Mitochondriale Eva
Die Mitochondriale Eva (engl. Mitochondrial Eve) ist die Frau, aus deren mitochondrialer DNA (mtDNA) die mitochondriale DNA aller heute lebenden Menschen hervorgegangen ist. Der Bezeichnung „Afrikanische Urmutter“ ist etwas irreführend und sollte eher nicht verwendet werden.
Theorie
Dass Wissenschaftler von der Annahme ausgehen, eine solche Vorfahrin habe jemals existiert, beruht auf der Gendrift, einem Phänomen in der Populationsgenetik: Im Verlauf der Evolution nimmt die Häufigkeit der unterschiedlichen Varianten eines DNA-Moleküls (Allele) in der Population durch Zufall zu oder ab.
Man betrachte eine Model-Population mit 100 Frauen, bei der 50 ein Allel A der mtDNA in sich tragen und 50 ein Allel B. In der folgenden Generation sind die Anteile durch den zufälligerweise etwas größeren Reproduktionserfolg der "Allel-A-Frauen" geringfügig verschoben, z.B. 51-mal Allel A und nur 49-mal Allel B, in der darauffolgenden Generation liegen 48-mal Allel A und 52-mal Allel B vor. Statistisch haben nach etwa 100 Generationen alle Individuen in der Population entweder Allel A oder B. Eines der Allele ist infolge des Gendrifts in der Population ausgestorben und das andere wurde fixiert.
Im Unterschied zur Selektion, die dazu führt, dass nur die für das Überleben vorteilhaften Allele im Genpool verbleiben, führt Gendrift zum zufälligen Aussterben oder Überleben bestimmter Allele in einer Population. Allgemein erfolgt die Fixierung durch Gendrift viel langsamer als durch positive Selektion. Je größer die effektive Populationsgröße, desto geringer die Gendrift und desto länger dauert die Fixierung eines Allels. Gendrift wird manchmal auch Gründereffekt genannt, weil sie bei kleinen Populationen, wie Gründerpopulationen, stärker zur Geltung kommt.
Die Gendrift führt jedoch in jeder Population zu einer Reduktion der genetischen Vielfalt. In realen Populationen bleibt die genetische Diversität jedoch erhalten, da durch Mutationen ständig neue Allele hervorgehen. In der oberen Model-Population sind nach etwa 100 Generationen, alle mtDNAs in der Population Kopien des selben DNA-Moleküls, welches etwa 100 Generationen zuvor von einer einzigen Frau an ihre Töchter vererbt wurde. Sie unterscheiden sich lediglich durch die Mutationen die seitdem aufgetreten sind. Sie sind nicht identisch aber monophyletisch.
Die mitochondriale Eva stellt weder die erste Frau noch die einzige Frau zu einem bestimmten Zeitpunkt der Vergangenheit dar. Eva hatte viele Zeitgenossinnen; die mitochondrialen Erblinien der anderen Frauen starben aber aus, während die von Eva überlebte. Lebenszeit und -ort dieser Vorfahrin lassen sich mit Hilfe der Analyse der mitochondrialen DNA einer repräsentativen Anzahl heute lebender Individuen bestimmen.
Bedeutung
Eine Reihe von Eigenschaften machen die mitochondriale DNA zu einem wertvollen Werkzeug für die Erforschung der menschlichen Abstammung.
- Im Vergleich zur DNA des Zellkerns zeigt die mtDNA eine höhere Mutationsrate.
- Da mtDNA nur von der Mutter zur Tochter vererbt wird, ist die effektive Populationsgröße nur ¼ so groß wie bei der autosomalen DNA bei dem beide Elternteile je zwei Kopien tragen. Dementsprechend erfolgt die Fixierung von Allelen auch etwa vier mal so schnell. Die Allele menschlicher mtDNA sind also wesentlich jünger als bei der autosomalen DNA und eignen sich sehr gut (und auch nur) für die Erforschung der jungen Menschheitsgeschichte, wie zum Beispiel der Besiedlung Eurasiens.
- Die im Vergleich zur autosomalen DNA höhere Mutationsrate und Gendrift der mtDNA führen dazu, dass die Häufigkeit der Allele von einer Teilpopulation zur anderen viel stärker schwankt. Aus diesen Unterschieden können Aussagen über Abstammung, Migration, Verdrängung oder Vermischung von Populationen viel einfacher abgeleitet werden, als mit der geographisch homogeneren autosomalen DNA.
- Da eine Zelle viele Mitochondrien enthält, und in jeder mehrere Kopien der mtDNA vorliegen, lässt sich oft auch aus Fossilien (z.B. Neandertaler-Knochengewebe) genug mtDNA für die Analyse extrahieren, während die DNA des Zellkerns weitaus seltener ausreichend vollständig überliefert ist.
- Das Fehlen von Rekombination bei der Vererbung der mtDNA ermöglicht Aussagen über spezifische Eigenschaften der weiblichen Erblinie.
Wo und Wann lebte Eva?
Die mitochondriale Eva wurde 1987 in einem Nature Paper von Cann et al. (1987) vorgestellt. Die Autoren extrahierten mtDNA aus der Plazenta von Personen aus unterschiedlichen Teilen der Welt. Sie sequenzierten die mtDNA nicht, sondern führten eine Untersuchung mittels Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus (RFLP) durch. Sie ordneten die mtDNAs entsprechend ihrer Ähnlichkeit auf einem Stammbaum an und ermittelten schließlich die Wurzel des Stammbaums. Von der ermittelten Wurzel zweigten zwei Haupt-Äste ab: auf dem einen fanden sich nur Afrikaner, auf dem anderen Personen aus allen Erdteilen. Daraus schlossen die Autoren, dass die mitochondriale Eva in Afrika gelebt haben muss. Mit Hilfe der Divergenzen schätzten sie das Alter der Mitochondrialen Eva auf ca. 200 000 Jahre.
Da die Fixierung einer Erblinie in einer expandierenden Population unwahrscheinlich ist, argumentierten die Autoren, muss die Mitochondriale Eva gelebt haben bevor die Vorfahren der heute lebenden Menschen Afrika verlassen hatten. Für die Autoren ein klarer Hinweis für die „Out-of-Africa-Theorie“. Das „multiregional evolution model“ wurde von den Autoren zurückgewiesen da die Mitochondriale Eva hierfür sehr viel älter hätte sein müssen (Homo erectus hatte Afrika vor fast 2 Millionen Jahren verlassen).
Die Publikation wurde von Anfang an stark kritisiert. Viele Kritikpunkte waren durchaus berechtigt:
- Von den 147 Personen in der Studie stammten nur zwei der 20 „Afrikaner“ wirklich aus Afrika südlich der Sahara. Die anderen 18 waren Afro-Amerikaner.
- Die Methode den Stammbaum zu generieren lieferte nicht unbedingt den statistisch günstigsten Baum.
- Um die Wurzel des Baums zu finden, setzte man die Wurzel in die Mitte des längsten Astes. Das kann zu einer falschen Position der Wurzel führen z.B. wenn die Evolutionsgeschwindigkeit in Afrika höher ist.
- RFLP ist wenig geeignet um Mutationsraten zu bestimmen, was für eine Molekulare Uhr wichtig ist.
- Schlechte statistische Analyse
Die (seriöse) Kritik war also nicht allgemein gegen das Konzept der Mitochondrialen Eva gerichtet. Jedem, der mit der Materie vertraut war, war klar, dass diese Frau irgendwann und irgendwo gelebt haben muss. Nur das wissenschaftliche Vorgehen der Autoren wurde kritisiert.
Spätere, verbesserte Studien bestätigten und untermauerten jedoch die wichtigsten Aussagen von Cann et al. (1987). Zum Beispiel führten Ingman et al. (2000) eine neue, verbesserte Studie durch.
- Sie nahmen Proben von 53 Personen, 32 von ihnen aus unterschiedlichen Teilen Afrikas südlich der Sahara.
- Sie sequenzierten die kompletten mtDNAs, aber für die Analyse schlossen sie die schnell evolvierende D-Loop Region aus.
- Die Wurzel des Stammbaums wurde mit Hilfe der mtDNA eines Schimpansen bestimmt.
Die Ergebnisse dieser verbesserten Studie waren noch eindeutiger als bei der ersten Studie 1987:
- Vollständige Separation von Afrikaner und nicht-Afrikaner
- Die ersten drei Äste des Stammbaums führten nur zu Afrikanern, der vierte führte zu Afrikanern und nicht-Afrikanern.
- Lange Äste in Afrika, aber sternförmige Struktur außerhalb (charakteristisch für kürzliche Expansion).
- 175 000 ± 50 000 Jahre bis zum gemeinsamen Vorfahren (mitochondriale Eva aller Menschen in der Studie)
- 52 000 ± 28 000 Jahre zur Verzweigung zwischen dem letzten afrikanischen und dem nicht-afrikanischen Zweig (mitochondriale Eva aller nicht-Afrikaner in der Studie).
- Signal für eine Expansion im nicht-afrikanischen Ast vor etwa 1925 Generationen. Also etwa vor 38 500 Jahren wenn man von einer Generationszeit von 20 Jahren ausgeht.
Haplotypen


Die Miochondriale DNA verschiedener Menschen kann in sogenannte Haplogruppen unterteilt werden. Eine Haplogruppe kann ihrerseits weitere Unter-Haplogruppen enthalten, die sich ihrerseits weiter unterteilen lassen. Man versucht bei der Nomenklatur der Haplogruppen diese Baumstruktur abzubilden und verwendet abwechselnd Buchstaben und Zahlen. Zwei mtDNAs einer Haplogruppe sind dabei stets monophyletisch. Für die Zuordnung verwendet man charakteristische Mutationen in den Gensequenzen der mtDNA, außerhalb des D-Loops.
Eine Person kann z. B. die Haplogruppe C1a3b2 haben. Seine mtDNA ist dann eng mit einer anderen Person verwandt die z.B. C1a3b4 hat. Natürlich teilt seine mtDNA auch einen gemeinsamen Vorfahren mit einer dritten Person die C1a3c5 hat, aber dieser gemeinsame Vorfahre hatte früher gelebt, noch bevor sich die C1a3-Linie aufgespalten hatte.
Leider ist die Nomenklatur relativ inkonsequent realisiert. Sie wurde zunächst außerhalb Afrikas etabliert. Viele Buchstaben wurden benutzt um die wichtigsten nicht-afrikanischen Haplogruppen zu benennen. Als man sich den Afrikanern zuwendete, waren fast alle Buchstaben bereits belegt. Daher wird hier bereits für die Unterteilung der Hauptgruppen zu Ziffern übergegangen. Über die Nomenklatur mancher genetischer Linien in Afrika besteht bis heute noch kein Konsensus.
In der Grundstruktur besteht der mitochondriale Stammbaum des Menschen zunächst aus einer Reihe langer Äste. Diese Linien werden heute L1 genannt. Anders als früher gedacht bildet L1 die Wurzel. L1 ist also keine echte Haplogruppe, sondern eine Reihe afrikanischer Haplogruppen, die ähnlich alt sind wie die mitochondriale Eva und deren genaue verwandschaftliche Beziehung untereinander noch nicht geklärt ist.
Von diesen alten L1-Ästen zweigen die übrigen Äste durch eine Mutation an der Position 10810 ab. Von diesen Spaltet sich seinerseits die Haplogruppe L2 durch eine Mutation an der Position 16390 ab. Auch L2 kommt praktisch nur bei Afrikanern südlich der Sahara vor.
Eine Mutation an der Position 3594 bildet den Ast auf dem die großen Haplogruppen M und N, sowie noch zahlreiche weitere afrikanische Haplogruppen, die man heute noch unter L3 und zusammenfasst. L3 ist, wie L1, keine echte (monophyletische) Haplogruppe. Die Haplogruppen M und N kommen beim aller größten Teil der Nicht-Afrikaner vor. Sie sind in Afrika südlich der Sahara sehr selten, wo L1, L2 und L3 dominieren.
Die Haplogruppe M wird in die Großen Haplogruppen Z, C, D, E, G und Q unterteilt. Die Haplogruppe N in A, I, W, X und Y, sowie in die Haplogruppe R die die Unter-Haplogruppen B, F, H, P, T, J, U und K bildet.
Geographische Verteilung
Die „alten“ Haplotypen aus den L-Ästen dominieren in Afrika südlich der Sahara. Es besteht keine Zweifel, dass sie ihren Ursprung dort haben. Diese Haplotypen finden sich auch in Nordafrika (ca. 50% Häufigkeit) und, in geringer Häufigkeit, in Europa und Westasien.
Die Haplogruppen M und N dominieren im Rest der Welt und sind in Afrika südlich der Sahara selten. Spezielle M-Varianten (M1) kommen mit einer Häufigkeit von etwa 20% in Äthiopien vor. Dadurch kann angenommen werden, dass diese Haplogruppe seinen Ursprung in Afrika hat. Da die Haplogruppe N etwa gleich alt wie M, entstand sie entweder auch in Afrika oder kurz nach der Migration aus Afrika.
Bei Amerikanischen Ureinwohnern kommen die Haplogruppen A, B, C, D und X vor. A, B, und X gehören zur N-Haplogruppe; C und D gehören zu M-Haplogruppe.
In Europa und Westasien kommen M-Haplogruppen so gut wie gar nicht vor. Von den N-Haplogruppen dominieren viele, die zur R-Untergruppe gehören: H, V, T, J, U und K. Daneben kommen auch die Haplogruppen I, W und X mit einer signifikanten Häufigkeit vor. In Europa, dem Kaukasus und dem Nahen Osten finden sich praktisch die gleichen Haplogruppen, nur die Häufigkeiten der einzelnen Haplogruppen schwankt. Vor allem die H-Haplogruppe ist im Nahen Osten und im Kaukasus nicht so häufig wie in Europa (~25% vs. ~45%). Innerhalb Europas schwanken die Häufigkeiten der Haplogruppen je nach Region geringfügig.
Süd- und Ostasien unterscheiden sich bei den Haplogruppen sehr stark von Westasien. Hier kommen die M-Haplogruppen C, D, E, G, Z und Q vor. Die N-Gruppe kommt auch hier vor, allerdings ist sie hier durch die Haplogruppen A, B, F, Y und X vertreten.
Die Haplogruppe X bemerkenswert da sie in ganz Eurasien und Nordamerika vorkommt, wenn auch mit geringer Häufigkeit. Früher wurde angenommen, dass die X-Haplogruppe in Europa entstand und nur hier vorkam. Als die Haplogruppe bei amerikanischen Ureinwohnern entdeckt wurde, kam die Hypothese auf, sie sei vor Jahrtausenden von Europa aus auf dem Seeweg durch europäische Emigranten nach Amerika gelangt. Mittlerweile wurde X-Haplogruppe jedoch auch in Asien entdeckt (Derneko et al., 2001), was diese Hypothese unwahrscheinlich macht.
Alte mitochondriale DNA

Jede Zelle enthält viele Mitochondrien, die ihrerseits mehrere Kopien der mitochondrialen DNA enthalten. Dies ermöglicht oft eine DNA-Sequenzierung der mtDNA aus Fossilien, die nicht zu alt sind (weniger als 100 000 Jahre). Bis 2004 wurden Teile der mtDNA von acht Neandertalern aus Deutschland, Kroatien und Russland sequenziert (Krings et al., 1997; Serre et al., 2004). Das Ergebnis:
- Die mtDNA eines Neandertalers unterscheidet sich etwa drei mal mehr von der eines modernen Menschen wie die mtDNA von zwei modernen Menschen sich untereinander unterscheiden.
- Die mtDNA der Neandertaler unterscheiden sich untereinander nur wenig. Die mtDNA moderner Menschen unterscheiden sich untereinander wesentlich stärker.
- Die mtDNA der Neandertaler zeigt keine größere Ähnlichkeit zu der mtDNA heutiger Europäer als zu jener heutiger Afrikaner oder Asiaten.
Die mtDNA des Neandertalers hat sich also relativ früh von der Linie die zum modernen Menschen geführt hat abgespalten. Man schätzt, dass die gemeinsame mitochondriale Eva vom modernem Menschen und Neandertaler vor 550 000 bis 690 000 Jahren gelebt hat, also deutlich früher als die Mitochondriale Eva des modernen Menschen (Krings et al., 1997).
Laut Nordborg (1998) kann man trotz dieser Daten nicht ausschließen, dass es eine Vermischung zwischen Neandertalern und modernen Menschen gab. Currat & Excoffier (2004) meinen hingegen, dass man an Hand dieser mtDNA-Daten eine Vermischung praktisch ausschließen kann.
Die mtDNA aus fossilen Überresten aller moderner Menschen (Homo sapiens), welche bis jetzt untersucht wurden, sind hingegen eng mit der heute lebender Menschen verwandt (Serre et al., 2004). Die mtDNA von Ötzi zum Beispiel gehörte zur Haplogruppe K1 (Rollo et al., 2006).
Genetische Diversität der mtDNA
Die Diversität der mitochondrialen DNA-Sequenzen ist in Afrika am größten. Insgesamt ist die genetische Diversität beim Menschen, im Vergleich zu Menschenaffen, gering. In einem bestimmten Segment der mtDNA zeigen Schimpansen die drei- bis vierfache genetische Diversität im Vergleich zu Menschen. Allein die mtDNAs von 19 untersuchten Schimpansen aus dem Taï Nationalpark (Elfenbeinküste) zeigen eine höhere Diversität als alle Menschen zusammen, obwohl sie zu einer kleinen, genetisch durchmischten Gruppe gehören (Gagneux et al., 1999).
Bonobos, Gorillas und Orang Utans zeigen ebenfalls eine höhere genetische Diversität der mtDNA als der Mensch (Jobling et al., 2003).
Eva und die Out-of-Africa-Theorie

Die Theorie der der Mitochondrialen Eva ist mittlerweile anerkannt und etabliert aber was dessen Aussagen über die Fragestellung von Out-of-Africa-Theorie vs. „multiregional evolution model“ betrifft, besteht immer noch kein wissenschaftlicher Konsensus. Klar ist, dass die Mitochondriale Eva nicht im Widerspruch zur Out-of-Africa-Theorie steht. Aber sie widerlegt nicht zwangsläufig andere Modelle. Schließlich macht es nur Aussagen über einen einzigen Locus. Die Loci im Zellkern können andere, dank Rekombination wesentlich kompliziertere, Geschichten haben.
Zum Beispiel argumentierte Nordborg (1998), dass das vollständige fehlen von Neandertaler-mtDNA bei heutigen Europäern, durchaus das Ergebnis von Gendrift sein könnte.
Nordborg (1998) nahm in einem einfachen Model an, dass der moderne Mensch sich zunächst über Europa ausbreitete ohne sich mit Neandertalern zu mischen. Erst nachdem die Expansion abgeschlossen war, mischten sich moderne Menschen mit Neandertaler. Nach diesem Model könnten die Neandertaler bis zu 25% Beitrag am Genpool der daraus entstanden Mischpopulation gehabt haben. Durch Gendrift starben die mitochondrialen Erblinien der Neandertaler in der Zwischenzeit aus (siehe oben unter Theorie). Heutige Europäer könnten also in ihrem Zellkern durchaus DNA mit Neandertalern-Ursprung haben.
Currat & Excoffier (2004) entwickelten ein wesentlich komplizierteres Model für die Durchmischung von modernem Menschen und Neandertaler. Die Besiedlung von Europa und die Verdrängung der Neandertaler durch moderne Menschen dauerte etwa 12 000 Jahre (~500 Generationen). Wenn man bei den Berechnungen davon ausgeht, dass Expansion und Vermischung gleichzeitig abgelaufen sind, bekommen die Neandertaler einen großen Vorteil, weil sie Europa vorher besiedelt hatten.
Wenn z.B. moderne Menschen, von Afrika kommend, Anatolien besiedeln und sich teilweise mit den Neandertalern dort mischen, findet die mtDNA der Neandertaler Eingang in den Genpool der modernen Menschen. Expandiert nun die Population der modernen Menschen, so expandiert teilweise auch die Neandertaler-mtDNA mit. Wenn jetzt z.B. der Balkan von den „Misch-Nachkommen“ besiedelt wird und es wieder zu einer Vermischung mit den dort lebenden Neandertalern kommt, steigt der Anteil der Neandertaler-DNA im Genpool noch weiter. Je weiter die Expansionswelle moderner Menschen nach Westen und Norden vordringt, und sich dabei immer wieder mit den dort lebenden Neandertalern mischt, desto mehr reichert sich mit Neandertaler-DNA in der Population an.
Nach diesem Modell würde selbst eine kleine Vermischung ausreichen damit die mitochondriale DNA des Neandertalers die des modernen Menschen vollständig „aus-verdünnt“ (was aber offensichtlich nicht eintrat). Currat & Excoffier (2004) berechneten, dass es in den 12 000 Jahren, in denen moderne Menschen und Neandertaler Europa bewohnten, maximal 120 „Mischkinder“ geben konnte. Die Autoren vermuteten aus dieser extrem geringen Zahl, dass moderne Menschen und Neandertaler verschiedene Arten sind die zu keiner gemeinsamen Fortpflanzung fähig waren.
Auch große Teile Asiens waren von anderen Hominiden bewohnt, bevor sie von moderne Menschen besiedelt wurde. Auch hier finden sich keine Mitochondrialen Erblinien die auf eine Vermischung hindeuten würden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die mitochondriale Eva die Out-of-Africa-Theorie durch folgende Fakten stützt:
- Die geringe genetische Diversität der mitochondrialen DNA beim Menschen (Gagneux et al., 1999).
- Das relativ junge Alter der Mitochondrialen Eva von nur ~175 000 Jahre (Ingman et al., 2000).
- Der mitochondriale Stammbaum zeigt tiefe Äste in Afrika aber sternförmige Struktur außerhalb (Ingman et al., 2000).
- Die mitochondriale DNA der Neandertaler ist eindeutig verschieden von der heutiger Menschen (Serre et al., 2004).
- Eine Vermischung zwischen modernen Menschen mit Neandertalern ist, nach heutigem Wissen, unwahrscheinlich (Currat & Excoffier, 2004).
Untersuchungen an andere Loci auf den X-Chromosom, Y-Chromosom und Autosomen deuten ebenfalls auf einen jungen, afrikanischen Ursprung des Menschen hin (Takahata et al., 2001).
In bekannter Kultur
- Bryan Sykes hat ein Buch namens Die sieben Töchter Evas geschrieben.
- In River Out of Eden beschreibt Richard Dawkins die menschlichen Vorfahren im Kontext eines Flusses aus Genen und zeigt, dass die Mitochondriale Eva eine von vielen gemeinsamen Ahnen ist, die wir auf Grund der verschiedenen genetischen Pfade zurück verfolgen können.
- Der Discovery Channel hat eine Dokumentation namens Die wirkliche Eva ausgestrahlt.
- Der japanische Roman, Horrorfilm und die Videospielserien Parasite Eve benutzen die mitochondriale Eva-Theorie als Basis für eine Fantasiegeschichte über einen Wissenschaftler, der seine Frau mit Hilfe von regenerierten Zellen wiederbelebt, was fatale Folgen hat.
- Greg Egan schrieb eine Kurzgeschichte mit dem Titel Mitochondriale Eva.
Weblinks
- Wissenschaft-online: Evas Rippe
- Geneticancestor: Mitochondriale Eva
- Mathematische Betrachtung von Franz Embacher
Literatur
- Bryan Sykes: Die sieben Töchter Evas, Lübbe-Verlag, Juni 2001, ISBN 3-7857-2060-2
- Cann, R.L.; Stoneking, M. & Wilson, A.C. (1987), 'Mitochondrial DNA and human evolution.', Nature 325(6099), 31--36. DOI:10.1038/325031a0
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