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Vertreibung

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Vertreibung bezeichnet das gewaltsame Umsiedeln von Bevölkerungsgruppen. Bekannte Vertreibungen fanden im Rahmen des 2. Weltkrieges und direkt danach statt.

Vertreibungen in Mitteleuropa vor und im 2. Weltkrieg

Die Zahl der Menschen, die durch die Nazis in Deutschland und in den eroberten Gebieten, vertrieben, verschlept oder zwangsumgesiedelt worden sind ist wohl noch unbekannt. Dazu zählen auch die zahlreichen Zwangsarbeiter, die quer durch das Reich zu ihren jeweiligen Einsatzorten transportiert wurden. Auch Judenverfolgung hat ja zuerst mit einer Vertreibungsaktion angefangen und mündete in den Holocaust. Auch die Sowjets, Polen und andere Staaten betrieben eine derartige Bevölkerungspolitik und auf dem Balkan wurde sie schon seit dem Zefall des Osmanischen Reiches aktiv praktiziert.

Vertreibungen in Mitteleuropa nach dem 2. Weltkrieg

Nach dem Potsdamer Abkommen setzte Stalin neue Staatsgrenzen in Europa durch, die er auch zu ethnischen Grenzen machen wollte. Die westlichen Alliierten billigten diese Vertreibungen, die in einer "humanen" Art geschehen sollten (was sich praktisch als absurd erwies), mit der Begründung, dass die Staaten und Kulturen im Osten "jünger" und "weniger fest gefügt" seien als in Westeuropa und man durch ethnisch homogene Staaten in Zukunft Konflikten wie dem 2. Weltkrieg aus dem Weg ginge.

Die Vertreibung von Deutschen aus Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, der Neumark Brandenburg, Schlesien, dem Sudetenland, Ungarn und Jugoslawien verlangte von Deutschland in den 1940er, 1950er und 1960er Jahren eine enorme Integrationsleistung, die sich heute nur noch wenige Leute vergegenwärtigen. Durch die Bevölkerungsverschiebungen im großen Maßstab verdoppelten einige Länder (z.B. Mecklenburg) ihre Einwohnerzahl, vormals konfessionell homogene Regionen mit starken eigenen Traditionen (z.B. Oberbayern, Lüneburger Heide) besaßen nun große Bevölkerungsgruppen mit einem anderen Lebensstil und konfessioneller Prägung. Zum Teil kam es zu ganzen Städte- und Ortsneugründungen (Waldkraiburg, Traunreuth, Geretsried, Pentenried bei München).

In den von Deutschen verlassenen Gebieten Polens wurden ebenfalls vertriebene Polen aus dem ehemaligen Ostpolen (der Region Wilna, der westlichen Hälfte des heutigen Weißrussland, Wolhynien und Galizien) angesiedelt. Hinzu kamen unzählige polnische Zwangsarbeiter, die nun mit der Westverschiebung ihres Heimatlandes heimatlos geworden waren und nun in für sie fremden Regionen sesshaft werden mussten. Die von den Polen im Osten verlassenen Gebiete waren vor dem Krieg dicht besiedelt und wurden von einem Völkergemisch bewohnt. Heute wohnen in diesen nun dünn besiedelten Gebieten nach dem Völkermord an der jüdischen Bevölkerung und der Vertreibung der Polen, die dort meistens die Oberschicht stellten, fast nur noch jeweils Weißrussen, Litauer, Ukrainer und Russen. Die Vertreibungen, die die polnische Bevölkerung betrafen, standen in Art und Ausmaß der Vertreibung der Deutschen in nichts nach.

Im an die Sowjetunion gefallenen Kaliningrader Oblast wurden ebenfalls zwangsumgesiedelte Russen, Weißrussen und Ukrainer angesiedelt. Vielfach strandeten auch ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter auf dem Weg aus Deutschland nach Russland im ehemaligen Nordostpreußen, da sie zu Hause ein Prozess wegen Landesverrats erwartet mit der Begründung, dass sie überhaupt in deutschen Munitionsfabriken gearbeitet hätten.

Im Sudetenland wurden vor allem Tschechen aus dem Landesinneren, Slowaken und Sinti und Roma angesiedelt (meistens unter Zwang, oft auch als Strafe), die man "bei der Gelegenheit" zu einem sesshaften Leben zwingen wollte. Hinzu kamen viele als "Repatrianten" bezeichnete Tschechen, die aus Familien stammten, die früher mal nach Frankreich, Polen oder die USA ausgewandert waren.

Motive für die Vertreibungen in Mitteleuropa nach dem 2. Weltkrieg

Der Geschichtsrevisionismus sieht die Vertreibungen von Deutschen als unmotiviert an. Demgegenüber muss festgehalten werden, dass mindestens zwei Ursachen hinter den Vertreibungen der Deutschen aus dem Osten standen:

1. Die nationalsozialistische Expansions- und Ausrottungspolitik während des Zweiten Weltkriegs hat die bereits belasteten, aber immer noch tragfähigen Beziehungen zwischen Deutschen und anderen Volksgruppen in Mittel- und Osteuropa, von Grund auf zerstört. Die als "Untermenschen" angesehenen und behandelten Völker wurden durch diese Politik in eine Position getrieben, in der nur noch der bewaffnete Partisanenkampf gegen die deutschen Aggressoren als Mittel der Selbstverteidigung blieb. Mit der sich abzeichnenden militärischen Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands bekamen die mit Ausrottung bedrohten Völker die Gelegenheit sich für die ihnen zugefügten Verbrechen zu rächen. Der Besitz der Vertriebenen wurde dabei enteignet, konfisziert oder geplündert, so dass auch diese ökonomische Seite der Vertreibung, der Raubzug und die Bereicherungsabsicht, zu den eigentlichen Vertreibungsmotiven gezählt werden muss.

2. Für die von Stalin eingesetzten kommunistischen Regime waren die Vertreibungen der Deutschen eine willkommene Gelegenheit ihre persönliche diktatorische Macht zu festigen. Statt den mittel- und osteuropäischen Völkern ein freiheitlich-demokratisches System zuzugestehen, wurde ein Feindbild benötigt, das von den Plänen der Kommunisten ablenken und die Aggressionen der Bevölkerung auf die Deutschen ableiten konnte. Mit der Vertreibung der Deutschen schufen die kommunistischen Nachkriegsregierungen außerdem national homogene Staatswesen und konnten sich scheinbar so vieler Konflikte der Vorkriegszeit, die auf dem multinationalen Charakter dieser Staaten als Vielvölkerstaaten beruhten, zumindest vorläufig, entledigen.

Weitere Vertreibungen

Auch in jüngerer Zeit kam es wiederholt zu Vertreibungen. So kam es im Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien zu Vertreibungen, die euphemistisch als "ethnische Säuberungen" bezeichnet wurden - einem Begriff, der inzwischen zu einem festen Ausdruck in der Deutschen Sprache geworden ist. In Bürgerkriegen in Ruanda und Burundi kam es ebenfalls zu von Gewaltexzessen begleiteten Vertreibungen im großen Maßstab.

Insgesamt rechnet man, dass im 20. Jahrhundert weltweit an die 50 Millionen Menschen vertrieben worden sind, manche sogar mehrmals innerhalb nur einer Generation, die deutschen Vertrieben sind mit etwa 15 Millionen zu beziffern.