Kadettenanstalt
Als Kadettenanstalt werden weiterführende Schulen bezeichnet, die der Ausbildung von Offiziersanwärtern dienen.
Erste Kadettenschulen entstanden gegen Ende des 17. Jahrhunderts u.a. in Frankreich, wo zu Offizieren bestimmte junge Edelleute als Cadets in Kompanien zusammengeführt wurden, um ihnen eine ihrem künftigen Beruf entsprechende Erziehung zu geben. Die so entstandenen Kadettenanstalten hatten anfangs mehr die technischen Fertigkeiten im Auge und wurden erst im Laufe der Zeit zu (militär-)wissenschaftlichen Lehranstalten.
Preußen
Der Große Kurfürst gründete so genannte Kadettenkorpsanstalten in Berlin, Kolberg und Magdeburg. Die beiden letzteren wurden bei der Bildung des »Königlich Preußischen Kadettenkorps« in Berlin vereinigt, das von König Friedrich Wilhelm I. als »Pflanzschule« des Preußischen Offizierskorps gegründet wurde. Es bestand aus einzelnen Kadettenhäusern und der Hauptkadettenanstalt, die ab 1880 in neuen und großen Gebäuden in Berlin-Lichterfelde residierte.
Weitere Kadettenanstalten wurden in Stolp (1764), Culm (1776) und in Kalisch (1793) gegründet. Im Tilsiter Frieden wurden Culm und Kalisch abgetreten, Stolp wurde 1811 aufgelöst. Nach dem Ende der Befreiungskriege wurde Culm wieder errichtet, bevor sie dann 1890 nach Köslin verlegt wurde.
1902 bestand das Preußische Kadettenkorps insgesamt aus acht Kadettenhäusern und der Hauptkadettenanstalt.
Kadettenhäuser
Das Korps gliederte sich zuletzt in acht Vorkorps (Kadettenvoranstalten, später Kadettenhäuser genannt) zu je zwei Kompanien in Plön (seit 1868), Köslin (1890), Potsdam (seit 1801), Bensberg (seit 1840), Naumburg (Saale) (seit 1900), Oranienstein, Wahlstatt (seit 1838), Karlsruhe (seit 1892) und die Hauptkadettenanstalt (H.K.A.) in Berlin-Lichterfelde (seit 1878) zu zehn Kompanien.
Die Kadettenhäuser umfassten 1902 die Klassen von Sexta bis Untertertia (5. bis 8. Klasse) und hatten etwa 150 bis 240 Kadetten, die Hauptkadettenanstalt hatte die Klassenstufen von Untersekunda bis »Selekta« (Oberstufe). Der Bildungsgang entsprach in etwa dem des Realgymnasiums, mit Lateinisch ab Sexta, Französisch ab Quarta und Englisch ab Obertertia.
In Karlsruhe befand sich das einzige Vorkorps auf außerpreußischem Gebiet. Es wurde gegründet durch ein Abkommen Preußens mit den süddeutschen Staaten (außer Bayern). Bayern und Sachsen hatten, wie außerhalb des Reiches weiter Österreich, eigene Kadettenanstalten. Ähnlichen, aber halb privaten Charakters war die »Ritterakademie« in Liegnitz (Schlesien).
Der älteste Jahrgang jedes Kadettenhauses trat mit Beginn des neuen Schuljahres (am 1. April) zur Hauptkadettenanstalt über.
Kadettenkorps
Das Kadettenkorps war dem Inspekteur des militärischen Erziehungs- und Bildungswesens unterstellt. Aktive Offiziere taten in ihm als »Erzieher« Dienst. Der Kadett konnte nach abgeschlossenem Besuch der Obersekunda zum Fähnrichsexamen zugelassen werden und trat nach bestandenem Examen sofort in die Armee ein. Auch der Primaner musste noch ein Jahr lang nach dem Abitur als Fähnrich Dienst tun, wurde aber bei seiner Ernennung zum Offizier zwei Jahre vorpatentiert. Anstelle des Fähnrichsjahres konnte man auch die Selekta besuchen; diese galt als Vorbereitungszeit zu Kriegsakademie und Generalstab. Die militärische Ausbildung war auf den Infanteriedienst beschränkt.
Sachsen
Das Kadettenkorps der Sächsischen Armee in Dresden ging aus einer 1725 errichteten Kadettenkompanie hervor. Seine Zöglinge legten nach einer sechsklassigen Ausbildung die Fähnrichsprüfung vor der preußischen Obermilitärexaminationskommission ab, die sich hierfür nach Dresden begab. Begründer Graf August Christoph von Wackerbarth legte den Grundstein zur militärischen Bildungsanstalt in Dresden. Näheres nachzulesen in "Geschichte des Kgl. Sächs. Kadetten und Pagenkorps von dessen Begründung bis zur Gegenwart" Dresden 1907 sowie Band 2 Dresden 1913, Autor von Meschwitz. 1 Exemplar ist im Sächs. Staatsarchiv Dresden einsehbar,
Bayern
Das Kadettenkorps der bayerischen Armee wurde 1755 gegründet und 1868 den Realgymnasien gleichgestellt.
Österreich
Neben Kadettenanstalten errichtete der österreichische Staat auch sogenannte Kadettenschulen.
Kadettenanstalten im Sinne der preußischen:
- die Theresianische Militärakademie in der Wiener Neustadt
- die Technische Militärakademie
- die Militäroberrealschule in Mährisch-Weißkirchen
- das Erziehungsinstitut für verwaiste Offiziersöhne in Hirtenberg/Niederösterreich
Deutsches Reich ab 1871
Nach der Wiedergründung des (Nord-)Deutschen Reichs bestanden die Kadettenanstalten der Teilstaaten zunächst weiter. Die Kadettenanstalten des Reichs wurden dann 1919, anders als die österreichischen, wegen ihres militärischen Charakters durch den Vertrag von Versailles verboten und aufgelöst. Die Gebäude wurden zu Kasernen. Die Preußische Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde beherbergte im Dritten Reich die Leibstandarte Adolf Hitler, während der Zeit der deutschen Teilung US-amerikanische Militäreinrichtungen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat bis heute keine Kadettenanstalten mehr, die Funktionen werden zum Teil von den Bundeswehrhochschulen ausgefüllt.
DDR
In der DDR existierte von 1956 bis 1961 die Kadettenanstalt Naumburg/Saale als einzige Einrichtung dieser Art, im Gebäude der früheren Napola bzw. der kaiserlichen Kadettenanstalt. Die Schule bestand aus zwei Kompanien mit je vier Zügen (Klassen) und bot neben einer schulischen Ausbildung bis zum Abitur auch vierstündige militärische Ausbildung in der Woche. Pro Jahr wurden ca. 200 Kadetten ausgebildet, der Besuch der Anstalt war komplett kostenfrei, im Gegensatz zu den damaligen zivilen Oberschulen. Dazu wurden mehrere militärische Arbeitsgemeinschaften und ein Sommer- und Winterlager angeboten. Die Schule hatte das Ziel, Jugendliche aus der Arbeiterklasse auf die Laufbahn als Offizier vorzubereiten. Bereits 1958 ergab jedoch eine Untersuchung, dass nur zwei Schüler einer Klasse überhaupt der Arbeiterklasse entstammten und die meisten Absolventen der Schule nach dem Abitur ein ziviles Studium aufnahmen, worauf 1960 das SED-Politbüro sich entschloss, die Schule zu schließen, um eine »Inzucht« innerhalb der Funktionärs- und Offiziersreihen zu unterbinden. Im Juni 1961 legten die letzten Schüler ihr Abitur ab.
Andere Länder
Die heutigen Militärschulen der
- USA (United States Military Academy in West Point),
- Großbritanniens (Militärakademie Sandhurst) und
- Frankreichs (Militärschule Saint-Cyr)
sind eher als Militär-Akademien zu bezeichnen, da die auszubildenden Angehörigen zum großen Teil bereits volljährig sind. Allein in Russland (Moskau, Sankt Petersburg) gibt es heute noch reine Kadettenanstalten für Schulkinder als Kaderschmieden für künftige Offiziere, in der Türkei sogenannte militärische Gymnasien.
Literatur
- Ernst von Salomon: Die Kadetten (1933)
- Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906)
- "Ernstes und Heiteres aus dem Kadettenleben zu Groß-Lichterfelde. Ein Buch der Erinnerung an das Kadettenkorps." Hg.: Zentralkartei ehemaliger königl. preußischer und königl. sächsischer Kadetten.
Olaf Jessen, Preußens Napoleon? Ernst von Rüchel. 1754-1823. Krieg im Zeitalter der Vernunft, Paderborn u.a. 2006, ISBN 3-506-75699-0