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Schwarze Pädagogik

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Die Umschreibung Schwarze Pädagogik ist keine Form der Pädagogik, sondern stellt eine scharfe Kritik an allen historisch tradierten Erziehungsnormen dar, die Grenzen nicht vermitteln, sondern den Gehorsam zum Prinzip erheben, dabei den Willen des Kindes, auch des Kleinkindes, brechen oder verwirren möchten und die Grenzsetzung durch die psychische Auslöschung des Eigenwillens versuchen.


Beispielhafte Herleitung

Aus Sicht des Erwachsenen liegt die Kindheit weit zurück und angesichts mancher gesellschaftlicher Realität erscheint kindlicher Gehorsam überlebenswichtig. Ein Beispiel: ein Kind darf nicht einfach auf eine befahrene Straße laufen, sonst würde es sterben.

Die sog. schwarze Pädagogik würde das Kind so lange physisch (Klaps, später Ohrfeige, Schläge) oder psychisch (drohen, verängstigen, hassen) misshandeln, bis es keinen Wunsch mehr spürt, auf die Straße zu laufen, sondern nun brav, etwas seelenloser, an der Seite der Eltern bleibt. Es hat seinen ursprünglichen Wunsch "vergessen". Der Erwachsene, der es selbst nicht anders lernte, ist stolz auf seinen "Erziehungserfolg".

Eine kindgerechte Behandlung wäre, dass keine elterlichen Emotionen auf das Kind übertragen werden, solange dies keinen Sinn macht, weil das Kind noch gar kein begriffliches Bewußtsein für den Raum und dessen Objekte erworben hat. In dieser Phase ist es Aufgabe der Eltern, den Aktionsraum des Kindes jeweils einzuschränken wenn Gefahr droht.

Beim älteren Kind kann der sehr begründete elterliche Gefühlsausbruch (Wut, Sorge, Angst), verursacht durch das auf die Straße laufende Kind, dazu genutzt werden, dem Kind zu vermitteln, worin die Angst hier notwendigerweise besteht, wodurch das Kind die sinnhafte Bedeutung des emotionalen Geschehens der Eltern erfahren kann. Vorraussetzung hierfür ist aber, daß Eltern an sich arbeiten, authentische Gefühle zu zeigen, auf die sich Eltern und Kind dann beziehen können.

Problematik und Chance

Problematisch ist die Situation offen oder insgeheim abgelehnter Kinder: für die Eltern ist der Wunsch, an eigenen authentischen Gefühlen zu arbeiten, sehr schmerzhaft, weil dadurch die Ablehnung hervortreten würde. Tatsächlich könnten sie aber dadurch auch eigene erlittene Ablehnungen erkennen und verarbeiten, so daß dieser Widerspruch nicht automatisch sein braucht.

Die positive Kehrseite der schwarzen Pädagogik kann in der Wahrheit des Spruches gefunden werden, daß man von seinen Kindern lernen kann - in dem man einen Anstoß erhält, über sich selbst zu lernen, eigene Gefühle zu erinnern.

Die Geschichte unter dem Aspekt schwarzer Pädagogik

Schwarze Pädagogik kann tragischerweise als wesentliches Merkmal eines seit Jahrhunderten herrschenden Erziehungsideals erkannt werden, das erst mit dem Zeitalter der Postmoderne seine Glaubwürdigkeit eingebüßt hat.

Ein absoluter elterlicher Machtanspruch kann bereits in alten Märchen entdeckt werden. In dem kurzen Grimm'sche Märchen "Das eigensinnige Kind" strafte Gott mit Krankheit und Tod, und als das nicht half, kam die Mutter:

".. und wenn sie es hineinlegten [in das Grab] und frische Erde darüber taten, so half das nicht, und das Ärmchen kam immer wieder heraus. Da mußte die Mutter selbst zum Grabe gehen und mit der Rute aufs Ärmchen schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein "

Im 18. Jh. wird die Erziehung zur wissenschaftlichen Frage. In einem zeitgenössischen Erziehungshandbuch ist zu lesen:

„Diese ersten Jahre haben unter anderem auch den Vorteil, daß man da Gewalt und Zwang brauchen kann. Die Kinder vergessen mit den Jahren alles, was ihnen in der ersten Kindheit begegnet ist. Kann man da den Kindern den Willen benehmen, so erinnern sie sich hernach niemals mehr, daß sie einen Willen gehabt haben“

(J. Sulzer: Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder, 1748)

Die tonangebenden Gelehrten gefielen sich insbesondere darin, Kinder wie Tiere einer Abrichtung zu unterwerfen, denn sie gehen von der "bösen Kindsnatur" aus.

Zur üblichen Gehorsamserziehung gehörte auch das Schlagen und Prügeln. Effektiv erschien es, ein Exempel zu statuieren, um nur die Androhung wirksam werden zu lassen, da das Kind dann im Ernstfall bereits von der Gewaltbereitschaft der Eltern überzeugt ist. Eine die Hoffnung zersetzende Rolle spielt dabei der nichthelfende Elternteil, der dem Kind damit verdeutlicht, dass es vom nichtschlagenden Zeugen keine Hilfe zu erwarten hat.

Im 19. Jh. kommt der Fokus des Gehorsams auch auf einen Apsekt der jugendlichen Sexualität - die "Schrecken" der Selbstbefriedigung. Ein erster Tatbestand der Selbstbefriedigung sollte noch gezielt durch das Erzeugen eines Schuldgefühls geächtet werden. Für die wiederholte Tat steuerte die Medizin zum Teil kuriose Methoden bei, etwa das Zunähen von Vorhaut oder Schamlippen. Joachim Heinrich Campe, ein Philanthrop, soll den Eingriff gelobt und als sicherstes Mittel empfohlen haben, um »die Selbstschändung unmöglich« zu machen.

Das im Deutschland des angehenden 20. Jh. vergötterte, der Ordnung verpflichtete, preussische Denken machte den Gehorsam, den angeblichen Wunsch, erster Diener seines Staates sein zu wollen, zur Grundlage des öffentlichen Lebens. Schon 1848 fiel dem Dichter Heinrich Heine das Seelenlose des preussischen Ordnungssinns auf ("Deutschland - ein Wintermärchen") - ohne allerdings die Erziehung als mögliche Wurzel zu benennen.

Vom 1. Weltkrieg ist bekannt, daß inbesondere der grosse Gehorsam, die innere Verpflichtung das millionenfache Sterben ermöglichten.

Seit einigen Jahrzehnten wird endlich in infrage gestellt, daß das Kind von Natur aus böse sei. Das Schlagen von Kinder wurde in Deutschland im Jahr 2000 unter Strafe gestellt.

Global gesehen, wirft das jüngste Zeitgeschen die Frage auf, inwieweit der Bestrafungsaspekt der WTC-Katastrophe vom 9.11.2003 und dessen Gegenreaktionen, der Afghanistan- und Irak-Krieg Aspekte schwarzer Pädagogik enthalten.

Die heutige schwarze Pädagogik

Die Kindheitsforscherin Alice Miller kam, bestärkt durch ihr jahrelanges therapeutisches Wirken, zum Entschluß, die eigene Kindheit aufarbeiten zu müssen. Sie engagiert sich seit längerem als Anwältin des Kindes und prangert schwarze Pädagogik als Ursache für spätere Probleme und Verbrechen von Erwachsenen an.

Die unbewußt gebliebenen und dadurch immer noch wirkenden Annahmen aus jahrhundertealten Erziehungsmethoden stellt der Philosoph Michel Foucault dar, in dem er immer wieder von Gesellschaftsnormen als der Dressur des Menschen durch die Gesellschaft spricht.

Literatur

  • Rutschky, Katharina, Schwarze Pädagogik, 1977
  • Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, Frankfurt a.M: Suhrkamp 1976
  • Miller, Alice: Am Anfang war Erziehung, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1983