Zum Inhalt springen

Die Judenbuche

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 22. Oktober 2006 um 14:56 Uhr durch Xocolatl (Diskussion | Beiträge) (Änderungen von 84.60.170.47 (Beiträge) rückgängig gemacht und letzte Version von Hannes2 wiederhergestellt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Judenbuche – Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen“ ist eine Novelle von Annette von Droste-Hülshoff, die erstmals 1842 im Cotta'schen Morgenblatt für gebildete Leser erschien. Sie behandelt ein Verbrechen und vor allem dessen Vor- und Nachgeschichte und spielt in dem entlegenen westfälischen „Dorf B.“ (als Vorbild diente von Droste-Hülshoff Bellersen in Ostwestfalen) in einem deutschen Kleinstaat des 18. Jahrhunderts, vor den Umwälzungen, die die Französische Revolution für Europa mit sich brachte. Holz- und Jagdfrevel stehen hier an der Tagesordnung. Den begangenen Rechtsverletzungen begegnet man jedoch „weniger auf gesetzlichem Wege, als in stets erneuten Versuchen, Gewalt und List mit gleichen Waffen zu überbieten“.

Inhalt

Friedrich Mergel, Jahrgang 1738, die Hauptfigur der Novelle, wird in eine zerrissene Familie hineingeboren: Der Vater ist Säufer, er schlägt seine Frau, und die einzige Person, die er liebt, ist Friedrich selbst; die Mutter, fromm und anfangs stolz, verzweifelt immer mehr über ihren Mann, dessen erste Frau vor ihm davongelaufen ist. Die Familie der Mutter hat sich seit ihrer Heirat teilweise von ihr abgewandt und will mit den Mergels nichts zu tun haben. Als Friedrich acht Jahre alt ist, verunglückt der Vater auf dem Heimweg von einem Fest im „Brederholz“. Die Mutter verzweifelt daran völlig und der Junge wird fortan immer wieder von seinem zwielichtigen Onkel Simon zur Arbeit herangezogen. Durch ihn gerät er ins Milieu der Holzdiebe und Wilderer.

Friedrich wird älter und fällt, erwachsen geworden, durch sein unregelmäßiges Arbeiten und seine Eleganz bei der Auswahl von Kleidung auf. Seine körperliche Stärke wird bewundert und zugleich gefürchtet. Seine anfängliche Schüchternheit und Schwermut legt er unter Simons Erziehung völlig ab. Sein ständiger Begleiter ist seit seinen Kindertagen der stille Johannes Niemand, der auch bei Simon arbeitet und der Friedrich sehr ähnlich sieht, dessen eigene Mutter die beiden als Kinder einmal verwechselt hat.

Zunächst ist die Mutter stolz auf ihren Sohn, doch dann wird dieser immer mehr von seinem Onkel beeinflusst.

Als eines Tages der Oberförster ermordet wird, ist Friedrich, der nahe am Tatort war, der Hauptverdächtige. Er kann allerdings ein Alibi vorweisen. Niemand, noch nicht einmal der Leser, erfährt, wie sich der Mord nun wirklich zugetragen hat. Wahrscheinlich ist, dass Friedrich unschuldig ist, aber seinen Onkel verdächtigt und das nicht zugibt.

Im Jahre 1760 erregt Friedrich auf einer Hochzeit mit einer teuren Uhr den Neid aller anderen Dorfbewohner, kurz darauf erscheint jedoch der anscheinend für seinen Geiz bekannte Jude Aaron und verlangt das geschuldete Geld für eben diese Uhr. Nach dieser Bloßstellung verlässt Friedrich, gefolgt von Aaron, die Gesellschaft.

Drei Tage später wird Aaron von seiner Frau im Brederholz bei einer markanten Buche tot aufgefunden. Friedrich, der sofort zurecht als potenzieller Mörder im Verdacht steht, flieht mit seinem treuen Freund Johannes.

Einige Juden aus der Umgegend kaufen die Buche, unter der man Aaron gefunden hat, und befehlen, sie immer unangestastet zu lassen. Sie bringen am Baum die Inschrift

אם תעמוד במקום הוה יפגע בך כאשר אתה עשית לי

an, von der Autorin (erst im letzten Satz allerdings) mit „Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast“ übersetzt.

Von dem Gutsherrn, der die Niedere Gerichtsbarkeit innehat, wird das Gerücht ausgestreut, ein jüdischer Gauner sei der Mörder, habe sich aber im Gefängnis bereits erhängt.

28 Jahre später, zu Weihnachten 1788, trifft ein alter Mann im Dorf ein. Er gibt sich als Johannes Niemand zu erkennen, und erzählt, aus türkischer Sklaverei geflohen zu sein. Der Gutsherr stellt ihn für Botengänge ein, wobei sich herausstellt, dass er das Brederholz meidet.

Im September 1789 wird der Alte nach einem Botengang vermisst, mehrfach hat man ihn um das Brederholz herum beobachtet. Nach langer Suche findet man ihn, erhängt an der „Judenbuche“, der Buche, wo man auch Aaron gefunden hat. Der Gutsherr erkennt den vermeintlichen Johannes nun an einer Narbe als Friedrich Mergel, ganz aufgeklärt wird das Geschehen jedoch nie und kann bis zum Schluss verschieden gedeutet werden.

Die Novelle beginnt mit einem Vers, der den Leser dazu anhält, nicht hart über Verbrecher zu urteilen, die durch die äußeren Umstände dazu geworden sind, wobei die Autorin das der Bibel (Joh. 8,1-11) entlehnte Motiv der Steinigung verwendet. Im Anschluss an die Handlung folgen der Hinweis, die Geschichte habe sich „nach allen Hauptumständen“ so begeben, sowie die an der entsprechenden Stelle nicht genannte Übersetzung der hebräischen Inschrift.

Mit ihrem Handlungsschwerpunkt auf dem Fundort der Leiche ähnelt die „Judenbuche“ sehr der Novelle Unterm Birnbaum von Theodor Fontane (1885), wo ebenfalls Orte, die etwas mit dem Mord zu tun haben, immer wieder auftauchen und der Mörder schließlich am Versteck der Leiche tot aufgefunden wird.

Interpretation

Recht und Gerechtigkeit

Die Gesetze sind einfach und teilweise unzulänglich. Neben dem gesetzlichen Recht hat sich so ein zweites Recht gebildet: Recht der öffentlichen Meinung, der Gewohnheit und entstandenen Verjährung. Gutsbesitzer wie Volk handelten frei nach ihrem Gewissen, nur den Unterlegenen waren bisweilen die geschriebenen Gesetze wichtig. Alle Dorfbewohner sind fromm, alle sind aber auch irgendwie in den Holz- und Wilddiebstahl verstrickt. Ein Beispiel sind Margaret Semmler und ihr Bruder Simon: Während erstere übertrieben fromm ist, aber das Bestehlen von Juden für ebenso akzeptabel hält wie Wilderei und Holzfrevel, hat Simon als Sinnbild des Bösen immer noch einen Funken von Gewissen und Frömmigkeit in sich (wenn er letzteres auch vielleicht nur verschiebt).

Man kann dieses Gewohnheitsrecht als Zeichen der Rückständigkeit des Dorfes interpretieren, die die Autorin am Anfang des Buches anspricht. Bezeichnenderweise ist diese Rückständigekeit 1789 beendet: Etwa zwei Monate nach Ausbruch der Französischen Revolution wird der echte Schuldige bestraft, zuvor können Adel und Volk über Recht und Gerechtigkeit entscheiden. Die Autorin heißt die ältere Form der „Gerechtigkeit“ weder gut, noch verurteilt sie sie.

Entsprechend der Buche, der die Juden die Rache an dem Mörder anvertrauen, erscheint die Natur in der Novelle stets als Richter und Zeuge. Die Dichterin veranschaulicht durch diese enge Verbindung zwischen dem Handeln des Menschen und der ihn umgebenden Natur, dass, verliert er sein „inneres Rechtsgefühl“, er zugleich die Einheit von Menschen und Natur stört, die in der göttlichen Seinsordnung festgelegt ist.

Bezeichnenderweise geschehen alle furchtbaren Ereignisse in der Nähe der Buche im Brederwald, während einer stürmischen oder monderhellten Nacht oder in der Dämmerung, niemals aber am Tag. Der Brederwald wird zu einem magischen Raum, die Buche zum „Dingsymbol für ein Geschehen des Unheils“.

Bild der Juden

Die Juden gelten bei der Bevölkerung als sehr geschäftstüchtig und fleißig, aber auch als verschlagen und betrügerisch. Während sie in ihrer eigenen abgeschlossenen Gesellschaft zusammenhalten, werden sie von außerhalb zwar gebraucht, aber offen verachtet.

Charakteristik

Friedrich

Friedrich entwickelte sich von einem verstörten, zurückgezogenen Kind zu einem sehr hochmütigen und stolzen, aber auch erregbaren und gewaltbereiten Mann. (verteidigt seine Rolle als „Dorfelegant“ oft mit Fäusten) Ihm ist sein Äußeres wichtiger als sein Inneres. Um seinen Ruf aufrechtzuerhalten, bedient er sich teilweise auch unlauterer Mittel wie des Prahlens mit einer noch nicht bezahlten Silberuhr. Trotzdem bescheinigt ihm die Autorin eine „nicht unedle Natur“ und schreibt seine Fehler teilweise dem Onkel zu.

Margaret Semmler

Friedrichs Mutter ist anfangs eine starke Frau, die nach und nach am Leben zerbricht. Als sie Friedrichs Vater heiratet, meint sie noch, dass eine Frau, die von ihrem Mann schlecht behandelt wird, selbst schuld ist. Sie erkennt jedoch bald, dass das Leben nicht so einfach ist, wie sie denkt.

Durch den frühen Tod ihres Mannes und den Verlust Friedrichs, der zu seinem Onkel geht, ist sie mit der Landwirtschaft überfordert.

Nachdem Friedrich unter Mordverdacht floh, wurde sie zu einem Pflegefall, sie kapselt sich von der Gesellschaft bis zu ihrem Tod ab.

Simon Semmler

Nach dem Tod von Friedrichs Vater ist er das Zeichen für das Böse. Er hat keine wirkliche Chance von unten nach oben zu kommen und stirbt verarmt. Er übt negativen Einfluss auf Friedrich aus und gehört einer Bande illegaler Holzfrevel an.

Johannes Niemand

Johannes ist ein Ebenbild Friedrichs, nur sehr schüchtern und auch willenlos (er flüchtet grundlos mit Friedrich). Er und Friedrich ergänzen sich gewissermaßen und werden so auch sehr gute Freunde. Er versinnbildlicht Friedrichs wahren Zustand als sozialer Niemand.

Historische Hintergründe

Der Novelle liegt eine wahre Begebenheit zugrunde, die der Dichterin seit ihrer Kindheit aus Erzählungen über ihre westfälische Heimat vertraut war und die ihr Onkel August von Haxthausen unter dem Titel „Geschichte eines Algierer Sklaven“ nach Gerichtsakten aufzeichnete und 1818 veröffentlichte. Die Schriftstellerin erfindet eine Vorgeschichte zu dem historisch beglaubigten Ereignis, womit es ihr gelingt dieses Ereignis als Folge einer Störung der menschlichen Gemeinschaft darzustellen. Das Verhängnisvolle dieser allgemeinen gesellschaftlichen Situation enthüllt sich in einem individuellen Schicksal, das sich in einer Reihe von ungewöhnlichen Ereignissen zunehmend verdichtet und dramatisch zuspitzt.