Schleudersitz



Ein Schleudersitz ist ein System zur Rettung der Besatzung eines Flugzeuges oder Hubschraubers im Falle eines drohenden Absturzes oder einer unvermeidbaren Kollision. Der Schleudersitz katapultiert sich dabei mitsamt Insassen aus dem Flugzeug in eine sichere Entfernung, danach landet der Insasse an einem Rettungsfallschirm. Schleudersitze finden hauptsächlich in militärischen Flugzeugtypen mit wenig Besatzung (typisch 1 bis 2) Anwendung.
Die Entwicklung von Schleudersitzen wurde im Bereich der Militärluftfahrt durch die immer schneller werdenden Kampfflugzeuge angetrieben. Die Besatzungsmitglieder der propellerangetriebenen Flugzeuge konnten sich noch aus eigener Kraft mit ihrem Rettungsfallschirm aus dem Flugzeug befreien und abspringen. Mit zunehmender Fluggeschwindigkeit wurde dies durch den starken Geschwindigkeitsunterschied zur umströmenden Luft immer schwieriger. Es bestand auch die Gefahr, durch den Fahrtwind gegen das Flugzeug, vor allem gegen das Leitwerk, geschleudert zu werden.
Heutige Systeme funktionieren auch dann, wenn das Flugzeug sich noch auf dem Boden befindet (sog. 0/0-Sitze; Höhe = 0 / Geschwindigkeit = 0; auch zero/zero geschrieben), aber auch in sehr großen Höhen und bei hohen Fluggeschwindigkeiten. Ein Schleudersitz besteht aus dem Sitz, einer Sprengeinrichtung, evtl. einem Stabilisierungssystem, Rundkappen-Rettungsfallschirm, einer Notsauerstoff-Flasche für größere Höhe und einer Überlebensausrüstung (Schlauchboot, Funkgerät, Verpflegung etc.).
Ablauf eines Schleudersitz-Ausstiegs
Kommt die Besatzung in eine lebensbedrohliche Lage, dann passiert folgendes: (Der gesamte Vorgang vom Auslösen des Systems bis zur Öffnung des Fallschirms dauert nur etwa 2-3 Sekunden!)
- Der Pilot aktiviert den Mechanismus durch Ziehen an einem der Abzuggriffe und nimmt dadurch die Arme vom Steuerknüppel und/oder dem Leistungshebel weg.
- Moderne Systeme ziehen Arme und Beine automatisch an den Sitz, damit sie nicht verletzt werden.
- Eine Sprengladung trennt bei Hubschraubern die Rotorblätter von der Achse, die weggeschleudert keine Gefahr mehr für den Piloten darstellen.
- Eine Sprengladung entfernt das Dach bzw. die Scheibe über der Pilotenkanzel. Bei manchen Luftfahrzeugen sind Sprengschnüre, die in eine Silikonhülle gelegt sind, mit dieser auf dem Kunststoffglas des Kabinendaches aufgeklebt. Bei alten Flugzeugtypen musste entweder das Kabinendach vorher manuell abgeworfen werden, oder der Sitz war an der Oberseite etwas verlängert und verstärkt um das Glas zu durchbrechen. Bei solchen Flugzeugtypen waren daher die Abzuggriffe am Kopfstück des Schleudersitzes an eine Splitterschutzkapuze angearbeitet, die der Pilot beim Auslösen über das nur von der Sauerstoffmaske geschützte Gesicht zog.
- Der Sitz wird oft durch eine „Schleudersitzkanone“ (ein Teleskop-Zylinder mit eingebauten pyrotechnischen Munitionselementen) hochgeschossen.
- Nachdem die Schleudersitzkanone auf eine genau definierte Höhe ausgefahren ist, wird eine Raketenpackung unter dem Sitz gezündet und katapultiert die Besatzung weiter nach oben heraus. Dabei erfolgt der Ausschuss bei mehrsitzigen Flugzeugen gestaffelt von hinten nach vorne. Um einen Zusammenstoß in der Luft zu vermeiden, wird ein Sitz bewusst nach links, der andere nach rechts katapultiert.
- Einige Systeme besitzen ein Stabilisierungssystem, das einen Ausstieg bei minimaler Höhe oder ungünstiger Flugzeuglage ermöglicht. Dieses System bringt den Sitz mit Steuerdüsen in eine bessere Position. Auf diese Weise in jeder Situation ein sicheres „Aussteigen“ gewährleistet.
- Der Sitz trennt sich nach definierter Zeit bzw. unterhalb einer vordefinierten Höhe vom Piloten und der Rettungsfallschirm öffnet automatisch und synchron. Überlebensausrüstung und Schlauchboot befindet sich in einem Notausstattungsbehälter und ist über eine Packhüllenleine mit dem Besatzungsmitglied verbunden.
- Landung des Piloten.
Zeitgleich mit dem Auslösen des Schleudersitzes wird ein voll-automatischer Notfunksender auf 243 MHz aktiviert, um gezielte Rettungsaktionen auch dann zu ermöglichen, wenn der Flieger bewusstlos ist. Der Sender kann auch zum Wechselsprechen mit der Bergemannschaft benutzt werden.
Die Raketenantriebe der Schleudersitze sind so stark, das ernsthafte Rückenschäden die Folge sein können. Die Beschleunigungskraft (G-Kraft) beträgt für den Bruchteil einer Sekunde je nach Sitzmodell 15 bis 20 g. Zum Vergleich: Achterbahnlimit sowie der Start einer Raumfähre betragen ca. 5 g, ab ca. 8 g tritt ohne spezielle Anzüge Bewußtlosigkeit ein. Nur durch den Umstand, dass die Beschleunigungsphase sehr kurz andauert, sind deshalb solch enorme Kräfte zu ertragen.
Bereits einmaliges Aussteigen per Schleudersitz kann deshalb auch zu einer Beendigung der Pilotenkarriere führen. Ca. 30 % der Strahlflugzeugführer werden nach einem Notausstieg nicht mehr für flugtauglich befunden. Für untrainierte Zivilisten können diese Ausstiege sogar tödlich sein. [1]
Die größte überlebte Geschwindigkeit eines Schleudersitzausstiegs betrug Mach 2,6 in 18000 m Höhe. Ein sowjetischer Testpilot musste sich 1981 aus einer MiG-25 retten. Er trug dabei einen Druckanzug.
Alternativ zum Herausschießen des Pilotensitzes wurden auch Systeme entwickelt, bei denen die komplette Cockpitkapsel vom Flugzeugrumpf getrennt wird (z.B. bei der F-111). Für zivile Luftfahrtzeuge, insbesondere Passagierflugzeuge, existieren keine derartigen Rettungsmöglichkeiten.
Geschichte
Der erste Schleudersitz war eine deutsche Entwicklung. Am 13. Januar 1943 katapultierte sich der Versuchspilot der Firma Argus, Dipl.-Ing. Rudolf Schenk, aus dem noch motorlosen Prototyp V-1 der He 280, der von einer He 111 geschleppt wurde. Weil sich wegen Vereisung das Schleppseil aus der Kupplung an Schenks Flugzeug nicht löste, musste er aussteigen. Auch der zweite Schleudersitzausschuss der Welt fand in Deutschland statt. Am 15. Juli 1943 musste sich Flugkapitän Hans-Joachim Pancherz, Erprobungspilot bei Junkers, in Lärz (Rechlin) aus der Ju 290 SB+QF, Wnr. 0156 herausschießen, nachdem beim Erfliegen der damals größten Geschwindigkeit Teile des Flugzeugs weggeflogen waren. Die erste Maschine mit serienmäßig eingebautem Schleudersitz war der ab 1940 entwickelte Nachtjäger Heinkel He 219, aus dem sich während des zweiten Weltkrieges immerhin 60 Besatzungsmitglieder per Schleudersitz retten konnten.
Die ersten Schleudersitze wurden mit Preßluft angetrieben. Moderne Schleudersitze werden von Raketen aus dem Flugzeug geschossen. Diese können sogar am Boden (sogenannter 'Zero-Zero-Ausstieg') und aus jeder Fluglage benutzt werden. Allein die Schleudersitze der Firma Martin Baker, einem der führenden Hersteller dieser Rettungssysteme, haben bis heute über 7.000 Menschenleben [2]gerettet.
Der erste Hubschrauber, der mit einem Schleudersitz ausgerüstet wurde, ist der ab 1980 entwickelte russische Kamow Ka-50 „Hokum“. Zusammen mit seiner Weiterentwicklung, dem Kamow Ka-52 Alligator, ist er der einzige Hubschrauber, der bisher mit einem Schleudersitz ausgerüstet wurde. Die Rotorblätter werden bei Aktivierung des Schleudersitzes automatisch abgesprengt.
Bilderserie: NASA-Test mit einem Dummy im Schleudersitz einer Northrop F/A-18, aus dem Stand abgeschossen.
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Bild 1
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Bild 3
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Bild 4
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Bild 5
Quellen
Weblinks
- http://www.martin-baker.co.uk/ bedeutender Hersteller
- http://www.ejectionsite.com (englisch)
- http://www.ejectorseats.co.uk (englisch)