Carl Dammann (Fotograf)
Carl Dammann, auch Carl Victor Dammann (* 1819 in Ludwigslust; † 1874 in Hamburg) war ein deutscher Fotograf und Autor des Anthropologisch-Ethnologischen Albums in Photographien, das in den Jahren 1870 bis 1874 in Zusammenarbeit mit der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte entstand.
Leben und Werk
Dammann wurde im Schweriner Stadtteil Mueß geboren und absolvierte zunächst eine Lehre als Zimmermann. Um 1837 brach er ein Studium an der Akademie in München ab und arbeitete nach 1847 als Bahnhofsaufseher in Boizenburg/Elbe an der Bahnstrecke Hamburg-Berlin.[1]
Wann er mit der Fotografie begann oder wer ihn darin unterrichtete, ist nicht bekannt. Im Januar 1869 wurde er als Inhaber eines Fotostudios in der Großen Johannisstraße 4, Hamburg, aufgeführt. Sein einziges bekanntes Werk ist das Anthropologisch-Ethnologische Album in Photographien, ein umfangreiches Projekt, das in den frühen 1870er Jahren in Zusammenarbeit mit der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU) durchgeführt wurde und an dem später auch sein zeitweise in England lebender Halbbruder (oder Vetter) Friedrich Wilhelm Dammann beteiligt war.[2]

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die noch junge Technik der Fotografie auch zur Dokumentation und Darstellung verschiedener menschlicher Ethnien, damals Rassen genannt, populär.[3] Vermutlich war Dammann als Porträtfotograf tätig und verfügte somit über Erfahrungen mit der fotografischen Darstellung von verschiedenen Menschen. Als großer Hafen bot Hamburg viele Möglichkeiten, Menschen aus anderen Erdteilen zu begegnen. In den Jahren 1870/1871 fertigte Dammann im Auftrag der BGAEU eine Serie von Fotografien afrikanischer und arabischstämmiger Seeleute aus Sansibar an, deren Schiff El Magidi in Hamburg vor Anker lag.[4] Diesen Fotografien folgte eine ähnliche Serie einer Gruppe japanischer Akrobaten. Diese ersten Bilderserien auf Albuminpapier fanden die Zustimmung von Mitgliedern der BGAEU unter Leitung von Adolf Bastian, Robert Hartmann und Rudolph Virchow. Sie wurden auch in der Zeitschrift für Ethnologie erwähnt und bildeten die Grundlage der folgenden Zusammenarbeit zwischen Dammann und der BGAEU, aus der das Album hervorging. In der Folge sandte die BGAEU Dammann eine große Zahl an Fotografien verschiedenartiger Herkunft, um die große geografische Bandbreite des Werks zu vervollständigen.[5]
Vor einem neutralen Hintergrund in voller Gesichts- und Profilansicht aufgenommen, entsprachen die Porträts dem seinerzeit üblichen wissenschaftlichen Interesse an fotografischen Aufnahmen, die die körperliche Gestalt des Menschen abbilden. Das Interesse der damaligen Anthropologen zielte auf ein physiognomisch-biologisches und vermeintlich objektives Ordnungssystem verschiedener "Menschenstämme" ab. Die Fotografie diente dabei als dokumentarische Ergänzung körperlicher Meßdaten der Menschen. Das "Objekt" sollte in gerader Haltung, vor neutralem Hintergrund möglichst entblößt und auf das physische Äußere beschränkt werden.[6]
Das Anthropologisch-Ethnologische Album in Photographien wurde zwischen 1873 und 1874 in zehn Abschnitten zu je fünf Blättern veröffentlicht, die insgesamt 642 einzelne, auf Karton aufgezogene Silbergelatineabzüge enthielten. Jedes der Blätter, die verschiedene ethnische Gruppen in Afrika, Asien, Australien und Europa darstellten, enthielt Bildunterschriften für jedes Foto, eine zusammenfassende Beschreibung für jede ethnografische Gruppe und Angaben über die Herkunft der Fotos.
Ein in der Sammlung des Victoria and Albert Museums, London, erhaltenes Blatt zeigt zum Beispiel acht fotografische Studien verschiedener südasiatischer Ethnien und Kasten. Die einzelnen Porträts bestehen aus je einer Frontal- und einer Profilansicht und zeigen einen Sikh aus dem Punjab, einen Parsi aus Bombay, einen Mann mit nacktem Oberkörper aus Tranquebar in Südindien sowie einen Mann mit einem Haarknoten aus der Kaste der Lastenträger.[7]
Eine frühe Ausgabe des Albums wurde auf der Wiener Weltausstellung von 1873 mit einer Bronzemedaille ausgezeichnet. Nach Carl Dammanns Tod wurde 1875 eine auf 24 Blätter mit 167 Fotos gekürzte Fassung auf Englisch als Ethnological photographic gallery of the various races of men mit Friedrich Wilhelm Dammann als Mitautor im Verlag Trübner & Co., London, veröffentlicht. Sie enthält weitere Bilder, die erst nach der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe erworben wurden.[2]
Rezeption
In einer Rezension im Jahr 1874 bezeichnete der Berliner Anthropologe und Gründungsmitglied der BGAEU Gustav Fritsch das Album als verdienstvolles Werk, das durch seine Fotografien die zuvor übliche Darstellung von fremden Menschen durch subjektive Abbildungen als zuverlässige Dokumentation übertraf.[8] Der britische Anthropologe Edward B. Tylor und Begründer der Sozialanthropologie nannte das Album "einen der wichtigsten Beiträge, der jemals für die Wissenschaft des Menschen geleistet wurde."[9]
Ein umfassendes Archiv zum Dammann-Projekt befindet sich im Pitt Rivers Museum der Universität Oxford, da das Museum 1901 die Überreste des Projekts aus dem Nachlass von Carls Halbbruder Friedrich Dammann erwarb. Neben einer großen Sammlung loser Drucke, die durch Kopieren von Originalen aus vielen Quellen hergestellt wurden, umfasst die Sammlung des Museums Negative von großformatigen Ganzplatten. Abzüge von diesen Negativen wurden damals zerschnitten und auf neue Visitenkartenformate aufgezogen, um sie zum Verkauf anzubieten.[10][4] Neben Reproduktionen aus Dammans Album besitzt das Pitt Rivers Museum auch die Studiofotografie einer japanischen Personengruppe der Meiji-Zeit in traditioneller Kleidung, die um 1870 von Dammann aufgenommen wurde.[11]
In einer Veröffentlichung des Journal of the Anthropological Society of Oxford von 1982 wurde Dammanns Anthropologisch-Ethnologisches Album als die bedeutendste ethnologische und fotografische Zusammenarbeit des 19. Jahrhunderts bezeichnet.[4] Als weiterführende Recherchen zur Entstehung des Albums haben akademische Mitarbeiter des Pitt Rivers Museums auch Studien zur Herkunft aus anderen Quellen als Dammanns eigenen Fotografien veröffentlicht. So untersuchte eine dieser Veröffentlichungen den historischen Hintergrund von Aufnahmen australischer Ureinwohner, die Dammann von einem deutschen oder Schweizer Auswanderer nach Australien namens Julius Ferdinand Berini für sein Album über die BGAEU erhalten hatte.[12]
Im 21. Jahrhundert werden Darstellungen von indigenen Menschen, wie sie durch Dammanns Album und ähnliche Veröffentlichungen verbreitet wurden, nicht nur als historische Dokumente, sondern auch als problematische eurozentrische, rassistische und inhumane Stereotypisierung im Rahmen der Diskussion über eine Dekolonisierung bei der Bewertung westlicher Sammlungen beurteilt.[13][6][14]
Dammanns Fotografien sind unter anderem in den Sammlungen des Ethnologischen Museums Berlin,[15] der Duke University Library,[16] der New York Public Library,[17] der Patrick Montgomery Collection,[18] des British Museums[10] und des Victoria and Albert Museums,[7] London, enthalten und teilweise online einsehbar. Die British Library besitzt ein vollständiges Exemplar der deutschen Ausgabe.[19] Auf Auktionen sowie im antiquarischen Buchhandel wurden auch Exemplare der englischen Ausgabe von 1876 angeboten.[20][21]
Veröffentlichungen
- Carl Dammann: Anthropologisch-ethnologisches Album in Photographien. Herausgegeben mit Unterstützung aus den Sammlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Berlin: Wiegand, Hempel und Parey, 1873-74
- Carl Dammann, Friedrich Wilhelm Dammann: Ethnological photographic gallery of the various races of men. Trübner & Co., London 1875 (englisch, worldcat.org).
- Carl und Friedrich Wilhelm Dammann: Ethnologischer Atlas sämmtlicher Menschen-Racen in Photographien. Hamburg: Otto Meissner 1876[21]
Literatur
- Tylor, Edward B., Dammann's Race-Photographs, Nature, 13, 1876, S. 184–185
- Edwards, Elizabeth, Some Problems with Photographic Archives: The Case of C. W. Dammann, Journal of the Anthropological Society of Oxford, Vol.13, No 3, 1982, S. 257-361.
- Edwards, Elizabeth, Photographic "Types". The pursuit of method. Visual Anthropology 3, 1990, S. 235–258
- Edwards, Elizabeth (Hrsg.) Anthropology & Photography 1860-1920. Yale & London, 1992, S. 55, 57.
- Thomas Theye: Ethnologie und Photographie im deutschsprachigen Raum (1839-1884). Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2004
- Mary Warner Marien: Photography: A Cultural History. Laurence King Publishing, 2006, ISBN 978-1-85669-493-3, S. 152 (englisch, google.com).
Weblinks
- 73 Fotografien von Carl Dammann in der Sammlung des British Museums
- Ethnological photographic gallery of the various races of men by C. & F.W. Dammann, London 1875, im Internet Archive
Einzelnachweise
- ↑ Carl Dammann (Fotograf) (1819-1874). smb.museum digital, abgerufen am 19. Januar 2023.
- ↑ a b John Hannavy (Hrsg.): Encyclopedia of Nineteenth-Century Photography. Routledge, 2013, ISBN 978-1-135-87327-1, S. 377 (google.com [abgerufen am 19. Januar 2023]).
- ↑ Susan Slyomovics: Orientalism Revisited: Art, Land and Voyage. Hrsg.: Ian Richard Netton. Routledge, 2012, ISBN 978-0-415-53854-1, Visual ethnography, S. 131–132 (englisch, google.com [abgerufen am 19. Januar 2023]).
- ↑ a b c Howard Morphy, Robyn McKenzie: Museums, Societies and the Creation of Value. Routledge, 2021, ISBN 978-1-00-051554-1 (englisch, google.com [abgerufen am 19. Januar 2023]).
- ↑ Edwards, Elizabeth (1982). Some Problems with Photographic Archives: The Case of C. W. Dammann. Journal of the Anthropological Society of Oxford, Vol.13, No 3, S. 257–361
- ↑ a b Ethnologie: Bilder aus der Fremde. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 22. Januar 2023]).
- ↑ a b Victoria and Albert Museum: Photograph | Damman, Carl W. | V&A Explore The Collections. Abgerufen am 19. Januar 2023 (englisch).
- ↑ Gustav Fritsch: Anthropologisch-ethnologisches Album in Photographien. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 6, 1874, ISSN 0044-2666, S. 67–69, JSTOR:23029222.
- ↑ Edward B. Tylor: Ethnological Photographic Gallery of the Various Races of Man. In: Nature. Band 13, Nr. 323, Januar 1876, ISSN 1476-4687, S. 184–185, doi:10.1038/013184a0 (nature.com [abgerufen am 21. Januar 2023]).
- ↑ a b Collections Online | British Museum. Abgerufen am 19. Januar 2023.
- ↑ Picturing Japan: Meiji-era photographs in the collections of the Pitt Rivers Museum, University of Oxford. Abgerufen am 22. Januar 2023 (britisches Englisch).
- ↑ Chris Morton: Charlatan or valued collector? Pitt Rivers Museum Photograph and Manuscript Collections, 24. Juli 2015, abgerufen am 22. Januar 2023 (britisches Englisch).
- ↑ Jane Lydon: Photography, Humanitarianism, Empire. Routledge, 2020, ISBN 978-1-00-021310-2 (google.com [abgerufen am 19. Januar 2023]).
- ↑ Den Blick erwidern: Fotografie und Kolonialismus. In: Fotogeschichte Heft 162, Jg. 41, Winter 2021. Fotogeschichte (Zeitschrift), 2021, abgerufen am 20. Januar 2023.
- ↑ Anthropologisch-Ethnologisches Album. In: https://smb.museum-digital.de. Ethnologisches Museum Berlin, abgerufen am 20. Januar 2023.
- ↑ Ethnological photographic gallery of the various races of men, by C. & F.W. Dammann. Duke University Libraries, abgerufen am 20. Januar 2023 (englisch).
- ↑ Anthropologisch-ethnologisches Album in Photographien - NYPL Digital Collections. Abgerufen am 19. Januar 2023.
- ↑ The History of Photography Archive: Carl Damman - Arabia, Persia, ca 1875. 27. Februar 2022, abgerufen am 19. Januar 2023.
- ↑ Anthropologisch-ethnologisches Album in Photographien / von C. Dammann in Hamburg ; herausgegeben mit Unterstützung aus den Sammlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. - British Library. Abgerufen am 21. Januar 2023.
- ↑ Ethnographic photography. Dammann, Carl. 1819-1874, and Frederick W. Ethnological Photographic Gallery of the Various Races of Mankind. London Trubner & Co., 1875. Bonhams, 25. September 2018, abgerufen am 20. Januar 2023 (englisch).
- ↑ a b Third copy located of an extremely rare ethnographic photo album. Asher Rare Books, The Netherlands, abgerufen am 20. Januar 2023.
Personendaten | |
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NAME | Dammann, Carl |
ALTERNATIVNAMEN | Dammann, Carl Viktor |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Fotograf und Autor |
GEBURTSDATUM | 1819 |
GEBURTSORT | Schwerin |
STERBEDATUM | 1874 |
STERBEORT | Hamburg |