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Offenbarung

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Bedeutung

In der Sprache des Alltags versteht man unter Offenbarung das Offenbaren eines Geheimnisses: etwas bislang Verborgenes wird enthüllt. Im Rechtswesen erklärt ein Schuldner mit dem Offenbarungseid, dass er bei der Darstellung seiner Vermögensverhältnisse nicht gelogen hat und dass er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Im religiösen Sprachgebrauch bezeichnet das Wort Offenbarung gewöhnlich eine auf übernatürlichem Wege stattfindende Mitteilung göttlicher Wahrheiten oder eines göttlichen Willens. Abkürzend nennt man auch das letzte Buch des Neuen Testaments (die Johannesapokalypse) schlicht Offenbarung, das Wort wird dann als Eigenname benutzt. Mitunter wird das Wort Offenbarung auch im übertragenen Sinne scherzhaft gebraucht ("Das Essen war eine Offenbarung").

Wortgeschichte

Aus dem althochdeutschen Adjektiv offan ("offen") wird schon früh die Ableitung offanbar ("deutlich, klar ersichtlich, eindeutig") gebildet, dazu das Verb offenbaeren mit der Bedeutung "offen zeigen, enthüllen, kundtun" sowie das mittelhochdeutsche Substantiv offenbarunge ("Kundgabe, Bekenntnis"). Im heutigen Deutsch fächern sich die Bedeutungen weiter aus, so auch im Sinne von "sich jemandem anvertrauen". In der Bibelübersetzung von Martin Luther steht das Wort Offenbarung für das griechische apokalypsis ("Enthüllung, Offenbarung"), von dem sich auch die Fremdwörter Apokalypse und Apokalyptik herleiten. Die Wortbestandteile des dazugehörigen Verbs apokalyptein ("enthüllen, entblößen, offenbaren, kundtun") apo ("weg") und kalyptein ("verhüllen") bedeuten soviel wie "eine Verhüllung fortnehmen". Die Bedeutungen der Wörter Apokalypse und Offenbarung decken sich im Deutschen nicht, da sich mit dem Wort "Offenbarung" nicht von vornherein jene düsteren Anklänge an ein Ende der Welt und an ein Strafgericht verbinden, die im Deutschen mit "Apokalypse" konnotiert sind.

Der nachfolgende Text befasst sich vor allem mit der religiösen Bedeutung von Offenbarung.

Allgemeines

Begriff

Betrachtet man die Wortbedeutung näher, lässt sich nach vier Gesichtspunkten weiter unterscheiden. Zunächst handelt es sich um einen Vorgang, ein Ereignis des Offenbarens. Dieses Geschehen wird dann näher als Erlebnis (1.) gekennzeichnet. Offenbarungserlebnisse gehen weiter auf einen Urheber (2.) zurück. Offenbarungserlebnisse widerfahren dem Subjekt (3.), das sie erlebt, ohne dessen willentliches Zutun. Zuletzt kann der Inhalt von Offenbarungen (4.) zum Gegenstand von Betrachtungen werden. Theismus, Atheismus und Agnostizismus beurteilen Offenbarungserlebnisse unterschiedlich.

1. Es lässt sich feststellen, dass Offenbarungserlebnisse selbst im Rahmen einer Tradition höchst individuell ausfallen können, weshalb man auch von der "Vielfalt religiöser Erfahrung" (W.James) gesprochen hat. Für jene, welche von ihnen berichten, sind Offenbarungen einschneidende Erlebnisse, die den ganzen Menschen ergreifen und sein künftiges Leben nachhaltig verändern können. Vielfach werden Offenbarungserlebnisse als überwältigend beschrieben, häufig wird ihr verpflichtender Charakter betont. Will man nach Sinnesorganen unterscheiden, mit dem eine Offenbarung vom Empfänger wahrgenommen wird, lassen sich mindestens zwei Arten von Offenbarungen unterscheiden. Manche Offenbarungen werden - in welcher Weise auch immer "geschaut" (Vision), manche werden - in welcher Weise auch immer - "gehört" (Audition). Im Einzelnen erfolgen Offenbarungen durch die Gottheit selbst unmittelbar, durch Boten, im Traum oder durch Orakel.

2. Aus der Sicht des Monotheismus ist Gott der alleinige Urheber von Offenbarungen, auch wenn er sich göttlicher Botschafter (Engel) oder menschlicher Mittler (Propheten) bedienen mag, um seine Geheimnisse zu enthüllen. Jene, die Offenbarungen erleben, verstehen sie als eine Selbstmitteilung, ein Sich-Selbst-Zeigen Gottes. Als Dokument eines solchen Erlebnisses lässt sich das sogenannte Memorial des Blaise Pascal ansehen. Der Atheismus hält Offenbarungen für Illusionen des erlebenden Subjekts oder für Betrug. Der Agnostizismus hält die Frage in Nachfolge der antiken Skepsis für unentscheidbar und enthält sich in der Sache jedes Urteils (Epoché).

3. Die hohe Bedeutung von Offenbarungen für jene Menschen, die sie erleben, beruht auf dreierlei Ursachen. Zunächst werden Offenbarungserlebnisse von starken Gefühlen begleitet, und zwar sowohl von Angst- als auch Glücksgefühlen. Weiter ist mit Offenbarungen ein Anspruch auf Erkenntnis und Wahrheit verbunden. Da Offenbarungen oft als Befehle oder Gebote erlebt werden, geht von solchen Erlebnissen zuletzt auch ein starker Handlungsdruck aus, bei Nichtbefolgen göttlicher Gebote unter Umständen auch Gewissensnot (Gewissen).

4. Der Inhalt von Offenbarungen kann ganz verschiedene Dinge betreffen: einzelne Ereignisse im künftigen Leben eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen, die Deutung der Vergangenheit und die Vorhersage des Ganges der Geschichte im Ganzen, Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und die Rolle des Menschen in der Welt, die Geltung von Gesetz und Moral und anderes mehr. Kurz: alles, was dem Wohlergehen des Menschen in diesem Leben und seinem Heil im Jenseits förderlich ist, kann Inhalt von Offenbarungen werden. Eine Religion, die sich für den Kern ihrer Lehre Dogma und für ihre Institutionen auf Offenbarungserlebnisse beruft, nennt man Offenbarungsreligion.

Stifterreligionen betrachtet die Offenbarungsinhalte in aller Regel als abgeschlossen. So ist beispielsweise ein Kanon an Heiligen Schriften fest definiert. Änderungen an der Glaubenspraxis werden über Traditionsbildung ermöglicht, die je nach Religion einen unterschiedlichen Einfluss hat. In solchen Religionen ist eine weitere Offenbarung meist nur noch in Form persönlicher, privater Kommunikation möglich und wird dabei in den allermeisten Fällen als nicht verallgemeinerbar betrachtet.

Abgrenzungen

Offenbarung, Erscheinung, Erleuchtung, Inspiration, Wunder

Der Begriff Offenbarung kann von anderen, z.T. verwandten Begriffen abgegrenzt werden. Zu diesen gehört auch der Begriff Erscheinung (Epiphanie), der oft synonym gebraucht wird. Auch in der Welt der griechisch-römischen Antike kann die Gottheit "erscheinen", beispielsweise, wenn Zeus der Europa als Stier erscheint, ohne seine wahre Gestalt erkennen zu lassen. Ein anderer verwandter Begriff ist Erleuchtung. Der Unterschied zwischen Offenbarung und Erleuchtung ist wichtig mit Blick auf Religionen, die nicht an einen personalen Gott glauben. Einsicht durch Erleuchtung spielt im Buddhismus eine große Rolle. Buddha empfing seine Lehre auf dem Wege der Erleuchtung, aber nicht als Offenbarung durch einen als Person gedachten Gott. Gerade auch im Satori des Zen-Buddhismus hat das blitzartige Aufleuchten von Erkenntnis einen großen Stellenwert. (Siehe auch Kensho!) Auch die Erlebnisse der Mystiker unterscheiden sich von Offenbarungen im engeren Sine dadurch, dass meist die Unio mystica gleichsam als ein ganzheitliches Erleben vorgestellt wird, bei dem ein Gegenüber fehlt, während alle Offenbarung als Kundgabe zwischen einem Geber und einem Empfänger gedacht wird. Der Begriff Inspiration ist mehrdeutig; im religiösen Sprachgebrauch meint er eine Eingebung Gottes. Christen gilt die Bibel als Gottes Wort (was sich etwa auf 2.Timotheus 3,16.17 beziehen kann). Wie diese Eingebung geschieht, darüber gehen die Meinungen auseinander (vgl. unten: "Mündliche Offenbarung"). Wunder werden als Zeichen Gottes oder als Anzeichen seiner Nähe verstanden, sind aber ohne Deutung nicht als Kundgabe eines göttlichen Urhebers zu verstehen.

Natürliche und übernatürliche Offenbarung

In der europäischen Geistesgeschichte spielt die Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung eine große Rolle. Natürliche Offenbarung bedeutet, dass mit den Mitteln des Verstandes jedem Menschen, auch jenen, die nicht glauben, eine Erkenntnis Gottes aus der von ihm geschaffenen Welt möglich ist. Eine direkte Selbstmitteilung Gottes ist dazu nicht erforderlich. Die Natürliche Theologie macht derartige Erkenntnisbemühungen zu ihrem Gegenstand und versucht dabei besonders seit der Scholastik auch, zu Gottesbeweisen zu gelangen. Übernatürliche Offenbarung bedeutet demgegenüber eine Form der Offenbarung, welche nicht jedem Menschen verstandesmäßíg erschließbar ist. Dies betrifft nach scholastischer Auffassung die Mysterien des Glaubens und kann gemeinhin auch bezogen werden auf außergewöhnliche Selbstbezeugungen Gottes, die ausgewählten Menschen widerfahren. Insbesondere breite Teile des Protestantismus vertraten eine Angewiesenheit auf übernatürliche Offenbarung, um religiöse Wahrheiten zu erschließen und traten damit der natürlichen Theologie entgegen.

Anspruch und Kriterien der Wahrheit von Offenbarungen

Der Glaube an Offenbarungen schließt zwei Annahmen ein: zum einen soll eine Offenbarung von Gott bewirkt worden sein; zum anderen soll die Offenbarung, sofern sie als Aussage verstanden wird, wahr sein. Der Wahrheitsanspruch derer, die als Zeugen von Offenbarungen auftreten, wird schon innerhalb des Offenbarungsglaubens selbst fraglich. Das Problem gründet im Erlebnischarakter von Offenbarungen und wird z.B. im Pentateuch (5. Mose 18,21) in der Frage greifbar: "Wie kann ich merken, welches Wort der Herr nicht geredet hat?" - Diese Frage hat bis heute keine allgemein überzeugende Antwort gefunden. Biblische Texte werten zutreffendes Vorherwissen der Zukunft als Kriterium der Echtheit von Offenbarung: "...wenn der Prophet redet in dem Namen des Herrn und es wird nichts daraus und es tritt nicht ein, dann ist es ein Wort, das der Herr nicht geredet hat. Der Prophet hat's aus Vermessenheit geredet, darum scheu dich nicht vor ihm." (5.Mose 18,22) Eine Abgrenzung von glücklich erratenem zukünftigem Geschehen ist mit diesem Kriterium nicht möglich. An Stellen wie dieser ist deutlich, dass unechte Offenbarung mit der moralischen Unzulänglichkeit des Propheten erklärt wird. Das Problem der falschen Propheten wird im Alten wie im Neuen Testament beklagt. Freilich können auch sonst glaubwürdige Zeugen irren.

Die vor allem seit dem 14. Jahrhundert sich herausbildende scholastische Apologetik hat diese Probleme oft gesehen. Da sie aber eine Einsicht in die Geheimniswahrheiten der Offenbarung mittels natürlicher Vernunft ablehnte, kehrte sie äußere Kriterien hervor. Ein allgemeiner Konsens, wie diese Kriterien zu bestimmen und anzuwenden sind, bestand nicht. Mit der Aufklärung im 17. Jahrhundert, der Herausbildung eines historischen Bewusstseins und einer auch für Offenbarungsquellen Anwendung findenden geschichtswissenschaftlichen Methodik, schließlich mit Wandungen im Offenbarungsbegriff im 20. Jahrhundert wurde eine solche Argumentationslinie zumindest in der christlichen Theologie mehr und mehr verabschiedet.

Ein weiteres Problem bringt der interreligiösen Vergleich hervor: Offenbarungsreligionen widersprechen sich zumindest in einigen als offenbart beanspruchten Lehren. Daher können nach Meinung vieler Religionsphilosophen diese Lehren nicht je zugleich auf wahrer Offenbarung beruhen.

Offenbarungsglaube und Toleranz

Religionskritiker sehen die Heiligen Schriften über weite Strecken als Gebrauchsanweisungen zur Intoleranz. Nicht nur Religionskritiker betonen, dass der Anspruch auf absolute Wahrheit und Unfehlbarkeit Fanatismus und Fundamentalismus begünstigen kann. Die heftigen Debatten um den Kreationismus in den Vereinigten Staaten zeigen, dass immer noch Rückfälle in naiven Buchstabenglauben geschehen.

Unbestreitbar ist die Geschichte der Offenbarungsreligionen weithin eine Geschichte der Intoleranz. Allerdings gibt es seit dem frühen Mittelalter immer wieder Ausnahmen. Einige Werke der Gattung der Religionsdialoge sind hier zu nennen. So hat beispielsweise die Lessingsche Ringparabel Vorläufer im 8. Jahrhundert. Beispiele religiöser Intoleranz sind jedoch Legion. Noch der Syllabus errorum verurteilte alle Religionsfreiheit. Auch im Streit um den Modernismus wurde die Alleingültigkeit des eigenen Glaubens von Seiten des römischen Lehramts beibehalten. Im Protestantismus sprach sich vor allem Karl Barth gegen Toleranz aus: "Kein gefährlicherer, kein revolutionärerer Satz als dieser: dass Gott Einer, dass Keiner ihm gleich ist!...Wird dieser Satz so ausgesprochen, dass er gehört und begriffen wird, dann pflegt es immer gleich 450 Baalspfaffen miteinander an den Leib zu gehen. Gerade das, was die Neuzeit Toleranz nennt, kann dann gar keinen Raum mehr haben. Neben Gott gibt es nur noch seine Geschöpfe oder eben falsche Götter und also neben dem Glauben an ihn Religionen nur als Religionen des Aberglaubens, des Irrglaubens und letztlich des Unglaubens." Auch Emil Brunner vertrat einen rigorosen Ausschließlichkeitsanspruch seines Glaubens. Erst nach den geschichtlichen Erfahrungen mit Religionskriegen, Weltkriegen und Totalitarismen erlangte Toleranz in Bekenntnisfragen für Vertreter beider Konfessionen größeres Gewicht. Jedoch erkannte das 2. Vatikanische Konzil erst 1965 die Religionsfreiheit an. Die Zeiten haben sich geändert; dass Vertreter beider Konfessionen sich für ein "Weltethos" (Hans Küng) engagieren können, ist eine Selbstverständlichkeit geworden.

Gleichzeitig gibt es jedoch in den Offenbarungsreligionen erstarkende Gegenströmungen. Dieselben Urkunden des Glaubens lassen viele Deutungen zu - oft Deutungen, die mit Ausschließlichkeitsanspruch vertreten und verfochten werden.

Die Schriften des Judentums, des Islams und des Christentums enthalten viele Stellen, welche im Sinne einer Toleranz auch in Fragen des Bekenntnisses verstanden werden können. Es gibt im Koran Stellen, die tolerant verstanden werden können. Der 256. Vers der zweiten Sure ("Die Kuh") fordert: "Es sei kein Zwang im Glauben." Und nicht weniger deutlich ermahnt die zehnte Sure in ihrem 99.Vers alle Muslime: "Und wenn dein Herr gewollt hätte, so würden alle auf der Erde insgesamt gläubig werden. Willst du etwa die Leute zwingen, gläubig zu werden?" Die lange nach dem Tode des Propheten entstandene Schari'a und die mit ihr verbundene islamische Weltanschauung haben jedoch verhindert, dass sich aus diesen eindeutigen Aussagen des Korans wirksame politisch-rechtliche Konsequenzen im Sinne der europäischen Menschenrechte entwickeln konnten. Auch die Quellen des Buddhismus belegen des Toleranzgebot. Für Buddha kann das Gleichnis von den Blinden und dem Elefanten als typisch angesehen werden. Buddhistische Lehren zielen oft die Einsicht, dass Glaubenslehren höchsten den Charakter von Behelfen haben. Offenbarungsreligionen haben dagegen oft unbezweifelbar hinzunehmende Autorität verlangt, die absoluten Gehorsam fordert - zwei wesentliche Quellen aller Intoleranz. Die Idee, dass auch jeder Andersläubige einen Zipfel der einen Wahrheit fasst, wird dann ausgeschlossen. Derartige Ideen finden sich auch in biblischen Stellen wie beispielsweise Apg 17 oder Röm 1. Diese Stellen hatten nach heutigen Maßstäben nicht die Wirkungsgeschichte, die sie verdient hätten.

Offenbarung durch ein spirituelles Erleben

Offenbarung im religiösen Sinn wird oft passiv erlangter Gewinn religiöser Überzeugungen durch unmittelbares spirituelles Erleben verstanden. Da dieses Erlebnis für andere Menschen nicht nachprüfbar ist, entzieht es sich der Prüfbarkeit mittels experimentell-wissenschaftlicher Methode. Naturwissenschaftlich ist über den Wahrheitsgehalt von Offenbarungsberichten daher nichts aussagbar. Von Kritikern werden daher Offenbarungen als Irrtum, Schein, Illusion, wenn nicht als Wahnmanifestation eingestuft. In der Psychiatrie und in psychiatrischen Tests werden Offenbarungs-Wahrnehmungen und magisches Denken als Psychosekriterium abgefragt.

Einige Theologen fassen daher den Wahrheitsgehalt von Offenbarungen in der Weise auf, dass im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen eine Offenbarung als religiöses Erschließungsereignis immer den ganzen Menschen bestimmt und beeindruckt. So verstanden haben Offenbarungen sich an ihrem Erschließungscharakter zu messen, also daran, inwiefern sie das Ganze menschlichen Lebens sinnhaft strukturieren. Dieses Verständnis nimmt Anhalt am alltagssprachlichen Sinn von "Offenbarung": wertneutraler, nicht unbedingt religiös besetzt meint "Offenbarung" ähnliches wie Erleuchtung.

Der Ursprung von Offenbarung ist, nach theologischem Verständnis, ein ´übernatürlicher´ bzw. transzendenter Grund. Der Empfänger einer Offenbarung wird oft als Prophet oder Botschafter Gottes bezeichnet.

Judentum

In der hebräischen Bibel wird von zahlreichen Offenbarungen an Propheten berichtet, angefangen bei Noach und Abraham, weiter über Mose, Elija, Jeremia und Jesaja bis zu Daniel. Für sie alle wird der Anspruch erhoben, göttliche Botschaften empfangen zu haben. Auch weibliche Propheten werden als Überbringer von Gottesnachrichten dokumentiert.

Christentum

Das Thema der Offenbarung bildet seit langem einen umfangreichen Traktat der dogmatischen Theologie. Je nach theologischer Rahmentheorie wurden und wird auf verschieden gewichtete Texte der Tradition zurückgegriffen und eine anderes akzentuierte systematische Position entwickelt. Weithin unbestritten ist der zentrale Rang des Offenbarungsbegriffs.

Die klassische katholische Theologie kennt drei grundsätzliche Offenbarungsquellen: Schrift, Tradition und Natur. Allerdings hat besonders die scholastische Theologie einen Unterschied gezogen zwischen dem, was "aus der Natur" und dem, was genuin nur "aus der Offenbarung" bzw. Gnade zugänglich ist. In ersteren Bereich fielen vor allem Themen der philosophischen Gotteserkenntnis bzw. genauer der sogenannten Natürlichen Theologie.

In welchem Verhältnis diese beiden Offenbarungen zueinander stehen können, wurde in der spätscholastischen Philosophie der Gegenreformation auf folgende Formel gebracht: "Die Gnade vollendet die Natur, sie hebt sie aber nicht auf" (lateinisch: Gratia perficit naturam, non tollit). Damit waren die beiden möglichen Extrempositionen vermieden: zum einen der sehr starke Gnadenbegriff der Reformatoren ("durch Gnade allein" , "durch Schrift allein", "durch Glauben allein" - lateinisch: sola gratia, sola scriptura, sola fide), zum anderen aber auch das schriftferne Abgleiten in die Verehrung des Naturhaften im Panentheismus (Naturhaftes wird vergöttlicht). Komplexer wird die Analyse der Erkenntnisquellen in der Lehre der loci theologici.

Dies zeigt bereits, wie sich die Bedeutung des Offenbarungsbegriffs mit dem Wandel der Theologie insgesamt ändert. Oft unterteilt man diese Wandlungen in drei Phasen: ein epiphanischer Offenbarungsbegriff (Berichte von Erscheinungen Gottes) zeigt sich in Frühformen, ein instruktionstheoretischer Offenbarungsbegriff seit der Spätscholastik, nominalistischer Schultheologie oder Aufklärung (Gott offenbart Sätze), ein kommunikationstheoretischer Offenbarungsbegriff spätestens mit der Instruktion "Dei Verbum" des 2. vatikanischen Konzils (Offenbarung ist stets Selbstoffenbarung, Zuwendung eines personalen Gottes zu einem personalen Gegenüber). Offenbarung als "Selbstmitteilung Gottes" wird oft im Sinne einer kommunikativen Gemeinschaft mit Gott entwickelt.

Praktisch gewendet mag die Lehre von den zwei Offenbarungswegen (Bibel und Natur bzw. Vernunft) vor einer Ideologisierung schützen. Denn: Da zum einen sich Gott den Menschen auf zwei verschiedene Weisen zeigt, zum anderen davon ausgegangen wird, dass er sich auf diesen beiden Wegen nicht widersprüchlich dem Menschen zeigt, steht der Mensch vor der Herausforderung, seine eigene Welt- und Schöpfungserfahrung mit denjenigen Erkenntnissen, die er der Bibel entnimmt, zu harmonisieren. Oder anders gesagt: Der Christ ist einerseits dazu herausgefordert, die Bibel vor dem Hintergrund seiner Welterfahrung je neu auszulegen und umgekehrt seine Welterfahrung mit Hilfe der biblischen Darstellungen je neu zu deuten. Aus dieser permanent gelebten Spannung heraus gestaltet er - freilich im Kontext der Kirche und mit der Hilfe von Tradition und Lehramt - sein selbst zu verantwortendes Leben vor Gott.

Islam

Neben Wahrträumen und Visionen definiert sich die Offenbarung im Islam unter anderem als eine zwischen Gott und dem Propheten auftretende, durch den Erzengel Gabriel überbrachte Kommunikation. Jedoch verschließt sie sich auch nicht dem, dem Christentum ähnlichen, weitergefassten Offenbarungsbegriff, der die Erkenntnis Gottes durch das Beobachten seiner Schöpfung meint. Dem Glauben der Muslime zufolge ist der Heilige Koran in Form einer wörtlichen Offenbarung in einem Zeitraum von 23 Jahren an den Propheten Mohammed herabgesandt worden. Seine Zeitgenossen berichten, dass sie dem Propheten anfänglich in großen Zeitabständen und bruchstückweise zu kamen, dann aber immer rascher und umfangreicher, und in den letzten Jahren seines Lebens zu einem ununterbrochenen Strom anschwollen.

In diesem Zusammenhang wird von einigen islamischen Gelehrten eine Unterscheidung zwischen der "individuellen" und der "konstitutionellen" Offenbarung getroffen. Letztere wird an einem Propheten mit dem Ziel getragen, die enthaltene Botschaft an einen großen Kreis von Menschen weiter zu geben, während Erstere vom Inhalt her weniger Tragweite besitzt und vielmehr als ein Liebesbeweis Gottes seinem Diener gegenüber fungiert, um Einsicht in verborgene spirituelle Realitäten zu gewähren. Ob und inwiefern das "Tor der Offenbarung" auch heute noch offen steht, ist in der islamischen Welt heftig umstritten. Die Meinungen reichen von einer konsequenten Ablehnung seitens der Orthodoxie bis hin zu einer lebhaften Auseinandersetzung und in der Natur des Menschen als angeboren betrachteten Fähigkeit, diese zu erfahren (Sufis, aber auch Ahmadiyya).

Asiatische Religionen

In den asiatischen Religionen spielt der Begriff der Offenbarung oder göttlicher Eingebungen eine wesentlich geringere Rolle als in den drei Buchreligionen. Aber auch im Hinduismus ist die Offenbarung des Göttlichen von Bedeutung. Bekanntes Beispiel ist die Offenbarung Krishnas im zehnten und elften Gesang der Bhagavadgita, sowie die Offenbarung der Göttin im Devi Bhagavatam (7. Buch, Kap.33), einem der wichtigsten Bücher des Shaktismus.

Indirekte Offenbarung durch Erkennen der Welt

Schöpfung als Offenbarung

Viele Religionen, darunter der Buddhismus (in Teilen), der Hinduismus und die diversen Formen des Lamaismus, deuten die Welt anhand eines Schöpfungsmythos. Vorausgesetzt wird, dass (ein oder mehrere Götter) die Welt entweder direkt erschaffen haben oder zumindest eine bereits vorhandene, ungeordnete Masse so geformt haben, dass daraus ein Kosmos, eine nach Gesetzen geordnete Welt, entstanden ist. Vor diesem Hintergrund wird die Welt als Produkt des göttlichen Willens verstanden. In ihr offenbaren sich daher Eigenschaften ihres Schöpfers.

Monotheismus

In den monotheistischen Religionen wird der Begriff Offenbarung für einen Akt Gottes benutzt, der damit dem Menschen etwas über sich bekannt gibt, zu einem Erkenntnisgewinn führen soll, seinen Willen kundtut oder sich selbst offenbart (im Sinne von: seine Verborgenheit überwindet).

In der geschichtlichen Entwicklung der Religionen treten unterschiedliche Offenbarungsbegriffe auf. Offenbarungen (im Plural) werden daher auf verschiedenste Weisen interpretiert. Die christliche Theologie hat in verschiedener Form vertreten, dass Wunder und Werke als Beleg für das Wirken Gottes auf Erden dienen.

Mündliche Offenbarung

Viele Religionen lehren auf verschiedene Weise, dass Gott direkt mit den Menschen kommunizieren kann, um ihnen den Text einer Offenbarung direkt einzugeben, quasi zu diktieren, die sogenannte Verbalinspiration. Nach der Realinspiration verfasst der Mensch den Bibeltext, der nachträglich von Gott "abgesegnet" wird. Nach der Personalinspiration hat die Bibel zwei Ursachen: Gott und den Menschen. Beispielhaft für eine Verbalinspiration sei die Neuoffenbarung angeführt.

Literatur

Bedeutung

  • Duden. Deutsches Universalwörterbuch von A - Z, 2.Aufl. Mannheim 1989.

Wortgeschichte

  • Duden in 10 Bänden; Bd.7: Das Herkunftswörterbuch, Mannheim 1963.
  • Kluge. Etymologisches Wörterbuch, Neub. v. E. Seebold, 23.Aufl. Berlin 1999.

Sachgeschichte

  • H. D. MacDonald: Theories of Revelation: An Historical Study, 1860-1960, Grand Rapids: Baker 1979.

Begriff

  • W.James, Die Vielfalt religiöser Erfahrung, Frankfurt/Main 1997.
  • M.Bongardt, Einführung in die Theologie der Offenbarung, Darmstadt 2005.
  • F.v.Kutschera, Vernunft und Glaube, Berlin 1991; (2.1.) "Offenbarung", S.86ff.
  • W.Kern/H.J.Pottmeyer/M.Seckler, Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 2: Traktat Offenbarung, Tübingen-Basel 2000.
  • P.Eicher, Offenbarung : Prinzip neuzeitlicher Theologie, München : Kösel 1977.
  • J.Ratzinger/ P.F.d'Arcais, Gibt es Gott? Berlin 2006.
  • R.Rorty/ G.Vattimo, Die Zukunft der Religion, Frankfurt/M. 2006.

Offenbarung und Toleranz

  • Christentum und Toleranz, Herausgeber: I. Broer u.a. Darmstadt 1996 -
  • Wege zur Toleranz. Geschichte einer europäischen Idee in Quellen; Herausgeber: H.Schmidinger, Darmstadt 2002 -
  • M. Walzer, Über Toleranz, Hamburg 1998 -
  • N. Bobbio, Das Zeitalter der Menschenrechte. Ist Toleranz durchsetzbar? Berlin 1999 -
  • G. Lüdemann, Die Intoleranz des Evangeliums, Springe 2004 -
  • G.Mensching, Toleranz und Wahrheit in der Religion, Weimar 1996

Islam

  • Der Koran (Übers.: M.Henning; Einl. + Anm.: A.Schimmel), Stuttgart 1991
  • B.Tibi, Der Islam und das Problem der kulturellen Bewältigung sozialen Wandels, Frankfurt/M. 1991

Siehe auch