen „assyrischen“ bzw. „aramäischen“ Christen leben zumeist im Irak, in Syrien, im Libanon oder in der westlichen Diaspora (insbesondere in Europa und Amerika). In den alten Siedlungsgebieten in Hakkari und im Tur Abdin in der heutigen Türkei gibt es wegen starker Ab- und Auswanderung kaum noch syrische Christen. Doch im Nordirak, in der Ebene von Mosul und in der Region Bagdad sowie in Nordost-, Zentral-Syrien und drei Dörfern in der Umgebung von Damaskus, darunter Maalula, lebt noch immer eine große Anzahl.
Die Spaltung der syrischen Christenheit in rivalisierende Konfessionen und Kirchenorganisationen wird von einigen Assyrern zugleich als Teilung des einen mesopotamischen Christenvolkes erlebt. Die in der Bedrängnis der Gegenwart gebotenen Anstrengungen um dessen Einigung und Festigung zeigen in Heimat wie Diaspora ein breites, nicht immer spannungsfreies Spektrum von religiös-kirchlichen bis politisch-säkularen Initiativen.
Die Benennung von Christen als „Assyrer“ kann mit allgemein- oder kulturpolitischen Zielen einhergehen und mit unterschiedlichen Hypothesen über die ethnische Herkunft dieser Personengruppe verbunden sein, z.B. der Ableitung von den Assyrern des Altertums. Siehe: Assyrische Nationalfrage, Assyrische Nationalbewegung, Assyrismus, Panmesopotamismus, Shuraya-Partei.
Neuere Geschichte
Im Ersten Weltkrieg hatte Patriarch Shimun XXI. mit seiner bewaffneten Parteinahme zugunsten Russlands die fast vollständige Vernichtung der (im engeren Sinn) assyrischen Gemeinden im Osmanischen Reich und im Gebiet von Urmia (Iran) verursacht, siehe auch Völkermord an den Aramäern und Völkermord an den Armeniern. Die eine andere Politik verfolgende Chaldäisch-Katholische Kirche wurde davon in Mitleidenschaft gezogen, konnte sich in ihren traditionellen Siedlungsgebieten jedoch halten.
Nach dem Krieg siedelte Großbritannien assyrische Flüchtlinge in den irakischen Städten Mosul und Kirkuk sowie bei Bagdad wieder an. Mehr noch, aus vertriebenen Assyrern gebildete Hilfstruppen, die Levi Rifles, halfen den Briten und der RAF im Krieg, in der Hoffnung auf Wiedergründung eines autonomen assyrischen Staates in den alten Siedlungsgebeiten oder ihrer Nähe.
Als wichtigstes Anhängsel der britischen Mandatsmacht waren Assyrer nach der formalen Unabhängigkeit Iraks 1932 und dem Abbau der britischen Truppenpräsenz verstärkt dem fanatischen Volkszorn der muslimischen Völker Iraks ausgesetzt. Viele assyrische Familien flohen nach Syrien, wurden aber von der dortigen Mandatsmacht Frankreich zurückgeschickt. Der zurückkehrende Flüchtlingszug wurde 1933 in Kirkuk von Kurden überfallen, hunderte Assyrer (auch Frauen und Kinder) massakriert. Daraufhin kam es zu aufstandsähnlichen Unruhen in Mosul und Kirkuk, die Assyrer griffen zu den Waffen und griffen ihrerseits die Truppen der arabischen bzw. kurdischen Muslime an (Gabriele Younan, ein vergessener Holocaust). Der assyrische Patriarch der alten apostolischen Kirche des Ostenes Shimun XXIII. und ein Teil der assyrischen Anführer forderten weitreichende Autonomie.
Die irakische Armee unter ihrem Oberbefehlshaber Bakr Sidqi schlug in einer nationalistischen Kampagne den Aufstand im Sommer 1933 nieder, Großbritannien griff nicht ein. Die städtische arabische Bevölkerung begrüßte diese Abrechnung, der Irak-Experte Sluglett gab jedoch zu bedenken, daß "die meisten (Assyrer), die 1933 in den gegen die gerichteten Operationen der Armee getötet wurden, Untergebene der Levies und nicht die Levies selbst" waren. Der größte Erfolg der Armee sei im Grund ein Massaker an unbewaffneten Dorfbewohnern gewesen, die in der Polizeistation von Sumayyil (Provinz Dahuk) Schutz gesucht hatten (Sluglett, S. 25 und 295f). Seitdem befindet sich in Sumayyil (Sumail, Semile) eine assyrische Martyrerkirche, die an das Massaker von Semile erinnert.
In jüngster Zeit sind die Assyrer wieder verstärkt in Konflikt mit Kurden geraten. Kurdenführer Barzani hatte ihnen 1971 vorgeworfen, in Kirkuk die vom irakischen Regime forcierten Ansiedlungen von Arabern zu unterstützen, um die dortige kurdische Mehrheit zu unterminieren (Le Monde, 25. Mai 1971) Seit den Siegen der US-Alliierten und kurdischer Hilfswilliger über das irakische Regime 1991 und 2003 klagen Assyrer in Kirkuk über eine Vertreibungspolitik der Kurden, die Kirkuk zur Hauptstadt ihrer autonomen Region machen wollen. Nach Angaben assyrischer politischer und gesellschaftlicher Organisationen sowie christlicher Kirchen leiden chaldo-assyrische Christen auch in der Ebene von Mosul unter ähnlichen Repressalien.
Liste von bekannten Assyrern (Neuzeit)
Schauspieler, Schauspielerinnen und Produzent
- Rosie Malek-Yonan
- Terrence Malick
- Nuri Kino
- Yasmine Hanani
- Tony Yalda
- Beni Atoori, Filmproduzent in Hollywood
Sportler
Im Nahen Osten
In der Assyrischen Diaspora
- Andreas Yacob-Haddad
- Anwar Oshana
- Alex Agase
- Daniyel Ciemen, Fussballspieler bei Eintracht Frankfurt
- George Malek-Yonan
- Jasar Takak, Fussballer, 1982-
- Monica Malek-Yonan
- Michael Shabaz
- Rosie Malek-Yonan
- Tinu Yohannan
Fotomodelle
- Ramona Amiri (Miss World Kanada 2005)
Politiker
Im Nahen Osten
- Georges Sada, Minister
- Yusuf Salman Yusuf
- Agha Petros
- Bahnam Zaya Bulos, Minister
- Basimah Yusuf Butrus, Ministerin
- Fawzi Toma Hariri
- Franso Hariri, führendes Mitglied der Kurdistan Demokratischen Partei im Irak
- Freydun Bit Abram, (Freydun Atturaya, Gründer der Assyrischen Sozialistischen Partei)
- Kristo Yalda Torkhan
- Naum Faiq 1868-1930
- Nenif Matran Hariri
- Romeo Nissan Hakkari
- Pascale Warda
- Phraidoun Darmo
- Sarkis Aghajan Mamendo, (Finanzminister des irakischen Autonomiegebiet Kurdistan)
- Shimmun Khammo
- Tariq Aziz, ehemaliger Vize-Premierminister des Iraks
- Yonadam Kanna, (Generalsekretär der Assyrischen Demokratischen Bewegung, ADM)
- Yousip Toma Hermis, (Märtyrer des ADM).
- Youbert Benyamin Shlimon, (Märtyrer des ADM)
- Youkhana Esho Jajo, (Märtyrer des ADM)
- Dr.Sargon Dadesho, Präsident des Assyrian National Congress
- Bashir Saadi, Abgeordneter des syrischen Parlamentes a.D. und Chef der ADO
- Malek Khoshaba
- Yusif Malek Khoshaba
In der Assyrischen Diaspora
- Freydun Atturaya
- Adam Benjamin, Jr. - Kongressabgeordneter für Indiana
- Ibrahim Baylan - Erziehungsminister in Schweden
- Anna Eshoo - Kongressabgeordnete für California
- Dr. Emmanuel Kamber - Generalsekretär des AUA
- Attiya Tunc - Parlamentsabgeordneter in den Niederlanden
- John Nimrod - Senator von Illinios a. D.
- Scott Rumana - Bürgermeister von Wayne, New Jersey
- Yelmaz Karimo - Abgeordneter des schwedischen Parlamentes
- Raif Toma - Politbüromitglied der Shuraya-Partei und Publizist
Religiöse Persönlichkeiten
- Mar Abraham Shimonaya
- Mar Addai II.
- Mar Bawai Soro (bürgerlich: Assur Soro)
- David Benjamin Keldani, zum Islam konvertierter Priester (1867-1940)
- Mar Dinkha IV. *1935-
- Mar Eliya Abuna
- Mar Eshai Shimun XXIII.
- Mar Polos Shimun XXII.
- Mar Shimun XXI. Benyamin 1903-†1918
- Mar Thomas Darmo
- Mar Yosip Khnanisho *1893-†1977
- Mar Yuhanon Dolabani, 1885-1969 (syrisch-orthodox)
Musiker
- Ashur Bet-Sargis
- Babylonia
- Blahad Lahdo/Ninib
- Eni Aksoy
- Evin Agassi
- Gabi Masso, 1978-
- Gabriel Asaad, 1907-1997
- Geniro
- Janan Sawa
- Jamil Bashir, 1921-1977
- Juliana Jendo
- Kamil Hanna
- Linda George
- Munir Bashir, 19??-1997
- Nawfal Shamoun, Deutschland
- Sargon Gabriel
- Walter Aziz
- William Daniel, Komponist 1903-1988
- Ninsun Poli
- Simon Kaplo Star Sänger ( Assyrian )
Schriftsteller und Dichter
- Bed Mshiho Naaman d-Qarabash, 1903-1983
- Fawlus Gabriel, 1912-1971
- Farid Nazha, 1892-1970
- Yuhanon Salman, 1914-1980
- Yuhanon Qashisho, 1918-2001
- Danho Daho, 1926-1994
- Tuma Gawriye Nahroyo, 1936-2002
- Montaha Kochou
- Ninos Aho, 1945-
- Naum Faiq
- Nuri Kino, Journalist in Schweden
- Nabu Issabi, 1934
- Jakleen Salam, Dichterin, Canada
Simon Kaplo Star Sänger Georg Farag
Autoren
Georg Farag
Wissenschaftler
- Alphonse Mingana, Theologe und Orientalist
- Hormuzd Rassam
- Mikhail Davydov, Präsident der Russischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften
- Ivan Kakovitch, Professor für Geschichte
- Sabo Talay, Dr. Philologe
- Professor Matijv
Siehe auch
Literatur
- Gabriele Yonan: Assyrer heute. Gesellschaft für bedrohte Völker, Hamburg 1978.
- Michel Chevalier: Les montagnards chrétiens du Hakkâri et du Kurdistan septentrional. Dépt. de Géographie de l'Univ. de Paris-Sorbonne, Paris 1985.
- James Farwell Coakley: The Church of the East and the Church of England. Clarendon Press, Oxford 1992. ISBN 0-19-826744-4.
- P.&M. Sluglett: Der Irak seit 1958 - von der Revolution zur Diktatur. Frankfurt 1991
- Wolfgang Gockel: Dumont Kunst-Reiseführer Irak. Köln 2001
- Gabriele Yonan: Ein vergessener Holocaust, Die Vernichtung der christlichen Assyrer in der Türkei, Gesellschaft für bedrohte Völker, 1989, ISBN 3-922197-25-6