Johann Georg Wagner (Jurist)
Johann Georg Wagner (* 16. April 1790 in Eschwege; † 20. Juni 1868 in Marburg), zweiter Vorname auch George, war ein kurhessischer Jurist und Historiker.
Leben
Familie, Herkunft, Name
Wagner war der vierte und jüngste Sohn des evangelischen Pfarrers Johann Georg Wagner und seiner Frau Katharina Louise Jakobine, geborene Schotten. In seine Autobiografie für die Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte hat er einen kleinen Nachruf auf seine Eltern eingebaut, der auch die Basis für den Eintrag des Vaters in der Allgemeinen Deutschen Biographie ist.[1] Der Vater war Pfarrer, Diakon und Superintendent in verschiedenen hessen-kasselschen bzw. kurhessischen Gemeinden, so in Germerode, Eschwege, Schmalkalden und Allendorf. Die Berufswahl des Vaters entsprach gemäß Johann Georg jr. einer alten Familientradition, die bis auf die Reformationszeit zurückgehe: Alle Vorfahren väterlicherseits hätten seit dieser Zeit dem geistlichen Stand angehört. Die Mutter war Tochter eines Hauptmanns in der Armee der Landgrafschaft Hessen-Kassel.
Wagner führte seine Vornamen in wechselnder Form und Schreibung. Seine erste Publikation erschien noch unter dem Namen Johann Georg Wagner, in späteren schrieb er seinen zweiten Vornamen George, schließlich wählte er Abkürzungen als J. G. Wagner oder G. Wagner, oft mit seinem akademischen (Dr.) oder beruflichen (Landrichter) Titel.
Erziehung und Ausbildung
Wie Wagner schreibt, erhielt er von seinen Eltern eine „höchst einfache und dabei strenge und religiöse Erziehung“. Als Kind machte er eine Pockenerkrankung durch, von der ihm zahlreiche Narben im Gesicht blieben. Nach dem Umzug der Eltern nach Schmalkalden besuchte er er das dortige Lyzeum. Die zunächst vorgesehene Offizierslaufbahn kam für die Familie im kurzlebigen Königreich Westphalen, zu dem Hessen-Kassel nun gehörte, wegen der französischen Besetzung nicht mehr infrage und er begann an der Universität Marburg Theologie zu studieren, sattelte aber bald auf ein Jurastudium an der Universität Göttingen um, offenbar unterstützt durch seinen ältesten Bruder, der Tribunalprokurator in Eschwege war. Dort absolvierte er auch sein Vorbereitungsjahr, das damals für eine juristische Tätigkeit erforderlich war, und bestand 1812 sein Examen. Vom Militärdienst wurde er „zu meiner nicht geringen Freude“, wie er schreibt, wegen einer „Deformité meiner Brust“ freigestellt.
Prokurator, Justizbeamter, Landrichter
Wagner bewarb sich nun bei dem westfälischen König Jérôme Bonaparte erfolgreich auf eine Prokuratur in Heiligenstadt. Er heiratete im Dezember 1812 die Kaufmannstochter Louise Sell aus Allendorf, sein Vater nahm die Trauung vor. Dort bekamen sie im Dezember 1813 auch ihr erstes Kind, einen Sohn. Im Zuge der Auflösungserscheinungen des Königreichs Westphalen nach der Völkerschlacht bei Leipzig hoben die Wagners ihren Hausstand in Heiligenstadt auf und Wagner meldete sich im Januar 1814 freiwillig zum Militärdienst in den Befreiungskriegen. Er machte bei den kurhessischen Jägern den Frühjahrsfeldzug 1814 mit, verbrachte aber, an Typhus erkrankt, zwei Monate des Feldzugs im Lazarett.
Nach seiner Rückkehr bekam Wagner von der restaurierten kurhessischen Regierung die Genehmigung zur Advokatur (also zur Tätigkeit als Rechtsanwalt) in den Ämtern Allendorf und Witzenhausen und ab Dezember 1814 zusätzlich die Stelle des Syndikus der Stadt Allendorf an der Werra, wo die Wagners nun zunächst lebten. Zusätzlich bewarb er sich 1817 erfolgreich auf die Stelle eines Aktuars beim Hansteinschen Patrimonialgericht im nahe Allendorf gelegenen Wahlhausen. Er hätte nun gern auch die Befähigung zum Richteramt erworben und bestand 1820 ein entsprechendes Examen beim preußischen Oberlandesgericht in Halberstadt, wollte aber weiter in Kurhessen tätig sein. Er ging zunächst 1821 als Aktuar nach Netra. Eine zusätzliche Tätigkeit als Justizbeamter und Amtsassistent wurde zunächst lediglich als Stellvertretung für einen suspendierten Beamten möglich, ab 1828 arbeitete er dort regulär als Justizbeamter desJustizamts Netra.
In Netra scheint sich Wagner nicht sonderlich wohlgefühlt zu haben. In seiner Autobiografie klagte er bereits über das „schmutzige Netra“ im Kontrast zu dem „schönen Wahlhausen“, hielt fest, dass es dort weder Arzt noch Apotheker gegeben habe und daher sein „blühendes Töchterlein“ dort gestorben sei, und beschwerte sich schließlich darüber, dass er für die Zeit der Stellvertretung als Justizbeamter kein Geld erhalten habe. Jedenfalls begann er dort andere Tätigkeiten zu entfalten. Er schrieb 1822 sein erstes Buch, die Grundzüge der Gerichts-Verfassung und des processualischen Verfahrens bei den Untergerichten in Kurhessen, die unter leicht veränderten Titeln über einen Zeitraum von 37 Jahren vier Auflagen erlebten und ihm 1827 einen Ehrendoktor der Universität Marburg[2] einbrachten, sowie 1833 einen selbstständig publizierten Nachtrag zu diesem Werk. Ferner ließ er sich 1833 in die Kurhessische Ständeversammlung wählen. Freilich wurde die Wahl angefochten und schließlich vom zuständigen Ausschuss der Ständeversammlung aus formalen Gründen für ungültig erklärt.[3]
Wagner wurde 1835[4] an das Landgericht Schmalkalden versetzt und konnte dort den Titel Landrichter führen. Er regte dort die Anlage eines „Volksgartens“ an.[5] 1846 kam er als Landrichter zum Landgericht Marburg. In Marburg publizierte er eifrig, zunächst eine Serie von landeshistorischen Beiträgen in der Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde, dessen Mitglied er war, dann eine Geschichte der Stadt und Herrschaft Schmalkalden mit einem Überblick über die Geschichte der Grafschaft Henneberg. 1850 geriet Wagner in die Auseinandersetzungen um den Kurhessischen Verfassungskonflikt, das heißt, den Versuch von Friedrich Wilhelm I. und seinem Minister Ludwig Hassenpflug, im Gefolge der gescheiterten Revolutionen 1848/1849 die relativ freiheitliche Verfassung des Kurfürstentum Hessen abzuschaffen und eine neue, autoritärere Verfassung zu oktroyieren. Wie die meisten Militärs und Justizbeamten verweigerte auch Wagner den Gehorsam gegenüber dem Landesherrn und hatte entsprechend unter der Bundesintervention der „Strafbayern“ zu leiden – auch er musste eine Einquartierung der bayerisch-österreichischen Besatzungstruppen in seiner Wohnung hinnehmen. Als nach dem Verfassungskonflikt das Landgericht Marburg zum Justizamt Marburg I umgebildet wurde, versah Wagner dort die Stelle des Justizbeamten. Zudem wurde er stellvertretender Direktor des in Marburg neu gebildeten Kriminalgerichts.
1859 beantragte Wagner, mit 69 Jahren, „wegen dauernden Unwohlseins“ seine Versetzung in den Ruhestand, die 1860 schließlich gewährt wurde. In seinen letzten Lebensjahren verfasste er einen autobiografischen Abriss sowie eine Geschichte der Stadt Allendorf an der Werra, wo er, wie er im Vorwort schrieb, „die glücklichsten Jahre meines Lebens“ verbracht habe. Mit 78 Jahren starb er schließlich in Marburg an Altersschwäche.
Werk
Wagners Werk über die Grundzüge der Gerichtsverfassung in Kurhessen entstand nach des Autors eigenem Bekunden „zur Präzisirung unseres ganz verderbten Untergerichtsprozesses“. Im Vorwort umreißt der Autor seine Absicht: Er wolle in Anbetracht der sehr verstreuten Rechtsquellen und des Fehlens einer Zivilprozessordnung angehenden kurhessischen Juristen einen Leitfaden an die Hand geben. Bereits die erste Auflage erhielt in der Halleschen Allgemeinen Literatur-Zeitung eine wohlwollende Rezension: Der Autor habe „nicht nur den Richtern und Advocaten seines Landes, sondern auch den Gesetzforschern des Auslandes mit seiner Arbeit einen großen Dienst erwiesen“.[6] Die aktualisierten Neuauflagen nahmen jeweils die in der Zwischenzeit erfolgten Änderungen der Gerichtsverfassung, der Gesetzeslage und der Gerichtsentscheidungen in Kurhessen auf.
Schriften
Selbstständige Schriften
- Grundzüge der Gerichts-Verfassung und des processualischen Verfahrens bei den Untergerichten in Kurhessen. Marburg 1822. Digitalisat
- Grundzüge der Gerichts-Verfassung und des untergerichtlichen Verfahrens, sowohl in streitigen Civil-Sachen, als bei den Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kurhessen. 2., vermehrte Auflage. Johann Christian Krieger, Marburg 1827. Digitalisat
- 3., vermehrte und verbesserte Auflage. J. C. Krieger, Kassel 1843. Digitalisat
- 4., umgearbeitete und vermehrte Auflage. Elwert, Marburg 1859. Digitalisat
- Nachtrag zu den Grundzügen der Gerichts-Verfassung und des untergerichtlichen Verfahrens in Kurhessen, nebst einer Erörterung der wesentlichsten Mängel und der vorzugsweise zu wünschenden Verbesserung derselben. Johann Christian Krieger, Kassel 1833. Digitalisat
- Geschichte der Stadt und Herrschaft Schmalkalden, nebst einer kurzen Uebersicht der Geschichte der ehemaligen gefürsteten Grafschaft Henneberg. Elwert, Marburg und Leipzig 1849. Digitalisat
- Geschichte der Stadt Allendorf an der Werra und der Saline Sooden. Akademische Buchdruckerei, Marburg 1865. Digitalisat
Unselbstständige Schriften
- Beiträge zur Geschichte des Münzwesens in der Herrschaft Schmalkalden. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Bd. 4 (1847), S. 159–163. Digitalisat
- Beitrag zur Geschichte der Schiffbarmachung der Werra. In: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde, Bd. 4 (1847), S. 163–164. Digitalisat
- Historische Beschreibung der in der Herrschaft Schmalkalden gelegenen Schlösser. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Bd. 4 (1847), S. 238–260
- Versuch einer Darstellung der historischen Entwickelung der Grundsätze über schriftliche Beurkundung von Rechtsverhältnissen. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Bd. 5 (1850), S. 13–29
- Die Sage von dem Ursprung der s. g. „Speck- und Brodvertheilung“ zu Allendorf an der Werra. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Bd. 6 (1851), S. 99
- Wagner, Johann George (Selbstbiographie). In: Grundlage zu einer hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte seit der Reformation bis auf die gegenwärtige Zeit. Besorgt von Friedrich Wilhelm Strieder und im Anschlusse an Dr. Karl Wilhelm Justi’s gleichnamige Fortsetzung weiter fortgesetzt von Otto Gerland. Band 20. August Freyschmidt, Kassel 1863, S. 141–152. Digitalisat
Literatur
- Nekrologe: I. Johann Georg Wagner. In: Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde, No. 4, August 1868, S. 10–11, Digitalisat
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Wagner,_Johann_Georg_(Allendorfer_Superintendent).
- ↑ Siehe auch Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 66, November 1827, S. 522.
- ↑ Kurfürstentum, 3. Landtag, Protokolle, Nr. 1, Sp. 8 ff., Digitalisat.
- ↑ Vgl. das Kurfürstlich Hesssische Hof- und Staatshandbuch von 1835, https://opacplus.bsb-muenchen.de/title/10437474. Die anderslautende Angabe in der Autobiografie dürfte auf einen Druckfehler zurückgehen.
- ↑ http://www.volksgarten-schmalkalden.de/gaststaette/15/geschichte+des+volksgarten.html.
- ↑ Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 96, April 1823, Sp. 766–768.