Montenegrinische Sprache
Die montenegrinische Sprache gehört zu den südslawischen Sprachen und wird in Montenegro gesprochen. Die Sprache ist nahe verwandt mit der kroatischen und der serbischen Sprache. Nach dem gewaltsamen Zerfall Jugoslawiens in den 1990ern wurde sie zum ersten Mal bei der Volkszählung 2003 offiziell angeboten und von ca. 21 % der Bevölkerung als Muttersprache angekreuzt.
Montenegrinisch ähnelt der ijekavischen Varietät des Serbischen, die in der Republika Srpska und im Westen und Südwesten Serbiens gesprochen wird. Der Wortschatz unterscheidet sich kaum von demjenigen des Serbischen. Die Verständigung zwischen Sprechern des Serbischen, Bosniakischen und Kroatischen verläuft üblicherweise problemlos. Aufgrund zahlreicher Gemeinsamkeiten wurden diese Einzelsprachen in Zeiten Jugoslawiens als Varietäten einer plurizentrischen Sprache, des Serbokroatischen, angesehen. Diese Meinung wird auch nach dem Zerfall Jugoslawiens von einigen Linguisten vertreten.
Der führende Verfechter des Montenegrinischen als eigenständiger Sprache ist der in Zagreb ausgebildete Philologe Vojislav Nikčević, Leiter des Instituts für Montenegrinische Sprache in Podgorica. Seine Lehr- und Wörterbücher des Montenegrinischen wurden von kroatischen Verlagen veröffentlicht, weil sich die größten montenegrinischen Verlagshäuser, wie z. B. „Obod Cetinje“, an die offizielle Amtssprachenregelung halten (bis 1992 Serbokroatisch, danach Serbisch).
Von Anhängern der montenegrinischen Sprache wird dessen Existenz mit den Lauten ś, ź, з der Jotisierung von t und d sowie mit lexikalischen Unterschieden begründet. Serbische Linguisten wenden ein, dass die Laute ś, ź und з; den standardsprachlichen Kombinationen šj, zј und dz entsprechen. Außerdem seien diese Lautkombinationen nicht auf das Staatsgebiet Montenegros beschränkt, sondern auch bei Sprechern štokavischer Dialekte wie slawischen Muslimen und Kroaten anzutreffen. So entsprechen die von Verfechtern des Montenegrinischen beanspruchten Schreibweisen śekira (Axt, Beil), predśednik (Vorsitzender, Präsident) und iźelica (Vielfraß) den standarsprachlichen ijekavisch-serbischen Varianten sjekira, predsjednik und izjelica. Ähnlich verhalte es sich mit den jotisierten t (tj) und d (dj), die als ć und đ darstellbar seien. So entspreche das montenegrinische Verb ćerati ([an]treiben) dem ijekavisch-serbischen tjerati bzw. đevojka (Mädchen) dem serbischen djevojka [1].
Eine Besonderheit der neu-montenegrinischen Buchstaben ś und ź besteht darin, dass sie gegenwärtig (2006) auf Computern nur mit kombinierenden Diakritika des Unicode-Zeichensatzes [2] korrekt darstellbar sind, was eine leistungsfähige und exklusive Software für die Darstellung von Schriftarten voraussetzt (z. B. OpenType-Schriftarten). Dies wirft besondere Schwierigkeiten hinsichtlich einer für jedermann erschwinglichen und betriebssystemunabhängigen Verwendbarkeit dieser Zeichen auf Computern auf. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine zukünftige Version des Unicode-Standards diese Zeichen als Gesamtzeichen enthalten wird. Aus praktischen Gründen wird alternativ dazu erwogen, fortan exklusiv die lateinische Schrift anstelle der kyrillischen zu verwenden, weil die im Polnischen gebräuchlichen Zeichen Śś und Źź sowie dz mit dem weit verbreiteten Computer-Zeichensatz ISO 8859-2 darstellbar sind, und somit Bemühungen unterbleiben könnten, den Unicode-Standard mit weiteren, im Standard ohnehin zahlreich vorhandenen, mit Diakritika versehenen kyrillischen Zeichen zu erweitern. Ob es sich hierbei um eine Transliteration ursprünglich serbisch-montenegrinischer kyrillischer Schriftzeichen oder um Schriftzeichen einer ursprünglich montenegrinischen lateinischen Schrift handelt, obliegt heute meist der individuellen Wahrnehmung des Betrachters. Ungeachtet dessen belegen historische Quellen, dass die kyrillische Schrift in Montenegro seit alters her in Verwendung ist.
Die Entstehung der Montenegrinischen Sprache gilt unter einigen Historikern und Slawisten als ein Ausdruck der umfassenden Atomisierung des ehemaligen Jugoslawiens, wie etwa im Fall des Bosni(aki)schen, das 1995 implizit durch den Vertrag von Dayton als linguistisch-politisches Konstrukt erschaffen wurde. So kommen Montenegriner heute viersprachig zur Welt: sie beherrschen Montenegrinisch, Bosni(ak)isch, Serbisch und Kroatisch. Dagegen betrachten sich viele Montenegriner als Serben, die einer jahrhundertelangen „Entserbungspolitik“ des Osmanischen Reiches, Österreich-Ungarns, des Dritten Reiches, Stalins und Titos ausgesetzt seien. Zahlreiche Beispiele für die Anerkennung des gemeinsamen Serbentums finden sich zum Beispiel in der Prosa und Poesie des montenegrinischen Herrschers Petar II. Petrović Njegoš.
Ob die genannten phonetischen und lexikalischen Unterschiede zur serbischen Hochsprache eine Bezeichnung des Montenegrinischen als Einzelsprache rechtfertigen, ist eine politische Frage, die in verschiedenen Zeiten unterschiedlich beurteilt wurde. Auch manche Dialekte der deutschen Sprache lassen sich als Einzelsprachen betrachten: so sind etwa die Unterschiede zwischen dem Wienerischen und Vorarlbergischen wesentlich größer als etwa diejenigen zwischen dem Kroatischen und dem Serbischen. Doch während die meisten Germanisten Wienerisch und Vorarlbergerisch zum deutschen Dialektkontinuum zählen, soll es sich beim Kroatischen und Serbischen nach einer weit verbreiteten und völkerrechtlich legitimierten sprachpolitischen Auffassung um höchst unterschiedliche Einzelsprachen handeln. Daraus wird ersichtlich, dass phonetische, lexikalische und semantische Unterschiede nur bedingt als objektive Abgrenzungskriterien für Einzelsprachen geeignet sind und mit Instrumenten der Sprachpolitik willkürlich und systematisch gestaltet werden können. Darüber hinaus wird die Entstehung nationaler Sprachen seit den 1990ern zunehmend als eine Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts der Völker verstanden. In diesem Sinne ist möglicherweise auch die Entstehung des Kosovarischen zu erwarten.
Von separatistischen Kreisen in Montenegro wird aus politischen Erwägungen eine Betrachtung des Montenegrinischen als Einzelsprache anstatt der serbischen Sprache angestrebt, um sich nach außen leichter von den serbischen Wurzeln zu distanzieren. Dagegen ist die Amtssprache Montenegros laut Artikel 9 der Verfassung bis auf weiteres „Serbisch mit ijekavischer Aussprache“ [3].
Anmerkungen
- ↑ vgl. auch das serbische ћ/ђ und das mazedonische ќ/ѓ
- ↑ Unicode-Version 4.1.0
- ↑ Verfassung der Republik Montenegro vom 12. Oktober 1992
Literatur
- Батрић Јовановић: Расрбљивање Црногораца - Стаљинов и Титов Злочин. Српска Школска Књига, Belgrad 2003. ISBN 86-83565-11-4
- Егон Фекете, Драго Ђупић, Богдан Терзић: Српски језички саветник. Српска Школска Књига, Belgrad 2005. ISBN 86-83565-23-8