Zum Inhalt springen

Gudrun Ensslin

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 26. Oktober 2006 um 16:40 Uhr durch 217.91.66.149 (Diskussion) (Leben). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Gudrun Ensslin (* 15. August 1940 in Bartholomä; † 18. Oktober 1977 in Stuttgart) war einer der Köpfe und Gründungsmitglied der Rote Armee Fraktion (RAF). In der Zeitschrift „883”, dem Gegenblatt zur Roten Presse Korrespondenz, begründete sie den Aufbau der Roten Armee Fraktion.

Leben

Gudrun Ensslin war das vierte von insgesamt sieben Kindern einer evangelischen Pfarrersfamilie und wuchs in Tuttlingen auf. Ihr Vater Helmut Ensslin hatte in Tübingen studiert und war dort in der Verbindung Normannia Verbindungsbruder des späteren Generalbundesanwalts Kurt Rebmann, der in dieser Position zum direkten "Gegenspieler" von Gudrun Ensslin wurde. Nach ihrem Abitur 1960 an einer katholischen Schule studierte sie von 1960 bis 1964 an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Anglistik, Germanistik und Pädagogik, anschließend an der Freien Universität Berlin. Während ihrer Studienzeit gründete sie 1963 zusammen mit dem politischen Schriftsteller Bernward Vesper einen eigenen Kleinverlag, das „Studio für neue Literatur”, dem allerdings nur eine einzige Veröffentlichung beschieden sein sollte. Mit Vesper hatte Ensslin einen gemeinsamen Sohn, Felix Robert Ensslin (* 13. Mai 1967 in Berlin). Wie auch Ulrike Meinhof war sie Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Involviert in die Studentenunruhen der ausgehenden 1960er, engagierte sich Ensslin zunehmend in der Außerparlamentarischen Opposition und verfasste linksgerichtete agitatorische Schriften.

Nachdem der Student Benno Ohnesorg während des Besuchs des Schahs von Persien in Berlin am 2. Juni 1967 von einem Polizisten erschossen worden war, rief sie im Büro des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes zur „Gewalt gegen einen gewaltbereiten Staat” auf. Während dieser Zeit traf sie vermutlich auf den bereits in den radikalen Untergrund abgetauchten Andreas Baader. Das Gedankengut von Ensslin und Baader sollte sich zusehend in militante Aktionen steigern. So richtete sich ihre Gewaltbereitschaft zum einen gegen den konservativ eingestellten Axel-Springer-Verlag, der die Studentenaktivitäten scharf kritisierte - partiell zu Hetzkampagnen gesteigert - und zum anderen gegen die „bornierte” Wohlstandsgesellschaft.

Nach politisch motivierten Kaufhaus-Brandstiftungen am 2. April 1968 wurde Ensslin verhaftet und gemeinsam mit Andreas Baader, Thorwald Proll und Horst Söhnlein zu drei Jahren Haft verurteilt. Nachdem das Urteil im November 1969 rechtskräftig geworden war, hatte sich Ensslin ihrer Verhaftung entzogen, war untergetaucht und zusammen mit Andreas Baader nach Frankreich geflüchtet..

Zurückgekehrt in die Bundesrepublik Deutschland entstand vermutlich der erste Kontakt zu der radikalen Hamburger Journalistin Ulrike Meinhof, die sich ihrerseits mit der linksgerichteten Publikation „konkret” vehement gegen die Allmacht des Staates aussprach. Weitere Kontakte zu Gesinnungsgenossen wie Holger Meins, Jan-Carl Raspe und Inge Viett entstanden wahrscheinlich bereits Anfang der 1970er.

Am 14. Mai 1970 organisiert Ensslin zusammen mit Ulrike Meinhof die Befreiung des mittlerweile wieder inhaftierten Andreas Baader aus dem Gefängnis. Die Baader-Befreiung sollte als Geburtsstunde der Baader-Meinhof-Gruppe in die bundesdeutsche Geschichte eingehen. Es folgten zahlreiche Banküberfälle um den eigenen autonomen „bewaffneten Kampf” zu finanzieren. Für diesen hatten sich Gruppenangehörige zuvor bei Palästinensern ausbilden lassen.

Ab 1970 lebte Gudrun Ensslin zusammen mit Baader, Meinhof und Raspe im Untergrund. Weitere Sympathisanten sollten folgen. Die Geburtsstunde der RAF wurde eingeläutet. Mit erpresstem oder geraubtem Geld wurden Waffen oder gefälschte Papiere beschafft.

Gudrun Ensslin war an mehreren Anschlägen der RAF beteiligt, bei denen vier Menschen ums Leben kamen.

Gudrun Ensslin wurde am 7. Juni 1972 bei einem Einkaufsbummel in einer Modeboutique auf dem Hamburger Jungfernstieg zufällig von Passanten beobachtet; die verständigte Polizei verhaftete sie umgehend.

Es folgten langjährige Prozesse gegen Ensslin und die anderen Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe/RAF. Inhaftiert wurde Gudrun Ensslin im Hochsicherheitstrakt der JVA Stuttgart-Stammheim. Nach langer Nahrungsverweigerung und Zwangsernährung wurde sie am 18. Oktober 1977 im Alter von 37 Jahren tot in ihrer Zelle aufgefunden. Nach offizieller Darstellung der Gefängnisleitung beging sie im Rahmen des [kollektiven Selbstmordes] der RAF Häftlinge mit einem Telefonkabel, welches sie am Fenstergitter befestigte Suizid. Andreas Baader wurde mit einem tödlichen Genickschuss in seiner Zelle aufgefunden. Er soll vorher zwei weitere Schüsse auf seine Zellenwand abgefeuert haben, um es wie Mord aussehen zu lassen. Jan-Carl Raspe lag schwer verletzt in seiner Zelle und erlag wenig später den Folgen seiner Schussverletzung am Kopf im Krankenhaus. Irmgard Möller hatte mehrere Stichverletzungen in der Herzgegend, wurde jedoch durch eine Notoperation im Krankenhaus gerettet.

Ob die Gefangenen in Isolationshaft gehalten wurden, ist umstritten. Während dies von Anhängern der linken Szene behauptet wird, wird es von Zeitzeugen bestritten. Es kann jedoch vermutet werden, daß die Isolationshaft zumindest zeitweilig eingesetzt wurde.

Gudrun Ensslin wurde am 27. Oktober 1977 in einem Gemeinschaftsgrab zusammen mit Andreas Baader und Jan-Carl Raspe auf dem Dornhaldenfriedhof in Stuttgart beigesetzt.

Anmerkungen

Durch Aussagen von Irmgard Möller, der einzigen Überlebenden der sogenannten „Stammheimer Todesnacht”, und der Anwälte der Gefangenen (u.a. Otto Schily) kam die These auf, es habe sich nicht um eine kollektive Selbsttötungsaktion infolge der gescheiterten Freipressungsversuche („Deutscher Herbst” / Entführung und Mord von Hanns-Martin Schleyer) gehandelt, sondern um staatlich angeordnete Tötungen. Da die offiziellen Untersuchungen der Todesumstände von Widersprüchen und Verschleierungen überschattet waren, sahen viele linksgerichtete Gruppen ihre Einstellung zum westdeutschen Staat bestätigt. Die "Hinrichtungsthese" konnte jedoch nicht belegt werden.

Die Eltern von Gudrun Ensslin, der Pfarrer Helmut Ensslin (1909-1984) und seine Frau Ilse Ensslin, haben sich trotz dieser Geschehnisse nie von ihrer Tochter abgewandt.

Siehe auch

Film

Literatur

  • Ulrike Meinhof, Eberhard Itzenplitz, Klaus Wagenbach: Bambule. Fürsorge – Sorge für wen? (1971), ISBN 3-8031-2428-X
  • Gudrun Ensslin u.a.: Zieht den Trennungsstrich jede Minute - Briefe an ihre Schwester Christiane und ihren Bruder Gottfried aus dem Gefängnis 1972-1973. (2005); Hrsg. von Christiane Ensslin und Gottfried Ensslin; Konkret Literatur Verlag Hamburg, ISBN 3894582391
  • Michael Kapellen: Doppelt leben. Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Die Tübinger Jahre (2005); Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen, ISBN 3937667652
  • Gerd Koenen, Vesper, Ensslin, Baader (2001); Fischer Taschenbücher, ISBN 3596156912
  • Klaus Pfileger: Die Rote Armee Fraktion (2004); Nomos Verlag, ISBN 3832905332
  • Stefan Aust: Der Baader-Meinhof Komplex (1998); Goldmann, ISBN 3-442-12953-2