Stuttgart 21
Im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 soll der Stuttgarter Hauptbahnhof – bisher ein Kopfbahnhof – durch einen unterirdischen und um 90° gedrehten Durchgangsbahnhof ersetzt werden. Über einen Ringschluss unterhalb der Stadt wird die neue Streckenführung mit den bestehenden Trassen und einem neu zu bauenden Abstellbahnhof verbunden. Planerisch ist Stuttgart 21 ein Teil der Neu- und Ausbaustrecke Stuttgart–Augsburg. Es besteht aus einem Eisenbahnprojekt der Deutsche Bahn AG und einem städtebaulichen Projekt der Landeshauptstadt Stuttgart. Die DB-Tochter DB ProjektBau plant im Auftrag der DB Netz und DB Station & Service das Projekt und vertritt es als so genannte Vorhabenträgerin bei den Genehmigungsverfahren.
Am 23. Oktober 2006 wurde eine endgültige Entscheidung über das Projekt für den März 2007 angekündigt. Bis dahin möchte die Bundesregierung die Wirtschaftlichkeit genauer überprüfen.[1]
Entstehung des Projekts
Erste Vorschläge
Die Idee eines Tunnel-Durchgangsbahnhofs wurde erstmals 1984 von Speck und Mühlhans für den Frankfurter Hauptbahnhof vorgeschlagen. Das Projekt Stuttgart 21 ging aus der Diskussion um den zukünftigen Trassenverlauf einer Neu- und Ausbaustrecke zwischen Plochingen und Günzburg hervor, mit der die 22,5 Promille steile Geislinger Steige entschärft werden sollte. Dieses Vorhaben wurde von der DB zum Bundesverkehrswegeplan 1985 angemeldet. Zu diesem Zeitpunkt wurde noch kein akuter Ausbaubedarf für den Stuttgarter Hauptbahnhof gesehen. Darüberhinaus wurde eine Umgehung Ulms geplant, wobei unklar blieb, ob diese für Güterzüge oder zukünftig auch für ICEs genutzt werden sollte, was für Widerstand in der Politik sorgte. Bereits 1986 schlug ein Ingenieurbüro eine autobahnnahe Trasse nach Ulm vor, die der heutigen Linienführung stark ähnelte und Ulm voll einband. In diesem Vorschlag wurde erstmals eine Unterfahrung des Stuttgarter Hauptbahnhofs für Fernzüge vorgeschlagen. Nach einem (zum Tunnel der S-Bahn parallelen) Tunnelbahnhof mit Aufstiegstunnel sollte die Filderhochfläche erreicht werden, um den Flughafen Stuttgart mit einem Fernbahnhof zu erschließen. Dieser Vorschlag wurde aber von der DB weitgehend ignoriert.
Die Heimerl-Trasse
Als die Planungen der DB 1988 sehr weit fortgeschritten waren und das Raumordnungsverfahren (ROV) beginnen sollte, wandte sich Prof. Dr. Gerhard Heimerl von der Universität Stuttgart mit einer Denkschrift an die Öffentlichkeit, in der er erstmals alle seit 1985 u. a. in politischen Gremien gemachten Anmerkungen schriftlich zusammenfasste, um offen gegen die bisherigen Planungen der DB Position zu beziehen. Heimerl griff darin wieder die Idee einer autobahnnahen Trasse und eines Tunnelbahnhofs auf, da sich in seinen Augen die Trassierung nach dem Hochgeschwindigkeitsverkehr ausrichten sollte. Seine oberste Prämisse war die Trennung von schnellem und langsamem Verkehr, im Gegensatz zur bisherigen Mischverkehrsstrategie der DB, bei der die neue Trasse auch für schweren Güterverkehr geeignet sein sollte. Diese sollten stattdessen weiterhin auf den Altstrecken (mit Nachschieben an der Geislinger Steige oder über die Remsbahn) fahren. Somit wären kostensparendere Trassierungen mit bis zu 35 Promille, wie vom TGV bekannt, möglich gewesen, wie dies schon bei der damals diskutierten Schnellfahrstrecke Köln–Rhein/Main mit 40 Promille angedacht wurde. Heimerls Ziel war deshalb ein durchgehender Hochgeschwindigkeitskorridor für schnelle Verkehre bis 300 km/h, vom Ende der zukünftigen Neubaustrecke Mannheim–Stuttgart bis Augsburg mit voller Einbeziehung von Stuttgart Hbf. und Ulm. Aber anders als die Ingenieure 1986 sah er „noch“ keine Anbindung des Flughafens vor, dessen S-Bahnhof schon eingeplant war (Fertigstellung 1993).
Der neue DB-Planer Prof. Krittian griff die Idee des Tunnelbahnhofs auf und kombinierte sie mit den ursprünglichen DB-Planungen der sog. B-Trasse, nachdem die Politik zunehmend Heimerls Vorschlag präferierte und ein Mischbetrieb auf den Neubaustrecken nicht mehr sinnvoll erschien, weil unterschiedlich schnelle Züge Überholungen erforderlich machen. Es wurden dennoch zuletzt mehrere Varianten diskutiert:
- H-Trasse (Heimerl-Trasse)
- K-Trasse (Kombinations-Trasse)
Da die Untertunnelung des Talkessels, ohne Gefährdung des Mineralwassers, noch untersucht werden musste, kamen nochmals zwei Varianten mit Einbeziehung des bestehenden Hauptbahnhofs in die engere Wahl (als H' bzw. K' bezeichnet). In der folgenden Bewertung unterlag die K-Trasse aufgrund neuer politischer Ziele, die nun auch eine Einbindung des Flughafens forderte.
Neue unternehmerische Ziele der DB auf dem Weg zur Privatisierung
Seit den 90er Jahren wurde von der DB zunehmend die Idee der Veräußerung von Bahnflächen aufgegriffen, nachdem deutlich wurde, dass diese bei der bevorstehenden Bahnreform nicht in das Bundeseisenbahnvermögen fließen müssen. Dazu untersuchte die DB Umfahrungsvarianten des Hauptbahnhofs, die den neuen Standort des Fernbahnhofs in Untertürkheim, Bad Cannstatt oder am Südende des Rosensteinparks vorsahen. Durch Verlagerung des Abstellbahnhofs nach Untertürkheim sollten alle Gleisflächen zwischen Rosensteinpark und Innenstadt entbehrlich werden. Man sah hierin mehrere Vorteile: Man benötigt keine teuren Tunnelbauwerke, spart Instandhaltungskosten für die bisherigen Gleisanlagen, kann innenstadtnah eigene Grundstücke veräußern und steigt damit quasi in das Immobiliengeschäft ein.
Dazu arbeitete die DB eng mit Meinhard von Gerkan zusammen, der mit seinem Team erstmals den Begriff der „Avenue 21“ prägte. Diese Achse von der Innenstadt zum Rosensteinbahnhof sollte als gestalterisches Element den Bogen zwischen „alter“ und neuer City spannen.
Stuttgart 21 entsteht
Die Planungen wurden bis 1993 sehr weit vorangetrieben, sorgten aber für großen Widerstand in der Bevölkerung und der Politik. Heimerl bestätigte in einer Untersuchung die verkehrlichen Nachteile abseits des Zentrums gelegener Bahnhöfe und plädierte damit für einen innenstadtnahen Bahnhof. Die DB-Planer fanden eine Möglichkeit, die unternehmerischen und ordnungspolitischen Ziele zu vereinen, sprich einen Bahnhof zu planen, der einerseits in der Innenstadt liegt, aber dennoch eine Freimachung der Gleise erlaubt. Darüberhinaus war Bahnchef Dürr selber so begeistert von der Idee der Avenue 21, dass er von Gerkan beauftragte, nun von einem Bahnhof am jetzigen Standort aus weiterzuplanen. Nach weiteren internen Diskussionen, Planungen und Abstimmungen mit der Politik vor Ort, die sich mit der neuen Idee eher anfreunden konnte als mit dem (in deren Augen gerade noch verhinderten) Rosensteinbahnhof, wurde dann im April 1994, im Jahr der Privatisierung der Deutschen Bahn AG, gemeinsam mit der Politik der neue Vorschlag Stuttgart 21 der Öffentlichkeit vorgestellt, der nun alle Einzelinteressen unter einem Projekt vereint:
- Anbindung des Flughafens
- Beibehaltung des alten Standorts des Hauptbahnhof
- Verwertbarkeit von Bahnflächen als Immobilien
- Stadtentwicklung um das Konzept der Avenue 21 herum
- Realisierung einer Hochgeschwindigkeitsstrecke auf Basis der H-Trasse.
- Beseitigung der Gäubahntrasse bis Vaihingen
In einer Machbarkeitsstudie wurde diese Idee untersucht und als realisierbar und in vielerlei Hinsicht als vorteilhaft eingestuft. Da hiermit auch jegliche Überlegungen einer Außerachtlassung des Stuttgarter oder Ulmer Hauptbahnhofs vom Tisch waren und für die Stadt Stuttgart neue Möglichkeiten in der Stadtentwicklung entstanden, wurde diese Idee, trotz der hohen Kosten, von einem breiten politischen Konsens getragen. Die Idee, nun Projekte 21 genannt, schien so einleuchtend zu sein, so dass sie sogar für weitere Standorte in Deutschland als Vorbild dienen sollte. Es wurden innerhalb kürzester Zeit Pläne für Frankfurt 21, München 21, Neu-Ulm 21 und Saarbrücken 21 entwickelt und ebenfalls öffentlich präsentiert und teilweise konkretisiert.
Aufgrund der engen Verknüpfung von Städtebau- und Verkehrsprojekt wurde in den Folgejahren der Begriff Synergiekonzept Stuttgart 21 etabliert.
Die weitere Entwicklung
Bereits 1995 war das Vorprojekt mit weiterer Verfeinerung abgeschlossen, und die Stadt hatte ein Rahmenkonzept für die zukünftigen Freiflächen entwickelt. In einer Rahmenvereinbarung wurde die Finanzierung des Projekts zwischen Stadt, Region, Land, Bund und DB vertraglich vereinbart. Entsprechend schnell begann das Raumordnungsverfahren, dessen Ergebnisse bereits 1997 vorlagen, so dass 1998 mit dem Beginn des Planfeststellungsverfahrens gerechnet wurde. Ein personeller Wechsel an der Konzernspitze, Probleme bei der Finanzierung anderer Neubauvorhaben wie die Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt sowie die schleppende Vermarktung der Gleisflächen ließen bei der DB Zweifel an der Wirtschaftlichkeit aufkommen. Alle Projekte 21 wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Die DB schlug stattdessen entweder eine Realisierung der Neubaustrecke vor bzw. nur den Bau von Stuttgart 21 mit der Option einer späteren Realisierung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Die Politik, weiterhin von den Vorzügen überzeugt, sah die beiden Projekte als untrennbare Einheit und konnte erst 2001 nach erheblichen finanziellen Zusagen (siehe Abschnitt „Kosten und Finanzierung“) und langen Verhandlungen die DB davon überzeugen, an den Planungen festzuhalten. Es ist bis heute das einzige Projekt 21, welches den Weg in ein Planfeststellungsverfahren gefunden hat.
Im März 2006 verhandelte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim Klagen des BUND und zweier Wohnungseigentümer gegen das Projekt. Die Kläger beriefen sich darauf, dass das Alternativkonzept „Stuttgart 21 mit Kopfbahnhof“ den verkehrlichen Anforderungen besser gerecht werde und weniger Eingriffe in die Rechte anderer mit sich bringe. Das Gericht lehnte die Klagen ab und schloss sich auch nicht der Ansicht der Kläger an, durch Modernisierung des Kopfbahnhofes sei, im Gegensatz zum geplanten Projekt, ein vollständig integraler Taktfahrplan (ITF) möglich[2]. Der das Projekt kritisierende Verkehrsclub Deutschland betont zum Urteil, dass es lediglich eine juristische, aber keine verkehrliche und finanzielle Prüfung des Projektes darstelle[3].
In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Stuttgarter Zeitung sprach sich im September 2006 eine Mehrheit von 54 Prozent der Stuttgarter für das Projekt aus. Am 23. Oktober 2006 soll im Rahmen eines Spitzentreffens mit Vertretern von Politik und Bahn die endgültige Entscheidung über die Realisierung des Projektes fallen.[4].
Räumliche Gliederung des Projektes
Planfeststellungsabschnitte
Das Projekt wurde nach dem Raumordnungsverfahren von der Vorhabenträgerin in sieben Planfeststellungsabschnitte (PFA) aufgeteilt, die jeweils getrennt zur Planfeststellung seit 2001 beim Eisenbahn-Bundesamt eingereicht wurden:
- Der PFA 1.1 hat den Umbau des Hauptbahnhofs zum Gegenstand. Hierfür werden Teile des unter Denkmalschutz stehenden Bahnhofs von Paul Bonatz abgebrochen. Der Neubau soll nach den Plänen des Architekturbüros Ingenhoven, Overdiek und Partner erfolgen, das den Architektenwettbewerb gewonnen hatte. Der Planfeststellungsbeschluss wurde vom Eisenbahn-Bundesamt am 15. Februar 2005 offiziell bekannt gegeben.
- Der PFA 1.2 (Fildertunnel) schafft die Verbindung zwischen Stadtmitte und Filderhochfläche mit einem rund 9,5 km langen Tunnel. Der Planfeststellungsbeschluss wurde vom Eisenbahnbundesamt am 6. September 2005 offiziell bekannt gegeben.
- Der PFA 1.3 (Filderbahnhof) sieht einen ICE-Bahnhof am Flughafen Stuttgart vor.
- Der PFA 1.4 verbindet das Projekt Stuttgart 21 mit dem Anschlussprojekt Neubaustrecke Wendlingen–Ulm.
- Der PFA 1.5 beinhaltet die Zuführung aus Richtung Stuttgart-Feuerbach und Stuttgart-Bad Cannstatt.
- Der PFA 1.6a beinhaltet die Zuführung nach Stuttgart-Obertürkheim und Stuttgart-Untertürkheim.
- Der PFA 1.6b schafft einen neuen Abstellbahnhof in Stuttgart-Untertürkheim.
Drei der sechs Planfeststellungsabschnitte (Hauptbahnhof, Fildertunnel, innerstädtischer Tunnelring) sind planfestgestellt, womit das Baurecht vorliegt (Stand: 5. Oktober 2006)[5]. Das Regierungspräsidium Stuttgart rechnet mit dem Abschluss aller Planfeststellungsverfahren nicht vor Ende 2008[6].
Grundstücksflächen
Durch das Projekt sollen ca. 100 ha Bauland freiwerden. Im Rahmen des ursprünglich angedachten Vermarktungskonzepts wurden diese Flächen in einzelne Planungsgebiete aufgeteilt:
- Gebiet A1 – Ehemaliger Güterbahnhof zwischen Heilbronner Straße und Wolframstraße (Erschließung seit 1999)
- Gebiet A2 – Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs (Erschließung erst nach Fertigstellung möglich)
- Gebiet A3 – Bereich der Bahnsteigüberdachung des Hauptbahnhofs (Erschließung erst nach Fertigstellung möglich)
- Gebiet B – Abstell- und Wartungsbahnhof am Rosenstein
- Gebiet C – Innerer Nordbahnhof
- Gebiet D – Gäubahntrasse
- Gebiet E – Westbahnhof
Kosten und Finanzierung
Das Eisenbahnprojekt Stuttgart 21 wurde nach Angaben der DB ProjektBau bisher auf ca. 2,6 Mrd. € (Preisstand 1998) veranschlagt. Seit der Verhandlung Ende März 2006 vor dem VGH in Mannheim werden 2,8 Mrd. € an Baukosten eingeräumt. Nach Berechnungen des Bundesverkehrsministeriums sind Kosten in Höhe von 2,95 Mrd. € zu erwarten.
Die bisher angenommenen Kosten teilten sich wie folgt auf:
- 1.543 Mio.€ aus Eigenmitteln der Deutschen Bahn AG
- 1.051 Mio.€ aus der öffentlichen Hand und von Dritten
Die Eigenmittel beinhalten neben finanziellen Mitteln der Vorhabenträger auch Grundstückserlöse und geplante betriebliche Mehrerlöse aus Trassengebühren und Stationspreisen sowie eingesparte Betriebskosten und Investitionen gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof.
Der Anteil aus öffentlichen Mitteln und Drittmitteln setzt sich wie folgt zusammen:
- 453 Mio.€ vom Bund nach § 8.1 Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG, je zur Hälfte zinsloses Darlehen und Baukostenzuschuss)
- 179 Mio.€ vom Land nach § 8.2 BSWAG (zinsloses Darlehen)
- 256 Mio.€ vom Land nach Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG, Baukostenzuschuss)
- 102 Mio.€ vom Land aus Regionalisierungsmitteln des Bundes (investiv als Baukostenzuschuss vorgesehen)
- 61 Mio.€ von Land/Stadt/Bund und Flughafen Stuttgart GmbH (je zur Hälfte im Besitz von Land und Stadt Stuttgart) zur Mitfinanzierung der Flughafenanbindung nach Variante D4 Süd.
Somit müsste die DB AG vorerst einen Betrag von ca. 200 Mio. € selber tragen, sofern eine weitere Unterstützung durch die öffentliche Hand ausbleiben sollte.
Ein Teil der Finanzierung soll durch die Veräußerung der freiwerdenden Gleisflächen geleistet werden. Da sich die Vermarktung nicht wie erhofft entwickelte, wurde in einer Ergänzungsvereinbarung im Jahr 2001 von der Landeshauptstadt Stuttgart zugesagt, die freiwerdenden Flächen A2, B, C und D zum Kaufpreis von ca. 450 Mio. € zu erwerben, mit der Maßgabe, dass die Vorhabenträgerin diese Summe vollständig in das Projekt investiert. Die Mittel zum Kauf stammen aus Verkäufen der Stadt von Anteilen der EnBW. Die Fläche A1 wird weiterhin von der DB vermarktet. Einzelne Planungen und Bohrprogramme des Projekts Stuttgart 21 wurden zwischen 2001 und 2004 zu 50 % von der Europäischen Union finanziert. Neben der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm, wird Stuttgart 21 als Teilabschnitt des TEN-Projekts „Vorrangige Achse Nr. 17“ der EU zwischen Paris und Budapest/Bratislava, der so genannten „Magistrale für Europa“ gesehen. Der EU-Koordinator für die „Magistrale für Europa“, Prof. Dr. Péter Balázs, teilte aber jüngst vor dem Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments mit, er „werde [...] kein lokales Projekt wie Stuttgart 21 vorschlagen“[7].
Eine endgültige Festlegung über die Gesamt-Finanzierung des Baus von Stuttgart 21 sollte nach der ursprünglich für Mai 2005 geplanten Wirtschaftlichkeitsrechnung unter den Partnern des Projekts, der Bundesrepublik Deutschland, der Deutsche Bahn AG, dem Land Baden-Württemberg, dem Verband Region Stuttgart und der Landeshauptstadt Stuttgart erfolgen, diese steht bis zum aktuellen Zeitpunkt (Mai 2006) noch aus.
Eine Unwägbarkeit bleibt die Kostenermittlung, die erst dann exakt stattfinden kann wenn die Vorgaben des Eisenbahnbundesamts alle bekannt sind. Auch bei den Mehreinnahmen durch die Trassen- und Stationspreise gibt es gewisse Unsicherheiten: Sie sind seit der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehr (SPNV) im Jahr 1996 im Falle des Nahverkehrs vom Land als Aufgabenträgerin und im Falle des Fernverkehrs aus Eigenmitteln der DB-Tochter DB Fernverkehr für die Benutzung der Trassen und Bahnhöfe für jeden Zug zu entrichten. Da das Land den Großteil der Kosten aus Regionalisierungsmitteln des Bundes bestreitet, sind diese Mehreinnahmen also indirekt an diese Bundesmittel gekoppelt. Bei sinkenden Bundeszuschüssen ist mit Einschnitten im Regionalverkehr und somit auch mit weniger Einnahmen von Trassen- und Stationspreisen zu rechnen.
Indirekt wird dadurch aber auch impliziert, dass der obige Eigenanteil der DB weitere öffentliche Gelder in Form von Regionalisierungsmitteln und dem Kaufpreis der Stadt Stuttgart enthält.
Zur Rechtfertigung für die öffentlichen Mittel wird auf wirtschaftlichen Folgeeinvestitionen verwiesen, die durch das Projekt bewirkt werden. Die Befürworter rechnen dabei mit einer weitaus höheren Gesamtproduktionstätigkeit in der Region als die Summe der eingesetzten öffentlichen Gelder.
Im September 2006 wurden Pläne der Deutschen Bahn bekannt, durch Änderungen in der Bahnhofsarchitektur Baukosten zu sparen[8].
Zeitrahmen
Die Planungen zu Stuttgart 21 begannen bereits Mitte der 1990er Jahre. Über den Baubeginn soll nach Vorliegen einer abschließenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung entschieden werden. Trotz mehrfacher Ankündigung im Jahr 2005 wurde aber weder eine solche publiziert, noch existiert bisher ein endgültiger Beschluss der Vorhabenträgerin, obwohl dies seit 2004 angekündigt wurde. Aufgrund des seit 2001 begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Planfeststellungsverfahrens, bei dem zwar alle Planfeststellungsabschnitte eingereicht, aber noch nicht von der Aufsichtsbehörde bearbeitet wurden, kann mit einem Beginn der Bauarbeiten daher frühestens 2007 und mit einer Inbetriebnahme frühestens 2015 gerechnet werden. Gestützt wird dies durch eine Aussage im aktuellen DB Geschäftsbericht 2005: „Für neue Projekte gilt grundsätzlich, dass eine Umsetzung erst nach abgeschlossenem Planfeststellungsverfahren erfolgt.“[9]
Ziele und Nutzen
Hochgeschwindigkeitsverkehr
Hauptziel des Projektes ist die Schaffung einer durchgehenden Trasse für den Hochgeschwindigkeitsverkehr im Fernverkehr zwischen dem Ende der Neubaustrecke Mannheim-Stuttgart und der geplanten Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. In diesem Zusammenhang wird angeführt, dass der Stuttgarter Hauptbahnhof dadurch erst an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden wird. Formal ist dies aber schon schon seit 1991 der Fall, als die Neubaustrecke aus Mannheim in Betrieb ging und seitdem ICE über Stuttgart fahren. Als Argument für den neuen Bahnhof wurde die Durchbindung des TGV POS nach München gesehen. Dies ist auch im Hinblick auf die sogenannte Magistrale für Europa zu sehen, welche einen Hochgeschwindigkeitsverkehr von Paris bis Budapest vorsieht.
Fernverkehr
Im Zusammenhang mit dem Projekt wurde eine weitere ICE-Linie, beim InterCity, sowie weitere Linienläufe des InterRegio (u. a. nach Tübingen) geplant. Aufgrund des durch die EU vorgeschriebenen freien Zugangs zum Netz der DB Netz wurde seit 2001 nicht mehr von einem Betriebskonzept, welches einen konkreten Fahrplan und ein Angebot vorsähe, sondern von einem Betriebsszenario gesprochen. Hierin sind lediglich bestimmte Fahrzeittrassen und Zugzahlen definiert, die aus Sicht der Vorhabenträgerin über die neue Infrastruktur fahren können, um die im Bundesverkehrswegeplan 2003 prognostizierten Zugzahlen zu bewältigen. Der Eisenbahnbetrieb ist darin unternehmensneutral ausgewiesen. Im Prinzip können so auch andere Unternehmen als die DB Fernverkehr solche Trassen bestellen.
Die ursprünglich veranschlagten Angebotssteigerungen sind somit direkt von den bestellenden Unternehmen abhängig. Dies gilt auch für die Vorhabenträgerin DB Netz, die diese Trassen vermarkten muss. Die kapazitiven Möglichkeiten sind also unabhängig vom zukünftigen Angebot zu betrachten. Es wird dennoch davon ausgegangen, dass DB Fernverkehr und die SNCF über das Rhealys-Konsortium für den TGV-POS Trassen für den Hochgeschwindigkeitsfernverkehr bestellen werden.
Nahverkehr
Ein wenig anders verhält es sich im Nahverkehr. Auf der Basis der Planungen eines Durchgangsbahnhof wurde von Verkehrswissenschaftlern in Zusammenarbeit mit dem Land Baden-Württemberg als Aufgabenträgerin für den SPNV ein Konzept aus Durchbindungslinen im Nahverkehr entwickelt. Dabei sind u. a. folgende Linien geplant:
- Schwäbisch Hall–Stuttgart–Tübingen
- Aalen–Stuttgart–Tübingen
- Heilbronn–Stuttgart–Horb am Neckar
- Vaihingen an der Enz–Stuttgart–Geislingen an der Steige
Die Durchbindung der Linien ist im Prinzip sowohl im Kopf- als auch im Durchgangsbahnhof machbar und wird schon jetzt auf der Linie Neu-Ulm–Plochingen–Stuttgart–Heilbronn–Neckarelz im Kopfbahnhof praktiziert.
In der ursprünglichen Konzeption ging man von einer Bedienung der Zugleistungen durch DB Regio aus, aber auch hier ist aufgrund der neuen Wettbewerbstruktur prinzipiell ein anderes Unternehmen denkbar, sollte dieses die Ausschreibung der Leistung durch das Land gewinnen.
Zu Beginn des Projekts ging man von höherem Verkehrsaufkommen aus, die sich auf den Bundesverkehrswegeplan 1992 stützten. So plante man einen dichteren Takt im Nahverkehr ein. Damit ist auch die geforderte Teilumsetzung eines ITF im Durchgangsbahnhof mit acht Gleisen möglich, da selbst bei Nicht-Abwarten der Anschlusszüge im Nahverkehr aufgrund des dichteren Takts nach damaligen Berechnungen im Durchschnitt einige Minuten weniger auf einen Anschluss gewartet werden müsste, als dies in einem (im Sinne der Gutachter) optimierten Kopfbahnhof der Fall wäre, in dem alle Anschlüsse bereitstehen würden. Mittlerweile wurde auch hier die Prognose ein wenig gesenkt und schlägt sich in einer geringeren Zahl an geplanten Trassen für den Nahverkehr nieder. Da aber die Bestellungen des Landes direkt durch die Hilfszahlungen des Bundes in Form der Regionalisierungsmittel beeinflusst werden, erfordern die geplanten Mehrverkehre auch entsprechende Bestellungen und die Finanzierbarkeit durch das Land, selbst bei Senkung der Regionalisierungsmittel. DB Netz und DB Station & Service haben somit keinen Einfluss auf den Mehrverkehr im geplanten Durchgangsbahnhof, sondern sind indirekt abhängig von der Haushaltslage der öffentlichen Hand, was die Vermarktung der Trassen und die Einnahmen durch Stationsgebühren angeht.
Güterverkehr
Im Zusammenhang mit der Neubaustrecke wurde die Bereitstellung von 20 Trassen für leichte Güterzüge (schneller Güterverkehr mit leichten Kaufmannsgütern) in den Nachtstunden durch den Tunnelbahnhof eingeplant. Es war vorgesehen, dies mit dem „TGV Postal“ ähnlichen Gütertriebzügen durchzuführen. Diese zukünftige Option wurde in den Erörterungsterminen aber zurückgezogen - die 20 Trassen wurden gestrichen.
ICE-Anbindung des Flughafens
Der Stuttgarter Flughafen soll durch das Projekt an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen werden. Dies geht auf eine Forderung des Bundes zurück, die dadurch eine Senkung der Inlandsflüge erreichen möchte. Die von der EU geforderte intermodale Verknüpfung der Verkehrsträger ist schon durch die S-Bahn-Anbindung erfüllt, wäre aber durch den Fernbahnhof noch mehr ausgeweitet.
Auch im Zusammenhang mit der Entscheidung für einen Fernbahnhof am Flughafen wird die Landesmesse Baden-Württemberg gesehen, auch wenn dies offiziell bestritten wird. Durch den neuen 9,5 km langen Fildertunnel ist eine Fahrzeit vom Hauptbahnhof bis zum Flughafenbahnhof von 8 Minuten vorgesehen.
Die Mehrkosten, die über den von der DB ursprünglich geplanten Kopfbahnhof am Flughafen für die Anbindung zu zahlen sind, übernehmen die öffentliche Hand und die Flughafenbetreiberin wie oben aufgeschlüsselt.
Betriebliche Aspekte
Durch die Schaffung eines Durchgangsbahnhofs geht die Vorhabenträgerin von einer höheren Kapazität aufgrund eisenbahnbetrieblicher Untersuchungen aus. Durch mehrere Gutachten wird auf die optimale Bemessung mit acht Gleisen, unter bestimmten Voraussetzungen, mehrfach hingewiesen. Die im bestehenden Kopfbahnhof vorhandenen Gleisausschlüsse aufgrund des komplizierten Gleisvorfelds, die eine Ausschöpfung der vorhandenen Kapazitäten verhindern, seien nur mit erheblichen Baumaßnahmen und Kosten realisierbar. Die Projektgegner bezweifeln diese Aussagen und Kosten und stellen mit dem Alternativprojekt „Kopfbahnhof 21“ ein Gegenkonzept vor, das eine Optimierung des Gleisvorfelds und die Ergänzung der Überwerfungsbauwerke zur kreuzungsfreien Einführung der Linien in den Bahnhof vorsieht. Nach deren Berechnungen liegen die Kosten unter den veranschlagten Kosten der Vorhabenträgerin. Aufgrund der Ringstruktur von Stuttgart 21 soll das Wenden außer im Abstellbahnhof unnötig werden.
Die publizierten Reisezeitverkürzungen entstehen nicht alleine durch den Umbau des Bahnhofs (nach Angaben der Vorhabenträgerin betragen diese maximal 260 Sekunden), sondern hauptsächlich durch den Bau der Trassen von und zum Bahnhof. Dabei wird üblicherweise von der Realisierung einer Reihe von anderen Neubauvorhaben in Deutschland ausgegangen, die nicht im Zusammenhang mit dem Bauprojekt Stuttgart 21 stehen.
Generell wird die Frage, ob zwei Minuten als Haltezeit für den neuen Durchgangsbahnhof reichen, kritisch hinterfragt. Die bisherigen Gutachten bestätigen aber diese Werte anhand ähnlicher Fahrplan-Haltezeiten in anderen deutschen Bahnhöfen, weshalb sie unter bestimmten Voraussetzungen als erfüllbar gelten (zur Kritik s. u.).
Die gegenüber dem nicht optimierten Gleisvorfeld mit 225 Weichen reduzierte Weichenzahl von 48 soll ebenso wie die feste Fahrbahn in den Tunnels die Betriebskosten senken, da beides geringere Wartung erfordert. Inwieweit dies die höhere Beanspruchung der wenigen Weichen im neuen Bahnhof aufwiegt, ist nicht geklärt.
Die vorgesehenen Einfahrgeschwindigkeiten im umgebauten Hauptbahnhof Stuttgart liegen meist bei 80 km/h, in den durchgehenden Hauptgleisen 4 und 5 bei 100 km/h. In einzelnen Fahrstraßen ist beträgt die Geschwindigkeit 60 km/h. Die Einfahrt an den Bahnsteig eines Kopfbahnhofs ist dagegen nur mit 30 km/h möglich.
Ein Vorteil bleibt allerdings: Ist Stuttgart in ein paar Jahren pleite gegangen, und sei es an Stuttgart 21, können die Züge von Paris oder Karlsruhe ohne anzuhalten nach München durchfahren.
Städtebauliche Aspekte
Städtebaulich besteht nach derzeitigen Planungen die Möglichkeit, ca. 100 Hektar derzeitige Gleisfläche in der Stuttgarter Innenstadt nutzbar zu machen. Die Fläche sollte ursprünglich nach dem siegreichen Entwurf des Architekturbüros Trojan, Trojan + Neu für Wohn- und Geschäftsgebäude genutzt werden. Nach dem Verkauf eines Großteils der Flächen an die Stadt, wurde 2005 im „Realisierungswettbewerb Rosensteinviertel“ die Planung aktualisiert und konkretisiert.
Da der Verband Region Stuttgart Ansprüche auf die Gäubahntrasse vom Hauptbahnhof bis Vaihingen als Bypass für die S-Bahn erhebt, ist eine Verwertung des Areals D unsicher.
Die Bebauung der sonstigen Flächen wäre die größte Innenstadterweiterung seit Bestehen der Stadt.
Kritik
Kritiker halten das Projekt für betriebsschädlich und für zu kostenintensiv. Übereinstimmung besteht zwischen Projektbefürwortern und Projektgegnern jedoch darin, dass die Bahnanlagen in Stuttgart umgestaltet werden müssen. Daher entwickelte der Verkehrsclub Deutschland gemeinsam mit dem Bündnis von Umwelt- und Verkehrsverbänden „Umkehr Stuttgart“ und mit der Bürgerinitiative „Leben in Stuttgart – Kein Stuttgart 21“ das alternative Konzept „Kopfbahnhof 21“, das den Umbau der bestehenden Anlagen unter Beibehaltung des 17-gleisigen Kopfbahnhofs vorsieht.
Wie die Stuttgarter Zeitung am 19. Februar 2005 berichtete, geht das Eisenbahnbundesamt davon aus, dass das Alternativkonzept nur ökologisch günstiger sei (wegen der „Trockenbiotope“ auf oberirdischen Gleisanlagen), in Kosten aber nahezu dem Antrag der Bahn gleichkomme und zudem die Vorhabensziele nur qualitativ schlechter erfüllt.
Das Projekt Stuttgart 21 taucht nicht explizit im Bundesverkehrswegeplan auf. Hier ist die Neu- und Ausbaustrecke Stuttgart–Augsburg vorgesehen, und dies inklusive der „Einbindung in den Knoten Stuttgart“, eine Festlegung auf einer der Varianten „Stuttgart 21“ oder „Kopfbahnhof 21“ erfolgte also hier nicht.
Das Projekt war auch ein Thema bei den Stuttgarter Oberbürgermeisterwahlen im Oktober 2004. Der wiedergewählte Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster hielt im Wahlkampf einen Bürgerentscheid bei Stuttgart 21 für möglich.
Betriebliche Aspekte
Eine aktuellere Untersuchung (Dr. V. Jung, 2005) kommt zu dem Ergebnis, dass die Planer von Stuttgart 21 mit falschen Annahmen arbeiteten. So seien Haltezeiten von zwei Minuten in der Praxis nicht umsetzbar, die maximal mögliche Abfertigungskapazität eines erweiterten Kopfbahnhofes läge deutlich über der Kapazität des geplanten Durchgangsbahnhofes. Auch lägen die Kosten eines umgestalteten Kopfbahnhofs („Kopfbahnhof 21“) bei einem Drittel der Kosten von Stuttgart 21. Bisher verwiesen die Gegner auf den Sachverhalt, dass diese Zeit für in Stuttgart endende Züge wie z. B. Verstärkerzüge in der Hauptverkehrszeit, nicht reichen, da das Fahrzeug erst vom Personal durchsucht (z. B. auf Fundsachen und im Fahrzeug verbliebene Fahrgäste) und freigegeben werden muss, bevor es den Bahnhof verlassen kann, da entsprechende Bahnsteige im Abstellbahnhof fehlen, so dass ein gesichertes Aussteigen noch verbliebener Fahrgäste dort nicht möglich wäre.
Von Seiten der Befürworter wird ebenfalls angeführt, dass eine Ein- und Ausfahrt in einen Sackbahnhof nur mit niedriger Geschwindigkeit möglich ist. Das im November 2005 am Hauptbahnhof Frankfurt am Main in Betrieb genommene Elektronische Stellwerk wird von Kritikern als Gegenbeispiel angeführt. Damit sind in Frankfurt bei einigen Fahrstraßen Ein- und Ausfahrten mit bis zu 60 km/h möglich; die Einfahrgeschwindigkeit am Bahnsteig ist aufgrund des bei Kopfbahnhöfen fehlenden Durchrutschweges weiterhin auf 30 km/h begrenzt. Bisher lag die Ein- und Ausfahrgeschwindigkeit grundsätzlich bei nur 30 km/h [10]. Darüber hinaus ermöglicht diese Technik auch größere Flexibilitäten in der Betriebsabwicklung bei der Einfahrt in den Bahnhof.
Gegner des Projekts befürchten außerdem, dass durch die Halbierung der Zahl der Gleise nicht mehr angemessen auf Betriebsstörungen reagiert werden kann. Außerdem könnten Regionalzüge die Ankunft von Fernzügen nicht mehr abwarten.
Ferner behaupten Kritiker, eventuell später notwendige Erweiterungen des Tiefbahnhofs seien baulich nicht durchführbar. Dem widersprach die Deutsche Bahn AG beim Erörterungstermin im April 2003: Falls weitere Leistungszuwächse erforderlich wären, so könne der 8-gleisige Bahnhof um ein 9. und 10. Gleis erweitert werden. Allerdings wurde eine Erweiterung eines unterirdischen Bahnhofes in Europa – wohl aus Kostengründen – bislang noch nie vorgenommen.
Trotz der nun geplanten Anbindung an den Flughafen soll nur jeder dritte ICE dort halten, und zwar nicht wie derzeit die S-Bahn direkt am Flughafenterminal. Passagiere müssten zu Fuß vom Flughafenbahnhof zum Terminal gehen. Letztlich ergeben sich vom Hauptbahnhof Stuttgart zum Flughafen-Terminal Wegzeiten, die exakt den Zeiten der Variante „Kopfbahnhof 21“ entsprechen.
Finanzielle Aspekte
Das Land Baden-Württemberg wird im Rahmen der Vorschusszusagen ab 2007 eine jährliche Zinslast von 80 Mio. € zu tragen haben. Ob dieser Betrag durch Neuverschuldung oder Streichung in anderen Sektoren erbracht wird, ist derzeit nicht geklärt. Die Summe ist Anlass scharfer politischer Auseinandersetzungen.
Insgesamt wird von den Gegnern die immer weiter zunehmende Verteuerung des Projekts kritisiert. Ebenso wie die ca. 500 Mio. Euro (je nach Quelle) veranschlagten Mehrkosten für die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm sind bisher die seit der Gerichtsverhandlung eingestandenen 200 Mio. Euro Mehrkosten nicht finanziell gedeckt. Somit wird weiter die Kritik auferhalten, dass zu Lasten regionaler Projekte (Strecke Züttlingen–Möckmühl, Gäubahn, Stadtbahn Heilbronn) oder sogar überregional bedeutsamer Vorhaben (Neubaustrecke Mannheim–Frankfurt, Ausbau der Rheintalstrecke) in Baden-Württemberg weiter an Stuttgart 21 festgehalten wird, obwohl die Summe bisher nicht aufgebracht werden kann.
Dabei fühlen sich die Kritiker auch dadurch bestätigt, dass bereits die Mitte 2006 von der Bundesregierung verabschiedeten Kürzungen der Regionalisierungsmittel zu Kürzungen in den Nahverkehrsleistungen in Baden-Württemberg führen sollen. Da es hier lediglich um eine Summe von 70 Mio. Euro geht, schließen die Kritiker, dass somit die notwendige Summe auf keinen Fall alleine vom Land aufgewandt werden kann, ohne dass weitere Projekte gekürzt oder verschoben werden müssen. (Die Nicht-Erwähnung der Neubaustrecke Mannheim–Frankfurt in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Oettinger wird dabei ebenfalls als Indiz gesehen.) Anlass für diese Einschätzung gibt der Sachverhalt, dass die EU definitiv eine Finanzierung von Stuttgart 21 ausschloss und auch der Bund bisher eine weitere Förderung des Projekts ablehnte, so dass diese Mittel vom Verband Region Stuttgart (VRS), von der DB, von den Kreisen oder von den Kommunen aufgebracht werden müssen.
Da das Projekt indirekt aber über die Nahverkehrsleistungen (durch die Stations- und Trassenpreise) mitfinanziert wird (s. o.) würden sich Nahverkehrskürzungen auch hier auswirken, sofern nicht der Verkehr in der Region Stuttgart weiter zugunsten Stuttgart 21 gehalten wird und dafür in anderen Regionen dafür eingespart wird. Bekräftigt wird diese Einschätzung durch eine Mitte Juli 2006 vom VCD veröffentlichte Liste[11] von gefährdeten Strecken und Verkehrsleistungen, der bisher auch von Seiten des Landes nicht widersprochen wurde. Dem Text zufolge ist zu erwarten, dass vor allem in ländlichen Regionen eingespart wird, während im Raum Stuttgart aufgrund Stuttgart 21 keine Kürzungen zu erwarten seien.
Besondere Aufmerksamkeit erfuhren ebenfalls die seit Juni 2006 bekannt gewordenen Schwierigkeiten des VRS mit ihren S-Bahn-Projekten. So wurde aufgrund von Kostensteigerungen der Bau der S60 weiter verschoben, und die Erweiterung der S-Bahn nach Backnang und nach Kirchheim unter Teck ist bisher ebenfalls noch schwierig. Da der VRS selber einen finanziellen Beitrag zu Stuttgart 21 leistet, wird kritisiert, dass man hier einerseits ein Großprojekt zum Wohle des Schienenverkehrs fördern will, aber demnach seine grundsätzliche Aufgabe, die Trägerschäft des regionalen SPNV und des S-Bahn-Verkehrs in der Region, nicht mehr erfüllen kann und damit wieder der Schiene langfristig schade. Somit wird auch hier darauf geschlossen, dass auch der VRS keine weiteren Mittel für das Projekt zur Verfügung stellen kann.
Denkmalpflegerische Aspekte
Die Baumaßnahme bringt erhebliche Verluste an denkmalgeschützter Bausubstanz, Eingriffe in denkmalgeschützte Bauteile sowie denkmalgeschützte Ensembles und Grünanlagen:
Das zwischen 1914 und 1927 nach Plänen von Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer errichtete Empfangsgebäude des Stuttgarter Hauptbahnhofs wird auf den Kopfbau reduziert und verliert außerdem seine ursprüngliche Funktionsstruktur. Das ebenfalls denkmalgeschützte Gleisvorfeld[12] mit seinen Überwerfungsbauwerken verschwindet ganz.
Das geschützte Kulturdenkmal Mittlerer Schlossgarten, die zentrale und gartenhistorisch bedeutende Grünanlage Stuttgarts und damit auch die vom Schlossgarten über den Rosensteinpark zum Killesberg durchgehende Grünverbindung um den Stadtkern (das sogenannte „Grüne U“), wird fast auf voller Breite zerschnitten, denn in den Park werden sich nach Fertigstellung zahlreiche, in Rasterform angeordnete, gläserne Lichtaugen der unterirdischen Bahnhofshalle mit je 15 Metern Durchmesser hochwölben. Die als Ausgleich vorgesehene Erweiterung des Schlossgartens um 21 Hektar an anderer Stelle kann diesen Verlust an historischer Originalsubstanz nach Ansicht der Kritiker nicht wettmachen.
Weblinks
- Informationsseiten der Deutschen Bahn AG
- Alternativkonzept „Kopfbahnhof 21“
- Kritik des gemeinnützigen Fahrgastverbandes PRO BAHN Baden-Württemberg e. V.
- Kritik an Stuttgart 21 (Leben in Stuttgart e. V.)
- Chronik in den Stuttgarter Nachrichten vom 21. Oktober 2006
Quellen
- ↑ Beitrag bei SWR Nachrichten vom 24. Oktober 2006
- ↑ Urteilsbegründung des VGH Mannheim
- ↑ Pressemeldung des VCD zur Klageabweisung im Fall PFA 1.1 Stuttgart 21
- ↑ Mehrheit der Bürger für Bahnprojekt In: Stuttgarter Zeitung vom 26. September 2006
- ↑ „Ein Vierteljahrhundert von der Idee bis zum Betrieb“ In: Stuttgarter Nachrichten vom 30. September 2006
- ↑ „Neue Genehmigung“ In: Stuttgarter Nachrichten vom 5. Oktober 2006
- ↑ http://www.michael-cramer.eu/index/presse/126141.html
- ↑ Bahn droht mit Rotstift In: Stuttgarter Nachrichten vom 27. September 2006
- ↑ http://www.db.de/site/bahn/de/unternehmen/investor__relations/finanzberichte/geschaeftsbericht/geschaeftsbericht__2005.html S.102
- ↑ http://www.db.de/site/shared/de/dateianhaenge/publikationen__broschueren/ub__fahrweg/netznachrichten__03__05.pdf DB Netznachrichten 3/2005
- ↑ http://www.vcd-bw.de/presse/2006/16-2006/index.html Pressemitteilung Nr. 16/2006 des VCD LV Baden Württemberg
- ↑ Planfeststellungsbeschluss PFA 1.1. des EBA, S.176