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Luftangriff auf die Brücke bei Varvarin

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Der Luftangriff auf die Brücke bei Varvarin war eine Luftangriff während des Kosovokrieges auf eine Brücke nahe der serbischen Kleinstadt Varvarin, bei der der zehn Zivilisten getötet und dreißig teilweise schwer verletzt wurden. Das Ereignis hatte eine hohe mediale Aufmerksamkeit, da 35 Kläger, darunter die Eltern eines getöteten Mädchens, die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz verklagt hatten. Die Klage wurde 2013 durch das Bundesverfassungsgericht abschließend abgewiesen.[1]

Hergang des Luftangriffs

Nato-Kampfflugzeuge hatten am 30. Mai 1999 in der serbischen Kleinstadt Varvarin eine Brücke beschossen. zehn Zivilisten starben, dreißig weitere wurden verletzt. Deutsche Flugzeuge waren an dem Angriff nicht beteiligt. Die Bundeswehr stellte im Kosovo-Krieg aber Tornado-Aufklärungsflugzeuge.[2] Der Angriff erfolgte durch vier NATO-Kampfflugzeuge, als die Allianz den klaren Himmel nutzte, um die Bombardierungen in Jugoslawien tagsüber zu intensivieren. Die Flugzeuge bombardierten die Brücke offenbar einmal und dann erneut. Zwischen den Angriffen hatten sich Zivilisten auf der Brücke versammelt, um anderen Verwundeten zu helfen. NATO-Beamte erklärten jedoch, dass die Piloten keine Zivilisten gesehen hätten.[3]

Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland

Am 15. Oktober 2003 wurde durch 35 Kläger ein Schadensersatzprozess gegen die an der Operation Allied Force beteiligte Bundesrepublik Deutschland vor dem Landgericht Bonn eröffnet.[4] Die Kläger warfen Deutschland vor, die Angriffe durch Aufklärung und Begleitschutz unterstützt zu haben. Bundeswehrsoldaten hätten das Ziel mit ausgewählt und somit den Angriff möglich gemacht. In Varvarin und Umgebung habe es jedoch keine nennenswerten militärischen Einrichtungen gegeben.[2] Von den Klägern wurde das Schicksal der fünfzehnjährigen Sanja Milenkovic besonders hervorgehoben, die unter den Todesopfern war.[5]

Im Urteil wurde festgestellt, dass es keine Rechtsgrundlage für Schadensersatzansprüche einzelner Personen eines angegriffenen Landes gebe, da eine Staatshaftung nicht angewendet werden kann. Das Oberlandesgericht Köln hat zwischenzeitlich in zweiter Instanz durch Urteil vom 28. Juli 2005 über die Klage der Opfer des Luftangriffes auf die Brücke von Varvarin entschieden und in diesem Urteil Schadensersatzansprüche ebenfalls verneint.[6][4]

Das Urteil verdient Beachtung, da damit – anders als noch in erster Instanz durch das Landgericht Bonn – erstmals in der Rechtsprechung festgestellt wurde, dass die Bundesrepublik Deutschland auch in Kriegszeiten bzw. bei bewaffneten staatlichen Auseinandersetzungen im Rahmen des Staatshaftungsrechts jedenfalls grundsätzlich dem Einzelnen auf Schadensersatz haftet, falls der Staat dabei in völkerrechtswidriger Weise die Ansprüche des einzelnen Bürgers auf Einhaltung des humanitären Völkerrechts verletzt. Im Falle des Luftangriffes auf die Brücke von Varvarin kam eine Haftung der Bundesrepublik aber nicht in Betracht, da ihre Streitkräfte den Angriff nicht selbst durchgeführt hatten und auch eine konkrete Hilfeleistung dazu nicht festgestellt werden konnte.[7]

Die bloße Teilnahme am Kosovokrieg im Rahmen der NATO-Operationen reicht nach dem Urteil als Haftungstatbestand nicht aus, da es nach deutschem Recht einer konkreten Zurechnung der Schädigung bedarf. Allerdings wurde diese Feststellung des Oberlandesgericht bei der Revision des Urteils durch den Bundesgerichtshofs am 2. November 2006 nicht bestätigt. Der Bundesgerichtshof hat die Frage nach der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts explizit offengelassen. Die Klage ist somit letztinstanzlich und rechtskräftig abgewiesen.[8][9][2]

Die Kläger gingen daraufhin zum Bundesverfassungsgericht, das die Klage 2013 ebenfalls abwies. Es gebe "keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz (...) zusteht", hieß in der Begründung. Auch ein Anspruch wegen Verletzung von Sorgfaltspflichten bestehe nicht. Es sei nicht erwiesen, dass deutsche Amtsträger von den konkreten Umständen des Angriffs gewusst hätten.[1]

Einzelnachweise

  1. a b Urteil des Verfassungsgerichts Deutschland zahlt keinen Schadensersatz für Opfer des Kosovo-Angriffs. In: www.spiegel.de. Der Spiegel, 3. September 2013, abgerufen am 19. Dezember 2022.
  2. a b c BGH-Urteil: Kein Schadensersatz für serbische Bombenopfer. In: www.faz.net. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. November 2006, abgerufen am 19. Dezember 2022.
  3. Eric Schmitt: Crisis in the Balkans: NATO - Allied Air Strikes Kill 9 On Busy Bridge in Serbia. In: www.nytimes.com. New York Times, 31. Mai 1999, abgerufen am 19. Dezember 2022 (englisch).
  4. a b Nato-Angriff: Deutschland zahlt keine Entschädigung für serbische Opfer. In: www.faz.net. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Dezember 2003, abgerufen am 19. Dezember 2022.
  5. Robert Fisk: Nearly two decades on from Nato's deadly bombing of civilians at Varvarin in Serbia, the wait for justice continues. In: www.independent.co.uk. The Independent, 9. Juli 2018, abgerufen am 19. Dezember 2022 (englisch).
  6. Wortlaut des Urteils vom 28. Juli 2005 - Az. 7 U 8/04
  7. Hans Wallow: Balkankrieg: Kampf ohne Sieger. In: merkur.de. 29. Mai 2008, archiviert vom Original am 1. Juni 2008; abgerufen am 12. Dezember 2022.
  8. Pressemitteilung des BGH vom 2. November 2006 zum Urteil (Az. III ZR 190/05), juris.bundesgerichtshof.de
  9. Krsto Lazarević: Als Bomben auf die Brücke von Varvarin fielen, DerStandard.at, 10. Juni 2016

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