Pegasoferae
Die Pegasoferae sind ein potentielles Taxon innerhalb der Säugetiere (Mammalia), das im Juni 2006 von Hidenori Nishihara, Masami Hasegawa und Norihiro Okada erstmalig auf der Basis einer molekularbiologischen Analyse vorgeschlagen wurde. Es handelt sich um eine Gruppierung der Ferae (Raubtiere und Schuppentiere), der Unpaarhufer (Perissodactyla) sowie der Fledertiere (Chiroptera) in eine gemeinsame systematische Gruppe. Damit stellt es der bislang als plausibel akzeptierten Hypothese der Fereuungulata, der Zusammenfassung der Ferae und Unpaarhufer mit der Cetartiodactyla (Wale und Paarhufer) eine Alternative entgegen.
Kurze Darstellung der betrachteten Tiergruppen
Aufgrund der sehr unterschiedlichen Lebensweisen und Merkmalskombinationen der innerhalb der Pegasoferae gruppierten Tiergruppen ist eine allgemein gültige Merkmalsbeschreibung nicht möglich, die Zusammenführung basiert nur auf Übereinstimmungen im genetischem Material. Im Folgenden werden entsprechend die betrachteten Taxa sowie die als Schwestergruppe angesehenen Cetartiodactyla kurz beschrieben, eine ausführliche Darstellung findet sich in den entsprechenden Artikeln:
- Ferae
Die Ferae bestehen aus der artenarmen Gruppe der Schuppentiere (Philodota) sowie den formenreichen Raubtieren (Carnivora). Mit Ausnahme der Robben handelt es sich hierbei um vierbeinige Landtiere, die weltweit verbreitet sind und sich vor allem auf die räuberische Lebensweise spezialisiert haben (eine Ausnahme stellt beispielsweise der Große Panda dar). Die Schuppentiere sind dabei hochspezialierte Ameisen- und Termitenfresser, die meisten Raubtiere Fleisch- und Fischfresser
- Unpaarhufer
Die Unpaarhufer (Perissodactyla) sind eine Gruppe von großen Pflanzenfressern. Vor allem die Pferde sind hochspezialisierte Läufer, die sich an die Steppenlandschaften angepasst haben. Ausserdem gehören in diese Gruppe die Tapire sowie die Nashörner.
- Fledertiere

Die Fledertiere sind die einzigen Säugetiere, die zu einem aktiven Flug befähigt sind. Entsprechend den Anforderungen an diese Lebensweise sind ihre Extremitäten modifiziert und mit einer Flughaut ausgestattet. Sie ernähren sich teilweise von Insekten (Fledermäuse) und teilweise von Früchten (Flughunde). Nach den Nagetieren stellen sie die artenreichste Ordnung der Säugetiere dar.
- Cetartiodactyla
Die Cetartiodactyla setzen sich zusammen aus den Paarhufern (Artiodactyla) und den Walen (Cetacea), die sowohl aufgrund morphologischer als auch molekularbiologische Merkmale zu einem monophyletischen Taxon zusammengefasst werden. Die Paarhufer sind, ähnlich wie die Unpaarhufer, große vierbeinige Pflanzenfresser, bei denen sich die Zehen aufgrund einer Anpassung an eine laufende Lebensweise zu Hufen entwickelt haben. Die Wale stellen dagegen eine Tiergruppe dar, die sich vollständig an das Leben im Meer angepasst (Meeressäuger). In dieser Gruppe sind sowohl jagende Fleischfresser (Zahnwale ernähren sich von Fischen, Tintenfischen, Säugetieren und anderen Meerestieren) als auch Planktonfiltrierer (Bartenwale) enthalten.
Methode und Ergebnis
Hintergrund: Bau und Funktion der verwendeten Genelemente
Innerhalb der Untersuchung von Nishihara et al. wurden kurze Abschnitte des Genoms, so genannte Retroposonen, bei Vertetern aller Ordnungen innerhalb der Säugetiere miteinander verglichen und ausgewertet. Retroposonen sind eine spezielle Form von Transposonen, die im Genom enthalten sind, und sich dadurch auszeichnen, dass sie nur mit Hilfe der reversen Transkription vervielfältigt werden können. Bislang ist kein Mechanismus bekannt, der eine Entfernung (Reversion) eines einmal im Genom integrierten Retroposons bedingen könnte. Außerdem gilt der mehrfach unabhängige Einbau (Insertion) eines homologen Retroposons an die gleiche Stelle innerhalb eines Genoms bei unterschiedlichen Tiergruppen als ausgeschlossen. Retroposonen gelten aus diesem Grund als unanfällig für Homoplasie, also für mehrfach unabhängig entstandene Merkmale, und stellen ein stabiles Element innerhalb des Genoms dar, an dem phylogenetische Studien mit hohen Aussagewert durchgeführt werden können.,
Für die Untersuchung von Nishihara et al. wurden Long interspersed nuclear elements (LINE) des Typs L1 bei Vertretern aller Säugetierordnungen genutzt. Die L1-Eelemente gehören zu den am besten erforschten Retroposonen und machen beim Menschen etwa 16% des Gesamtgenoms aus. Sie werden aufgrund ihrer Basenpaarung und besonders durch die Anordnung der Nukleotide am so genannten 3'-Ende in über 50 verschiedene Typen unterteilt. Außerdem unterscheiden sie sich in ihrer Länge, die im Durchschnitt etwa sechs kbp (6000 Basenpaare) beträgt, aber um mehrere hundert Basenpaare variieren kann. Die Variation wird auf Abbrüche bei der Replikation der DNA während des Einbaus der Elemente in das Genom zurückgeführt. Da die einzelnen L1-Elemente dadurch tatsächlich einzigartig in ihrem Aufbau und ihrer Lage im Genom sind, wird eine Homoplasie vollständig ausgeschlossen.
Methode
Zur Darstellung der phylogenetischen Zusammenhänge innerhalb der Säugetiere wurden bereits veröffentlichte Sequenzen des Genoms von Vertretern aller Säugetierordnungen mit Ausnahme der Schuppentiere miteinander verglichen (Alignment) und über das Bootstrap-Verfahren zum plausibelsten Ergebnis geführt. Dabei konzentrierte sich die Arbeitsgruppe auf die beschriebenen L1-Elemente und verglich insgesamt 192 Loci (Genorte) miteinander. Von diesen konnten 44 Loci als Indizien für eine phylogenetische Verwandtschaft auf dem Level der Ordnungen erkannt und genutzt werden.
Zur Bestätigung des Ergebnisses wurde zudem eine zweite, bereits bekannte Gensequenz, betrachtet.
Zooamata vs. Euungulata
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Pegasoferae vs. Fereuungulata
Die von Nishihara et al. 2006 entwickelte Hypothese bestätigt die generelle Großsystematik innerhalb der Säugetiere mit den Afrotheria, den Xenarthra, den Euarchontoglires sowie den Lauasiatheria, die von Murphy et al. 2001 vorgeschlagen wurde. Außerdem unterstützen die Untersuchungen das von Waddell et al. 1999 vorgeschlagene Taxon der Scrotifera. Innerhalb dieses widersprichen ihre Ergebnisse allerdings dem bislang als plausibel anerkannten Taxon der Fereungulata, indem bei ihnen die Fledertiere als Schwestergruppe der Unpaarhufer und Ferae (Zooamata) gruppiert werden und mit diesen das Taxon Pegasoferae bilden. Die Cetartiodactyla werden als Schwestergruppe der Pegasoferae betrachtet:
- Pegasoferae
---- Lausasiotheria |-- Insektenfresser (Eulipotyphla) '-- Scrotifera |-- Cetartiodactyla (Wale und Paarhufer) '-- Pegasoferae |-- Fledertiere (Chiroptera) '-- Zooamata |-- Unpaarhufer '-- Ferae (Raubtiere und Schuppentiere)
In der Hypothese der Fereuungulata stellen die Cetartiodactyla die Schwestergruppe des Taxon aus Unpaarhufern und Ferae (Zooamata) dar und bilden mit ihnen die Fereuungulata, hier werden die Fledertiere als Schwestergruppe dieser Gruppe angesehen (Pumo et al. 1998):
- Fereuungulata
---- Lausasiotheria |-- Insektenfresser (Eulipotyphla) '-- Scrotifera |-- Fledertiere (Chiroptera) '-- Fereuungulata |-- Cetartiodactyla (Wale und Paarhufer) '-- Zooamata |-- Unpaarhufer '-- Ferae (Raubtiere und Schuppentiere)
Uneinigkeit besteht also in der Platzierung der Fledertiere und Cetartiodactyla innerhalb der Laurasiotheria.
Vollständig verworfen wurde die in der klassischen Systematik häufig noch zu findende Gruppierungen der Euungulata, in der die Unpaarhufer, Paarhufer und Wale ein Taxon bilden. Die Gruppe der Huftiere (Ungulata), die neben den bereits erwähnten Ordnungen auch noch die Erdferkel, Elefanten, Seekühe und Schliefer anthalten soll (Shoshani & McKenna 2001, McKenna) und die sich ausschliesslich auf morphologische Merkmale stützt, wird ebenfalls ausgeschlossen.
Auch bei der Platzierung der Fledertiere werden die auf morphologischen Merkmalen basierenden Untersuchungen nicht unterstützt, die diese in die Verwandtschaft der Primaten, Riesengleiter und Spitzhörnchen und somit in die Archonta statt in die Laurasiatheria einordnen (Novari 1992, Shoshani & McKenna 2001, McKenna). Auf molekularer Basis lässt sich dies nicht bestätigen; hier wurden die Fledertiere bislang entweder als Schwestergruppe der Fereuungulata (Pumo et al., Novacek 2001, Murphy et al. 2004) oder als Schwestergruppe der Insektenfresser (Eulipotyphla), mit denen sie dann das gemeinsame Taxon der Insectiphillia bilden (Mouchaty et al. 2000, Nikaido et al. 2001), betrachtet.
Morphologischer und paläontologischer Befund
Auf morphologischer Basis lassen sich sämtliche Taxa innerhalb der Säuger, die basierend auf molekulargenetischen Analysen gebildet wurden, nur sehr schwer oder gar nicht bestätigen. Besonders innerhalb der Laurasiatheria, in der die Pegasoferae angesiedelt sind, widerspricht die morphologische Betrachtung den Erkenntnissen der Molekularbiologie. Ein Problem der Einordnung stellen dabei vor allem die beiden klassisch zu den Huftieren (Ungulata) gruppierten Ordnungen der Paarhufer und Unpaarhufer. Beide haben eine Reihe von gemeinsamen Merkmale, die heute als konvergent betrachtet werden. Dazu gehört vor allem die Entwicklung der Hufe als Reduzierungs- und Anpassungserscheinung der vier Gliedmassen, insbesondere der Finger- und Zehenstrahlen.
Auch paläontologisch läßt sich der molekularbiologische Fund nicht unterstützen, da es innerhalb der frühen Säugetierevolution zu einer rapiden Radiation der verschiedenen Säugerformen kam. So lassen sich von den unterschiedlichen Säugerordnungen zwar früh erste Vertreter finden, Übergangsformen sind dagegen nur sehr selten verfügbar. Dies trifft für alle Gruppierungen innerhalb der Laurasiatheria mit Ausnahme der Cetartiodactyla zu, bei denen Funde früher Wale eine eindeutige Zuordnung als Schwestergruppe der Paarhufer erlauben.
Namensgebung

Der Name Pegasoferae setzt sich zusammen aus der bereits etablierten Bezeichnung Ferae (la.: Wildtiere) für das aus Raub- und Schuppentieren bestehende Taxon sowie der Vorsilbe Pegaso-. Da es sich bei den anderen beiden Gruppen der Pegasoferae um die fliegenden Fledertiere sowie die Unpaarhufer, bei denen die Pferde den größten Anteil ausmachen, bezieht sie sich auf den Pegasos aus der griechischen Mythologie. Dabei handelt es sich um ein fliegendes Pferd, vogeschlagen wurde der Name durch Masami Hasegawa.
Literatur
- Hidenori Nishihara, Masami Hasegawa und Norihiro Okada: Pegasoferae, an unespected mammalian clade revealed by tracking ancient retroposon insertions, in Proceedings of the National Academy of Sciences 103, 2006; Seiten 9929-9934
- P.D. Waddell, Y. Cao, J. Hauf und M. Hasegawa: Using novel phylogenetic methods to evaluate mammalian mtDNA, including amino acid invariant sites LogDet plus site stripping, to detect internal conflicts in the data, with special reference to the positions of hedgehog, armadillo, an elephant, in Systematic Biology 48, 1999; Seiten 31-53
- William J. Murphy, Eduardo Eizirik, Stephen J. O'Brien, Ole Madsen, Mark Scally, Christopher J. Douady, Emma Teeling, Oliver A. Ryder. Michael J. Stanhope, Wilfried W. de Jong, Mark S. Springer: Resolution of the Early Placental Mammal Radiation Using Bayesian Phylogenetics, in Science 294, 2001; Seiten 2348-2351
- Jeheskel Shoshani, Malcolm C. McKenna: Higher taxonomic relationships among extant mammals based on morphology, with selected comparisons of results from molecular data, in Molecular Phylogenetics and Evolution]] 9 (3), 2001; Seiten 572-584
- D.E. Pumo, P.S. Finamore, W.R. Franek, C.J. Phillips, S. Tarzami, D. Balzarano: Complete mitochondrial genome of a fruit bat, Artibeus jamaicensis, and a new hypothesis of the realationships of bats to other eutherian mammals. in Journal of Molecular Evolution 47 (6), 1998; Seiten 709-717.