Gebärdensprache
Als Gebärdensprache bezeichnet man eine eigenständige, visuell
wahrnehmbare Natürliche Sprache, die insbesondere von gehörlosen und stark schwerhörigen Menschen zur Kommunikation genutzt wird.
Gebärdensprache besteht aus kombinierten Zeichen (Gebärden), die vor allem mit den Händen, in Verbindung mit Mimik und Mundbild (lautlos gesprochene Wörter oder Silben) und zudem im Kontext mit der Körperhaltung gebildet werden. Bei der taktilen Gebärdensprache für blinde Gehörlose werden die Gebärden gefühlt. Dazu nimmt der Sprecher oder Dolmetscher die Hände seines Gegenübers in seine eigenen.
Eigenständige Sprache und Verhältnis zur Lautsprache
Gebärdensprachen sind wissenschaftlich als eigenständige und vollwertige Sprachen anerkannt. Sie haben eigene grammatische Strukturen, die sich von der Lautsprache des jeweiligen Landes grundlegend unterscheiden. Daher lässt sich Gebärdensprache nicht Wort für Wort in Lautsprache umsetzen. Ein bemerkenswerter Unterschied zu Lautsprache ist, dass mit Gebärdensprache mehrere Informationen parallel übertragen werden können, z.B. mit der Gebärde „fährt über eine Brücke“, während Lautsprache hier gezwungenermaßen sequentiell (mit aufeinanderfolgenden Informationen) arbeiten muss. Dieses häufig als "Inkorporation" bezeichnete (in neueren Forschungsansätzen jedoch zur Flexion gezählte) Konzept ist ein wichtiges Element der Gebärdensprache.
Gebärdensprachen unterscheiden sich von Land zu Land. So gibt es im deutschsprachigen Raum die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) wie auch die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS). Letztere zum Beispiel ist wiederum in fünf verschiedene Dialekten unterteilt (Zürcher, Berner, Luzerner, Basler und St. Galler Dialekt). Unter diesen kann es wiederum auch regionale Unterschiede geben. Im Graubünden zum Beispiel erkennt man Gebärden aus dem Zürcher wie auch aus dem St. Galler Dialekt. Die verbreitetste Gebärdensprache dürfte die American Sign Language (ASL) sein. Die Gebärdensprachen sind sich jedoch untereinander häufig ähnlicher als die verschiedenen Lautsprachen. Auf internationalen Veranstaltungen kommt zunehmend die sogenannte internationale Gebärdensprache zum Einsatz. Diese im Entstehen begriffene Gebärdensprache entwickelt sich durch Konvention aus Gebärden verschiedenen länderspezifischer Gebärden nach pragmatischen Aspekten.
Gehörlose Kinder mit Gebärdensprach-Kompetenz sind – wie viele Fälle zeigen – in der Lage, die Schriftform der jeweiligen Lautsprache als Zweitsprache zu erwerben. Gehörlose Kinder, denen die Gebärdensprache verwehrt wird, erreichen durch diese Maßnahme nicht automatisch eine Kompetenz in der Schrift- oder Lautsprache ihrer Umgebung. Sie können teils auch später in der Gebärdensprache keine muttersprachliche Kompetenz erwerben und daher ein Leben lang „spracharm“ bleiben. Mit ein Grund dafür ist, dass die Gebärdensprache nur schlecht simultan, das heißt, Laut- und Gebärdensprache gleichzeitig, gesprochen werden kann, da die jeweiligen Sprachen eine andere Grammatik und zum Teil andere Redewendungen haben. Das bedeutet, dass die Gebärdensprache wie bei zwei verschiedenen Lautsprachen auch, sich gegenseitig in Konkurrenz treten, wenn sie gesprochen werden. Das schließt selbstverständlich einen Bilingualismus jedoch nicht aus; es gibt Individuen, die zeigen, dass der Bilingualismus zwischen Gebärden- und Lautsprache funktioniert, allerdings sind diese Beispiele nur in geringer Zahl anzutreffen. Befürworter der bilingualen Erziehung vertreten die Ansicht, dass dies auf der bislang noch nicht in größerem Ausmaß praktizierten Erziehungsform, der bilingualen Erziehung zurückgeht. Kritiker verweisen dagegen auf Personen, die trotz Gehörlosigkeit allein mit der Lautsprache eine sehr hohe Verständlichkeit und Ausdrucksform erreicht haben und sogar studieren können. Ein Ende dieses Streits ist nicht abzusehen, da weder die eine noch andere Seite - wie in der Pädagogik allgemein so oft üblich - stichhaltige Beweise hat. Es gab und gibt weltweit Anstrengungen, die Gebärdensprachen gesetzlich zu verankern. So ist seit 2006 die Neuseeländische Gebärdensprache (NZSL) neben Englisch und Māori die offizielle Amtssprache Neuseelands. Seit dem 27. Februar 2005 ist im Schweizer Kanton Zürich die Gebärdensprache verfassungsmäßig anerkannt. Das österreichische Parlament nahm im Juli 2005 die Gebärdensprache als anerkannte Minderheitensprache in die Bundesverfassung (Art. 8, Abs. 3) auf.
Gebärdensprachkurse
Das Erlernen einer Gebärdensprache ist auch für hörende Menschen möglich (z.B. über Volkshochschulen oder Gebärdensprachkurse) und vom Aufwand und Umfang her mit dem Erlernen einer Fremdsprache vergleichbar.
Gebärdensprachdolmetscher

Gebärdensprachdolmetscher (nicht: Gebärdendolmetscher) dolmetschen in beide Richtungen für gehörlose und hörende Personen. Es kommt vor, dass in einer Gruppe die Gebärdensprache dominiert und für die hörende, nicht gebärdensprachkompetente Minderheit übersetzt wird, z. B. bei Gehörlosenkonferenzen. Es gibt auch Dolmetscher, die von einer Gebärdensprache in die andere übersetzen, oder von einer anderen Lautsprache in die lokale Gebärdensprache (z. B. französisch in die Deutschschweizer Gebärdensprache).
Spätestens seit 2002 ist mit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) der Anspruch gehörloser Menschen auf Gebärdensprachdolmetschdienst (insbesondere bei Behörden, Polizei und Gericht, aber auch am Arbeitsplatz) gesetzlich geregelt. In der Schweiz gibt es seit 2004 ein ähnliches Gesetz.
Ausbildungen zum Gebärdensprachdolmetscher werden als Vollzeitstudium, etwa an der Universität Hamburg, an der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH), an der Westsächsischen Hochschule Zwickau (FH) oder als berufsbegleitende Weiterbildung, beispielsweise an der Fachhochschule Frankfurt oder an der Hochschule für Heilpädagogik Zürich in Zürich angeboten. Ab Ende 2006 ist ein qualifizierter Abschluss als Gebärdensprachdolmetscher in vielen Bereichen erforderlich. Eine staatliche Prüfung bieten das Amt für Lehrerbildung in Darmstadt und das Gehörlosen Institut Bayern (GIB) in Nürnberg an. Die akademischen Diplome der Universitäten und Fachhochschulen werden der staatlichen Prüfung gleichgestellt.
Umfangreiche Informationen zum Berufsbild bietet die Website "dgsd.de - Informationen zum Gebärdensprachdolmetschen".[1]
Der Bundesverband der GebärdensprachdolmetscherInnen Deutschlands (BGSD) e. V. ist die berufsständische Vertretung der in Deutschland organisierten Gebärdensprachdolmetscher und -dolmetscherinnen.
Gebärdenschrift
Gebärdensprache hat sich bisher nicht für den Alltagsgebrauch zuverlässig verschriftlichen lassen, obwohl es bereits mehrere Ansätze dazu gibt. Für wissenschaftliche Forschungen existieren jedoch „Notationssysteme“ wie z. B. das HamNoSys (Hamburger Notationssystem); sie arbeiten z. B. mit der Zerlegung jeder Gebärde in Handform, Handstellung, Körperbereich, Bewegungsausführung etc. und der jeweils entsprechenden Darstellung. In der Praxis findet auch die so bezeichnete Gebärdenschrift [2] am Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte in Osnabrück Anwendung. Sie wird mit Erfolg ab der ersten Klasse eingesetzt.
Manuelle Kodierungssysteme für die deutsche Sprache
Von der Gebärdensprache abzugrenzen sind die sogenannten manuell-visuellen Kodierungssysteme der deutschen Sprache:
- Fingeralphabet,
- Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) oder gebärdetes Deutsch,
- Lautsprachunterstützende Gebärden (LUG).
- Gebärdenunterstützte Kommunikation (GuK)
Siehe auch
- Liste der Gebärdensprachen
- Geschichte der Gebärdensprachen
- Lormen
- Gestuno
- Signuno
- Gestik
- Nonverbale Kommunikation
- Metakommunikative Kompetenz
- Interkulturelle Kompetenz
Medien
- Günter Maisch / Fritz H. Wisch: "Gebärden-Lexikon" 7. Auflage, Verlag hörgeschädigte kinder GmbH, ISBN 3-924055-06-8
- CD-ROMs zum Gebärden-Lexikon Band 1 Verlag hörgeschädigte kinder gGmbH,
- Grundkurs Deutsche Gebärdensprache Signum Verlag, ISBN 3-927731-69-2, mit Arbeitsvideo zum Gebärdensprachkurs
- Karin Kestner: 777 Gebärden, Gebärdenlexikon mit ca. 3 x 900 Einzelgebärden als Videodarstellung, sowie ca. 70 Sätzen in Gebärdensprache, 3 CD-ROMs oder DVD und Tommys Gebärdenwelt 1-3 für Kinder - Verlag Karin Kestner
- Die Firma, CD-ROM, Selbstlernkurs für Gebärdensprache, Signum Verlag, ISBN 3-927731-73-0
- Deutschschweizerische Gebärdensprache: Lexikon mit 3000 Videos, CD-ROM ISBN 3-906152-06-5
- CD-Rom 1 "Deutschschweizerische Gebärdensprache für Kinder" Basiswortschatz für die Kommunikation mit gehörlosen Kindern, 740 Gebärden und 250 Beispielsätze ISBN 3-906152-01-4
- Penny Boyes Braem: Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung, ISBN 3-927731-10-2*
- Wolfgang Georgsdorf: Mudra. Multimediapaket zur Österreichischen Gebärdensprache. Fischer Film 2001, mudra.org
Beispiele
Vater = Mit der Hand von der Stirn zum Kinn
Mutter = Mit der Hand von der rechten Gesichtshälfte zur linken
Literatur
- Irene Leber / Jörg Spiegelhalter: Das Gebärdenliederbuch - Mit den Händen singen (2004)
- Oliver Sacks: Stumme Stimmen, ISBN 3-499-19198-9
- Nora Ellen Groce: Jeder sprach hier Gebärdensprache, Erblich bedingte Gehörlosigkeit auf der Insel Martha's Vineyard 1990 Aus dem Amerikanischen übersetzt von Elmar Bott ISBN 3-927731-02-1
- Susan Schaller: Ein Leben ohne Worte Knaur 1992 ISBN 3-426-75002-3
- Marina Ribeaud: " Das Gebärdensuchbuch": Ein Spielerischer Einstieg in die Gebärdensprache. fingershop.ch-Verlag
Weblinks
Internationale Bibliografie für Gebärdensprachen
Weiterführende Links können unter DGS, DSGS und ÖGS gefunden werden.