Anfechtung
Anfechtung bedeutet im deutschen Privatrecht die Ausübung eines Rechts, um die Wirkungen eines Rechtsgeschäfts zu beseitigen. Ein anfechtbares Rechtsgeschäft ist so lange wirksam, bis das Recht zur Anfechtung ausgeübt wird. Mit der Anfechtung wird das Rechtsgeschäft dann (rückwirkend) nichtig.
Ausübung eines Anfechtungsrechts
Ein Anfechtungsrecht wird ausgeübt, wenn der Anfechtungsberechtigte einen Anfechtungsgrund hat und innerhalb der Anfechtungsfrist eine Anfechtungserklärung abgibt.
Anfechtungsgrund
Ein Anfechtungsgrund besteht nach dem allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in folgenden Fällen:
- Erklärungsirrtum (Ich wollte rechtlich etwas anderes erklären) – § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB
- Inhaltsirrtum (Ich wollte so was nicht erklären) – § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB
- Übermittlungsirrtum (Dir wollte ich nichts erklären oder Dir wollte ich so was nicht erklären) – § 120 BGB
- Irrtum über wesentliche Eigenschaften des Erklärungsobjekts (Das wollte ich schon erklären, aber nicht über eine so beschaffende Sache) – § 119 Abs. 2 BGB
- Arglistige Täuschung und Drohung (§ 123 BGB)
Anfechtungsberechtigt ist jeweils der Irrende, Getäuschte oder Bedrohte, nicht sein Geschäftspartner.
Nicht anerkannt wird vom allgemeinen Zivilrecht der so genannte Motivirrtum, der sich auf Gründe bezieht, die die Erklärung auslösten (Ich erklärte dies, weil…) oder Folgen, die durch die Erklärung beabsichtigt sind (Ich erklärte dies, damit…). Beispielsweise ist ein Aktienkauf nicht etwa deshalb anfechtbar, weil der Käufer irrig geglaubt hat, dass die Aktienkurse nur steigen könnten.
Im Familienrecht und im Erbrecht gibt es andere gesetzliche Voraussetzungen für einen Anfechtungsgrund. So erschwert das Familienrecht die Anfechtung einer Ehe (§§ 1313 ff. BGB), auch verfahrensrechtlich. Das Erbrecht erlaubt die Anfechtung eines Testaments auch aufgrund eines Motivirrtums (§ 2078 Abs. 2 BGB) und erweitert den Kreis der Anfechtungsberechtigten (§ 2080 BGB).
Anfechtungsfrist
Der Anfechtungsberechtigte muss die jeweils geltende Anfechtungsfrist (unverzüglich, ein Jahr, zehn Jahre) einhalten. Nach Ablauf der Frist wird das Rechtsgeschäft endgültig wirksam.
Anfechtungserklärung
Der Anfechtungsberechtigte hat die Wahl, ob er das Rechtsgeschäft trotz der Anfechtbarkeit gelten lassen will oder ob er durch Anfechtung dessen Wirksamkeit beendet. Die Anfechtung hat durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner zu erfolgen. Dies ist bei einem Vertrag der andere Vertragspartner, bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung (z. B. einer Kündigung) der Empfänger und ansonsten (z. B. bei der Auslobung) jeder, der auf Grund des Rechtsgeschäfts einen rechtlichen Vorteil erlangt hat. Eine bestimmte Form ist für die Anfechtungserklärung nicht vorgeschrieben. Der Anfechtende muss das Wort „Anfechtung“ nicht benutzen, es reicht aus, dass seine Erklärung erkennen lässt, er wolle das Rechtsgeschäft nicht gelten lassen.
Wirkungen
Durch die wirksame Anfechtung wird das Rechtsgeschäft grundsätzlich rückwirkend (lat. ex tunc) vernichtet. Es ist deshalb als von Anfang an nichtig anzusehen (§ 142 Abs. 1 BGB). Ausnahmen von dieser Rückwirkung bestehen bei der Anfechtung der Eingehung der Ehe (§ 1313 BGB), bei Gesellschafts- und bei Arbeitsverträgen. Dort wirkt die Anfechtung erst ab dem Zugang der Erklärung, also nur für die Zukunft (lat. ex nunc).
Der Anfechtende ist zum Schadenersatz verpflichtet, außer wenn der Vertragspartner den Grund für die Anfechtbarkeit des Geschäfts kannte oder kennen musste (§ 122 BGB). Dabei haftet der Anfechtende jedoch nicht für den Schaden, der dem Vertragspartner durch die Nichterfüllung des angefochtenen Rechtsgeschäfts entsteht (Nichterfüllungsschaden, positives Interesse), sondern lediglich für den Schaden, der diesem durch das Vertrauen in die Wirksamkeit entstanden ist (Vertrauensschaden, negatives Interesse).